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Artikel „Wyß, Georg von“ von Gerold Meyer von Knonau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 417–423, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wy%C3%9F,_Georg_von&oldid=- (Version vom 9. Oktober 2024, 05:01 Uhr UTC)
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Wyß: Georg von W., schweizerischer Historiker, geboren zu Zürich am 31. März 1816, † zu Zürich am 17. December 1893. Dem Bürgermeister David v. Wyß gebar die zweite Frau, Anna Barbara Bürkli, einen Knaben, nach zwei am Leben befindlichen Söhnen der ersten Ehe den dritten Sohn; doch starb sie schon zehn Tage darauf, am elften Tage nach dem Tode eines scharlachfieberkranken Töchterchens, das sie gepflegt hatte, sodaß der Wittwer 1817 die S. 414 erwähnte dritte Ehe einging, aus der dann 1818 ein vierter Sohn Friedrich erwuchs. Georg v. W. verlebte von 1825 bis 1827 seine Bildungszeit auf dem Schlosse Lenzburg im Aargau, wo der tüchtige Braunschweiger Joh. Karl Christian Lippe, ein früherer Gehülfe Fellenberg’s, ein Institut für Knaben 1822 eingerichtet hatte, in anregender Umgebung, unter besonders auch die körperliche Kräftigung überwachender pädagogischer Leitung. Dann wurde bis 1835 der Unterricht an den mittleren Schulen und an der neu eingerichteten Hochschule in Zürich fortgesetzt. Da sich der Jüngling mathematisch-pyhsikalischen Studien zu widmen gedachte, empfahl der mit der Wyß’schen Familie enge befreundete Physiker Albert Mousson – sein Bruder (s. A. D. B. XXII, 415–417) hatte 1828 Georg’s Schwester Regula zur Ehe genommen – dem Bürgermeister Genf als Platz für die Fortsetzung der Studienzeit des Sohnes, und dort verweilte dieser dann zwei Jahre, bis zum Schluß des Sommersemesters 1837. Die fleißig an den Vater abgeschickten brieflichen Berichterstattungen verriethen einerseits, wie rasch sich der Zürcher in eine vorzügliche Verwendung der französischen Sprache, die er sein Leben lang beibehielt, hineinarbeitete, wie er in jeder Hinsicht geistig fortschritt und der Charakter sich kräftigte; anderntheils sind sie ein Zeugniß, wie eifrig sich W. unter ausgezeichneten Lehrern, Pictet, De la Rive, Gautier, Dufour – dem früheren französischen und nunmehrigen schweizerischen Ingenieurofficier –, in den erwählten Wissenszweigen orientirte; daneben zeigte sich der Sohn des angesehenen Zürcher Hauses in der feinen ausgewählten Gesellschaft von Genf als ein liebenswürdiger und gewandter Handhaber der Formen. Zugleich mit dem Bruder Friedrich bezog Georg darauf im Frühjahr 1838 die Universität von Berlin, und in den Sommerferien des Jahres wurde eine Reise nach Schweden von ihnen mit noch zwei schweizerischen Studirenden angetreten. Im Juli 1839 war W. mit dem hervorragenden Landsmann, dem Mathematiker Steiner (s. A. D. B. XXXV, 700–703), dessen Lehre er zumal in privatem Umgange viel verdankte, auf der Reise nach Brüssel und Paris, wohin er diesem zu folgen gedachte, am Rhein angelangt, als ihn die Nachricht von der schweren Krankheit des Vaters (vgl. S. 417) nach Hause rief. Doch [418] 1840 begab sich W., einige Monate nach des Vaters Tode, nach Göttingen, im Auftrage der zürcherischen naturforschenden Gesellschaft, die durch einen Sachverständigen genauere Kenntniß von den durch Gauß angeregten magnetischen Beobachtungen gewinnen wollte, und er begleitete im Juni Wilhelm Weber (s. A. D. B. XLI, 358–361), für den er, als Gelehrten wie Menschen, hohe Verehrung empfand, nach Leipzig, wo ein magnetischer Apparat aufzustellen und zu probiren war. Aber bis zum Herbste 1840 kam W. auf längerer Reise über Wien nach Hause zurück, ohne daß er, wie es Mousson gewünscht, sich durch eine Promotion in Göttingen den Weg zur Habilitation in Zürich gebahnt hätte. W. hatte bei aller Hingabe an seine Lehrer und an die betriebenen Studien doch schon die Ueberzeugung gewonnen, daß die von ihm gewählten wissenschaftlichen Disciplinen seinem geistigen Wesen und voran seinem Gemüthe, dem immer kräftiger und überzeugungsstärker in ihm erwachten religiösen Bedürfnisse, auch einer poetischen Anlage, die er in sich spürte, wenn er sie auch stets zurückzudrängen sich bestrebte, nicht zu genügen vermöchten. Dazu kam, daß Ranke’s Vorlesungen in Berlin großen Eindruck auf ihn gemacht hatten, so sehr er anfangs nur zufällig auf sie geführt worden war, sowie, daß die politische Gestaltung der Dinge in Zürich ihn 1840 zu einer Bethätigung auf dem Boden des öffentlichen Lebens eher aufzufordern schien.

1839 war durch den Umschwung des 6. September (vgl. A. D. B. XI, 278, XII, 291 u. 292, 496 u. 497) das seit 1832 geltende radicale Regierungssystem gestürzt worden; nahe Freunde und Verwandte waren an der neu eingesetzten Leitung des Kantons betheiligt, sein Schwager Mousson seit kurzem als Bürgermeister erwählt. So lag es nahe, daß W. innerhalb politischer Vereinigungen, auf dem Felde der Journalistik mitwirkte, daneben in Secretariaten, in Kanzleithätigkeit Erfahrungen zu gewinnen sich bestrebte. Zumeist in Verbindung mit seinem um vier Jahre älteren Freunde Heinrich Grob *) focht da W. in der „Zürcherischen Schulzeitung“ gegen den 1839 aus der Leitung des durch ihn neu gestalteten zürcherischen Schulwesens verdrängten Thomas Scherr (s. A. D. B. XXXI, 123 u. 124) oder in den „Zürcher Blättern“, einer seit 1840 erscheinenden Beilage der „Zürcher Freitagszeitung“, gegen den „Republikaner“ Snell’s (s. A. D. B. XXXIV, 509 u. 510) und gegen Julius Fröbel. Weit weniger betheiligte er sich[1] an dem Organe Bluntschli’s: „Der Beobachter aus der östlichen Schweiz“, und als vollends das Blatt und Bluntschli selbst stets mehr vom Einflusse Friedrich Rohmer’s (s. A. D. B. XXIX, 57 u. 58), den W. scharfsichtig sehr bald als unheilvoll für die liberalconservative Regierungspartei erachtete, abhängig wurden, zog sich W. von jedem weiteren Antheil daran zurück. Weit erfreulicher und für die Zukunft fruchtbarer war die Betheiligung, die W., von Ferdinand Keller aufgefordert, an den Arbeiten der antiquarischen Gesellschaft seit 1840 hervortreten ließ (vgl. A. D. B. XV, 565–568); ebenso war er 1840 mit seinem Bruder Friedrich zu Baden anwesend, als Zellweger (s. d. Art.) die allgemeine geschichtsforschende Gesellschaft der Schweiz gründete, der er dann seit 1843 als Secretär diente. Er meldete freudig in einem Briefe: „Seit Baden habe ich großen Eifer für die Historie bekommen“, und systematisch suchte er durch Lectüre sich auf diesem Felde, das ihn stets mehr anzog, weiter zu orientiren. Unterbrechungen dieser Beschäftigungen und Studien bedingten militärische Uebungen, und ein urtheilsfähiger verwandter Officier war der Ansicht, daß W. der Aufgabe „mit der ihm [419] eigenen Energie“ sich widmete und „im Ernstfalle jedenfalls im Geniestab seinen Mann gestellt hätte“.

Inzwischen war W. 1841 als dritter Secretär des zürcherischen Großen Rathes erwählt, 1842 zum Amt des zweiten Staatsschreibers befördert worden, und ebenso hatte er noch eine Reihe von Commissionsfunctionen angetreten. Aber eben jetzt folgte die Verschärfung der allgemeinen schweizerischen Fragen – die aus der Aargauer Klösteraufhebung seit 1841 erwachsene Aufregung wegen der Berufung der Jesuiten nach Luzern, der Einfall der radicalen Freischaaren in das Luzerner Kantonalgebiet (vergl. A. D. B. XVIII, 470 und 471): W. hatte im December 1844 einer umsonst unternommenen Sendung zürcherischer Regierungsrathsmitglieder zur Vorbringung freundeidgenössischer Bitte um Rücknahme des Beschlusses der Jesuitenberufung, nach Luzern, beizuwohnen –, und auch in Zürich trat der Moment ein, wo sich, eben infolge der ultramontan-demagogisch geführten Politik Siegwart-Müller’s (s. A. D. B. XXXIV, 206–212), das Bluntschli’sche mehr vermittelnde System gegenüber dem Ansturm der seit 1839 neu gekräftigten Radicalen nicht länger halten konnte. Als nach dem zweiten Freischaarenzuge bei der verfassungsmäßigen Neuwahl eines Theils des zürcherischen Regierungsrathes die Conservativen unterlagen, wollte auch Mousson nicht länger im Amte bleiben und wurde am 5. April 1845 durch Furrer (s. A. D. B. VIII, 209 und 210) im Bürgermeisteramt und Tagsatzungspräsidium ersetzt. Zwar blieb W. noch bis 1847 in der Function des Staatsschreibers. Doch als am 29. Juni des Jahres, bei Erledigung des Amtes des ersten Staatsschreibers, Dr. Alfred Escher als solcher erwählt wurde, ein Winterthurer in das Amt des zweiten Staatsschreibers einrückte, legte der in solcher Weise aus seiner öffentlichen Stellung entfernte Repräsentant einer mißbeliebig erscheinenden Sache am 30. auch seine übrigen Functionen nieder. Das war in der letzten Zeit vor dem Ausbruche des innern Krieges in der Eidgenossenschaft geschehen, dessen von der Tagsatzungsmehrheit hervorgehobenen Charakter – „bloße Execution eines legalen Tagsatzungsbeschlusses“ – W. von seinem Standpunkte aus keineswegs anerkennen wollte. Allerdings täuschte der Ausgang des Krieges – W. urtheilte, „wie eine taube Nuß“ sei der Sonderbund zusammengebrochen – wie nunmehr auch anderer Conservativgesinnter, so auch seine Erwartung, und 1848 sah er dann, wenn auch mit kühlem Urtheile, doch mit etwas mehr Zustimmung der Vollendung und der Annahme des Entwurfes der neuen Bundesverfassung zu.

Bis dahin war W. aber auch im gleichen Jahre 1848 durch den städtischen Wahlkreis als Mitglied des zürcherischen Großen Rathes erwählt worden, in dessen Mitte er der Zahl der etwa dreißig Mitglieder zählenden conservativen Opposition (unter der Gesammtzahl von zweihundert) angehörte. Gleich in seiner ersten Rede, April 1849, trat er der Einführung des Directorialsystems, statt des bisherigen Collegialsystems, für die Geschäftsbehandlung durch den Regierungsrath, entgegen, und hier hatte er gegen den inzwischen – an die Stelle des in den Bundesrath nach Bern berufenen Furrer – als Mitglied der Regierung erwählten Alfred Escher sich zu wenden. Ueberhaupt machte sich der Parteigegensatz für W. in den nächsten Jahren noch fortwährend geltend. Durch seine Zugehörigkeit, wie zum Größeren Stadtrathe, so zum städtischen Schulrathe, fühlte er sich verpflichtet, einer nach seiner Ansicht zu weit gehenden Schädigung älterer bürgerschaftlichen Privilegien im Primarschulwesen sich entgegen zu stemmen; als Mitglied der nach Erlaß des neuen Gesetzes erwählten erneuerten Schulbehörde half er dann aber alsbald selbst an der Neugestaltung mit. Dagegen scheiterte zwei Mal nach einander, zuerst 1856, am Widerstande der um Escher sich schaarenden Regierungspartei die Wahl für erledigte Stellen im Regierungsrathe durch den Großen Rath; ähnlich hatte 1866 eine Candidatur für [420] den Nationalrath keinen Erfolg. Im höchsten Grade auffallend und, fachlich betrachtet, unbegreiflich war 1858, daß, als sich W. nach dem Tode des Staatsarchivars Meyer von Knonau (s. A. D. B. XXI, 618 und 619) um die für ihn völlig geeignete Stellung am Archive bewarb, ein wegen Pflichtvergessenheit unmöglich gewordener Staatsanwalt ihm vorgezogen wurde. Freilich war W. inzwischen auf dem Felde historischen Studiums auch als Lehrer vollkommen festgewachsen, und die kurz nach seiner Habilitation als Privatdocent – 1850 – eingetretene Bethätigung in der Direction der schweizerischen Nordbahn hatte schon 1853 durch die Fusion dieser kurzen Strecke Zürich-Baden mit der durch Alfred Escher geschaffenen Nordostbahn wieder ihr Ende genommen. Vorzüglich durch Ferdinand Keller ermuthigt, war W. als Docent für die Geschichte seines Vaterlandes eingetreten, und daß ihn 1854 die in Solothurn versammelte allgemeine geschichtsforschende Gesellschaft als Präsidenten erwählte, war die Bestätigung dieser Lebensaufgabe. 1857 durch seine Collegen der philosophischen Facultät honoris causa zum Doctor promovirt, rückte er 1858 zu einer allerdings nicht besoldeten außerordentlichen Professur auf. Erst 1864 und vollends in der Ertheilung des Ordinariates 1870 wurde dann die Angelegenheit in einer würdigen Weise geordnet.

Inzwischen hatte W. aber auch litterarisch auf dem historischen Felde thätig zu sein begonnen. Nach kleineren Arbeiten – 1849 und 1850 zwei Neujahrsblätter der Zürcher Stadtbibliothek: „Beiträge zur Geschichte der Familie Maneß“, 1851 in Bd. VII des dann von 1856 bis 1873 ausschließlich von ihm redigirten „Archivs für schweizerische Geschichte“: „Ueber das römische Helvetien“ – begann er 1851 die bis 1858 in Band VIII der Mittheilungen der antiquarischen Gesellschaft vollständig erschienene „Geschichte der Abtei Zürich“, sein größtes Werk, dem er ein Urkundenbuch beigab. In den gleichen „Mittheilungen“ erschienen später noch, 1860 in Band XIII, „Graf Wernher von Homberg“, 1862 im gleichen Bande, „Sceaux historiques du canton de Neuchâtel“. An der 1853 begonnenen, von der schweizerischen geschichtforschenden Gesellschaft angeregten „Historischen Zeitung“ nahm er Antheil und gab dahin das einzig größeren bleibenden Werth behaltende Stück der ganzen kurzen Serie, seine Geschichte der Zürcher Familie Mülner (s. A. D. B. XXII, 710 und 711). Aber seit 1855 war er selbst bei dem auf die „Historische Zeitung“ folgenden, in Zürich erscheinenden „Anzeiger für schweizerische Geschichte und Alterthumskunde“, dem er auch zahlreiche Artikel gab – vor allem 1866 und 1867 die wichtige Studie: „Der Regensburger Friede vom 25. Juli/18. August 1355“ – ein Hauptträger der Redactionsarbeit. 1856 edirte er die Chronik des Johannes Vitoduranus (s. A. D. B. XIV, 483) in Band XI des „Archives“ und ließ im folgenden Jahre, nicht im Buchhandel, seinen Abdruck der Chronik des Weißen Buches von Sarnen erscheinen. Ein in Zürich 1858 gehaltener, nachher veröffentlichter Vortrag machte zum ersten Male weitere Kreise mit den Ergebnissen der kritischen Studien zur Geschichte der drei Länder 1212 bis 1315 bekannt. Resultate eindringlicher Forschungen über Tschudi, über dessen Glaubwürdigkeit oder vielmehr deren stets sich verengende Umgrenzung W. schon sehr früh ins Klare gekommen war, folgten noch 1885 im „Jahrbuch für schweizerische Geschichte“, Band X, „Ueber die Antiquitates Monasterii Einsidlensis und den Liber Heremi des Aegidius Tschudi“ und 1888 in der Vollendung der A. D. B. XL, 152, erwähnten Arbeit Voegelin’s. Mit der Schrift des Jahres 1862: „Ueber eine Zürcher Chronik aus dem fünfzehnten Jahrhundert und ihren Schlachtbericht von Sempach“ griff W. in die Debatte über Winkelried ein, die ihn gleichfalls stets neu interessirte. Andere Arbeiten sind noch in weiteren Zürcher Neujahrsblättern niedergelegt, so besonders in demjenigen zum Besten des Waisenhauses für 1855, die Biographie [421] des großen Gelehrten Josias Simler (s. A. D. B. XXXIV, 355–358), und noch für 1892 die Behandlung der Entwicklung des Reichslandes Uri 1218–1309, für die Stadtbibliothek. Interessante Beiträge zur Zürcher Geschichte erschienen in den nicht in den Buchhandel gekommenen Vorträgen, die W. als Obmann der Schildner zum Schneggen bei deren Hauptversammlungen hielt, vorzüglich der in den Göttinger Gelehrten Anzeigen von 1877, Stück 31, besprochene Vortrag von 1877, über die älteste bis etwa 1400 zurückreichende Geschichte der Gesellschaft. Für das Sammelwerk der Allgemeinen Deutschen Biographie lieferte W. zu den Buchstaben B bis S 108 werthvolle Artikel zur schweizerischen Staats- und Gelehrtengeschichte. Aus seinem Nachlasse endlich gab im Namen der schweizerischen geschichtforschenden Gesellschaft G. Meyer von Knonau 1895 die „Geschichte der Historiographie in der Schweiz“ heraus.

Neben dieser vielfach anregenden wissenschaftlich-schriftstellerischen Thätigkeit war aber W. auch in seiner späteren Lebenszeit fortwährend auf einer Reihe von Gebieten des öffentlichen Lebens wirksam. Als Politiker blieb er, nach dem Tode der älteren Mitkämpfer, der anerkannte Führer der conservativen Partei, ein auch von den Gegnern stets geachteter, um seiner Sachkunde willen vielfach in Commissionen beschäftigter Theilnehmer an den Debatten des Großen Rathes, des Verfassungsrathes in der demokratischen Umwandlung vor 1869, des Kantonsrathes bis zu seinem ehrenvollen Rücktritt 1883. Dem Besten der Vaterstadt Zürich diente er nach verschiedenen Richtungen treu; die Art und Weise der Auflösung des älteren Gemeinwesens 1891, seiner Verschmelzung in der Vereinigung des neuen Zürich verwundete ihn tief, doch ohne ihn bleibend bitter zu stimmen; denn er schrieb: „Ich blicke nicht mehr rückwärts; wäre ich jung, so würde ich mich frisch mit in die Arbeit der Ausgestaltung des Neuen werfen“. Als langjähriger Actuar, seit 1868 als Präsident des Conventes der Stadtbibliothek, diente er auf das treueste diesem ihm ganz besonders lieben öffentlichen Institut. Wieder wissenschaftlichen Bestrebungen zugewendet war seine seit 1862 dauernde verständnißvolle Fürsorge für das große „Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache“, dessen Schöpfer, der 1896 verstorbene Dr. Friedrich Staub, der von W. gebrachten Förderung den wichtigsten Antheil am Zustandekommen des Werkes zuschrieb; ebenso leitete W. seit 1885 die Edition des Urkundenbuchs der Stadt und Landschaft Zürich. Auf dem Boden der eidgenössischen Politik war W., seitdem 1875 der „Eidgenössische Verein“ entstanden war, als Präsident der Section Zürich – bis 1886 –, dieser Vereinigung alsbald beigetreten, um, wie er einmal sich aussprach, „der Herrschsucht der Willkür, der Ausschließlichkeit und der zwar durch das Gegentheil sich nach außen verhüllenden Volksverachtung der radicalen Demagogen und ihrer Phraseologie“ in persönlicher Anstrengung zu widerstehen; enge hing damit das Interesse für die Vertretung der Minoritäten zusammen, deren Sache er schon seit 1868 verfocht.

Allein außerdem war W., durch seine vielseitige Berührung mit einer großen Zahl von Freunden, Gesinnungsgenossen, Correspondenten, früheren Schülern, auch weiter stehenden Persönlichkeiten, der Mittelpunkt eines ausgebreiteten Verkehrs förderndster Art. Ein ganz ausgezeichneter Briefschreiber, in deutscher wie in französischer Sprache, dem bei der großen Leichtigkeit der briefliche Austausch geradezu eine Erholung, eine anregende Freude war, hat W. so in geradezu erstaunlicher Weise gewirkt. So stand er mit Vulliemin (s. A. D. B. XL, 377–379) in ununterbrochenem Briefwechsel seit 1849 und half auf das hingebendste mit Rath und Auskunft bei der Ausarbeitung der zweibändigen „Histoire de la Conféderation suisse“. Mit der größten Aufopferung von Zeit und Mühe widmete er sich solchen Mittheilungen nach den verschiedensten Seiten, und ganze wissenschaftliche Abhandlungen über aufgeworfene Fragen wurden oft [422] in solche Briefe gestellt. Allerdings flossen da mitunter in die Feder Klagen über Vielbethätigung; aber einerseits die nie ermüdende Bereitwilligkeit, anderntheils jenes Pflichtgefühl, das auch hier die Grundlage seines ganzen Wirkens war, ließ ihn wieder über diese Beschwerden hinwegsehen.

In den Mittelpunkt der ganzen Thätigkeit trat mit den zunehmenden Jahren, wo anderes allmählich zurückgedrängt wurde, immer mehr die Beschäftigung mit dem Lehramte, mit der historischen Wissenschaft. Ein früherer Zuhörer urtheilte über die von W. gewählte Lehrweise: „Sein Vortrag war nicht gerade fesselnd, die Darstellung schlicht und einfach, beherrscht von der ihm eigenen Gewissenhaftigkeit, verbunden und getragen von innerer Wärme, und was immer er bot, es erweckte den Eindruck absoluter Sicherheit und Zuverlässigkeit“. Eine wichtige litterarische Aufgabe erfüllte er auch noch 1883, als Geschichtschreiber der Universität zu ihrem fünfzigjährigen Jubiläum: „Die Hochschule Zürich in den Jahren 1833 bis 1883“. Aber am meisten war W. in weiteren Kreisen, über Zürich hinaus, durch die ganze Schweiz, als Präsident der schweizerischen geschichtforschenden Gesellschaft, als der belebende Mittelpunkt historischer Wissenschaft in der Schweiz angesehen. Seit der Verjüngung der Gesellschaft durch die Statutenrevision von 1874 nahm er mit frischer Kraft an der Erfüllung der erweiterten Aufgaben theil, steuerte selbst zu dem neuen großen Sammelwerke der „Quellen zur Schweizer Geschichte“, 1884, zu Bd. VI, die Edition von Konrad Türst: ‚De situ Confoederatorum descriptio‘ bei. In der Art und Weise der Leitung der von seinen inhaltreichen Reden eröffneten Jahresversammlungen trat seine vollendete Urbanität in einer nicht zum mindesten auch die fremden Besucher, die Ehrenmitglieder der Gesellschaft, fesselnden Gestalt zu Tage. Als ein solcher Vertreter der schweizerischen Geschichtswissenschaft gehörte er denn auch seit 1880 als ordentliches Mitglied der historischen Commission bei der Münchener Akademie der Wissenschaften an; das Zusammentreffen mit den Vertretern der von ihm stets hochgehaltenen deutschen Geschichtswissenschaft war für ihn eine Erhebung und Freude.

Getragen durch die wahrhaft religiöse Grundlage des ganzen Lebens und Denkens hatte W. ein höheres Alter erreicht, glücklich mehrmals gefährliche Krankheiten überstanden. Am 25. Juli 1891 hatte er bei der durch die eidgenössische polytechnische Schule und die Universität veranstalteten Feier des Bundesschlusses von 1291 die Festrede halten können. Jedoch bewog ihn dann eine abermalige Erkrankung, die ihm die Besorgung des Lehramtes im Winter 1892 auf 1893 verbot, von der Professur zurückzutreten. Aber nochmals führte er zu Luzern am 18. und 19. September das Präsidium der Jahresversammlung der schweizerischen Gesellschaft, die er mit einer vorzüglichen Würdigung der Discussion, die über Tschudi’s Glaubwürdigkeit neu entbrannt war (s. A. D. B. XXXVIII, 744, die zu 1893 und 1894 genannte Litteratur), eröffnete. Dann freilich wiederholte sich sehr bald der Krankheitsanfall; doch es wurde W. nochmals möglich, mehrere Wochen innerhalb des Hauses seinen Studien und Arbeiten nachzugehen.

W. hatte das glücklichste Familienleben. Mit dem Bruder Friedrich – dieser widmete Georg, als „dem Miterben der gemeinsamen Erinnerungen“, 1884 das S. 417 genannte Werk – verbanden ihn, wie die engsten gemüthlichen Bande, auch gemeinschaftliche geistige Interessen. Am 9. Mai hatte W. das Fest der goldenen Hochzeit gefeiert. Aber die Nothwendigkeit, den geliebten Sohn mit den Seinigen wegen eines die Uebersiedelung in ein wärmeres Klima erfordernden Leidens abreisen zu sehen, warf den Reconvalescenten neuerdings auf das Krankenlager, und der Kummer über den sich verschlimmernden Gesundheitszustand der Frau kam hinzu. Es war die Bestätigung der Einheit [423] der Ehe des edeln Paares, daß W. der Gattin am Abend ihres Sterbetages im Tode nachfolgte.

Vergl. die Aufzählung der zahlreichen Nekrologe im Anzeiger für schweizerischen Geschichte, Bd. VII, S. 107, ferner (Fr. von Wyß) „Nachwort“ in „Zum Andenken an Professor Dr. Georg von Wyß und dessen Gattin Anna Regina von Wyß“ (Zürich 1894), sowie P. Schweizer und H. Escher: „Georg von Wyß, zwei Nekrologe“ (Zürich 1894), endlich das auf breiterer Grundlage, insbesondere größerem brieflichen Material aufgebaute „Lebensbild des Professors Georg von Wyß“, vom Verf. d. Art. (zuerst in den Neujahrsblättern zum Besten des Waisenhauses in Zürich 1895 und 1896, dann auch in Separatausgabe, Zürich 1896).

[418] *) Ueber diesen ausgezeichneten Geschichtslehrer am zürcherischen Gymnasium, 1883 Dr. phil. honoris causa, gestorben 1889, vergleiche Dr. Otto Markwart’s Biographie im Zürcher Taschenbuch für 1891, S. 217–264.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: sich er sich