ADB:Rohmer, Friedrich
Schelling’s Vorlesungen keine Befriedigung fand. Ein jugendliches Erzeugniß seines grübelnden Nachdenkens war die in deutscher und zugleich in lateinischer Sprache verfaßte Schrift: „Anfang und Ende der Speculation. Speculationis initium et finis“ (1835), in welcher er an Spinoza anknüpfend in der Unterscheidung zwischen Unterlage und Eigenschaften ein letztes Princip gefunden zu haben glaubte. Hierauf ließ er einen heftigen Angriff gegen das junge Deutschland folgen: „An die moderne Belletristik und ihre Söhne, die Herren Gutzkow und Wienbarg insbesondere“ (1836). Unablässig betrieb er psychologische Betrachtungen, indem er die Menschen und vor allem sich selbst zu beobachten bestrebt war; durch letzteres gelangte er zu einem schwindelnden Selbstbewußtsein, vermöge dessen er überzeugt war, daß er „die Eigenschaften aller menschlichen Individualitäten in sich schließe“, daß „er die größte Persönlichkeit sei, welche die Menschheit hervorgebracht habe“ und das er „zu einer welthistorischen Rolle berufen“ sei. Im J. 1841 glaubte er mit den Grundzügen seiner Psychologie im Reinen zu sein, deren schriftliche Darlegung sein jüngerer Bruder Theodor (geb. 1816, † am 12. December 1856 in Traunstein) übernehmen sollte, welcher überhaupt mehrfach als Verkündiger der Ideen Friedrich’s auftrat. So erscheint Theodor äußerlich auch als Verfasser der von Friedrich inspirirten Schrift: „Deutschlands Beruf in der Gegenwart und Zukunft“ (1841, 2. Auflage 1847), in welcher neben phantastischen Geschichtsbetrachtungen und mystischen Erörterungen über das Wesen Gottes die messianischen Tendenzen Friedrich’s mit jugendlicher Begeisterung kundgegeben werden; gleichzeitig enthält ein Aufsatz Theodor’s: „Die Hoffnung unserer Zeit“ (in der deutschen Vierteljahrsschrift) die Messiashoffnungen seines Bruders. Noch im J. 1841 ging Friedrich R. nach Zürich, wo er mit Bluntschli und der von demselben geleiteten liberal-conservativen Partei in Verbindung trat und lebhaften Antheil am „Beobachter aus der östlichen Schweiz“ bethätigte. [58] Da es ihm an Subsistenzmitteln gebrach und er von stillen Beiträgen seiner Freunde leben mußte, suchte er eine Annäherung an Jul. Fröbel, welcher damals Eigenthümer des Litterarischen Comptoirs war, indem er glaubte, durch Veröffentlichung seiner Psychologie ein einträgliches Geschäft zu machen. Hierbei aber war sein Benehmen nicht gerade das beste, und es mochte gerathen sein, daß er Zürich verließ. Er kehrte (1842) über Berlin nach München zurück, wo er nunmehr acht Jahre hindurch sich lediglich der Politik hingab und den litterarischen Kampf gegen Reaction und Ultramontanismus aufnahm. Vorerst erschien die noch in Zürich entstandene und dann von Theodor redigirte „Lehre von den politischen Parteien“ (1844), woraus Bluntschli im Staatswörterbuch (Bd. VII, S. 724 ff.) einen Auszug gab. Dann folgten von Friedrich selbst verfaßt: „Meinungsäußerung gegen den Ultramontanismus“ (1846), „Denkschrift über den Einfluß der ultramontanen Partei in Bayern“ (1846), „Der vierte Stand und die Monarchie“ (1848), „Documentarischer Abriß der Geschichte der liberal-conservativen Politik von 1842–47“ (als Manuscript 1848), „Deutschlands alte und neue Bureaukratie“ (1848), „Sendschreiben an das bayrische Staatsministerium für Annahme der deutschen Reichsverfassung“ (1849), „Erklärung an die bayrischen Wahlmänner“ (1849) und seine letzte politische Schrift: „Bayern und die Reaction, für deutsche Freiheit und bayrische Ehre“ (1850). Nachdem er sich einige Zeit (1853) in Schliersee und hierauf in Badenweiler aufgehalten hatte, kehrte er wieder nach München zurück; mit seiner Psychologie war er unterdessen ins Reine gekommen, unterließ aber immer die Veröffentlichung. Noch 1856 erschien (geschrieben von Theodor) „Kritik des Gottesbegriffes in den gegenwärtigen Weltansichten“ (2. und 3. Auflage 1857), worin die ethischen und speculativen Bedenken, welche sowohl beim Pantheismus als auch beim Theismus sich ergeben, aufgezeigt werden, woraus stets ein Conflict zwischen Verstand und Gemüth hervorgehe. Nach dem Tode Rohmer’s gab aus dessen Nachlaß Bluntschli (anonym) heraus: „Gott und seine Schöpfung“ (1857) und „Der natürliche Weg des Menschen zu Gott“ (1858); letztere Schrift enthält populäre naturphilosophische Betrachtungen über Makrokosmus und Mikrokosmus, wobei „der unbegrenzte Organismus als der Eine lebendige Gott“ erfaßt werden soll; die erstere aber bietet eine mystische Vereinigung eines phantastischen Pantheismus mit dem Persönlichkeitsbegriffe, und es wird nicht bloß von einer „Entwicklung Gottes in zunehmender Selbsterkenntniß“, sondern sogar von einer „männlichen und weiblichen Seite Gottes“ u. dgl. gesprochen. Die drei genannten religions-philosophischen Schriften erschienen vereinigt als: „Fr. Rohmer’s Wissenschaft und Leben“, 1. Band: Wissenschaft von Gott (bearbeitet von Bluntschli, 1871); der 4. Band (besorgt von Schultheß 1885) enthält eine Auswahl der politischen Schriften, und im 2. und 3. Band ist auch die Psychologie unter dem Titel „Wissenschaft vom Menschen“ (bearbeitet von Rud. Seyerlen, 1885) kund geworden. R. hat dabei sich selbst völlig abseits von der wissenschaftlichen Psychologie gestellt, und es dürften weder die 16 Grundkräfte, welche aus einer Combination der sog. Temperamente hervorgehen, noch auch die je 16 Rangstufen des Geistes und Gemüthes, welche durch politische und sogar durch zoologische Begriffe bezeichnet werden, irgend beifällige Aufnahme finden.
Rohmer: Friedrich R., geboren am 21. Februar 1814 als Sohn eines Pfarrers in Weißenburg in Mittelfranken, † am 11. November 1856 zu München, besuchte das Gymnasium zu Ansbach und bezog (1832) die Universität München, wo er sich mit philosophischen Studien beschäftigte, aber in- Bluntschli im Staatswörterbuche Bd. VIII, S. 643 ff. – Bluntschli, Denkwürdigkeiten aus meinem Leben, Bd. III, S. 414 ff. – Jul. Fröbel, Friedr. Rohmer und seine messianischen Geschäfte in Zürich (1842).