ADB:Mousson, Johann Heinrich Emanuel

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Artikel „Mousson, Johann Heinrich Emanuel“ von Georg von Wyß in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 22 (1885), S. 415–417, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mousson,_Johann_Heinrich_Emanuel&oldid=- (Version vom 8. Dezember 2024, 23:52 Uhr UTC)
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Mousson: Johann Heinrich Emanuel M., Bürgermeister in Zürich; † 26. December 1869. – M., der ältere Sohn des eidgenössischen Kanzlers M., wurde am 29. September 1803 im Hause des väterlichen Großvaters, damals Pfarrer in Lonay bei Morges, geboren. Nach erhaltener Vorbildung in Zürich, Bern und Genf, bezog er 1824 die Universität Göttingen als Studirender der Rechte, brachte den Winter 1827/28 in Paris zu und trat 1828 in Zürich als Freiwilliger unter den Augen des Vaters in die eidgenössische Kanzlei ein. Ende 1828 zur Stelle des Privatsecretärs des Kanzlers befördert, wurde er nach des Vaters Rücktritt und Amrhyn’s (Bd. 1, 410) Vorrücken zum Kanzleramte an der Stelle des Letzteren zum eidgenössischen Staatsschreiber ernannt. Das Amt entsprach der sorgfältigen Vorbildung, die er dazu erhalten, seinen Fähigkeiten und Neigungen; in Charakter, Ueberzeugungen und Talent war er dem Vater ähnlich, doch von weicherer Gemüthsart. Als die Wirren von Schwyz und Basel 1833 die Eidgenossenschaft erschütterten und die Mehrheit der Stände mit Waffengewalt gegen die Minderheit einschritt, fühlte sich M. in seinem Gewissen gedrungen, sein Amt niederzulegen, da er die Fortführung desselben mit seinem der Eidgenossenschaft als Ganzes geleisteten Eide für unverträglich hielt. In Zürich sich niederlassend, wo er das Bürgerrecht besaß, zum Mitgliede des kantonalen Großen Rathes daselbst erwählt, übernahm er 1834 das Secretariat der kaufmännischen Vorsteherschaft, der jetzt nach Beschlüssen der Staats- und Stadtbehörden die Ausführung wichtiger öffentlicher Bauwerke in Zürich übertragen war. 1836 Mitglied des Bezirksgerichtes, sah er sich eine Laufbahn eröffnet, die ihn zu seinen frühern Studien zurückführte. Allein schon kurze Zeit nachher beriefen ihn unerwartete Ereignisse zu einer neuen Aufgabe. Die Bewegung von 1839 gegen die Berufung von Strauß zum Lehrstuhl der Dogmatik an die zürcherische Hochschule, zog auch M. in ihren Kreis. Zwar betheiligte er sich an derselben nicht activ, obwol er die Anschauung der großen Mehrheit des Volkes für berechtigt hielt, die in dem betreffenden Beschlusse der Regierung einen Angriff auf die Landeskirche erblickte und von den Behörden die Zurücknahme des Beschlusses und bestimmte Garantien für eine rücksichtsvollere Behandlung der religiösen und kirchlichen Interessen verlangte. Aber als nach der aus dem Conflicte entstandenen Staatsumwälzung der neue Große Rath die oberste Verwaltungsbehörde des Kantons, den Regierungsrath neu zu [416] bestellen hatte, berief sein Zutrauen M. am 20. September 1839 zu einem Mitglieds dieser Behörde, und M. glaubte sich schuldig, der an ihn ergehenden Aufforderung zu folgen. Im Geschäftskreise des Rathes (Departements) des Innern wurde er nun vorzüglich thätig. Im folgenden Jahre schon wurde er an Stelle des zurücktretenden Bürgermeisters Heß zu dessen Nachfolger ernannt und dadurch Amtsgenosse des weit ältern, durch eine langjährige verdienstliche Laufbahn ausgezeichneten Bürgermeisters von Muralt (s. dens.), der ihm übrigens persönlich befreundet war und mit vollstem Vertrauen entgegenkam, so daß ein inniges Verständniß in den wichtigsten Dingen beide Männer an der Spitze der Regierung vereinigte, deren Gang neben ihnen Bluntschli mit dem größten Einfluße bestimmte. Als von Muralt im December 1844 vom Amte zurücktrat, wurde freilich nicht Bluntschli, sondern ein Vertreter der mehr und mehr erstarkten Opposition aus den Reihen der 1839 Unterlegenen, Dr. Ulrich Zehnder, durch Wahl des großen Rath Mousson’s College im Bürgermeisteramt. M. selbst sah sich bald in eine ähnliche Lage versetzt, wie er sie ein Jahrzehent zuvor erlebt hatte. Confessionelle Zerwürfnisse, wie früher politische, spalteten die Eidgenossenschaft in steigendem Maße. Die Aufhebung der aargauischen Klöster im Jahre 1841, auf welche Luzern 1844 durch Berufung der Jesuiten zu Leitung seiner Lehranstalten antwortete, die Zerwürfnisse religiösen und politischen Charakters im Wallis, hatten nach und nach die Kantone in zwei feindliche Lager geschieden und im Innern vieler derselben bitterem Parteihader willkommene Nahrung zugeführt, zumal in Zürich, wo gerade hierdurch die Opposition wesentlich erstarkt war. Die seit 1830 immer wieder auftauchende Frage einer zeitgemäßen Umgestaltung des Bundesvertrages drängte sich, unter dem Streite der Tagsatzung über Luzerns Berechtigung oder Nichtberechtigung zu seinem Schritte, unausgesprochen immer deutlicher in den Vordergrund. Allein eine Verständigung zeigte sich stets schwieriger. Als M. mit Neujahr 1845 das Präsidium des vorörtlichen Staatsrathes und der Tagsatzung zu übernehmen hatte, war bereits ein Aufstand in Luzern selbst von der Regierung nicht ohne Mühe niedergehalten worden, aber auch die Organisation des allgemeinen Angriffes auf Luzern im Werke, den unter Connivenz der Regierungen von Aargau, Bern, Solothurn und Baselland aufgebotene Freischaaren vornehmen sollten. Und jetzt ergriff auch der große Rath von Zürich Partei. Er verwarf die Anträge der Regierung, welche der vorörtlichen Behörde die nöthigen Mittel zu bewaffneter Aufrechterhaltung des öffentlichen Friedens und den Versuch ernsthafter Vermittlung zwischen den sich entgegenstehenden Kantonen ermöglichen sollten, und ertheilte an seine Gesandtschaft zur Tagsatzung eine gegen Luzern sich richtende Instruction. Nur mit Mühe gelang es Mitgliedern des Rathes, M. durch dringendes Zureden zu bewegen, sein Amt nicht sofort niederzulegen und die schwere Aufgabe der Leitung der außerordentlichen Tagsatzung zu übernehmen, die am 25. Februar in Zürich zusammentrat. Er fand bei derselben Gelegenheit, gegenüber verletzendem Zudrängen Frankreichs in die schweizerischen Angelegenheiten die Ehre und Unabhängigkeit der Schweiz nachdrücklich zu wahren; aber den voraussichtlichen Gang der Dinge konnte er nicht hemmen. Als die Ereignisse weiter schritten und der große Rath in Zürich unter dem Eindrucke derselben in Erneuerungswahlen vom 2. April 1845 die persönliche Zusammensetzung des Regierungsrathes völlig veränderte, legte M. am Tage darauf das Amt nieder, das ihm zu drückender Last geworden war. Seine Theilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten blieb für einmal auf die Mitgliedschaft im großen Rathe des Kantons beschränkt. Ein neuer, ihm voll zusagender Wirkungskreis eröffnete sich ihm aber, als die Stadtgemeinde Zürich ihn 1847 zum Mitgliede der städtischen Verwaltungsbehörde, des engeren Stadtrathes, [417] berief. Mit rüstiger Thätigkeit und mit der wohlthuenden Empfindung, Pflichten obzuliegen, von deren treuer Erfüllung das Wohl des Ganzen und vieler Einzelnen oft weit mehr abhängt, als vom Ausgang politischer Parteikämpfe, mag auch ihr Gebiet vom lauten Treiben des Tages weit abliegen, widmete sich M. nun den wichtigsten Zweigen der städtischen Verwaltung. Als ihm 1863 das Präsidium der Gemeinde und damit auch des Stadtrathes übertragen wurde, sah er sich in einflußreicher Stellung auch an einer Aufgabe betheiligt, die ihn an eine frühere vielfach erinnern mußte. Denn an die städtischen Bauten der Jahre 1834–1840 schlossen sich nun die Anfänge einer weit umfassendern baulichen Entwicklung der Stadt an, die neben Umgestaltungen auf allen anderen Gebieten des Gemeindelebens einhergingen und M. in vollen Anspruch nahmen. Sein Wirken, seine Leitung des städtischen Gemeinwesens fand allgemeine Anerkennung. Alle amtliche Arbeit hinderte ihn dabei nicht, in mannigfachen Kreisen freiwilliger Art für Zwecke der Wohlthätigkeit und religiöse Bestrebungen thätig zu sein. Als Mitglied des Consistoriums der französischen Kirche in Zürich, einer 1685 für die aus Frankreich flüchtenden Protestanten errichteten Stiftung, nahm er einen ihm durch Familienerinnerung und ernsten eigenen Glauben nahe liegenden Antheil an der Leitung ihrer Gemeinde. Er behielt auch bis 1868 seine Stelle eines Mitglieds des kantonalen großen Rathes unter den Vertretern der Stadt bei. Indessen hatte ihn schon 1867 ein körperliches Leiden ergriffen, welches sich zuletzt auf die Stimmorgane warf, ihm allmählich sehr hemmend entgegentrat und nur die Zuvorkommenheit seiner Amtsgenossen, die auf sein Verbleiben in den Geschäften großen Werth legten und seine Aufgabe zu erleichtern suchten, bewog ihn, noch auszuharren. Als aber ein längerer Aufenthalt im Süden im Frühjahr 1869 das Uebel nicht zu heben vermochte und er wenige Tage nach seiner Heimkehr von einer zweiten schweren Prüfung heimgesucht wurde, indem er plötzlich nahezu erblindete, während Stimmlosigkeit ihn des Gesprächs mit Anderen beraubte, legte er am 3. Juli 1869 alle seine Stellen nieder. Als die städtischen Behörden in einer Urkunde, die er nicht selbst zu lesen im Stande war, ihren Dank für seine zweiundzwanzigjährige Wirksamkeit aussprachen, lehnte er das ihm ertheilte Lob ab. In stiller Ergebung trug er die Heimsuchung, bis am Tage nach der Weihnacht, die noch einmal die Seinigen um ihn versammelte, die ersehnte Erlösung ihm zu Theil wurde. Dritthalb Wochen früher war ihm sein einstiger Amtsgenosse von Muralt als neunzigjähriger Greis im Tode vorangegangen.

Schweizerische Zeitschrift für Gemeinnützigkeit, Bd. IX, Jahrg. 1870. Drittes Heft. – Persönliche nahe Kenntniß.