Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden/Noch lebende Volkssagen und Legenden

Volksthümliche Sitten und Gebräuche der Herzogthümer Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden (1856)
von Friedrich Köster
Volksthümliche Sprüchwörter und Redensarten
Die Sagen sind auch als Einzeltexte verfügbar unter:
  1. Aus dem Amte Lehe: Die Brille bei Lehe · Das Hexen-Kreuz vor dem Ekkerfelde · Das Grab des heiligen Dionysius · Der Willehadus-Brunnen · Der Buller-Siel
  2. Aus dem Amte Beverstedt: Der Drachenstein · Der Wagen am Himmel · Die Dornenkrone · Der dumme Teufel
  3. Aus dem Lande Wursten: Die Sage vom Dr. Faust im Lande Wursten · Wo dat togeit, dat de Imser Kark’ so alleen steit?
  4. Der Balksee und der Otterstedter See: Der Balksee im Amte Neuhaus an der Oste und seine Sagen · Der Otterstedter-See, der Düvelshoop und die Hexenkreise bei Eckstever
  5. Der Heuersche Kolk bei Rechtenfleth in Osterstade
  6. Aus Hambergen: Von dem Schimmel zu Wallhöfen · Der bezauberte Bienendieb · Ein Eidschwur · Vom letzten Hühnen zu Hambergen
  7. Die Mühle bei Scheeßel
  8. Der steinerne Mann in der Doms-Mauer zu Verden
  9. Die Capelle zu St. Jost
  10. Der Paterborn bei Neukloster und die Kirche zu Bliedersdorf
  11. Der Wingst-Brunnen bei Cadenberge
[211]
29.
Noch lebende Volkssagen und Legenden.

a. Aus dem Amte Lehe.
(Vom Herrn Hauptschullehrer Knöner zu Lehe.)

1. Die Brille bei Lehe.

In der Leher Haide, rechts an dem Wege von Lehe nach dem Veermoore, liegen zwei runde Möre in kleiner Entfernung neben einander, die Aehnlichkeit mit den beiden Augen einer Brille haben, auch so genannt werden und der hiesigen lutherischen Pfarre gehören. Einige hundert Schritt nördlich von diesen Mören stehen zwei Hügel ebenfalls neben einander, die aber bei Cultivirung der Haide jetzt zum Theil schon abgetragen worden sind. In diesen Hügeln wohnte in den Zeiten, wo es noch Riesen auf der Erde gab, ein Hühne oder Riese. Darin führte er ein gar einsames Leben, hatte aber einen Zwerg als Diener bei sich, welchen er, als er selbst alt und schwach geworden war, als Bote gebrauchte und auf die benachbarten Dörfer schickte. Eines Tages hatte er ihn nach dem Dorfe Spaden gesandt; nach des Riesen Meinung blieb der Zwerg über die Zeit lange aus; denn der alte Riese hatte früher diesen Weg in wenigen Schritten zurückgelegt, zu dem der Zwerg mehre tausend nöthig hatte. Voll Sehnsucht blickt er der Ankunft des Zwerges entgegen, der läßt aber noch immer sich nicht sehen. Da denkt der Riese: „Vielleicht kann ich ihn nicht sehen, weil er so klein ist und meine Augen vor Alter dunkel sind, ich will meine Brille aufsetzen und sehen, ob er kommt.“ Er setzt die Brille auf die Nase, geht einige Schritte vorwärts dem Zwerge entgegen. Da er aber die Nase der Brille wegen recht hoch halten muß, so bemerkt er nicht zu seinen Füßen die Unebenheiten und Löcher in der Haide; kurz, er stolpert und fällt so schwerfällig auf die Kniee, daß ihm die Brille von der Nase fliegt. Zornig greift er sie auf und wirft sie, da er sie als die Ursache seines Fallens betrachtet, [212] weit von sich und würde den Zwerg ihr ganz gewiß nachgeworfen haben, wenn er ihn gehabt hätte, so erboßt war er über sein langes Ausbleiben; und er stampft dabei mit den Füßen so gewaltig auf die Erde, daß sie erbebt. Der Zwerg war aber nicht weit mehr entfernt, nur hatte ihn der Riese durch die Brille übersehen, so wie der Zwerg den Riesen nicht bemerkte wegen des langen Haidekrauts, das zur Seite am Wege stand, über welches hinaus der Zwerg nicht sehen konnte, und meinte, daß es ein Erdbeben sei, als er das Zittern unter seinen Füßen fühlte. Die Brille war in einen Sumpf gefallen und tief hinein gesunken und wiewohl der alte Riese sie nachher gern wieder gehabt hätte, so konnte er sie selbst aus dem Sumpf nicht herausheben, weil er von wegen seiner Schwere hinein gesunken wäre; der Zwerg aber konnte sie kaum bewegen, geschweige denn tragen. So mußte sie wohl liegen bleiben und liegt dort noch bis auf diesen Tag unter einer Torfschicht, die sich in den Jahrhunderten nach des Riesen Tode darüber gelagert hat und genau die Stelle anzeigt, wo die beiden Augen der Brille liegen. Zwischen beiden hin zieht sich ein schmaler Strich Haidland, wo der Nasenbügel derselben liegt. Unter einem von jenen zwei Hügeln liegt der Riese auch begraben, nur kann niemand genau sagen, unter welchem?


2. Das Hexen-Kreuz vor dem Ekkerfelde.

Nordwestlich von Lehe, eine Viertelstunde weit von dem Flecken liegt ein, einige hundert Morgen großes Feld, das sich aus den umgebenden Niederungen sanft erhebt und Ekkerfeld heißt. Merkwürdig ist es wegen der Tausende von kleinen bemoos’ten Hügeln, die seinen südlichen Abhang bedecken. Es wird bis jetzt dieses Feld nicht bebauet, sondern liegt als Gemeinheitshudeplatz. Hier in der Tiefe hatte zu der Zeit, als es noch Hexen gab, dieses Gesindel seinen Lieblingsaufenthalt, daher man auch noch jetzt das bewegliche Kreuz, das beim Eingange steht, und von Jedermann der hinauf- oder hinuntergeht, auf einem [213] eisernen Sticken muß umgedrehet werden, das Hexenkreuz nennt. Einst kommt ein Mann aus Lehe spät in der Nacht über dieses Feld: als er bei diesem Kreuze angelangt ist, fällt er plötzlich in die Tiefe hinab. Sein Fall ist indeß nicht unsanft, eben so wenig erschrickt er, als er in der Tiefe angekommen ist, denn er befindet sich in einem herrlichen Palast, wo die Tische mit allerlei köstlichen Speisen bedeckt sind. Nun merkt er, daß er in einem Hexenpalast ist. Die Hexen nöthigen ihn, von den Speisen zu genießen; als er sie gekostet, findet er sie gar nicht nach seinem Geschmack, es fehlt nämlich das Salz daran, welches bekanntlich den Hexen zuwider und unausstehlich ist. Da sagt der Mann unbesonnener Weise: Alles ist so schön, die Speisen sind so köstlich, aber Eins fehlt daran, nämlich das Salz. In Einem Augenblick wird er wieder aufgehoben und auf die Oberfläche der Erde geschleudert. Als er sich nun besinnt, wo er sein mag und mit den Händen umherfühlt, gewahrt er, daß er in einem tiefen Sumpfe steckt, aus dem er sich mit großer Angst und Anstrengung herausarbeitet.


3. Das Grab des heiligen Dionysius.[1]

Südöstlich von Lehe, nahe an der Chaussee, die von Lehe über die Geestebrücke nach Geestendorf bis Bremen führt, liegt der Klushof, der früher als Armenkirchhof benutzt wurde, seit Anlegung des neuen Kirchhofes im Jahre 1827 aber nur noch als Grasplatz jährlich zum Besten der Armen vermiethet wird. Hier stand in alten Zeiten das erste christliche Gebäude in dieser Gegend, die Capelle zum heiligen Kreuz. Fromme Mönche verkündigten hier zuerst das Evangelium den heidnischen Sachsen; in welchen Jahren dies geschah, kann nicht mit Bestimmtheit angegeben werden. Wahrscheinlich war es kurz vor oder nach der Zeit, [214] als Karl der Große das Bisthum Verden stiftete, also etwa um das Jahr 776 nach Christi Geburt. Während der blutigen Kriege, die Karl der Große mit den Sachsen führte, geschah es, als er eben in Spanien gegen die Mauren kämpfte, daß die Sachsen unter Anführung ihres Herzogs Wittekind blutige Rache übten an allen christlichen Sendboten des Evangeliums, die unter ihnen lehrten, sie tödteten und ihre kirchlichen Gebäude zerstörten.

Dieses Loos traf auch den Friedensboten, der hier in der Capelle auf dem Klushof lehrte. Es war der heilige Dionysius aus Frankreich. Dionysius sieht seinen Tod als unvermeidlich an. Um aber der Lehre und dem Herrn, in dessen Namen er das Wort der Wahrheit verkündigt hatte, auch im Sterben noch einen Dienst zu erzeigen und seinen Mördern mit seinem gewaltsamen Tode zu nützen, sagt er zu ihnen: „Ihr glaubt nicht an dieses Wort, das ich euch verkündigt habe, aber es ist gewiß wahr; und zum Beweise, daß es Wahrheit ist, sollt ihr mir, wenn ihr mich enthauptet habt, meinen Kopf unter meinen Arm geben und ich will mit ihm noch eine Strecke Weges fortlaufen. Da, wo ich niederfallen werde, sollt ihr mich begraben.“ Dieses Wunder reizte seine rohen Mörder gar zu sehr, als daß sie ihm das Leben gelassen hätten. Sie gingen die Bedingung ein, schlugen ihm den Kopf ab, gaben ihm denselben unter seinen linken Arm und der Enthauptete lief mit ihm von dem Klushof gegen den Büttel bis zu der Stelle, wo man noch jedem Fremden sein Grab zeigt, der es sehen will. Von einem Grabe ist hier freilich nichts zu sehen; früher hat da aber ein aufgeworfener Hügel gelegen mit einem darauf stehenden Kreuze, jetzt ist es ein Rasenplatz, ein paar Ruthen groß, am östlichen Ende eines Stückes Ackerland, dessen Besitzer sich aber wohl zu hüten hat, diesem Platze mit dem Pfluge zu nahe zu kommen. Pilger aus Italien und Frankreich sind früher hier hergekommen und haben diese Grabstätte besucht, von ihrer Erde mitgenommen und sich beides von dem damaligen Beamten schriftlich beglaubigen lassen. Das hiesige Kirchensiegel stellt den heiligen Dionysius dar, wie er seinen Kopf unter dem linken Arme trägt.


[215]
4. Der Willehadus-Brunnen.

In dem Pfaargarten von Blexum im Oldenburgischen ist ein Brunnen, welcher der Willehadus-Brunnen genannt wird. Da der Ort unweit der Weser und in der Marsch liegt, so ist es um so merkwürdiger, daß dieser Brunnen ein gutes klares Quellwasser hat. Seinen Namen hat er von dem frommen Willehadus, der von England her kam, den Friesen nach dem Tode des Bonifacius[2] das Evangelium verkündigte und von Karl dem Großen zum ersten Bischof von Bremen gemacht wurde. In der Gegend, wo jetzt Blexum liegt, hat er sich lange aufgehalten und ist als Gründer der Kirche und des Dorfes anzusehen. Lange lehrte Willehadus unter den Friesen dieser Gegend das Evangelium, ohne daß er besondere Frucht seiner Arbeit unter ihnen wahrgenommen hätte. Sie waren eben so roh als unwissend, und glaubten weder an Gott, noch an wundervolle Thaten die er gethan hat, und wenn Willehadus ihnen davon erzählte, so spotteten sie darüber und verlangten von ihm, daß er sie ein Wunder sehen lassen solle, dann wollten sie ihm glauben und auch an Wunder; wo aber nicht, so wollten sie ihn als einen Lügner und Betrüger todtschlagen. Willehadus wußte schon, daß von ihrer Rohheit das Schlimmste zu erwarten stand, und sie mit kaltem Blute ihre Drohung an ihm wahrmachen würden, wenn er ihnen vor ihren Augen keine wunderbare That zeige. Hierüber gerieth der fromme Mann in Verlegenheit und Bekümmerniß; nicht, weil er sein Leben so sehr liebte, nein, das hätte er wohl zehnmal für sie verlieren mögen, wenn er ihnen damit hätte geistlichen Nutzen verschaffen können, sondern, weil sie dann noch mehr in ihrem Unglauben bestärkt worden wären. In dieser Noth wandte er sich im Gebet an den allmächtigen Gott, er wolle es nicht zugeben, daß die Ungläubigen aus dem ewigen Worte der Wahrheit einen Spott machten und ihn, [216] seinen Diener, in Uebermuth und Sünde todten. Und Gott erhörte sein Gebet. In der nächsten Nacht träumte ihm, daß nahe bei seiner Capelle in der Erde eine reine Quelle süßen gesunden Wassers sei, das man sonst in dieser Gegend nirgends hatte. Die Stelle wurde ihm im Traume genau angezeigt; er solle seinen Stock nehmen und ihn daselbst tief in die Erde stoßen, dann würde die Quelle zum Vorschein kommen. Den andern Tag ruft Willehadus die Friesen herbei und sagt ihnen, daß er sie jetzt ein Wunder sehen lassen wolle. Dann nimmt er seinen Stock und spricht zu ihnen: „Ihr sehet, daß hier überall kein Wasser aus der Erde quillt, wenn ich aber meinen Stock hier in die Erde stecken werde, so soll frisches, klares Wasser aus der Erde hervorquellen.“ Und hierauf stößt er den Stock tief in die Erde und als er ihn wieder herauszieht, quillt reines süßes Trinkwasser aus dem Loche hervor. Die Friesen trinken davon und finden es gar köstlich. Von nun an fingen sie an, an die Lehren des Evangeliums nicht nur, sondern auch an die Wunder zu glauben, die darin erzählt werden. Willehadus grub den Quell größer und machte einen Brunnen daraus. Die Friesen nannten ihn aber aus Dankbarkeit gegen ihren Lehrer mit Recht den Willehadusbrunnen und so heißt er noch bis auf diesen Tag.


5. Der Buller-Siel.

Zwischen der Mündung der Weser und der Jahde liegt die nördlichste Spitze des Butjahdingerlandes, die sich in alten Zeiten viel weiter in das Meer erstreckte als jetzt. An der nördlichen Spitze hinter Feddewarden hinaus liegt in dem dortigen Deiche ein Siel, welcher der Buller-Siel heißt. Wenn das Meer vom Sturm bewegt seine Wogen gegen diesen Siel treibt, so hört man dort einen dumpfen, schauerlichen Schall, daher der Name Buller-Siel. Die Leute in jener Gegend deuten diesen Schall als eine warnende Erinnerung an das schreckliche Ereigniß, das Gott der Herr vor Alters über diese Gegend kommen ließ. Eine fruchtbare [217] Landstrecke lag nämlich vor vielen Jahrhunderten da, wo jetzt Seeschiffe segeln, und blühende Oerter voll Reichthum und Wohlleben prangten zwischen grünenden Fluren, wo jetzt die tückische Meereswelle dem Schiffer Verderben drohet. Land, Oerter, Menschen und Vieh liegen tief im Meere begraben

Die Bewohner dieses Landstrichs waren durch ihren Reichthum übermüthig und gottesvergessen geworden und gingen in ihrem gottlosen Wesen so weit, daß sie über göttliche Dinge spotteten und die heiligen Sacramente lästerlich entweiheten. Ihren Reichthum und Uebermuth zeigten sie auch darin, daß sie ihre Siel-Thüren von Erz machen ließen und sich dessen gegen ihre Nachtbarn rühmten und damit prahlten. Unter ihnen wohnte ein frommer Geistlicher, der sie in seinen Predigten zur Buße und Bekehrung ermahnte, sie aber lachten über ihn und seine Ermahnungen und trieben es nur desto ärger. Einstmals hatten sie sich einen gar argen Streich ausgedacht, durch den sie den Prediger recht empfindlich verhöhnen wollten. Sie kleideten eine Sau an und legten sie in einer Kammer in das Bett, schickten dann zum Prediger, daß er kommen möge und einem Sterbenden das heilige Abendmahl geben. Er kommt; sie erheucheln Mitleid mit dem Kranken und führen ihn in dessen Kammer und wenden sich dann wieder zurück. Als nun der fromme Mann diese Schandthat inne wird, brechen sie in ein lautes spöttisches Gelächter aus. Der Pfarrer aber drohet ihnen mit Gottes gerechter Strafe; doch hört er nicht auf, für ihre Bekehrung und Verschonung zu Gott zu beten. Einige Zeit nach diesem Vorfall kommt plötzlich seine Magd zu ihm herein und verkündigt mit Schrecken, daß aus den Rissen in dem Boden der Küche drei große Aale hervorkröchen. Hieran merkt der Prediger, daß der Untergang dieser Gegend nahe sei und Gottes Strafgericht die frechen und unbußfertigen Verächter seiner Wahrheit ereilen werde und Gott durch dieses Zeichen ihn selbst warnen und erretten wolle. Sogleich läßt er darum seinen Wagen anspannen, packt seine Habe, so viel er davon mitkriegen kann, darauf und verläßt von Stund an sein Haus und diese [218] Gegend in eilender Flucht. Aber die Zerstörung folgt schnell nach. Noch ehe er sie verlassen hat, sinkt ein Theil nach dem andern unter entsetzlichen Krachen in den Abgrund des Meeres. Endlich, als er nicht weit mehr von einer Anhöhe entfernt ist, bricht der Sticken in der Deichsel seines Wagens; er muß ihn stehen lassen und rettet nur sein nacktes Leben. Bis dahin dringt die Zerstörung, der Wagen aber bleibt im Wasser stehen, versinkt nicht in die Tiefe und hat noch lange Zeit nachher da gestanden. Jetzt zeigt ein Pfahl im Wasser die Stelle noch an, wo er soll gestanden haben, und nicht weit von dem Wasser entfernt ist später ein Dorf entstanden, das den Namen Stickhusen führt.


b. Aus dem Amte Beverstedt.
(Von Herrn Superintendent Wiedemann in Beverstedt.)

1. Der Drachenstein.

Die folgende aus dem Munde des Volks aufgezeichnete Sage kann im weitern Umfange Aufmerksamkeit erregen, nicht als Sage, sondern durch den Gegenstand, an welchen man sie anknüpft.

Der Wanderer erblickt nämlich an dem Wege, der vom Dorfe Donnern (Kirchspiels Beverstedt) nach Wedel führt, rechts von der großen Weide ein einzelnes altes Grab, in dessen Nähe ein ansehnlicher Granitblock sich befindet, der kaum aus dem Boden herausragt und auf dem die große Seltenheit zu sehen, eine versteinerte Schlange von 11 Fuß Länge. Die Leute nennen den Stein den „Drakensten“. Man wird demselben eine große Wichtigkeit für die Geschichte unserer Erdbildung beilegen müssen, da er einen neuen Beweis liefert, daß unsere Erdkugel erst flüssig gewesen und daß die nach einander folgenden Niederschläge nicht heiß, sondern kalt müssen gewesen sein. Man nahm bisher an, daß im Granit, als dem Urgebirge oder dem ersten Niederschlag, keine organische Ueberreste gefunden werden, die Annahme kann aber nicht mehr aufrecht [219] erhalten werden, denn der Drachenstein zeigt ein wirkliches, eigentliches Petrefact. Ein anderes Exemplar, eine versteinerte Baumwurzel, findet sich vor in der granitnen Mauer der Küsterei zu Gnarrenburg und heißt „de bunte Sten.“ Ein gründliches und umfassendes Studium über Granit kann man am leichtesten und bequemsten an den Steinmauern in den Dörfern und an den Blöcken auf der Haide vornehmen. An den Drachenstein nun knüpft man folgende Sage.

Einst kam der Hirte von Donnern, ein beherzter und standfester Mann, der mehrere Kämpfe mit Wölfen[3] siegreich bestanden, bald nachdem er seine Heerde ausgetrieben, mit derselben ganz bestürzt in’s Dorf und meldete den Einwohnern, es sei in letzter Nacht ein großes Wunder geschehen; denn oberhalb der Weideniederung an der Anhöhe, in der Nähe des altes Grabes, sei ein großer See entstanden und es röche da pestilenzialisch nach Schwefel, weshalb er das Vieh zu Haus getrieben, damit es nicht von dem giftigen Gestank erkranke und verderbe. Das ganze Dorf, sogar Mütter mit ihren Kindern auf den Armen und hochbetagte Greise und Großmütter gingen hin und besahen, was in ihrer Mark sich ereignet hatte, rochen aber nichts mehr von dem Schwefelbrodem. Da nahm eine alte Frau, die wegen ihres hohen Alters und ihrer langen Erfahrung die kluge Frau hieß, das Wort und sprach: „Mir hat meine Großmutter erzählt, daß der Bültensee und der Silbersee früher auch nicht dagewesen, aber durch Erdfälle plötzlich entstanden wären; wir haben also nichts zu befürchten, unser Vieh hat sogar eine Tränke mehr;“ wobei sich die Leute beruhigten und heimkehrten. Der Hirte aber sprach bei sich: „Ich habe nicht geträumt, als ich den Gestank roch, und es will sich wohl bald ausweisen, daß es mit dem See nicht ganz richtig ist.“ Um das zu erspähen, trieb er am Nachmittage das Vieh auf die Weide, auf einem Wege, der weiter ablag [220] von dem alten Grabe und schlich nun hinter’s Grab, von wo er, durch die lange Haide verdeckt, seitwärts auf den See schauete. Zu seinem großen Erstaunen erblickte er bald einen ungeheuern Drachen, der im Wasser aus Lust sich tummelte und zuletzt auf’s Ufer sich im Sonnenschein hinstreckte; Muße genug hatte der Hirte, seine Länge auf ungefähr 22 Fuß zu schätzen; gern hätte er mit ihm gekämpft, aber die ungeheure Größe des Drachen war zu unverhältnißmäßig gegen seine, um einen Strauß voraussichtlich mit Erfolg bestehen zu können. Was er geschaut, erzählte er im Dorfe und den Leuten ward bange; allein die Bangigkeit steigerte sich gar bald zur Angst; als der muthige Hirt am andern Tage sein Vieh in die Nähe des See’s trieb, soffen einige Thiere aus dem See und waren am Abend schon todt. Schnell ging die Kunde davon von Haus zu Haus mit der Aufforderung, sich eiligst zu versammeln, um das Nothwendige zu berathen. Man kam überein, weil man den See schwerlich ausschöpfen oder durch einen tiefern Abzugsgraben trocken legen könnte, so wolle man ihn einhegen und dem Vieh unzugänglich machen. In Folge dieses Beschlusses fuhren sie auf Wagen und Karren am andern Morgen Busch- und Pfahlwerk hinaus und unter Anordnung des klügsten Mannes machten sie einen hohen Zaun, den sie überher von Außen mit Dorngesträuch bespickten. Damit meinten sie gegen die Gefahr und gegen die Unfälle hinreichende Vorkehrung getroffen zu haben; allein das ganze Bollwerk, ungeachtet seiner Festigkeit, erwies sich als völlig unzulänglich. Kaum gelangte am nächsten Tage die Heerde in die Nähe des See’s, so rannte sie wie bezaubert im Galopp nach der Umzäunung, bohrte mit ihren Hörnern in das Flechtwerk und da der große Drache von innen ihnen tüchtig Hülfe leistete, so war bald eine Bresche gemacht, durch welche das Vieh zum Wasser drang, voll Gier soff und unter Aechzen und Gestöhn einige Stunden später verendete.

Von solchem harten Verluste getroffen, wandte Donnern sich zu seinem Pastor in Beverstedt und bat um ein öffentliches Gebet, die Drangsal abzuwenden. Aber der Drache wollte nicht weichen, sintemal die Macht der Hölle [221] sich mit ihm vereinigt hatte. Da bestellten sie Gebete in noch 6 anderen Kirchen: in Bexhövede, Loxstedt, Altluneberg, Brameln, Schiffdorf und Geestendorf und die siebenfachen Gebete fanden schnell Erhörung.

Am Montag Morgen sahen einige Männer, die des Weges nach Wedel gingen, daß der See verschwunden war und als sie das näher besehen und untersuchen wollten, erblickten sie den Granitblock, auf welchem die Schlange zu Stein geworden und zwar verkleinert zu 11 Fuß Länge, weil der Block nicht größer war, jedoch mit niederhangendem Hals und Kopf zum offenbaren Zeichen, daß sie nie wieder die Zischzunge geifernd züngeln werde, sondern vollständig überwunden worden sei.

Als man vor ungefähr 50 Jahren in der Nähe des alten Grabes einen andern großen Stein ausgrub, der auf Saugsand lagerte, wurde letzterer ungewöhnlich nachgiebig befunden: mit der Schaufel stieß man leicht tief hinein, ein längerer Pfahl drang auch ohne Aufenthalt leicht in den Grund. Nun holte man einen Bindelbaum herbei und selbst der traf noch beim Hineinstecken auf keinen festen Untergrund: da ward es den Leuten klar, daß sie auf die Stelle gekommen, wo der See versunken wäre, und aus Angst füllte man schnell das Loch und ebnete den Boden.


Zu vorstehender Mittheilung des Herrn Superintendenten Wiedemann in Beverstedt über den Drachenstein füge ich, mit Erlaubniß des Verfassers, die abweichende Ansicht des Herrn Conrector Krause in Stade, abgedruckt in J. W. Wolf’s Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde. Band 2. Heft 3. Seite 294 ff.:

„Im Bremischen befindet sich ein eigenthümliches Monument beim Dorfe Donnern, dessen ich weder bei Schambach und Müller (Niedersächsische Sagen und Märchen p. 335, 336), noch bei Wächter (Statistik der heidn. Denkmäler) Erwähnung gethan finde, und dessen Existenz unbekannt geblieben zu sein scheint. Der Königl, Hannov. Geometer W. Meyer lieferte von ihm in der Weserzeitung vom 5. [222] Juni 1853 die nachfolgende Beschreibung, die wahrscheinlich unbeachtet blieb, weil sie in einem politischen Blatte Platz gefunden. Ich selbst habe den Stein, den das Volk der Umgegend nach Angabe eines meiner Bekannten nicht Drachenstein, sondern Snâkenstên nennt[4], nicht besuchen können; ich hörte, daß sich früher Sagen an ihn hefteten; einer meiner Schüler aus der Nachbarschaft jenes Ortes übernahm es, sich nach ihnen zu erkundigen, konnte aber keine mehr finden, „sie seien verschollen“; vielleicht wäre dennoch bei genauerem Nachforschen einiges aufzutreiben.

„„In öder Haide, schreibt Meyer, liegt der von den Dorfbewohnern sogenannte Drachenstein, ein röthlicher Granitblock von beiläufig 71/2 Fuß in’s Gevierte. Auf dem Steine sieht man das naturgetreue Abbild einer Schlange von reichlich 11 Fuß Länge, welche sich in 23 Windungen über die obere Fläche des Steins hinzieht und seitwärts an demselben hinunter reicht, wo sich der Kopf befindet. An dem Schwanzende ist sie 1/6 Zoll breit und nimmt allmählich an Dicke zu, bis auf 31/2 Zoll hinter dem Kopfe, welcher 41/2 Zoll breit ist. An der Stelle, wo sie die obere Fläche des Steins verläßt, etwa 2 Fuß vom Kopfe abwärts, zeigt sich eine sehr breite und flache Partie, wie von einer Quetschung. Obwohl die Masse des Schlangenkörpers aus denselben Bestandtheilen zu bestehen scheint, als der übrige Stein, spricht doch vieles für die Annahme, daß eine wirkliche Versteinerung vorliegt, nicht Menschenwerk, da der Körper der Schlange sich gleichmäßig erhaben über die rauheren Theile des Steins hinzieht, ohne daß eine Ausmeißelung des letztern sich irgend wie bemerklich machte.““

Soweit der Berichterstatter, der aber in seiner eben angeführten Muthmaßung entschieden das Falsche getroffen hat; wir haben es bestimmt mit dem Bilde, nicht mit der Versteinerung der Schlange zu thun. Denn erstens kann der Granit – und in dessen Erkennung [223] kann jener sich bei der Menge ähnlicher erratischer Blöcke in unseren Gegenden nicht geirrt haben – als plutonisches Gestein niemals eine Versteinerung enthalten; zweitens aber könnte niemals der gesammte Schlangenkörper mit Flelsch und allen Weichtheilen versteinern, es würde von ihm, wie bei allen Fossilien, nur das Knochengerüste erhalten sein. Es ist also unmöglich eine Versteinerung, es ist ein Menschenwerk.

Dem Monument der Schlange möge sich ein Schlangenglaube hier aus der Provinz anschließen; er betrifft die unschuldige und doch so gefürchtete Blindschleiche; „Hatworm“ nennt sie das Landvolk, und ruft auf der Geest zwischen Stade und Harburg jemand: „de Hatworm,“ so rennt alles aus dem Wege, selbst ein Fuder Heu weicht ihm aus; denn „he springt,“ und wenn einer auf ihn tritt oder über ihn fährt, „dem springt he vör de Boss (Brust) un he ward blind.“ Um Nordheim im Göttingischen heißt die Blindschleiche „Haselworm“ oder „Hasselworm,“ und man meint, sie spränge wie Glas, wenn man sie mit der Haselgerte berühre. Bekanntlich springt bei ihr, wie bei der ebenso falsch als giftig gefürchteten Eidechse, der Schwanz unter einem einfachen Ruthenstreiche ab.“


Herr Superintendent Wiedemann schreibt mir ferner, nachdem er den Drachenstein an Ort und Stelle genau untersucht hatte, Folgendes:

„Daß nicht von Menschen- oder Künstler-Hand das Bild der Schlange auf dem Granitblock ausgehauen worden ist, zeigt schon ein flüchtiger Blick auf den Stein, denn auch mit bewaffnetem Auge wird man keine Spur eines Meißels entdecken können. Woher sollte der Idiot die naturgetreue Gestalt nehmen? Schlangen von elf Fuß Länge hat es hier zu Lande nie gegeben. Ein Künstler kann die Gestalt nicht dargestellt haben; dawider spricht Folgendes.

Ich setze voraus, der Stein war nicht größer wie jetzt, als er aus seinem ursprünglichen Lager und aus seiner frühern Stellung durch eine Erdrevolution gehoben wurde. Die jetzt nach oben gekehrte Seite mißt 7 Fuß Länge und [224] eben so viel Breite; sie ist größtentheils eben, mit Ausnahme der Theile, über welche sich die Schlange hinstreckt und welche Erhöhungen und Vertiefungen bilden. Die Schlange folgt aber diesen Unebenheiten ganz getreu. Da läßt es sich nicht füglich denken, daß der kunstsinnige Meister solchen Störungen nicht abgeholfen hätte und noch weniger läßt sich annehmen, da die ebenere Fläche vorhanden war, daß er diese aus unerklärlichem Eigensinne nicht sollte für seine Darstellung gewählt haben, sintemal diese ihm Platz bot, das vollständige Bild des Drachen hinzulegen, wozu ihm sich ein Dutzend schlicklichere Blöcke außerdem anboten. Das Bild liegt aber nicht auf der Mitte des Blockes, sondern zwei Fuß auf der einen Kante fängt die Spitze des Schwanzes an und der übrige Körper erstreckt sich nicht nach der Mitte, sondern hält sich an die nähere Kante und zieht sich nun an die Seite hinab, so daß er nicht in der Ebene bleibt. Die Folge davon ist, man kann die ganze Schlange nicht mit einem Blick sehen, wenn der Stein die Stellung hat wie jetzt; aber wenn auch die horizontale zur senkrechten gemacht wird, bleibt doch derselbe Uebelstand. Und den sollte der Meister des Bildes nicht vorausgesehen haben?

Ich will eine andere Annahme voraussetzen: der Block hätte nicht mehr die erste Größe, nach Vollendung der Arbeit soll mehr als die Hälfte abgebrochen sein; so widerspricht dem, daß die Seite des Steins in der Nähe der Schlange keine Spur eines spätem Bruches zeigt, sie ist eben so anzufassen als die übrigen andern d. h. weich, nicht scharf, als wenn die Masse als Teig aus der Tiefe herausgehoben wäre. Ueberhaupt kann die Erhebung des Granits und seine Versprengung über die norddeutsche Steppe nur zu einer Zeit stattgefunden haben, als er noch nicht ganz erhärtet war, weil allen Blöcken scharfe Ecken und rauhe Seiten mangeln.“


Noch bliebe eine dritte Möglichkeit, daß die Schlange weder ein Petrefact, noch ein Manufact, sondern ein Naturspiel wäre. – Wir haben hier also ein interessantes Problem vor uns, welches gewiß verdient, von einem [225] Sachkundigen weiter erforscht zu werden, unter Berücksichtigung der Streitfrage, ob im Granit Versteinerungen vorkommen?


2. Der Wagen am Himmel.

Am Stillen Freitage Morgens, wann alles Getöse verstummt und alle lärmenden Geschäfte in christlichen Ländern feiern sollten, unternahm ein zwar zu den Christen sich zählender, aber gottloser Fuhrmann aus schnöder Gewinnsucht eine Reise, die er ganz gut am andern Tage hätte antreten können. Er zog seine 3 Pferde aus dem Stalle, legte ihnen das Geschirr auf und spannte sie an den Wagen. Mißbilligend standen die Nachbarn, welche zur Kirche gehen wollten, still und sahen dem Beginnen zu. Auf des Fuhrmanns Ruf hörten die Pferde nicht, mit niedergesenktem Kopf standen sie. Die Peitsche knallte, doch Pferde und Wagen bewegten sich nicht im Mindesten. Da schwang sich der Fuhrmann mit höhnendem Fluch auf das Pferd in der Mitte, dem er mit seinen Sporen, dem vordersten und hintersten Pferde aber mit der Peitsche unbarmherzig zusetzte. Was geschah? die schnaubenden Thiere drängten und schoben den Wagen rückwärts. Auch dieses deutliche Zeichen von des Himmels Mißbilligung beachtete der Gewinnsüchtige nicht, sondern setzte seine Fluchen und Schelten ohne Unterlaß fort. Da verschoben sich die Achsen am Wagen, die Lünzen hoben sich und fielen zu Boden, ab rollte ein Rad und die andern donnerten dasselbe zu thun. Dennoch, dennoch fluchte der Fuhrmann ein Vorwärts in des Satans Namen und – im Nu waren Fuhrmann, Rosse und Wagen verschwunden und versunken. Am Abend sahen die bestürzten Zeugen das Bild der vorletzten Katastrophe in Sternen am nördlichen Himmel, wo alles aus dem gehörigen und richtigen Verhältnisse geschoben ist und der bespannte Wagen nun seitdem allabendlich rückwärts fährt.


[226]
3. Die Dornenkrone.

An einigen Fugen der granitnen Kirchhofs-Mauer in Beverstedt wachsen wilde Rosenbüsche, die das Volk mit dem Namen Kronendornen bezeichnet. Die fingerdicken Stämme derselben von dunkler grüner Farbe sind von unten bis oben mit sichelartigen starken Stacheln besetzt; und diese geben durch ihre schmutzige Bläße das Ansehn, als wären sie wie etwas fremdes auf die Stämme genagelt. Die Blattstiele haben 7 Blätter, von denen das größte vorn an der Spitze steht und da an jeder Seite des Stieles 3 Blätter sich befinden, welche sich gerade gegen einander über stehen und die untersten kürzer und schmaler sind, so erhält das gefiederte Siebenblatt ein ganz besonderes Aussehn, aus dem die Phantasie leicht einen spitzen Spaten oder einen Speer bilden kann. Die Blattstiele sind unterhalb ebenfalls mit scharfen Haken versehen, nur nicht von der Größe, wie diejenigen am Stamm.

Die Blüthen (5 blaßrothe Blättchen) hauchen einen lieblichen Geruch aus und wachsen zu dreien auf einem Stiel neben einander. Die Früchte ähneln denen von andern Hahnbutten.

Die Sage meldet, daß die Dornenkrone, welche die Kriegsknechte flochten und auf des Erlösers Haupt setzten, von solchem Strauch gewesen und führt zur evidenten Gewährleistung an, daß seit jener Zeit die Blätter desselben, wenn man sie zerreibt, den Duft des wohlriechenden Apfelobstes verbreiten, den sie vorher nicht hatten.

Dornen gehörten zu dem Fluch, womit der Herr den Acker Adam’s belegte; den Fluch hat Christi Krone hinweggenommen.


4. Der dumme Teufel.

Als noch keine Stadt und kein Dorf in unserem Lande vorhanden war, und die Menschen das Eisen nicht kannten, trug es sich zu, daß auf einem Bauerhofe ein kluger Mann eine große Verbesserung an seinem Pfluge vornahm. Der Pflug war zu der Zeit bloß ein Balken [227] ohne Räder; am Hinterende hatten sie ein Loch eingebrannt, durch welches sie einen spitzen Stock steckten. Er brannte aber noch ein Loch vor den Stock und keilte darin ein Kuhhorn fest, so daß das Horn als unser Voreisen war und zuerst den Boden aufreißen mußte. Den Hinterstock machte er breiter und gab ihm eine solche Richtung, daß er die Erde umwarf. Der Mann pflügt nun mit seinem verbesserten Pfluge, und der Acker bekam ein Ansehn, wie er nie gehabt, so daß dem Manne das Herz im Leibe lachte und er seine Nachbarn herbei rief, sich mit ihm zu freuen. Die Nachbaren kamen und als sie den Acker beschaut, staunten sie und riefen: „nun wollen wir’s wol machen! nun kann Einer zweimal so viel ernten.“ Aber gerade als sie dabei waren, sich dies neue Verfahren vormachen zu lassen, kam der Teufel zu ihnen und redete sie mit harten Worten an: „Gut, daß ich Euch alle hier beisammen habe! Ich bin der Teufel, und mir gehört alles Land hier zu. Denn als Eure Vorfahren hier in’s Land kamen (sie trieben ihr Vieh über’s Eis auf der Elbe), da ließ ich sie ungestört darin wohnen, weil mein Vieh, Bären und Wölfe, Drachen, Habichte und Fliegen, nicht dabei zu kurz kamen. Nun wollt ihr aber mit dem neuen Pfluge die anmuthige Wildniß ausroden, und meine Lust vermindern: das werd’ ich nicht leiden! von Allem, was ihr auf dem Acker gewinnt, will ich die Hälfte als Zoll haben!“ Den Bauern standen die Haare zu Berge, und sie brummten: die Hälfte? Aber was half das? Sie gaben endlich nach und fragten ganz kleinmüthig: ob er das obere, oder das untere Ende des Ackers haben wollte? Der Teufel meinte, sie wollten ihn anführen, und antwortete: er wolle nicht die Hälfte des Ertrags; denn Maaß und Gewicht wären unsicher; auch nicht die eine Hälfte des Ackers, weder in der Länge noch in der Breite; denn sein Stück würden sie weniger gut düngen und pflügen; sondern er wollte haben, was über der Erde wüchse, und sie könnten nehmen, was unter der Erde stände. Damit ging der Teufel weg, und die armen Bauern beriethen sich in großer Betrübniß. Am Ende aber sprachen sie: wir woll’n ihm eine Nase drehen! Nun pflügten sie den [228] Acker und säeten Rübsaat. Die Saat ging auf; die jungen Rüben, von der Sonne angelacht, wurden immer dicker, und als das Kraut anfing gelb zu werden, riefen sie den Teufel, seinen Theil zu nehmen. Aber wie verjagte der sich, als er sah, daß er angeführt war! Doch tröstete er sich damit, daß der Klügste sich wohl Einmal über’s Ohr hauen läßt, aber nicht zum zweiten Mal. Voll Aerger rief er den Bauern zu: „über’s Jahr könnt ihr nehmen, was über der Erde steht, und ich will haben, was in dem Boden wächst.“ Nun waren die Bauern fleißig dabei, Winterrocken zu säen; und der liebe Gott gab Regen und Sonnenschein; und bald statt der braunen Windeln den ersten grünen Kinderrock, so daß der Acker grün wie eine Wiese war. Dann warf er eine weiße Decke darüber, daß Frost und Eiswind nicht schaden könnten.

Da wurde den Leuten die Zeit lang und ihr Verlangen nach Ostern immer größer. Kaum aber hatte die Sonne den Winter nach Norden verwiesen, da gingen sie frisch wieder an’s Werk und warfen in das übrige Land Gerste, Hafer und Buchweizen. Nach vollbrachter Arbeit falteten sie ihre Hände und sprachen ihr Gebet: „gebe Gott uns Seinen Segen und helfe uns gegen den unverschämten Teufel.“ Von Nacht zu Nacht, von Tage zu Tage wuchs nun das Winterkorn und das Sommerkorn in die Wette: es war, als wenn in der Nacht Engel vom Himmel mit kleinen silbernen Kneipzangen, vom Thau benetzt, jeden Halm länger zogen. Die Aehren kamen heraus; sie kuckten gen Himmel demüthig bittend, und darum bekamen sie auch in voller Maaße das Ihrige. Aus Dankbarkeit neigten sie sich immer tiefer und tiefer: einstmals kuckten sie vor Sonnen-Aufgang ihre Füße an und erkannten, daß die alle gelblich würden. Da sprachen sie zu den Menschen: „jetzt ist es Zeit: schneidet uns ab mit Jauchzen, daß wir fröhlich sterben und legen uns in Garben!“ Die Leute thaten, wie ihnen gesagt war; und wenngleich das Schneiden mit Feuersteinen, weil sie keine Sense, Sichel oder Messer von Eisen oder Kupfer hatten, nur langsam ging, so kamen sie doch damit zu Ende. Darauf stellten sich bei dem Acker alle Manns- und [229] Frauensleute auf, die halbwachsenen Kinder voran, und riefen aus vollem Halse den Teufel, den sie auslachen wollten. Er schnob herbei und als er verwegen fragte, warum sie ihn riefen? antwortete der Bauer, Namens Paul: vertragsmäßig könne er seinen Part von dem Acker nehmen, die Wurzeln in der Erde: indeß müßten sie, zukünftiger Fälle halber, auf der Bedingung bestehn, daß er die Stoppeln liegen ließe: im Falle jedoch, daß er damit seine Dönse im Winter wärmen wolle, so wollten sie ihm diese schenken. Ueber diese unendliche Güte wurde dem Teufel ganz grün und gelb vor Augen: er schnappte nach Luft und konnte doch augenblicklich keinen Laut von sich geben; denn unter allen Kornwurzeln fand er, das wußt’ er gewiß, nicht die elendeste Trostwurzel. Da brach ein kleiner flachsköpfiger Junge in die Worte aus: de dumme Düvel de! was die ganze Versammlung aufgriff und dem Teufel in’s Gesicht schrie. Der lief davon, und hat sich seit der Zeit nicht wieder bei den Bauern sehen lassen.


c. Aus dem Lande Wursten.
(Vom Herrn Pastor Vogelsang.)

1. Die Sage vom Dr. Faust im Lande Wursten.

Merkwürdig ist es, wie die mittelalterliche Faustsage von ihrem heimischen Boden, dem mittleren Deutschland, heraus einen Absenker nach dem äußersten nördlichen Küstensaume unseres deutschen Vaterlandes, in’s Land Wursten hinein, getrieben hat. –

Die Wurster Faustsage ist ihren Hauptzügen nach diese: „Der Dr. Faust hat einen Bund mit dem Teufel geschlossen, demselben seine arme Seele verschrieben und dagegen außer vielem Gelde und Gute insbesondere noch dieses sich ausbedungen, daß er zu jeder Jahrszeit, im Winter, wie im Sommer, stets die schönsten, saftreichsten Kirschen in großer Fülle haben wolle, und daß ferner, so oft er ausfahre, stets unmittelbar vor und unter seinem [230] Wagen eine feste gepflasterte Chaussee sein müsse, die aber sofort hinter ihm zerfließe, so daß für andere Menschenkinder derselbe Weg, den er so eben passirt, in der früheren Unergründlichkeit vorliege. Der Teufel habe diese und andere Bedingungen denn auch getreulich erfüllt und zuletzt den Dr. Faust in die Hölle geholt. Das Haus, in welchem dieser letzte Vorgang stattgefunden haben soll, wird noch jetzt gezeigt. Es liegt im Kirchspiele Cappel am Oberstrich auf einer s. g. Hofstelle oder Worth. Die Sage fügt noch hinzu, in jenem Hause sei eine Kammer, durch deren Außenwand der Teufel mit dem Dr. Faust hinausgefahren sei, und an der inneren Fläche dieser Wand könne man noch jetzt das Blut des Mannes erblicken, das, so oft auch die Wand übergeweißt werde, dennoch immer wieder durch alle Tünche hervordringe und sichtbar werde.“

So die Sage, wie sie hier noch im Munde des Volkes lebt.

Die beiden oben erwähnten besonderen Bedingungen des Paktes haben gewiß ihren Entstehungsgrund in der Eigenthümlichkeit des Landes Wursten, das früher nur Weide und Kornland war und an Bäumen so gänzlichen Mangel hatte, daß außerhalb des Landes noch jetzt ja das Gerede geht, in demselben wachse kein einziger Baum, obwohl jetzt Obst-, Zier-, Nutz- und Schutzbäume dort reichlich sich finden und alljährlich noch angepflanzt werden. Da mochte denn in früheren Zeiten Obst und namentlich die schwerer zu transportirenden Kirschen als ein ganz besonderer Leckerbissen gelten. – Ebenso findet die Bedingung der stets vorliegenden Chaussee ihren hinreichenden Grund in der Beschaffenheit der Wege des Landes Wursten, das als ein angeschwemmtes Marschland sich fester Wege eben nie hat rühmen können; mithin war der Wunsch nach einer stets vorliegenden Chaussee ein ganz natürlicher. Merkwürdig ist aber ferner, daß ein dem Namen Faust oder Fust ziemlich gleichklingender Name von einer in früheren Zeiten eben im Kirchspiel Cappel wohnhaften angesehenen Wurster Familie geführt ist.

In Pratje’s Altem und Neuem V. 12. werden die Cappeler Viertels-Artikel vom Jahre 1620 mitgetheilt, [231] und wir finden dieselben unterschrieben von einem Eide Fouwes, Capitain und Voigt zu Dorum, „Karckswar und Erbgeseten tor Cappel;“ im Alten und Neuen VIII. 2. ist uns aufbewahrt Joh. Diedr. Hakens Quitung und Versicherung auf einen Vergleich wegen der Commenda S. Nicolai zu Cappel vom Jahre 1655, in welcher wir Eide Fouws und Johann Fouws antreffen. So haben wir also eine Familie Fouws, gewöhnlich wohl „Fuß“ ausgesprochen, und kommen damit dem mitteldeutschen Namen „Fust“ sehr nahe. Wie Leichensteine auf dem Cappeler Kirchhofe aber anzeigen, hat sich diese Familie späterhin selbst „Fust“ genannt, im Wappen eine „Faust“ geführt, und unter ihren Gliedern mehrere mit der Voigtswürde geehrt gesehen.

Als mit dem Vorstehenden in einiger Verbindung stehend, mag hier noch erwähnt werden, daß es jetzt noch ein s. g. Faust’sches oder Fust’sches Stipendium giebt, welches, zum Besten studirender Wurster bestimmt, auf einen im Kirchspiele Dorum belegenen Hof und dessen Einkünfte fundirt ist und zu welchem die Mitglieder und Seitenverwandte vieler angesehener Wurster Familien in und außer dem Lande Wursten berechtigt sind.


2. Wo dat togeit, dat de Imser Kark’ so alleen steit?

Die vor mehr als 600 Jahren erbauete Kirche zu Imsum, mit Pastoren- und Küsterhaus, liegt ganz einsam hart am Weserdeiche, von den beiden Dörfern Dingen und Weddewarden gleich weit entfernt. Darüber giebt nun die Sage folgenden Aufschluß: die von Dingen und Weddewarden, welche von jeher Eine Gemeinde bilden, wollten auch gern eine eigene Kirche haben, wie die von Wremen und Dorum; aber weil die Einen sie durchaus in Dingen, die Andern in Weddewarden bauen wollten, so ging das Werk nicht vorwärts. Endlich traf man folgendes Abkommen. Jeder Theil sollte einen Ochsen stellen: die wollte man gerade in der Mitte zwischen beiden Oertern zusammen binden [232] und laufen lassen; und wo sie sich dann zuerst niederlegen würden, da sollte die Kirche stehen. Die Dinger dachten nämlich, ihr starker Ochse sollte den Weddewardener mit sich schleppen; und die Weddewardener hofften dasselbige ihrerseits; jeder Theil fütterte deshalb seinen Ochsen auf’s Beste, und ließ ihn am letzten Tage vor der Entscheidung hungern. Aber die beiden Thiere, weil ein jedes wieder nach seinem Dorfe wollte, fingen an einander zu beißen und zu reißen und verwirrt von dem Geschrei der Leute liefen sie bis dicht an die Weser in einen Sumpf, wo sie nicht weiter konnten. So beruhigten sich denn beide Theile, und baueten an diesem Orte ihre Kirche, welcher sie von dem Platze den Namen „Im Sumb“ oder „Imsum“ gaben. –

Vorstehende Sage lebt noch im Munde des Volks, und noch steht die Imsumer Kirche allein und so nahe dem Weserstrome, nur durch den Deich davon getrennt, daß bei hoher Fluth und starkem Westwinde der Salzschaum nicht selten an die Fenster des Studirzimmers im Pastorenhause hinanschlägt. Ob aber die Begründung, welche jene Sage bietet, auf geschichtlichen Werth Anspruch machen kann, ist wohl mehr als zweifelhaft. Eine andere, vereinzelt noch auftauchende Sage, die wohl das Richtigere treffen dürfte, erzählt dagegen, in alten fernen Zeiten habe dort, wo nun der Weser Bett ist, noch ein Dorf gestanden, das mit Dingen und Weddewarden Eine Gemeinde gebildet habe, und gerade in die Mitte zwischen diesen drei Dörfern sei die Kirche hingebaut. Später habe bei einer furchtbaren Sturmfluth die Weser ihr Bett geändert, jenes dritte Dorf unter ihren Fluthen begraben und ihren jetzigen Lauf genommen, nahe am Fuße der Imsumer Kirche. So sei die merkwürdige Lage der letzteren zu erklären, die allerdings jetzt auffallend genug ist, indem die Kirche mit ihren beiden Dörfern fast ein gleichseitiges Dreieck bildet.


[233]
d. Der Balksee und der Otterstedter See.

1. Der Balksee im Amte Neuhaus an der Oste und seine Sagen.
(Vom Herrn Assessor Hintze, in der Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen. Jahrgang 1851. Heft 1.)

Der Balksee im südlichen Theile des Amts Neuhaus an der Oste, am Rande der Wingst, einer hohen waldigen Haidegegend, belegen und seine Fluthen zu Norden durch die Aue in die Oste entsendend, ist, seinem Flächen- und Wasserinhalte nach, etwa fünfhundert Wenden oder tausend Calenberger Morgen – bei einer mittleren Tiefe von 30 Fuß – der bedeutendste See des Bremischen.

Durch seine alljährlichen, im Frühlinge besonders zerstörenden Ueberfluthungen – welche gegenwärtig durch eine auf 60,000 Thaler veranschlagte Canalisirung beseitigt werden – war der See seit längeren Jahren ein Gegenstand beständiger Furcht seiner ackerbautreibenden Umgebung, deren Ernte fast nie ohne erheblichen Tribut an denselben zu Hause kam.

Dieser in der Gegenwart unheimliche Charakter des Sees scheint sich denn auch in den vereinzelt noch vorhandenen Volkssagen über seine Entstehung abzuspiegeln, deren folgende Mittheilung vielleicht einiges Interesse bietet.

1.

In alter Zeit stand an jetziger Stelle des Sees ein reiches Dorf, Balk mit Namen, dessen Bewohner ein dergestalt übermüthig üppiges Leben führten, daß sie ihre Hausräume, statt mit Sand, mit reinem Weizenmehl bestreuten, – „den edlen Weizen unter die Füße traten.“

Als nun, diesem vermessenen Treiben Einhalt zu thun, ein Mönch zu ihnen kam, Mäßigung und Buße predigend, widrigenfalls nahen Untergang durch Wasserfluth verkündend, ward seiner Ermahnungen nicht geachtet, vielmehr der Mönch unter Hohn und Fluchen aus dem Dorfe nach der nahen Wingst-Höhe gejagt. Kaum jedoch hatte er flüchtigen Fußes diese Höhe erreicht und sich umgewandt, [234] als mit Donnergetöse das Dorf vor seinen Augen in einen aufbrausenden See versank, Häuser und Bewohner in seinen Fluchen verschlingend.

2.

An der Stelle des jetzigen Balksee’s stand in der Vorzeit eine reiche Stadt, Balk geheißen, darin ein Kloster, dessen Bewohner den Gottesdienst nicht hielten, nicht läuteten, nicht beteten, mit den Bewohnern der Stadt im übermüthigen hartherzigen Lebenswandel wetteiferten.

Ein Pilger aus fernem Lande, auf seiner Wanderschaft zu ihnen kommend und um gastliche Aufnahme bittend, das Evangelium zu predigen, ward hier, wie vor den Thüren der Stadtbewohner, barsch und höhnisch abgewiesen, bis nach langem Umherirren eine ärmliche Frau ihn aufnahm in ihre Wohnung, und ihn sorgfältig gastlich dort bewirthete, seiner Lehre und Predigt ein aufmerksames williges Ohr leihend. Als nun bei seinem Abschiede die Frau einen Lohn ihrer gastlichen Aufnahme weder verlangte, noch annehmen wollte, bat der Pilger, sie möge statt dessen eine besondere Gunst sich auswählen, worin sie dann willigte, indem sie bat: „die erste Arbeit, die sie verrichte, möge kein Ende nehmen.“

Nachdem der Pilger ihr die Erfüllung dieser Bitte gewährt und sich damit verabschiedete, nahm die Frau ihr Leinenzeug aus der Truhe, fing an, solches zu recken, daß bald das Leinen unter ihren reckenden Händen zum großen Haufen anwuchs und kein Ende nahm, zum großen Neide ihrer herbeigekommenen Nachbarin.

Geraume Zeit später, um’s Osterfest, führte den Pilger seine Wanderschaft in die Stadt zurück. Hier ward er sofort von der neidischen Nachbarin erspäht, von dieser in ihr Haus zur Herberge geladen, dort überaus schlecht bewirthet, seinen Reden keine Beachtung irgend gewährt, dagegen ihm bei’m Aufbruche folgenden Tages die seiner ersten uneigennützigen, dienstwilligen Wirthin gewährte Gunst, als gleicher Lohn der jetzt erfahrenen Behandlung, gebieterisch abverlangt.

[235] Der Pilger, widerstrebend, gab seiner selbstsüchtigen Wirthin herrischem Verlangen zuletzt nach, jedoch mit dem warnenden Bemerken und Bevorworten, daß ihre trotzige unverdiente Forderung, ohne vorgängigen bußfertigen Sinn und Wandel, ihr kein Heil, sondern nur Verderben bringen werde, und entfernte sich mit dieser ernsten Mahnung seines Wegs. Die Wirthin, über diesen Ausspruch des Pilgers sofort heftig erbost, ergriff eilig in ihrem Zorne einen nahestehenden Eimer mit Wasser, solchen dem Fortwandelnden unter Verwünschungen und Flüchen nachgießend. Aber von Stund an nahm diese ihre erste Arbeit des Wassergießens kein Ende, der Eimer blieb in ihren Händen, das Wasser ergoß sich und entquoll demselben, bis Kloster und Stadt den Untergang gefunden, wo jetzt der See fluthet.

Als das geschah und sich begab, war es um die Osterzeit, bei deren wiederkehrendem Eintritte im Frühlinge der See stets besonders weithin zu sausen und mit den Wellen zu rauschen pflegt, weshalb man hauptsächlich in der Osternacht die Glocken des versunkenen Klosters, von den Wellen bewegt, aus der Tiefe des Sees dumpf vernehmbar ertönen glaubt.

3.

Bei den Bewohnern des reichen Dorfes Balk war vor Zeiten Uebermuth und Mißachtung von Gottes Wort im Wachsen; sie besuchten keinen Gottesdienst mehr, hielten bei ihrer Kirche keinen Prediger, und wenn dennoch ein benachbarter freiwillig zu ihnen kam, suchten sie durch Spott ihn zu vertreiben. So hatten jene Dorfleute, ihren Spott des Heiligen auf’s Höchste zu steigern, eines Tages den Geistlichen beschickt und aufgefordert, er möge zu ihnen kommen, einem bußfertigen Kranken das heilige Abendmahl zu ertheilen. Als nun der Geistliche, ihrer Botschaft willig folgend, herbeigekommen, ward er mit den Sacramenten an das Krankenbett geführt, fand jedoch hier alsbald zu seinem Entsetzen, unter höhnendem Jubel der Dorfbewohner, statt des bußfertigen Kranken ein als Mensch verkleidetes Schwein im Bette liegend. Nahen baldigen Untergang bei’m erfüllten Maaße ihrer Sünden prophezeiend, [236] wandte sich der Geistliche schleunig von dannen. Seine Verkündigung traf ein. Bereits folgenden Morgens früh wurden die Bewohner durch ungewöhnliches Rauschen aus dem Schlafe erweckt, aus ihren Aschen- und Feuerkuhlen krochen ihnen Aale entgegen, bald darauf entquoll aller Orten um sie herum Morast und Wasser, bis nach kurzem Verlauf ein See das ganze Dorf in sich verschlungen hatte.

4.

Im Grunde des Sees ruht ein riesenhafter weißer Stier, in der Umgegend der „Seebulle“ genannt. Den größten Theil des Jahres, so lange das Wasser offen, verhält er sich still; man merkt nur an den aufsteigenden Blasen und Wasserperlen, wo er liegt und Athem holt, oder am aufquillenden Grundwasser, wenn er sich rührt. Dagegen in der Winterzeit, sobald sich das Wasser mit Eis bedeckt, wird er unruhig, ihm entgeht die Luft, er steigt nach oben, sprengt durch sein heftiges, weithin vernehmbares, donnerähnliches Gebrüll die Eisdecke, daß lange Borsten sich darin bilden. Je stärker der Frost, desto heftiger wird sein Brüllen und Toben unter dem Eise, worin er nächtlicher Weile auch mit den Hörnern Löcher stößt, oder es mit seinem Athem aufthaut, so daß der Eisverkehr auf dem See stets ein gefährlicher ist.

5.

In unmittelbarer Nähe des Balksees befindet sich eine erhöhete Worth mit Spuren verwitterten Bauwerks, die Remper-Worth genannt; hier hausete in alter Zeit zum Schrecken der Umgegend ein Räuber, Namens Remper; derselbe pflegte unter anderen Raubanschlägen von den benachbarten reichen Marschbauern Weizen zu kaufen, sie bei dessen bedungener Lieferung unterwegs zu überfallen, zu berauben oder zu erschlagen, ohne daß es jemals möglich, ihn bei angestellten Verfolgungen in seinem Schlupfwinkel am See aufzufinden. Denn da er bei den Raubzügen, wie sich später ergab, eines Pferdes mit umgekehrten Hufeisen sich meistens bediente, gelang es ihm hierdurch, die Verfolger über seinen Aufenthalt stets zu täuschen.

[237] Als er nun einst wieder einen Wispel Weizen von einem Hadeler Bauern gekauft, letzterer gewarnt, zur verabredeten Lieferungszeit, statt des Weizens seine Knechte in die mit Kaff theilweise gefüllten Säcke gesteckt und zu Schiffe über den See an die Lieferungsstelle gefahren, trat ihm, gelandet am Ufer, der Räuber zur Empfangnahme, statt des Kaufgeldes gewohnter Weise seine geschwungene Keule zeigend und so auf ihn einschreitend, in’s Schiff entgegen. Allein kaum war diese übliche Bedrohung von dem Remper begonnen, als statt des Gnade flehenden Bauern dessen Säcke plötzlich sich bewegten, zerrissen, des Bauern Knechte daraus hervorsprangen und den nun eiligst nach seiner Raub-Worth entfliehenden Räuber dorthin verfolgten. Lange war hier vergebliches Suchen nach ihm; es fand sich in der dunkeln, mit Raubgut und Menschenknochen gefüllten Höhle kein lebendes Wesen, als ein Pferd mit umgekehrten Eisen und eine gezähmte Elster. Letztere, bei’m eifrigen Durchsuchen der Höhle von einem Knochenhaufen zufällig verjagt, flog zu einem in der Höhle befindlichen Holzpfeiler, begann daran mit dem Schnabel zu picken und zu hacken, wodurch sie einen derartig hohlschallenden Klang erregte, daß solcherweise aufmerksam gemacht, der Bauer mit seinen Knechten an jenen Pfeiler hinantrat, ihn zersprengte, worauf in dessen Höhlung der Räuber eingezwängt, versteckt gefunden und sofort erschlagen wurde.


Bemerkung.

In Lappenberg’s Geschichtsquellen des Erzstifts und der Stadt Bremen (1841) findet sich Seite 19 und 20 vom Erzbischof Giselbrecht um’s Jahr 1286: edificavit Castrum Rempempe, als Note der Zusatz: „Die Lage der Burg Rempempe ist unbekannt. Der Erzbischof Joh. Rohde erwähnt sie unter den zerstörten Burgen seiner Vorgänger unter dem Namen Rempe. Leibniz Script. Brunsv. T. II. Seite 267.“

Ich möchte nun dafür halten, daß jene zerstörte Burg, auf der in der Sage benannten, Spuren alten Bauwerks tragenden Remper-Worth, nahe am Einflusse des Remper Baches in den Balksee gelegen haben werde, wie es denn eines Theils sonst eine ähnliche Ortschaft oder Belegenheit im Bremischen nicht giebt, [238] andern Theils diese Burglage hier, als Stützpunkt für des Erzbischofs Giselbrechts Kriege mit dem nahen Kehdingen nicht ungeeignet erscheint. Diesemnach mag die Räubersage zu jener Burg in örtlicher Verbindung stehen, letztere, nach ihrer Zerstörung, als brauchbarer Schlupfwinkel für Räuber noch gedient haben. Eine dieser hier angenommenen Burglage von Rempe ziemlich ähnliche im Bremischen scheint die des Raubritters Heinrich des Eisernen von der Borgh, 1272–1327, auf einer Worth im Tannensee, Gerichts Delm, gewesen zu sein, deren Lage gegenwärtig kaum noch an einer geringen Erderhöhung erkennbar. Die alten Bremischen Burgen Kiek in de Elve, Schlickenburg, Ostenhagen (Pratje, Bremen und Verden, VI. S. 273), so wie mehrere am Osteflusse weiter hinaus belegene, sind ganz spurlos verschwunden; die Schlickenburg bezeichnet nur die Tradition als nahe bei Neuhaus belegen gewesen; die Lage der früheren Burgen Brobergen und Cranenburg an der Oste wird durch die gleichnamigen Ortschaften noch bezeichnet.


2. Der Otterstedter-See, der Düvelshoop und die Hexenkreise bei Eckstever.
(Mitgetheilt von Herrn Assessor Hintze in Aurich.)

Am Amte Ottersberg zwischen den Dörfern Otterstedt und Eckstever ist, umgeben von Haide, Feld und einem Holze (jetzt Kreuzbuchen, sonst Düvelshoop benannt), der s. g. Otterstedter-See belegen, in länglich runder Form den Umfang von 11/2 Stunden fast erreichend. Sein nächster Umkreis ist meist fester, nur etwas abgedachter Boden, im Gegensatze zu dem überwiegend sumpfigen der beiden anderen größeren Bremischen Seen, dem Bederkesaer- und Balk-See. Wenn letzterer, seinem Flächen- und Wasser-Gehalte nach, der bedeutenste ist (ihm folgt der Bederkesaer), so ist der Otterstedter-See bei Weitem der tiefste, auch am steilsten[5], wie durch einen Erdfall. So besonders auf der Holz-Seite verliert man, wenige Kahnlängen vom Ufer ab, den Fahrgrund; eine plötzliche Tiefe von mindestens 10 Fuß beginnt, die rasch bis zur Mitte des Sees in erheblicher Ausdehnung über 40 Fuß wächst. Der See hat keinen Zufluß; seinen unbedeutenden Abfluß in die Wümme scheinen innere Quellen zu ersetzen und [239] stets gleichen Wasserstand zu erhalten. Ausgezeichnet ist er auch durch die seltene Größe seiner Hechte und Aale.

Dieser gewissermaßen tiefstille, durch Ueberfluthungen die Umgegend nicht beunruhigende Charakter des See’s wird auch der Sage weniger Anlaß gegeben haben, sich gleich dem häufig überfluthenden Balk-See mit seiner Entstehung und Erscheinung zu beschäftigen. Sie läßt ihn durch einen Erdfall entstehen, in der Tiefe des See’s eine Kirche versunken sein, deren Glocken zu Zeiten, namentlich in der Neujahrs- und ersten Mai-Nacht, aus dem Wassergrunde dumpf hörbar ertönen, dagegen bei Sonnenlicht um Johannis aus der Tiefe sichtbar, auf dem Wasserspiegel silberhell erglänzen und erklingen sollen. Als äußeren Anlaß dieses Erdfalls bezeichnet die Sage einen in der Nähe des Ufers an der Holzseite aus den Fluthen des See’s vor der beginnenden Tiefe eben noch hervorragenden Hühnenstein: den habe der Teufel einst aus seiner Behausung Düvelshoop dorthin geschleudert, worauf der Erdfall erfolgt und die Kirche im aufsteigenden See verschlungen sei. – Ueber den See sonst erwähnt die Sage, daß er nächtlich bisweilen von einem Kranze tanzender Irrlichter umkreist werde, welche Mitternachts oft plötzlich erlöschen, worauf gleichzeitig ein großer schwarzer Hund mit „gleunigen“ Augen und Nase, in der Nähe des Hühnensteins, unter zischendem Geräusche dem See entsteige, funkensprühend dem nahen Düvelshoop zueile und da verschwinde.

Neben diesen Sagenresten, die sich direct an den See knüpfen, und dem bezeichnenden Namen des Holzes Düvelshoop (welcher auch auf alten Charten und in der Forstsprache noch üblich, sonst aber in den „der Kreuzbuchen“ übergangen ist) sind noch bemerkenswerth zwei in der weitern Umgebung des See’s bei dem Dorfe Eckstever auf der Haide belegene eigenthümliche uralte Kreise, aus besonderem Grase oder Blumen bestehend, genannt die Hexenkreise. Ihre Anlage wird, als Tanzplatz für die Hexen, dem Teufel zugeschrieben, der zu diesem Reigen von seiner Behausung Düvelshoop sich dorthin begiebt. Wenn dies bei Nacht geschieht, führen unbethaute Spuren [240] nach dem Holze hin. Die Kreise haben einen Durchmesser von etwa 20 Fuß, und sind im Hannoverschen Magazin näher beschrieben.

Außer einigen steinernen Streithämmern und Feuersteinkeilen, so wie weiblichem Schmuckgeräth an Spangen, Hefteln und Glaskorallen kann die Umgebung des See’s keine alterthümliche Funde aufweisen, welche zu geschichtlichen Folgerungen über ihn etwa Anlaß gäben. Ob vielleicht ein Cultus der Frau Holde stattgefunden? Die nur zwei Stunden vom See entfernten bedeutenden Hühnengräber bei Steinfeld und Nartum (beschrieben im vaterländ. Archiv von 1826) haben vielleicht einen Theil des altgermanischen Verkehrs-Lebens (sonst vorherrschend bei den Seen bekundet) zu sich herangezogen und in ihren Steinwerken in Erinnerung gehalten. Das Steinfelder Grab wird 1695 von dem Ottersberger Amtmann Kelp (Memoria Stadeniana, pag. 201) als das größte Chauken-Denkmal im Bremischen geschildert.


e. Der Heuersche Kolk bei Rechtenfleth in Osterstade.

Zwischen den Dörfern Sandstedt und Rechtenfleth liegt dicht innerhalb des Deiches, der hier eine große Biegung macht, ein stiller, tiefer, schilfumkränzter Wasserkolk, der Ueberrest eines großen Deichbruches, der vor vielen Jahren, man weiß nicht mehr wann? bei einer Sturmfluth geschehen ist. Als man nun den zerstörten Deich wieder herstellen wollte, versank jede Karre voll Sand wieder in die Tiefe. Alle Mühe, die Lücke zu füllen, war vergebens, denn der Zorn Gottes ruhete auf der Feldmark, um der Ueppigkeit und Gottlosigkeit willen der Bewohner Sandstedt’s und Rechtenfleth’s. Man arbeitete den ganzen Frühling, Sommer und Herbst hindurch: der Winter war vor der Thür, aber die Arbeit war nicht um ein Haar fortgerückt; der Boden schien unergründlich.

Da befragte man eine weise Frau. „Ihr werdet bis an den jüngsten Tag arbeiten können, antwortete diese, [241] wenn ihr den Himmel nicht zuvor versöhnt habt. Den Ersten, der am nächsten Morgen vorüber geht, den ergreifet, werfet ihn in die Tiefe und bedeichet ihn: dann erst wird der Grund fest werden.“

Und der Erste, der am andern Morgen vorüber ging, war ein reicher stolzer Bauer, Namens Heuer. Sie ergriffen ihn, warfen ihn in die Tiefe und bedeichten ihn; und es geschah, wie die weise Frau gesagt hatte. Der Grund wurde fest, und bald war der Deich mit Gottes Hülfe vollendet. Der einsame Kolk aber heißt seitdem der Heuersche, und bei stiller Nacht soll es drunten in der Tiefe dumpf stöhnen und klagen.

Auch diese Sage wird vielerwärts ähnlich erzählt. In Naumburg konnte der Dom nicht gegründet werden, bis der Erste, der vorüber ging, eingemauert wurde. In den von Talvj meisterhaft übersetzten Serbischen Volksbildern enthält Eins auch eine solche Geschichte, wo bei Gründung einer festen Burg der erste Nahende eingemauert wurde. Bekannt ist die Erzählung in der Römischen Urgeschichte von einem plötzlich entstandenen Abgrunde, welcher sich nicht eher wieder schloß, als bis, nach dem Rathe der Priester, der junge M. Curtius sich zu Pferde in denselben gestürzt hatte. Daß der Zorn der Gottheit nicht anders abgewendet werden könne, als durch Aufopferung des höchsten menschlichen Gutes, nämlich des Lebens, ist die zum Grunde liegende Idee.

(Von Herrn Herm. Allmers.)

f. Aus Hambergen.
(Von dem weil. Herrn Pastor Goldbeck.)

1. Von dem Schimmel zu Wallhöfen.

Am Wallhöfener Felde nach dem Moore zu liegt der Siebensee, jetzt noch eine ausgetrocknete Vertiefung. Vor dreihundert Jahren soll aber ein Bach sich daraus ergossen und eine Mühle, die Westerlinker Mühle, getrieben haben. Einst arbeitet dort ein Mann auf dem Felde an einem Sonnabend. Da sieht er auf einmal, daß ein [242] schöner glänzender Schimmel mit einer eisernen Egge sich zu ihm gesellt hat, und ihm sein Land bestellen hilft. Er betrachtet mit Verwunderung das schöne Pferd, desgleichen er noch nie gesehen hat, und als dasselbe ganz zahm erscheint, so wird er so kühn es zu besteigen. Da läuft es aber mit ihm nach dem Siebensee, und der Mann hat nur noch eben Zeit, vorher herunter zu springen, ehe es sich in den See stürzt.


2. Der bezauberte Bienendieb.

Einem Manne in W. sind einmal Bienen gestohlen, weswegen er einen alten Zauberer bittet, ihm zur Bestrafung des Diebes zu verhelfen. Der alte Mann will es anfangs nicht, weil es sündlich sei, und er sich vorgenommen habe, es nie wieder zu thun, läßt sich aber doch für dieses Eine Mal noch bereden. Darauf macht der Bestohlene dem Diebe, den er wohl gekannt hat, ohne ihm etwas beweisen zu können, bekannt, daß er ihm die Bienen binnen drei Tagen wieder bringen solle, wenn er nicht in großes Elend gerathen wolle. Der Dieb leugnet aber alles frech ab, bringt auch die Bienen nicht wieder. Hierauf wird folgendermaßen die Execution vorgenommen. Der Zauberer nimmt eine Fußspur des Diebes vor dem Bienenschauer auf, die er in einen leinenen Beutel thut. Sodann wird der Müller einer benachbarten Mühle gebeten, es so einzurichten, daß er am folgenden Tage von Mittag an vier und zwanzig Stunden mahlen könne, ohne einen Augenblick still zu halten. Um Mitternacht aber solle er sich aus der Mühle entfernen, und dieselbe einige Zeit allein gehen lassen. Er verspricht es auch so. Vor Mitternacht gehen nun der Zauberer und der Bestohlene nach der Mühle zu. Auf der Hälfte des Weges kommt ein schwarzer Hund mit feuersprühenden Augen aus dem Moore zu ihnen, und begleitet sie. Dem Bestohlenen wird bange, er fragt den Zauberer, was das für ein Hund sei; dieser aber bedeutet ihm strenge, still zu sein, und sich nicht um etwas zu bekümmern, was ihn nicht angehe. Als sie bei der Mühle ankommen, ist der Verabredung [243] gemäß niemand darin, die Mühle aber inwendig hell erleuchtet. Der Zauberer geht hinein, der Hund folgt ihm, und der Bestohlene bleibt draußen in einiger Entfernung stehen. Was nun in der Mühle vorgegangen, weiß man nicht; denn die Thür ist zugemacht, so daß auch der Bestohlene nichts hat sehen können. So viel ist gewiß, daß der Zauberer die Fußspur an das herumgehende Mühlenrad genagelt hat. Als es fertig gewesen, kommen der Zauberer und der Hund aus der Mühle zurück, und alle drei treten den Rückweg wieder an. Der Hund verläuft sich wieder in das Moor, der Zauberer aber erklärt feierlich nach dessen Entfernung, daß er von nun an sich durchaus nicht wieder mit solchen Dingen abgeben wolle, denn es sei etwas ganz gräuliches. Der Dieb wird nun in semem Bette elend krank, so daß er sich vor Angst und Qual nicht zu lassen weiß. Er wälzt sich immer herum und kann nicht leben und nicht sterben. Die Angehörigen flehen den Bestohlenen an, den Zauber aufzuheben, und versprechen ihm dafür alles, was sie können. Dieser redet auch mit dem Zauberer, aber der sagt, es sei jetzt zu spät, es lasse sich nichts mehr dabei machen; der Dieb sei vorher dringend genug gewarnt, habe sich also sein Elend selbst beizumessen. Der Dieb quält sich bis um Mittag, und stirbt dann gerade als die Mühle wieder still steht.


3. Ein Eidschwur.

Zwei Dörfer im Amte Z. haben in uralten Zeiten einen schweren Proceß wegen der Gränzen ihrer Gemeinheit mit einander gehabt. Dem einen Dorfe wird der Beweis durch einen Eid zuerkannt. Das Dorf soll auf dem streitigen Platze selbst schwören, es stehe auf seinem eigenen Sande, und unter seinem eigenen Laube (die streitige Gegend ist nämlich mit Holz bewachsen gewesen). Die Deputirten, welche gewählt sind, um den Eid zu leisten, füllen sich vorher in ihrem Dorfe die Schuhe mit Sand an, und stopfen die Hüte mit Laub aus, schwören dann frech darauf los, und haben den Proceß für immer gewonnen. Nachher hat es aber fortwährend an diesem Orte gräulich [244] gespukt. Es sind feurige Kutschen darauf herumgefahren mit schrecklichen Gestalten. Die Kutscher haben mit den Peitschen geklatscht, so daß das Feuer herausgeflogen ist, wie Blitze.


4. Vom letzten Hühnen zu Hambergen.

Der letzte von den Hühnen, welche die steinernen Keller mit den Töpfen in der Haide gebauet haben, hat zu Hambergen gewohnt. Er hat unglaublich viel an Speisen zu seiner Subsistenz nöthig gehabt, und hat den übrigen Einwohnern, die er kleine Erdwürmer genannt, sehr viel Drangsal angethan, weil er allen zusammen an Stärke überlegen gewesen ist. Einst haben diese ihm heimlich aufgepaßt, als er in seinen Brunnen gestiegen ist, sind schnell herzugelaufen, und haben mit Steinen ihn darin überschüttet, bis der Brunnen ausgefüllt und er darin begraben worden ist.

Nach einer andern Erzählung ist dieser verschüttete Mensch kein Hühne gewesen, sondern ein anderer wilder Mensch von ungewöhnlichen Kräften, dessen man sich auf die eben beschriebene Weise entledigt hat.


g. Die Mühle bei Scheeßel.
(Vom Herrn Pastor Callenius zu Scheeßel.)

In nordwestlicher Richtung von der jetzigen Kirche zu Scheeßel, etwa 100 Schritt von derselben entfernt, – da, wo man an der östlichen Seite des neuangelegten Kirchhofes auf einem holperigen Fußwege nach dem benachbarten Jeersdorf hinabsteigt – fließt unten in der Tiefe des Thales ein kleiner, unansehnlicher Bach, über welchen ein einfacher Steg führt. Der Bach entspringt in dem s. g. „Scheeßeler Vieh“ in der Richtung nach Vahlde zu, etwa anderthalb Stunden von dem Kirchdorfe, durchschneidet kurz vor demselben die große Chaussee, welche von Bremen nach Hamburg führt, und fließt dann munter hinter dem Pfarrgarten [245] vorüber, bis er nach kurzem Verlaufe sich in die Wümme ergießt. Seine Hauptzuflüsse bekommt er aus den benachbarten großen Mooren der Dorfschaften Lauenbrück und Ostervesede und in der Herbst- und Frühjahrszeit schwillt er, durch starke Regengüsse vergrößert, oft mächtig an; dagegen erscheint er bei anhaltender Sommerdürre nur winzig und fast dem Austrocknen nahe. Man würde nicht glauben, wenn man ihn so sieht, daß er in alten Zeiten eine Mühle getrieben habe, welche die einzige in der Umgegend von Scheeßel gewesen sein muß. Genug, noch vor 20 Jahren hat man unzweifelhafte Spuren einer Mühle aufgefunden, bedeutende Bruchstücke eines Rades, so wie anderer dazu gehöriger Hölzer, und überdieß lebt auch jetzt noch die Geschichte ihres plötzlichen Unterganges allgemein bekannt in dem Munde älterer Leute. Sie hat da gestanden, wo jener Steg über den Bach führt und wo man auch bei näherer Betrachtung noch gar wohl den Umfang des Teiches erkennt, welcher rings durch einen Erddamm eingeschlossen war. Ihre Geschichte reicht hinauf bis kurz vor das Jahr 1503, in welchem Jahre nämlich die jetzige herrschaftliche Mühle da neu wieder aufgebaut ist, wo sie gegenwärtig noch steht, und als sehr wahrscheinlich stellt sich heraus, daß schon damals eine Familie Müller – Vorfahren des jetzigen herrschaftlichen Pächters – im Besitze derselben gewesen ist. Friedrich, erwählter Erzbischof der Stifter Bremen und Verden, Coadjutor zu Halberstadt, Erbe zu Norwegen, Herzog zu Schleswig-Holstein, Stormarn und den Dithmarschen, Graf zu Oldenburg und Delmenhorst etc., schreibt unter dem 24. December 1624 an den damaligen Pächter, der von den Drangsalen des 30jährigen Krieges viel zu leiden hatte und dem er überhaupt wohl gewogen war: „Alldieweil und dergestallt unser Müller Tönjes Müller zur Scheeßeler Mühle und dessen Vorfahren schon seit unvordenklichen Zeiten im Besitz unserer herrschaftlichen Mühle alldort gewesen sind, so sollen sie auch hinführo von Uns hierin geschützet und mainteniret werden.“ – Genug, der jüngere von zwei unverheiratheten Brüdern, welche zusammen in der Mühle lebten, war ein übermüthiger, zänkischer und gottloser [246] Mann, der auch vielfach in Unfrieden mit dem dermaligen Prediger zu Scheeßel stand. Sein frevelhafter Uebermuth ging so weit, daß er um jene Zeit – das Jahr ist nicht mehr genau anzugeben, doch soll es am heil. ersten Oster-Morgen gewesen sein – absichtlich das Wasser des Baches hoch aufstauete, um, wie er sich spottend ausdrückte, „dem St. Lux“ (Lucas, welchem die Kirche geweiht ist) oder, nach der Erzählung Anderer, „dem Pastor vor dem Altar die Füße naß zu machen“. Ein solches Vorhaben erklärt sich leichter, da die damalige Kirche tiefer und dem Bache näher stand; allein den Uebermüthigen ereilte die gerechte Strafe. Das Wasser schwoll zu einer solchen Höhe an, daß er selbst ihm keinen Einhalt mehr thun konnte; schon berührte es die Mauern der Kirche, – da durchbrach es mit Gewalt den schwachen Erddamm des Teiches und in wenigen Minuten wurde die ganze Mühle hinweggerissen, daß keine Spur mehr von ihr zu sehen war. Die Kirche aber blieb trocken und unversehrt. – So endigte diese Mühle; und von Einigen wird noch hinzugesetzt: als der ältere der beiden unverheiratheten Brüder die grausige Verwüstung gesehen, da habe er in seinem Ingrimme den jüngeren Bruder jählings in die Tiefe des Wassers hinabgestürzt und derselbe sei dort ertrunken.


h. Der steinerne Mann in der Doms-Mauer zu Verden.
(Vom Herrn Pastor Vogelsang.)

An einer Ecke des nördlichen Seitenflügels des Verdener Doms, hoch oben unter dem Kupferdache, ragt aus der Mauer das steinerne Brustbild eines Mannes heraus, von welchem Folgendes erzählt wird. Es war ein Küster des Doms, welcher die Kleinodien, oder ein Rentmeister, welcher die Gelder dieses Gotteshauses veruntreuet und schändlich verpraßt hatte. Als er nun vor dem Bischofe und Domkapitel Rechnung ablegen sollte, verschwor er sich dem Teufel, wenn er Solches gethan hätte. Da erhebt sich dreimal ein schreckliches Heulen und Lachen um den Dom [247] herum, und als der Höllenspuk verschwunden ist, steht in der Maner das gedachte Brustbild.

Eine ähnliche Figur findet sich übrigens fast in allen großen Domkirchen aus dem Mittelalter.


i. Die Capelle zu St. Jost.
(Stader Sonntagsblatt. 1855. № 14.)

Einer der drei Bäche, welche den Balksee bilden, ist der Joster-Bach. Dieser entspringt in der Nähe des Dorfes Stinstedt, bei den beiden Gehöften zu St. Jost. Dieser Name, St. Jost, leitet sich folgender Maßen ab. –

Geht man in das öde, wilde Moor hinter St. Jost hinein, so entdeckt man noch an einem Streifen Ried-Grases, der sich durch die sonst überall wachsende Haide hinzieht, einen alten Weg. Verfolgt man diesen Pfad eine Viertelstunde, so endet er plötzlich in einem mit Gras bewachsenen Platze, der wie eine Oase in dem öden Moore liegt. Hier, wo sonst kein Stein sich findet, stoßen unsere Füße unversehens auf Scherben von Backsteinen und Ziegeln. Hie und da ragen aus der Erde noch ungeheure Pfähle hervor, die, obgleich sie gewiß schon die Hitze manches Sommers und den Sturm vieler Winter ausgehalten, noch wohlerhalten aussehen. Auch bemerken wir, daß an einigen Stellen tiefe Gräben sind; – hier hat sich die Hand des Menschen nicht vergeblich bemüht, die Pfähle auszugraben und zum ferneren Nutzen zu verwenden. – Wir befinden uns an der Stelle, wo ehemals die Capelle des St. Jost stand.

In welcher Zeit dieses Heiligthum erbaut wurde, läßt sich nicht näher bestimmen; ein Abendmahlskelch in der Kirche zu Lamstedt, wo St. Jost noch jetzt eingepfarrt ist, und der, als die Capelle einging, dahin gebracht wurde, beweis’t indessen durch seine Inschrift, daß die Existenz der Capelle in eine ferne Vergangenheit zu setzen ist. Um den Fuß des Kelches stehen nämlich in Mönchsschrift folgende Worte: „Düssen Kelch heft gegewen Diedrich Hoppenstede und sine Fruwe Seweke, Börger to Hamborg, in de Ehre St. Jost“.

[248] Eine Jahrszahl fehlt leider bei der Inschrift. Ob nun dieser Hoppenstede auch Gründer der Capelle war? – das ist nicht zu ermitteln; die einfache Sage erzählt in kurzen Worten nur Folgendes.

In einer stürmischen, düstern Nacht verirrte sich ein adeliger Herr auf einer Reise mit Familie und Gefolge in dieses unwirthbare, wilde Moor. Lange keuchten sie, ohne den rechten Weg wiederfinden zu können, umher – endlich brach auch der Reisewagen und man sah sich genöthigt, Halt zu machen, die Nacht zu warten und von dem Anbruch des Tages Hülfe zu gewärtigen. In dieser großen Angst und Noth that der Edelmann das Gelübde, wenn Gott ihm Hülfe sende und sein und der Seinigen Leben errette, an der Stelle, wo er genöthigt war, anzuhalten, ein Gottes-Haus zu errichten. Sein Gebet wurde erhört – als der Tag anbrach, sah man in nur geringer Entfernung das Dorf Stinstedt liegen; – aber der Gerettete vergaß auch seines Gelübdes nicht und erbaute hier die Capelle, welche dem heiligen Jost geweiht wurde.

Später veilegte man die Capelle nach Stinstedt, wo sie noch eine Zeitlang gestanden haben mag; wenigstens findet sich in dem ältesten Kirchenbuche zu Lamstedt, welches den Zeitraum von 1647–1659 umfaßt, die Notiz: „bei der Capelle zu Stinstedt“, zur Bezeichnung des Wohnortes eines dortigen Einwohners. Jetzt ist von ihr nichts mehr erhalten, als die Glocke, welche in Stinstedt auf dem Gottesacker steht, und der schon erwähnte Kelch in der Kirche zu Lamstedt.


k. Der Paterborn bei Neukloster und die Kirche zu Bliedersdorf.
(Vom Herrn Pastor Pfannkuche in Neukloster.)

Von dem Nonnenkloster zu Neukloster führte einst, wie man erzählt, ein später zugeschütteter unterirdischer Gang in den Wald zu der schönen Quelle, welche noch jetzt der Paterborn heißt. Da sollen denn die Nonnen mit den [249] Mönchen von Altkloster nächtliche Zusammenkünfte und Gelage gehalten haben. Der Teich daselbst soll von unergründlicher Tiefe sein, und in demselben ein Haus versunken, dessen prachtvolles Tafelgeschirr zuweilen um Mitternacht sichtbar wird.

Die Kirche zu Bliedersdorf ist uralt, aus rohen Feldsteinen aufgemauert. Da sie gebaut wurde, fand sich, daß der Bau bei Nacht von unsichtbaren Händen gefördert wurde. Ganze Züge von Ochsen brachten Kalk und Steine auf dem noch jetzt sogenannten „Ochsenstiege.“ Zwei neugierige Burschen belauschten dieses Geheimniß; aber am andern Morgen fand man den einen eingemauert, nur der Zipfel seiner Jacke war noch zu sehen: der andere entkam.


l. Der Wingst-Brunnen bei Cadenberge.
(Vom Herrn Pastor Pratje in Cadenberge.)

Dieser Brunnen liegt in einem Gehölze unter dem Kieckberge, etwa eine halbe Stunde von Cadenberge, auf dem Wege nach dem Weissenmoor. Von ihm sagt Dilthern in den Christlichen Feld- und Garten-Betrachtungen, Nürnberg 1651, Seite 558: „Wer sollte sich nicht wundern über den Wunderbrunnen, so auf der Wingst im Stifte Bremen im vorigen Jahre[6] entsprungen; in welchem durch Gottes Hülfe und Gnade nicht allein allerlei Kranke, sondern vom Satan Besessene sind genesen.“

Im Hannoverschen Magazin vom 2. Mai 1791 hat Dr. Bicker in Bremen eine kurze Beschreibung und eine Art von chemischer Untersuchung des Brunnens geliefert. Im Jahre 1792 wurden für 2 bis 3 Quartier seines Wassers 4 leichte Pfennige erhoben, welches in jenem Jahre 163 Rthl.[WS 1] 17 Sch.[WS 2] Ertrag lieferte; die Ausgaben jedoch 182 Rthl. 22 Sch. Roth in seiner Beschreibung der Herzogthümer (1718) sagt, daß in der Johannisnacht an der Quelle eine Predigt gehalten werde: sie hat aber gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts aufgehört. Nämlich nur, oder doch vorzüglich in der Johannisnacht hatte das Wasser seine [250] heilende Kraft; und alte Leute in der Gemeinde erinnern sich noch sehr wohl, daß in dieser Nacht große Massen von Menschen, selbst aus weiter Ferne, sich um den Brunnen gesammelt und das Wasser getrunken oder in Krügen mitgenommen haben.

Eine nachgesuchte Verpachtung des Brunnens für jährlich 20 Rthl. ward anscheinend von der Regierung dem Oberdeichgräfen Klippe und dem Gerichtsverwalter Donner nicht bewilligt; worauf derselbe um 1810 allmählich in Verfall gerieth.

Aehnlich ist es den Gesundbrunnen bei Verden und bei Hiddingen, Kirchspiels Visselhövede, ergangen. Unsere berglose Provinz liefert, bei allem Guten und Schönen, was sie sonst besitzt, schwerlich nachhaltige Mineral-Wasser.


  1. Vergl. Pratje Altes und Neues X. 10. Uebrigens ist dieser Dionysius, welcher für den ersten Apostel von Gallien angesehn wird, von dem Areopagiten wohl zu unterscheiden.
    K.     
  2. Der heil. Bonifacius wurde in Dockum von den Friesen erschlagen. Auf dem Kirchhofe zu Dockum zeigt man noch einen Bonifacius-Brunnen. Pontoppidan Dänische Kirchen-Geschichte Th. 1. Seite 17.
    K.     
  3. Auf dem Boden der Kirche zu Beverstedt befand sich ein großes Wolfsnetz, wie die Kirchenrechnung im 30jährigen Kriege der Zeit ausweiset.
  4. Snake heißt beim Volke die Ringelnatter, die von ihm geehrt wird; die giftige Kreuzotter nennt er Adder.
  5. [273] Z. 7 v. u. lies: am steilsten abschüssige.
  6. [273] Z. 14 v. u. lies: in vorigen Jahren.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Reichsthaler.
  2. Schilling. Ein Reichsthaler sind 32 Schilling.
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