ADB:Weber, Ernst Christian Wilhelm

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Artikel „Weber, Ernst Christian Wilhelm“ von Gustav Emil Lothholz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 41 (1896), S. 287–289, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Weber,_Ernst_Christian_Wilhelm&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 15:32 Uhr UTC)
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Weber: Ernst Christian Wilhelm W. wurde am 4. August 1796 in Weißensee (daher er sich zum Unterschiede von W. E. Weber und C. Fr. Weber, die Weimaraner waren, Weißenseas nannte) geboren. Diese thüringische Stadt hatte bereits drei tüchtige Philologen aufzuweisen: Christoph Wilhelm Mitscherlich, der in Göttingen viele Jahre hindurch die Alterthumswissenschaft vertrat, Gottlob Lange, welcher an der Landesschule Pforta ein hervorragender Lehrer war und zuletzt als Rector der Anstalt eine anerkannte segensreiche Thätigkeit entfaltete und Karl Reisig, der zuerst in Jena, dann in Halle in geistvoller anregender Weise leider nur kurze Zeit wirkte. W. war der Sohn eines wohlhabenden Mühlenbesitzers in der thüringischen Ackerstadt Weißensee. Als er in seiner Vaterstadt den ersten Unterricht in der Volksschule empfangen hatte, wurde er zur weitern Ausbildung der nahe gelegenen ehrwürdigen Klosterschule Roßleben zugeführt, in der auch sein Landsmann und späterer Berather seiner Studien, Karl Reisig, gebildet worden war. Diese Anstalt wurde damals von dem vortrefflichen Pädagogen Benedict Wilhelm geleitet. W. war ein fleißiger Schüler, der sehr früh schon philologischen Privatstudien sein Interesse zuwandte. Wohl vorbereitet bezog er 1815 die Universität Leipzig, um Philologie zu studiren. Hier war besonders der ausgezeichnete Gottfried Hermann sein Lehrer. [288] Später siedelte er zur Fortsetzung seiner Studien nach Jena über, wo neben dem gefeierten Latinisten Abraham Eichstaedt und dem gründlich gebildeten Ferdinand Hand sein Freund K. Reisig als Privatdocent auf dem Gebiete der Alterthumswissenschaft thätig waren. Wahrscheinlich auf Veranlassung Reisig’s ließ er sich 1819 an der Universität mit einer Schrift: „Animadversiones in Juvenalis Satiras“ (Jenae 1820) als Privatdocent nieder. In dem Index Scholarum 1819/20 kündigte er folgende Vorlesungen an: 1. Xenophontis historiam graecam, 2. Horatii Satiras hor. const. explicabit. Im Verzeichnisse der Vorlesungen von 1820 bietet er den Studenten folgende Collegia an: 1. Quater per hebdom. Juvenalis Satiras, 2. Hesiodi scutum Herculis binis per hebdom. horis explicabit. Schon im Herbste des Jahres 1820 wurde er, als Friedr. Wilh. Riemer sein Lehramt am Gymnasium niedergelegt hatte, um die Leitung der großherzoglichen Bibliothek zu übernehmen, mit seinem Freunde Dr. C. Gottl. Schneider als Collaborator an das Gymnasium nach Weimar berufen, drei Jahre später erhielt er den Titel Professor. W. entfaltete unter den ausgezeichneten Directoren dieser Anstalt: Gotthilf Gernhard Hermann Sauppe und Gustav Heiland eine lange segensreiche Thätigkeit, die dadurch Anerkennung fand, daß er durch Verleihung des Hofrathstitels geehrt wurde. Sein Wirkungskreis wurde ihm in den obersten Classen des Gymnasiums angewiesen, in Unterprima ertheilte er griechischen und lateinischen, in Secunda griechischen Unterricht. Um die Schüler der obern Classen gründlich in die griechische Litteratur einzuführen, hatte er für Schüler der Secunda und Prima gegen Erlegung eines geringen an einen als Einnehmer bestellten Schüler zu entrichtenden Honorars Privatstunden in seinem Hause angesetzt. Den Secundanern erklärte er die homerischen Dichtungen, mit den Primanern wurden griechische Dramatiker gelesen. Eine große Anzahl von Schülern betheiligte sich an diesem Unterrichte. So kam es, daß diejenigen Schüler, welche an diesem Unterrichte theilnahmen, mit einer verhältnißmäßig umfänglichen Kenntniß der griechischen Litteratur ausgerüstet das Gymnasium verließen. Bei der Lectüre der Dramen pflegte W. eine längere Einleitung mitzutheilen, die von strebsamen Schülern nachgeschrieben wurde, in welcher über die Oekonomie des Stückes und über die Charaktere der in demselben vorkommenden Personen orientirende Bemerkungen gegeben wurden. Die Erklärung selbst beschränkte sich vorwiegend auf grammatische, selten auf kritische Dinge. Bei der Lectüre des Demosthenes wurde nicht oft auf die rhetorische Kunst des großen attischen Redners hingewiesen, immer mehr das Grammatische betont. Der lateinische Unterricht bewegte sich in derselben Methode. Die lateinischen Stilübungen fanden regelmäßig statt, der Stoff war oft Neulateinern (Muret, Ruhnken, Ernesti) entlehnt, lateinische Aufsätze wurden monatlich abgeliefert und corrigirt zurückgegeben, leider vermißte man gründliche pädagogische Anweisungen, wie man ein gestelltes Thema sachgemäß behandeln und ausführen müsse. Zur näheren Einführung in die Litteratur und das Leben der Griechen und Römer wurde den Schülern die Anschaffung der Encyklopädie der classischen Alterthumskunde von Ludwig Schaaf empfohlen, die von fleißigen Schülern gern gelesen wurde. W. hielt darauf daß die Schüler der obern Classen Privatlectüre trieben und veranlaßte, daß 3 bis 4 Schüler regelmäßig zusammen kamen, um einen griechischen oder lateinischen Schriftsteller privatim zu lesen und womöglich lateinisch zu sprechen. Es wurde darauf gehalten daß diejenigen Schüler, die in die erste Classe übertreten wollten, die Odyssee und Ilias gelesen hatten. In Prima wurde dann Hesiod, Euripides, Sophokles, Anakreon, Herodot, auch wol Thukydides zur Privatlectüre empfohlen. Sonntags nach der Frühkirche fand man sich bei ihm ein, um von seinen Privatstudien Rechenschaft abzulegen. In jenen Tagen bildeten die classischen Studien noch den Mittelpunkt des [289] Gymnasialunterrichts. In der Geschichte und im Deutschen waren die Leistungen den Traditionen der Stadt entsprechend, weniger in der Mathematik und im Französischen, obwol auch in diesen Fächern gute Lehrer thätig waren.

In den spätern Jahren seiner Lehrthätigkeit hatte W. sein ganzes Interesse der weimarischen Litteraturperiode zugewendet, hielt öfter in dem litterarischen Vereine (Schlüsselverein) Vorträge über den Vers im Drama, über Christiane Neumann (Goethe’s Euphrosyne) u. A. Mit Männern wie Ludwig Preller, Adolf Schöll, W. Marshall, G. Stichling, dem Generalsuperintendenten Dittenberger und mit seinen Amtsgenossen verkehrte er in der freundlichsten Weise. Geschichte des weimarischen Theaters beschäftigte ihn aufs lebhafteste. Die Resultate seiner Studien hat er noch kurz vor seinem Heimgang in einem bei Herm. Böhlau 1865 erschienenen Buche: „Zur Geschichte des Weimarischen Theaters“ niedergelegt. Schon früher hatte er zur Feier des hundertjährigen Geburtstages Goethe’s in der Freimaurerloge, deren eifriges Mitglied er war, einen Vortrag gehalten, der gedruckt wurde, auch über den Freundschaftsbund Goethe’s und Schiller’s hat er in der Loge gesprochen. Man sieht aus diesen Vorträgen, daß W. ein feinsinniger Kenner unserer großen Dichter war.

Auf der Universität hatte er, wie bemerkt, sich besonders mit dem römischen Satiriker Juvenal beschäftigt. Den 1820 ans Licht gestellten „Animadversiones in Juvenalem“ folgte im J. 1825 eine dem Ephorus des Gymnasiums, dem Generalsuperintendenten Dr. Röhr gewidmete größere Ausgabe Juvenal’s (Weimar 1825); im Jahre darauf erschien in der Teubner’schen Verlagsbuchhandlung eine kritisch-exegetische Bearbeitung des Persius Flaccus. Als der Rector der Klosterschule Roßleben Benedict Wilhelm 1836 sein 50jähriges Dienstjubiläum feierte, schrieb W. im Auftrage ehemaliger Schüler des Gefeierten eine treffliche Abhandlung über das Wort des Seneca: „Non scholae sed vitae discimus“ (Vimariae 1836). Später wandte W. seine Studien dem Demosthenes zu. Im J. 1845 gab er eine sehr gründliche Bearbeitung der demosthenischen Rede gegen Aristokrates heraus („Demosthenis oratio in Aristocratem. Graeca emendatiora edidit, apparatu critico, collatione codicis Parisini Sigmatiae denuo instituta, prolegomenis, commentario perpetuo atque indicibus instruxit E. G. Weber Weissenseas, phil. Dr. et professor illustris Gymnasii Wimariensis“ (Jenae 1845). Die von seltener Gelehrsamkeit Zeugniß gebende Arbeit widmete er den hochverdienten Ministern des Großherzogthums Herrn v. Gersdorf, Dr. Schweitzer und den trefflichen Professoren der classischen Philologie in Jena Dr. Ferd. Hand und Karl Goettling. Von denjenigen Philologen, die sich mit den attischen Rednern beschäftigen, wird die Ausgabe auch heute noch geschätzt. Nach seiner im J. 1860 erfolgten Pensionirung widmete er sich ausschließlich den Studien über die Geschichte des Weimarischen Theaters. Mit dem Gymnasium, an dem er 40 Jahre hindurch thätig gewesen war, blieb er in enger Verbindung. Als er im J. 1865 seine in Coburg an einen Sohn des Dichters Friedrich Rückert verheirathete Tochter besuchte, starb er plötzlich am 5. August 1865. Dort in dem herrlich gelegenen Coburg hat er seine Ruhestätte gefunden. Er war ein glücklicher Mann, der sich in seinem Berufe und seiner Wissenschaft wohl fühlte, der von seiner Gattin, die ihn viele Jahre überlebte, treu gepflegt und von seinen Kindern innig geliebt wurde. Zahlreiche Schüler bewahren dem gelehrten, feinsinnigen, manchmal eigenthümlichen Lehrer ein dankbares Andenken.

Vgl. Zur Erinnerung an Ernst Christian Weber. Von Herm. Böhlau. Weimar 1867.