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Artikel „Rohr, Ferdinand von“ von Bernhard von Poten in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 29 (1889), S. 58–60, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rohr,_Ferdinand_von&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 23:43 Uhr UTC)
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Rohr: Wilhelm Eugen Ludwig Ferdinand v. R., preußischer General der Infanterie, der Begründer der nach ihm die „Rohr’sche“ genannten militärischen Ausbildungsart, am 17. Mai 1783 zu Brandenburg an der Havel geboren [59] und im Januar 1797 beim Infanterieregiment Herzog von Braunschweig in den Dienst getreten, nahm während des Krieges von 1806/7 als Secondlieutenant und Grenadierofficier an der Schlacht bei Auerstädt und an der Vertheidigung von Danzig und im J. 1812 an dem Feldzuge gegen Rußland als Hauptmann im Generalstabe des Generals von Yorck Theil. In diesem Verhältnisse blieb er, als im folgenden Jahre die preußischen Waffen sich gegen Frankreich kehrten. Yorck stellte ihn sehr hoch, und R. rechtfertigte die hohe Meinung, welche sein Chef von ihm hegte, in jeder Richtung (vgl. Droysen, Das Leben York’s, Berlin 1853, 3. Bd., Anhang). Im J. 1813 leistete er zuerst durch die Anlage von Befestigungen bei Halle gute Dienste und zeichnete sich am 2. Mai bei Groß-Görschen, namentlich aber an dem der Schlacht bei Bautzen vorhergehenden Treffen bei Königswartha-Weißig am 19. Mai aus; bei letzterer Gelegenheit erhielt er, als es sich um die Anordnungen für den nöthig gewordenen nächtlichen Rückzug handelte, einen Schuß durch die Brust, welcher ihn von der weiteren Theilnahme am Kriege fern hielt. Am 6. Juni 1813 zum Major befördert, ward er, nothdürftig hergestellt, im August 1814 zum Vorstande der Bekleidungsabtheilung im Militär-Oekonomiedepartement des Kriegsministeriums ernannt; seine Brauchbarkeit unter den damaligen Umständen, welche hohe Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Behörde machten, unter denen aber nur geringe Geldmittel zur Verfügung standen, veranlaßte daß er in dieser Stellung, seines Verlangens zur Truppe zurückkehren zu dürfen ungeachtet, im Ministerium verblieb, bis er Ende 1823 zum Commandeur des 6. Infanterieregiments ernannt wurde. Er befand sich in einer schwierigen Lage. Achtzehn Jahre lang war er dem ausübenden Dienste entzogen gewesen, und in dieser Zeit war er vom Secondlieutenaut zum Oberst aufgestiegen, hatte weder eine Compagnie, noch ein Bataillon befehligt. Dazu waren seine Ansichten über die Ausbildung der Soldaten mit den in der Armee geltenden nicht im Einklange und er hatte sich vorgenommen, jene sich zur Richtschnur dienen zu lassen. Er erhielt die Erlaubniß, zunächst vier Monate beim Alexander-Grenadierregiment in Berlin Dienst zu thun, damit er sich in die Verhältnisse bei der Truppe wieder einleben könne; dann ging er frisch ans Werk. Am 1. April 1824 trat er das Commando seines in Glogau garnisonirenden Regimentes an und begann sofort die Richtigkeit seiner durch reifliches Nachdenken gewonnenen Ansichten zu erproben. Ihr Ziel lief darauf hinaus, die Abrichtung durch die Erziehung zu ersetzen; es kam ihm darauf an, statt der bisherigen mechanischen Dressur, einen auf Verständniß gegründeten Unterricht einzuführen; er wollte, wie er selbst schrieb, „alle Kräfte der Rekruten, geistige wie körperliche, in Anspruch nehmen und möglichst entwickeln, dabei aber, soviel es nur immer anging und ohne durch Nachsicht Schlaffheit zu erzeugen, die Uebermüdung vermeiden“. Der Erfolg war überraschend, aber der Schlendrian war zu tief eingerissen und die Zahl derjenigen, welche von dem Althergebrachten und durch die Gewohnheit Liebgewordenen nicht lassen konnten, war zu groß: so kam es, daß die Rohr’sche Ausbildungsart nur langsam Boden gewann. König Friedrich Wilhelm IV. genehmigte freilich unter dem 29. April 1841, daß sie allgemein eingeführt werde, aber schon am 30. December des nämlichen Jahres machte er die Annahme von der Zustimmung der commandirenden Generale abhängig, und nur sehr allmählich haben Rohr’s Grundsätze, welche jetzt die allgemein maßgebenden sind, die Armee erobert. Von 1837 bis 1839 gehörte er, als Director des Militär-Oekonomiedepartements, wiederum dem Kriegsministerium an, dann erhielt er das Commando der 11. Division in Breslau. Als solcher beging er 1847 die Feier desjenigen Tages, in welchem er vor fünfzig Jahren in das Heer getreten war. Im Gefühl seiner abnehmenden Kräfte bat er in den Ruhestand treten [60] zu dürfen. Statt dessen ward er am 7. October 1847 zum Kriegsminister ernannt. Noch einmal konnte er auf dem Gebiete, auf welchem er schon öfter thätig gewesen war, Ersprießliches leisten, denn gerade damals handelte es sich um Durchführung neuer Ausrüstungs- und Bekleidungsmaßregeln (Zündnadelgewehr, Gepäck, Waffenrock, Helm). Da kamen die Märztage des Jahres 1848. Kurz vorher hatte ein Blutsturz ihn auf ein schweres Krankenlager geworfen. In seiner Stellung als Kriegsminister hatte er auf die Verwendung der Truppen einen unmittelbaren Einfluß nicht zu üben; als er jedoch am 19. März erfuhr, daß ohne sein Zuthun deren Zurückziehen aus Berlin verfügt worden sei und er nicht erlangen konnte, daß der Befehl rückgängig gemacht wurde, bat er um seinen Abschied, welchen er am 2. April erhielt. 1851 nahm er die Wahl zur Ersten Kammer an, mußte sein Mandat aber, eines erlittenen Schlaganfalles wegen, sehr bald niederlegen und starb am 15. März 1851 zu Glogau, wohin er sich zurückgezogen hatte.

Beiheft zum Militär-Wochenblatt für October 1851, Berlin.