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Artikel „Wille, Johann Georg“ von Wilhelm Schmidt (Kunsthistoriker) in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 43 (1898), S. 257–260, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wille,_Johann_Georg&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 18:23 Uhr UTC)
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Wille: Johann Georg W., berühmter Kupferstecher, hieß ursprünglich Will, nannte sich aber später meistens Wille. Er ist geboren am 5. November 1715 in der Obermühle im Biberthal unweit Gießen (Oberhessen). Da die Mühle in der Nähe der Ortschaften Königsberg und Großenlinden liegt, hat man irrthümlich diese Orte auch als Geburtsstätten des Künstlers angegeben. Schon als Kind soll man ihn, wenn er weinte, durch Kreide oder Kohle, mit denen er hantirte, beruhigt haben. Im Alter von 10 Jahren gab ihn sein Vater zu einem Maler, später ging er zu einem Gießener Büchsenmacher in die Lehre, wo er Ornamente in das Metall graviren lernte. Das war offenbar eine gute Vorbildung für seinen spätern Beruf. Zwei Jahre blieb er da, dann ergriff er den Wanderstab und kam nach Straßburg. Hier lernte er den später gleichfalls so berühmt gewordenen Kupferstecher Georg Friedrich Schmidt kennen, [258] der auf der Reise nach Paris begriffen war. Der ein paar Jahre ältere Schmidt übte von da ab einen entscheidenden Einfluß auf W. aus; ihre Freundschaft hielt das ganze Leben hindurch. Sie langten Ende Juli 1736 in der großen Kunstmetropole an.

In Paris begab sich W. zu dem berühmten Porträtmaler Nicolas de Largillière, der ihn wohlwollend aufnahm und ihm das Copiren seiner Bilder erlaubte. Largillière soll mit diesen Nachbildungen zufrieden gewesen sein, doch W. gab wegen seines kurzen Gesichts die Malerei auf. Diese Kunst, welche Gestaltungskraft und Sinn für Farbe voraussetzt, war wol auch nicht Wille’s Talenten entsprechend. Dann arbeitete er einige Zeit bei einem Goldschmied Lelièvre und gravirte Uhrgehäuse und Waffen.

Erst durch Wille’s Eintritt in das Atelier des vielbeschäftigten Kupferstechers Jean Daullé war die Bahn eröffnet, auf der er so große Erfolge erzielen sollte. Von 1738 an stach er verschiedene Blätter, die Daullé in Auftrag gegeben waren. Zufolge Le Blanc beendigte Daullé die Fleischtheile und begnügte sich sogar manchmal, nur die Platte mit seinem Namen zu bezeichnen. Der Verleger M. Odieuvre erwarb derartige kleine Bildnisse für sein Werk: L’Europe illustre, contenant l’Histoire abrégée des Souverains, des Princes … et des Dames célèbres en Europe … par M. Dreux du Radier … Ouvrage enrichi de Portraits, gravés par les soins du Sieur Odieuvre (dazu das Recueil des portraits des Rois de France). Odieuvre zahlte nicht besonders, hatte aber immerhin, wie bei andern Künstlern, das Verdienst, ihn zu gelegener Zeit unterstützt zu haben.

Wichtig wurde des Künstlers Bekanntschaft mit dem berühmten Bildnißmaler Hyacinthe Rigaud, der sich seiner fördernd annahm und ihm Aufträge gab. Unterdessen war W. mit G. Fr. Schmidt immer verbunden geblieben. Der Letztere bediente sich seiner Hülfe bei verschiedenen Arbeiten. So bei den Bildnissen folgender Persönlichkeiten: Charles Gabriel, Bischofs von Auxerre (1739), Comte de Marche, spätern Herzogs von Orléans (1740), J. B. Rousseau (1740), Charles, Erzbischof von Cambrai (1741) und Daniel Le Chambrier (1742). Diese Arbeiten und noch mehr das von W. nach eigener Zeichnung gestochene Bildniß des Architekten Briseux (1742) machten den Künstler bekannt, und sein Ruf steigerte sich mit den Bildnissen des Marschalls Belle-Isle (1743), der Frau des Malers Rigaud Elisabeth (1743) und des Marschalls von Sachsen (1745). Im J. 1744 hatte er noch mit Schmidt, der den Kopf ausführte, das Porträt des Königs Philipp V. von Spanien gemeinsam gestochen. Weiter entstanden u. a. die Bildnisse: François Quesnay nach A. Chevallier (1747), Karl Prinz von Wales[WS 1] nach J. L. Tocqué (1748), König Louis XV. nach J. B. Le Moyne (1748), Jean Baptiste Massé nach Tocqué (1755), König Friedrich II. von Preußen nach A. Pesne (1757). Am 30. August 1755 war W. Aggregat der Pariser Akademie geworden, vermuthlich infolge des Beifalles, den sein erster Figurenstich: Tod der Kleopatra nach G. Netscher (1754) davongetragen hatte. Am 24. Juli 1761 wurde W. vollständiger Akademiker auf sein Porträt des Poisson de Marigny nach Tocqué hin und 1786 Conseiller derselben.

Seit 1754 entstanden nur noch ein paar Porträts, der Künstler wandte sich dem Genre zu. Er hatte soviel Einsicht, sich nur an Dinge zu wagen, die seinem Naturell mehr oder weniger congenial waren. Bilder der großen historischen Kunst ließ er bei Seite, wenn man nicht etwa La Mort de Marc Antoine nach Battoni (1778) dazu rechnen will, dagegen beschäftigte er sich mit den Kleinmalern, und so entstanden u. a. die Blätter: La Dévideuse nach G. Dou (1755), La cuisinière hollandoise nach G. Metzu (1756), La Menagère [259] hollandoise nach G. Dou (1757), La Tricoteuse hollandoise nach F. Mieris (1757), La Gazettière hollandoise nach G. Terborch (1758), La Liseuse nach G. Dou (1761), Le jeune Joueur d’Instrument nach G. Schalcken (1762), Les Musiciens ambulants nach Dietrich (1764), L’Instruction paternelle nach G. Terborch (1765), L’Observateur distrait nach F. Mieris (1766), Le Concert de Familie nach G. Schalcken (1769), Les Offres réciproques nach Dietrich (1771), Les bons Amis nach A. van Ostade (1773), Agar presentée à Abraham par Sara nach Dietrich (1775), Le Repos de la Vierge nach demselben (1776), La Tante de G. Dow nach G. Dou (1780), Les Délices maternelles nach seinem Sohne P. A. Wille (1781), Les Soins maternels nach demselben (1784), Le Maréchal-des-Logis nach demselben (1790). Auch einige unbedeutende Landschaften nach eigener Zeichnung stach der Künstler. Desgleichen 1753 eine Folge von 12 Landsknechten und Reitern nach Ch. Parrocel.

W. hatte eine Kunstsammlung zusammengebracht, bestehend aus Zeichnungen und Gemälden italienischer, französischer, niederländischer und deutscher Meister; am 6. December 1784 ließ er sie durch den Kunsthändler F. Basan unter den Hammer bringen. Es existirt ein Katalog dieser Auction.

Mittlerweile war W. alt geworden, sein Augenlicht ließ nach, und die Revolution brachte ihn um seine Habe. Er litt bittere Noth, da auch der Kunsthandel, durch den er sich helfen wollte, darniederlag. Allerdings muß dies mehr für die spätere Zeit der Umwälzung gelten, denn im J. 1794 theilte Meusel’s Neues Museum mit: „Wille genießt 2000 Livres Gehalt und, damit er für nichts zu sorgen braucht, wenn Mangel entsteht, bringt ihm ein Conventscommissär täglich Brot und Fleisch“. Um einigermaßen etwas zu verdienen, stellte der Künstler 36 ältere, aus verschiedenen Zeiten stammende Platten zusammen und fügte ein Titelblatt bei, worin er sich als armen, von einem Hunde geleiteten Blinden darstellt, der einem ebenfalls zum blinden Bettler gewordenen ehemaligen reichen Freunde und Gönner begegnet. Das Werk führt den Titel: „Varietés de Gravures, Faites en différentes époques, et terminées en l’an 8. et 9. de la République Par Jean Georges Wille de plusieurs Académies, Conseiller de la ci-devant Académie de Peinture de Paris, actuellement Doyen des Graveurs de l’Europe. An 1801“. W. starb am 5. April 1808 zu Paris.

Wille’s Porträt erschien öfter im Kupferstich, so von Schmidt, Ingouf und Bause. Das berühmteste aber verfertigte J. G. Müller im J. 1776; der Dargestellte ist darauf als Graveur du Roi, de leurs Mstés Impériales et Roiales, et de Sa Msté le Roi de Dannemarck, des Académies de Paris, Vienne, Rouen, Ausbourg et Dresde bezeichnet. Aus dieser Reihenfolge ersieht man seinen europäischen Ruf.

W. war zweifelsohne ein namhafter Künstler. Man könnte ihn etwa den G. Dou des Kupferstiches nennen; dem entsprach auch seine Vorliebe für die holländischen Kleinmeister. Aeußerste Gewissenhaftigkeit charakterisirt seine Manier. Gleich seinem Lehrer Daullé steht er unter dem Einflusse der beiden P. Drevet, die bei seiner Ankunft in Paris noch am Leben waren. Freilich übertrafen diese ihn bei aller Sorgfalt der Ausführung durch malerischere Wirkung und glänzendere Tinten. W. führte eben zu gleichmäßig aus und gerieth in das Metallene. Geist wird man in seinen Blättern wenig suchen, doch gewähren sie in gewissem Sinne hohen Genuß, wenn man – auch bei Zuhülfenahme des Vergrößerungsglases – die correcte Sauberkeit der Technik verfolgt. Wie die Linien an- und abschwellen, sich kreuzen, wie sie in punktirte Strichelchen und Punkte übergehen; wie auch die Nebensachen, Einfassungen etc. gleichmäßig, exact ausgeführt sind, das Alles ist sehr interessant zu beobachten. W. kam dem auf [260] das Kleine und Zierliche gerichteten, des krausen Rococo allmählich satt werdenden Zeitgeschmacke entgegen. Einen großen Einfluß hat er auf die Entwicklung seiner Kunst ausgeübt, einen Einfluß, der sich indirect bis weit in unser Jahrhundert erstreckte. Er hatte viele Nachahmer und Schüler. Man nennt unter den Letztem J. G. Müller, C. C. Bervic, J. M. Schmutzer. H. Schmitz, E. Verhelst, die Brüder Karl Gottlieb und Heinrich Guttenberg, J. S. Klauber, C. G. Schultze, Chr. v. Mechel, J. M. Preißler, J. H. Rode, Halm, V. Vangelisti, L. Dennel, B. A. Duncker, A. Zingg, A. Tardieu.

Pierre Alexandre W., Sohn des Vorigen, geboren zu Paris am 9. Juli 1748, † nicht vor dem 9. Januar 1821, wo er eine Supplik an die Herzogin von Angoulême verfaßte, Genremaler, gehört seiner Geburt und Kunstweise nach ganz zu Frankreich, weßhalb er hier keine ausführlichere Stätte finden kann. Er verkaufte nach dem Tode des Vaters den Haupttheil von dessen Platten an den Kunsthändler Jean; dieser und später seine Wittwe ließ sie wieder abdrucken.

Vgl. Catalogue de l’Oeuvre de J. G. Wille Graveur … par M. Charles Le Blanc (Leipzig 1847). – Nagler, Künstlerlexikon. – Mémoire et Journal de J. G. Wille, graveur du Roi, publiés … par Georges Duplessis, avec une préface par Edmond et Jules de Goncourt (Paris 1857).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. gemeint ist der Thronprätendent „Charles III.“, siehe den Artikel Charles Edward Stuart in der Wikipedia.