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Artikel „Siegwart, Constantin“ von Gerold Meyer von Knonau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 206–212, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Siegwart,_Constantin&oldid=- (Version vom 2. November 2024, 18:17 Uhr UTC)
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Siegwart: Constantin S., katholischer schweizerischer Politiker, geboren am 10. October 1801, † am 13. Januar 1869. Geboren als der Sohn eines ursprünglich dem Schwarzwalde entstammenden Inhabers einer Glashütte auf [207] dem Boden der italienischen Schweiz, wurde S. frühe elternlos und kam zur Erziehung in das Haus des würdigen Pfarrers von Seelitzberg (Kanton Uri), wo er bis in sein 18. Jahr blieb. Vom Besuch schweizerischer und deutscher höherer Schulen, zuletzt der von Heidelberg, zurückgekehrt, bewarb er sich 1826 um das urnerische Land- und Bürgerrecht. Allein obschon er, wie er selbst sagt, eine erste litterarische Arbeit: „Wilhelm Tell der Urner“ (darin die hohle Phrase: „Es giebt Witzlinge, welche über Tell’s Geschichte spotten, weil sie nicht verstehen, was ein freier Mann zu thun vermag … Du aber verachte die Elenden!“) hauptsächlich zu seiner Empfehlung verfaßt hatte, gelangte er nur mit Schwierigkeit an der Landsgemeinde zum Ziele. Aber S. fand für seinen Ehrgeiz Uri, wo er, über seine Stellung als Landsfürsprech hinaus, umsonst sich Geltung zu verschaffen suchte, zu enge, obschon er sich mit einer Urnerin angesehenen Geschlechts – er nannte sich später stets „Siegwart-Müller“ – verheirathete. 1832 nannte er die Urner Verhältnisse „unerträglich“ und bewarb sich in einer Casimir Pfyffer (s. A. D. B. XXV, 717) gewidmeten Darlegung seiner radicalen Grundsätze um die Aufnahme in den Kanton Luzern, dessen neue Verfassung er in dieser Schrift beleuchtete. In das Luzerner Kantonalbürgerrecht aufgenommen, ließ er sich 1833 als Advocat, bald auch, doch mit wenig Glück, als Redactor einer liberalen Zeitung in Luzern nieder. 1834 wurde S. zweiter, 1835 erster Staatsschreiber, später auch durch indirecte Wahl Mitglied des Großen Rathes und betheiligte sich in seinen öffentlichen Stellungen anfangs sehr entschieden, gleich seinem priesterlichen Freunde Christoph Fuchs (s. A. D. B. VIII, 162), an den kirchenpolitischen Maßregeln seiner liberalen Gönner in der Regierung. Andererseits erklärte er sich 1838 bei Anlaß eines heftigen social-politischen Zwistes im Kanton Schwyz, der über die Benutzung der Allmenden ausgebrochen war, für die radicale (Klauen-)Partei, was für ihn äußerst compromittirende Folgen hatte, da durch die Gegenpartei ein von ihm geschriebener aufreizender Privatbrief aufgefangen wurde, dessen Inhalt mit seiner damaligen Aufgabe – S. war als Secretär vermittelnder eidgenössischer Repräsentanten in Schwyz anwesend – ganz im Widerspruche stand; der, wie ein conservatives Blatt schrieb, „wegen seines Ultra-Radicalismus beinahe allgemein discreditirte Staatsschreiber“ konnte es nicht mehr wagen, die Commissarien ferner zu begleiten. Aber zur gleichen Zeit hatte er doch auch schon begonnen, sich von den leitenden Staatsmännern Luzerns zu trennen, besonders Casimir Pfyffer da und dort entgegen zu treten. Während er auf der einen Seite in der neu von ihm herausgegebenen „Schweizerischen Bundeszeitung“ maßlos leidenschaftlich, besonders auch gegen „die römische oder auch Pfaffenpartei“, noch im J. 1839 schrieb und durch seinen Radicalismus die Regierung, die um dieselbe sich gruppirenden Liberalen weit hinter sich zurückzulassen suchte, betonte er daneben, im Gegensatz zum bestehenden Repräsentativsystem, das Princip der „wahren Volkssouveränetät“. In der Beurtheilung der für die gesammte schweizerische Entwicklung so wichtigen zürcherischen Fragen im J. 1839, wo allerdings die dortige Regierung sich zu dem Willen der Mehrheit des Volkes in Gegensatz gestellt hatte und deßwegen gestürzt wurde (vgl. besonders A. D. B. XII, 496 u. 497), war zwar S. keineswegs so säuberlich folgerichtig gewesen, wie er sich später gerne hätte darstellen wollen; aber jedenfalls war sein Satz, „daß das Volk wirklich politischer Herr und Meister im Lande würde“, in Zürich nun bewiesen, und derselbe konnte auch in Luzern Anwendung finden, wo eine Agitation von ebenso bäuerlich demokratischer, als streng kirchlicher Färbung unter der Führung von Joseph Leu (s. A. D. B. XVIII, 470) auf die bevorstehende Zeit einer verfassungsgemäß ermöglichten Revision der Constitution schon im Gange war. S. brach nun ganz offen mit seinen früheren Parteigenossen, und da er, bei allem [208] Radicalismus während der letzten Jahre, seinen kirchlichen Verpflichtungen stets nachgekommen war, stand seinem Anschlusse an das gegnerische Lager nichts im Wege. Als der streng gläubige, überzeugungstreue bäuerliche Demagoge den Boden genügend bearbeitet fand und das bestellte Centralcomité auf den 5. November 1840 eine Versammlung nach Ruswil einberief, diente S. als Secretär zur Seite des Präsidenten Leu, und darauf verherrlichte er in einem Zeitungsartikel den Sieg der Verfassungsrevision. Der Schultheiß des Kantons konnte also mit Recht in einer Erklärung an den Kleinen Rath sagen, daß „ein durch den Großen Rath angestellter Staatsbeamter“ durch feindliche Drohungen zu einem „verunglimpfenden“ Angreifer der die Staatsordnung repräsentirenden Organe geworden sei, und so wurde S. am 25. November als Staatsschreiber suspendirt, am 30. December durch den Großen Rath seiner Verrichtungen gänzlich enthoben. Ein Preßproceß, welcher dann freilich unter den rasch sich ändernden politischen Verhältnissen mit Freisprechung endigte, veranlaßte S., von Luzern hinweg nach Uri zu gehen, und so wurde er nicht als ein Mitglied des im März 1841 sich versammelnden Verfassungsrathes erwählt, sandte aber demselben aus Altorf schriftlich theils weitgehend demokratisch, theils ausgesprochen clerical gefärbte „Bemerkungen und Wünsche“ zu.

Die auf Grund der vom Volke angenommenen neuen Verfassung am 23. Mai 1841 erfolgenden Neuwahlen hoben nun dagegen S. in den Großen Rath, und diese ganz neu gestaltete Repräsentation wählte ihn als Mitglied des Regierungsrathes, als welches er alsbald eine Nichtigerklärung seines Absetzungsdecretes und der Folgen desselben forderte, ohne jedoch sogar bei seiner eigenen Partei mit dem ganzen Umfange seines Begehrens durchdringen zu können. Als Mitglied der um Leu sich schaarenden „Volkspartei“ nahm S. an den Maßregeln des siegreichen Systemes zunächst einen keineswegs bedeutenden Antheil; vielmehr hielt er sich anfangs bescheiden zurück und bewies nur seine arbeitsame, geschäftserfahrene Geschicklichkeit. Erst als er sich bei dem im Großen Rathe völlig maßgebenden „Vater Leu“ ganz unentbehrlich zu machen gewußt hatte und als Leu ihm die Leitung der Dinge geradezu zuwies, begann sein Einfluß überwiegend zu werden. Das fiel mit Siegwart’s Erhebung zur Schultheißenwürde, an die Spitze der Regierung 1844, zusammen. – Gerade aus diesen Jahren entwirft von S. ein kundiger und dem Geschilderten nichts weniger als gegnerisch gesinnter Beurtheiler – A. Ph. v. Segesser – ein nicht gerade ansprechendes Bild. „Sein Aeußeres war unangenehm. Ein ungewöhnlich großer Kopf, der im Gehen beständig im Tempo des Schrittes hin und her wackelte, ein glattes ausdrucksloses Gesicht, in welchem kleine graue Augen saßen, aus deren gewöhnlicher Ruhe nur bisweilen stechende Blitze schossen, ein Zug um den Mund, der auf kleinliche Gehässigkeit deutete, etwas Lauerndes, Unheimliches in seinem Wesen waren Aeußerlichkeiten, die mißfallen mußten“.

Als Schultheiß von Luzern hatte nun aber S., weil Luzern für 1843 und 1844 eidgenössischer Vorort war, zugleich das Tagsatzungspräsidium zu bekleiden, und hier ergaben sich jetzt die größten Differenzen von weitgehender Wirkung. Seit 1841 beherrschte die Frage der Aufhebung der Aargauer Klöster die gesammteidgenössischen Verhältnisse, und in Luzern kam jetzt, eben 1844, die Wiederaufnahme der Betreibung des schon 1839 geäußerten Lieblingswunsches Leu’s, der Berufung von Jesuiten an die höhere Lehranstalt in Luzern, hinzu, eine Frage, die innerhalb der conservativen Partei selbst Zwist hervorrief. In der Angelegenheit der Klöster stand Luzern, der Vorort, seit September 1843, wo die absolute Mehrheit der Tagsatzung sich durch die entgegenkommenden Schritte des Kantons Aargau als befriedigt erklärt und die Sache aus den Verhandlungen der Tagsatzung als erledigt ausgeschieden hatte, an der Spitze [209] der gegen diesen Beschluß als gegen einen Bundesbruch protestirenden Kantone, und dabei zeigte S. schon in den ersten Vorbesprechungen besondere Lust zum angriffsweisen Vorgehen, indem ja die Verfolgung der Katholiken in allen paritätischen Kantonen die katholischen Stände schon längst berechtigt hätte, zum Aeußersten zu schreiten. Sein Vorschlag vom 13. September 1843, Uebertragung der Leitung der Angelegenheit an eine beständige Conferenz, nebst Anordnung einiger militärischer Vertheidigungsmaßregeln, wurde die Grundlage der ersten Berathungen, aus welchen die weiteren Entwicklungen und zuletzt der Abschluß eines eigentlichen Separatbündnisses sich ergaben. Was die Frage der Jesuitenberufung betraf, so hatte hierin S. anfangs, 1842, nach seiner beliebten Art der Tergiversation einen ihm den Rücken deckenden Mittelantrag in einem Gutachten aufgestellt, welches Weltgeistliche als Professoren unter einem Rector zu einem Convicte zusammenfassen wollte; ebenso hatte er damals bei der Berathung im Großen Rathe seine mangelnde Kenntniß des jetzigen Standes der Gesellschaft Jesu vorgeschützt. 1844 dagegen bahnte er nunmehr bei der ausschlaggebenden Verhandlung, freilich wieder auf anfänglich verdecktem Pfade, selber für Leu den Weg zur Erreichung des Zieles, und als endlich – erst am 1. November 1845 – die Installation der Jesuiten stattfand, war es S., der in gewaltig klingenden Worten als Abgeordneter der Regierung deren Schutz zusagte.

Inzwischen war aus der gegen die Jesuitenberufung entstandenen Vetoagitation heraus am 8. December 1844, im ersten Freischaarenzuge, ein Aufstand gegen die Luzerner Regierung in das Werk gesetzt worden, und am 31. März und 1. April 1845 wurde ein zweiter ähnlicher, noch umfangreicherer unter offener Störung des Landfriedens geschehender Angriff blutig zurückgeschlagen. War S. als Schultheiß schon das erste Mal mit Maßregeln zur Niederwerfung und für Verhaftungen bei der Hand gewesen, so stieg sein Ansehen noch mehr nach der zweiten Abweisung, vollends als in den Erneuerungswahlen zum Großen Rathe am 1. Mai die der unbedingten Herrschaft Siegwart’s abgeneigte conservative Mittelpartei ganz in der Vertretung hinwegfiel. Allerdings war, wie das S. selbst am klarsten erkannte, für das in ihm verkörperte Regierungsprincip der im Sommer 1845 durch Mörderhand erfolgte Tod Leu’s ein schwerer Verlust. Aber S. gedachte durch die Gründung einer Art Centralgewalt Luzern’s gegenüber den politisch einverstandenen Kantonen sich auch in Luzern selbst gegenüber localen Gegensätzen noch mehr zu stärken. Wie er 1846 – in diesem Jahre wurde er zum zweiten Male Schultheiß – durch eine sogenannte Borromäische Akademie die wissenschaftlichen Kräfte der katholischen Schweiz um sich zu schaaren suchte, wie er mit Vorliebe Nicht-Luzerner als seine Creaturen in den Staatsdienst zog, so sollte die „Schutzvereinigung“ der sieben Kantone – Luzern, der an Luzern sich anschließenden Waldstätte nebst Zug, dazu Freiburg und Wallis – ihn und sein System sichern. Umsonst wurde ihm gegenüber geltend gemacht, durch die Hülfeleistung der Urkantone im Freischaarenkampfe sei Luzern auch ohne einen solchen Vertrag geschützt worden; in seiner Neigung zum Formalismus und gestützt auf seine Autorität setzte S. den Plan durch. – Aus den Berathungen der Vertretungen der sieben Kantone, wobei S. zweiter Abgeordneter für Luzern war, erwuchs in der entscheidenden Conferenz zu Luzern, 9. bis 11. December 1845, „zur Wahrung der Souveränetäts- und Kantonalrechte gemäß dem Bundesvertrage vom 7. August 1815, sowie gemäß den alten Bünden“, die schon länger in Aussicht genommene engere Verbindung, von welcher die Luzerner Regierung ihrem Großen Rathe niemals förmliche Kenntniß gab, indem sie auf die ihr ertheilten allgemeinen Vollmachten [210] sich stützte (erst die Verhandlungen des Großen Rathes von Freiburg brachten den Abschluß des Bündnisses zur Oeffentlichkeit).

Dadurch daß nun im Juni 1846 der eidgenössische Vorort Zürich eine Anfrage an Luzern hierüber richtete und die Tagsatzung mit zehn und zwei halben Stimmen sich für die Auflösung der bundeswidrigen Sondervereinigung aussprach, mußten, bei solchermaßen näher gerückter Gefahr einer Execution, auch die auf Abwehr berechneten Vertragspunkte eine größere Bedeutung gewinnen; denn gleich 1845 war zur „Besorgung der obersten Leitung des Krieges“ ein „Kriegsrath“ angeordnet worden, versehen mit allgemeinen, so viel möglich ausgedehnten Vollmachten. Diesen Kriegsrath beschäftigte schon seit dem Spätjahre von 1846 die Frage der Besetzung der Obercommandantur. Doch gerade zur Leitung einer kriegerischen Politik und vollends zum Vorsitze in einem Kriegsrathe war S. am wenigsten geeignet, da er ganz der militärischen Bildung und Erfahrung ermangelte. Im Glauben an eine höhere Mission, Gott werde die in der Luzerner Regierung verkörperte Sache nöthigenfalls durch ein Wunder zum Siege bringen. trieb S. der Krisis entgegen, ohne Kraft und Mittel zu besitzen, um deren Verlaufe zu begegnen. So hatte er später, in den Tagen des Krieges, noch die Verblendung, einem Warner, der zum Abschlusse des Friedens, als ein solcher noch denkbar, mahnte, zu antworten: „Unsere Gegner, nicht wir, sind verloren“. Jetzt sah sich S. selbst, schon seit 1845, in theilweise geradezu abenteuerlicher Art, nach polnischen, carlistischen und anderen kriegerischen Größen um und fing Correspondenzen an, um sich einen Heerführer zu verschaffen. Behufs Erlangung von Geldhülfe und von Kriegsmaterialien begann man Anknüpfungen mit dem Auslande, wobei sich S. selbst besonders mit dem österreichischen Gesandten, Freiherrn v. Kaisersfeld, in Austausch befand. In Luzern selbst sollten verschärfte polizeiliche Anordnungen, außerordentliche Instructionen die Regierung gegen befürchtete neue Attentate schützen. – Doch außerdem ging S. jede genügende Einsicht in die allgemeinen Verhältnisse der europäischen Staaten zu einander, sowie in auffallendem Grade Menschenkenntniß überhaupt ab. „Er war – so urtheilt abermals Segesser, welcher als Rathsschreiber S. zu durchschauen seit 1841 reichlichste Gelegenheit gefunden hatte – eine jener verschlossenen Naturen, die nach außen hin nichts als kalte Verständigkeit zeigen, deren impassible Züge niemals von einer gemüthlichen Aufregung Zeugniß geben; doch die ganze Beobachtung seines Wesens zeigt, daß träumerische Idealität, politisch wie religiös, ihn vielfach beherrschte“. Besonders bedenklich war auch, daß er bei seinem bedeutenden Selbstbewußtsein, seiner großen Arbeitskraft, abgeschlossen, wie er sich hielt, selbständige Geister, freimüthige Einwendungen nicht ertrug. Gerade der zumeist in der Sonderbundszeit neben S. in Betracht kommende Politiker Luzerns, der erste Staatsschreiber Bernhard Meyer (s. A. D. B. XXI, 555 ff.), welcher an Urtheilskraft S. hinter sich zurückließ, stand mit dem Leiter des Sonderbundes nie in einem engeren vertraulichen Verhältnisse, wozu neben Charakterverschiedenheiten auch materielle Erwägungen beitrugen (in einer projectirten neuen Dampfschifffahrtsunternehmung auf dem Vierwaldstätter See erlag, als der Große Rath dem neuen Unternehmen eine erdrückende Concurrenz sichern sollte, S. mit seiner Coterie in peinlich beschämender Weise gegenüber den durch Meyer repräsentirten älter berechtigten Interessen): in Wien fand Meyer später weitgehende Beweise von Verdächtigungen, die S. gegen ihn ausgestreut hatte. So war denn S. durchaus nicht befähigt, das begonnene Werk durchzuführen, als dessen Kern Segesser den Plan zu erkennen glaubt, auf Grund eines potenzirten Föderativsystemes und bei einer centralisirenden Zusammenfassung der Kraft der katholischen Kantone einen Dualismus in der Eidgenossenschaft herbeizuführen, der Art, daß eine katholische [211] Schweiz, unter Luzern als leitendem Vororte, mit der ähnlich organisirten reformirten Schweiz durch einen weiteren allgemeinen Bund verknüpft, das Uebergewicht der großen reformirten Kantone im Gesammtbunde also aufgehoben worden wäre. Eine private Studie, die sich in Siegwart’s Papieren fand und über eine neue Gebietseintheilung der Kantone im Sinne vorzüglicher Vergrößerung Luzerns und anderer katholischer Stände sich verbreitete, bewies, wie bestimmt S. auf den Sieg seiner Sache rechnete. – Als nämlich nach Erlangung der Stimmenmehrheit die Tagsatzung zu Bern im Juli 1847 das Separatbündniß der sieben Kantone, weil mit dem Bundesvertrage unverträglich, als aufgelöst erklärt hatte und nachdem angesichts der Weigerung und der fortgesetzten Rüstungen der Sonderverbündeten, nach dem Scheitern auch der letzten Vermittlungsversuche, am 4. November der Executivausschuß der Tagsatzung in Kraft gesetzt worden war, zählte S. im Kriegsrathe zu der Minderheit, welche Ergreifung der Offensive wünschte, während nebst dem Obercommandanten Joh. Ulrich v. Salis Soglio die Mehrheit der Mitglieder nur zur Defensive sich verstehen wollte. Daneben setzte S. als Präsident des von Leu gestifteten Ruswiler Vereins, mit Herbeiziehung religiöser Mittel, die Agitation stets noch eifrig fort: die kleine Minorität des Großen Rathes, welche im September und nochmals im October Rücktritt des Kantons Luzern vom Sonderbunde, Entgegenkommen gegenüber der Tagsatzungsmehrheit begehrt hatte, war völlig zurückgedrängt worden. So mußte sich die folgenschwere Entscheidung vollziehen, für welche von vorne herein alle Aussichtens für die Sache Siegwart’s ungünstig waren. Die durch Dufour mit überlegener Kraft und Einsicht geleitete Executionsarmee legte zuerst die vorgeschobenen Posten des Sonderbundes lahm und umschloß dann mit eisernen Armen den Kanton Luzern selbst. Als am 28. November bei Gislikon, zwei Stunden nordöstlich von Luzern, der letzte entscheidende Schlag zu Gunsten der Tagsatzungsbewaffnung gefallen und auf den folgenden Tag ein Sturm auf die Hauptstadt selbst zu befürchten war, gaben auf einmal der Kriegsrath und die Luzerner Regierung, obschon Luzern voll von Bewaffneten lag und noch nicht die Hälfte des eigenen Heeres zum Schlagen gekommen war, ihre Sache auf; mit eingebrochener Nacht verfügten sich S., die meisten anderen leitenden Persönlichkeiten, zahlreiche weitere Flüchtlinge, unter ihnen die Jesuiten, auf einem schon bereit gehaltenen Dampfboote nach Uri. Damit hatte Siegwart’s dictatorische Stellung ihren Abschluß erreicht; denn mochte auch noch von Flüelen aus am gleichen Abend eine Proclamation der Geflüchteten als von „Schultheiß und Regierungsrath des Kantons Luzern“ erlassen worden sein, so sahen dieselben doch ein, daß alles zu Ende sei, und sie zerstreuten sich.

Damit begann für den gestürzten Politiker eine bis an sein Lebensende dauernde Zeit der Verfolgung. Zuerst suchte S. noch in Wallis sich zu halten, erkannte dann aber, als auch dieser Stand sich zur Capitulation anschickte, daß hier seines Bleibens ebenfalls nicht sei, und ging nach Mailand, wo er das zu spät eingetroffene Hülfsgeld Oesterreichs der Regierung zurückgab. In Oesterreich, im Elsaß, wo ihn wieder Ereignisse der inzwischen, 1848, ausgebrochenen großen Revolution aufstörten, an verschiedenen Orten Deutschlands verbrachte S. mit seiner Familie ein unstätes Flüchtlingsleben, bis 1857, in welchem Jahre er sich nach Uri, der Heimath seiner Gattin, begab. Der Kanton Luzern blieb ihm verschlossen; denn abgesehen von dem Landesverrathsprocesse, welcher gegen S. schwebend blieb, obwohl sich Segesser mehrmals im Nationalrathe für dessen Niederschlagung energisch ausgesprochen hatte, war 1848 vom neugewählten Großen Rathe gegen S. eine Contributionsforderung im Betrage von 20 000 Franken aufgestellt und darauf vom Luzerner Fiscus der Concurs über ihn [212] herbeigeführt worden. S. selbst suchte nie um eine Amnestie nach. Er widmete seine Mußezeit historischen Studien, besonders der Ausarbeitung der drei Bände eines breit angelegten, nicht übersichtlichen, aber reichhaltigen, halb autobiographischen, halb zeitgeschichtlichen Werkes (Altdorf, Selbstverlag des Verfassers, 1863, 1864, 1866), von welchem ein Band Joseph Leu speciell zum Gegenstande hat. Schon die Benennung dieser zwar beachtenswerthen und viele Documente enthaltenden Arbeit – „Der Kampf zwischen Recht und Gewalt in der Schweizerischen Eidgenossenschaft“ und „Der Sieg der Gewalt über das Recht in der Schweizerischen Eidgenossenschaft“ – beweist, daß dieselbe nicht den Werth eines im wahren Sinne historischen Werkes hat, sondern apologetischen Zwecken dient.

Vgl. neben dem genannten Werke und Cas. Pfyffer: Geschichte des Kantons Luzern, Bd. II, besonders noch Segesser’s nekrologischen Artikel in der Sammlung kleiner Schriften, Bd. II (1879), S. 448–460, sowie dessen Fünfundvierzig Jahre im Luzernischen Staatsdienst (1887), in welchen „Erinnerungen“ Capitel I, eben über 1841 bis 1847, jedenfalls das Hauptstück bildet.