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Artikel „Scheibe, Johann Adolph“ von Heinrich Welti in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 30 (1890), S. 690–692, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Scheibe,_Johann_Adolf&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 19:48 Uhr UTC)
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Band 30 (1890), S. 690–692 (Quelle).
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Scheibe: Johann Adolph S., hervorragend durch seine musik-theoretischen Schriften, wurde 1708 zu Leipzig als Sohn des Universitätsorgelbauers Johann S. geboren. 1725 verließ er die Nicolaischule daselbst, um sich dem Studium der Rechte zu widmen, wurde aber bald durch die mißlichen Vermögensverhältnisse seiner Familie gezwungen, seinen Plan aufzugeben und wandte sich der Musik zu. Er erlernte das Orgel- und Clavierspiel, begann zu componiren und suchte sich sein Brod als Lehrer und Concertspieler zu verdienen. 1735 findet man ihn in Prag, dann in Gotha, 1736 in Sondershausen, darauf in Hamburg, überall um feste Stellung werbend. Als auch seine Hoffnungen auf das Hamburger Theater fehlschlugen, da eine von ihm eingereichte Oper wegen des plötzlichen Bankerotts der Direction nicht zur Aufführung gelangte, warf er sich auf die Musikschriftstellerei und gründete 1737 die in zwanglos erscheinenden „Stücken“ bis ins Jahr 1740 fortgesetzte Zeitung „Critischer Musikus“. Diese Blätter, die im J. 1745 in zweiter, durch viele Zusätze und Nachträge erweiterter Auflage gesammelt erschienen, machten Scheibe’s Namen zuerst in weiteren Kreisen bekannt; sie sind auch heute noch sein bester Ruhmestitel. Ausgehend von den musikalischen Verhältnissen Hamburgs, zieht S. nach und nach alle Arten und Erscheinungsformen seiner Kunst in den Kreis der Betrachtungen und erweist sich dabei nicht nur als tüchtiger Kenner seines Faches, sondern auch als ein Mann von einer bei seinen Standesgenossen jener Zeit seltenen gründlichen allgemeinen Bildung und freiern, höheren Auffassung des Künstlerberufs. Manche der Anschauungen, die S. in seiner Musikzeitung verficht, erscheinen uns heute wie Vorahnungen künftiger Entwicklungen. So weisen z. B. sein Kampf gegen die italienische Oper und seine Ausführungen über das Verhältniß des Vorspieles (Sinfonie) zur Oper, sowie über die Gestaltung des Recitativs unmittelbar auf Gluck hin (namentlich zu vergleichen das 14. und 34. Stück; seine Vertheidigung der damals gering geschätzten Liedform, der deutschen „Oden“ und sein lobender Hinweis auf die „durchcomponirte“ Art derselben deuten noch weiter, bis auf Schubert und die Blüthezeit des deutschen Liedes hin, ja im 8. Stück (1737) findet sich sogar ein schwaches Fürwort für die Programmmusik und die für jene Zeit erstaunlichen Aussprüche: „Die Schönheit der Musik besteht in dem Nachdrucke“ (S. will sagen: in der eindringlichen, überzeugenden Beredsamkeit) und: „Alle diejenigen, welche nur allein den Regeln der musicalischen Zusammensetzung folgen und sich keine weitere Ueberlegung [691] machen, werden auch niemals feurige und erhabene Erfindungen zeigen“. Ferner mag noch erwähnt werden, daß S. sich sehr energisch gegen die Verwendung der Kastraten ausspricht und die erste Anregung zur Errichtung deutscher Musikschulen (oder, wie er es nennt, „musicalischer Pflanzgärten“) gibt. Auch darf von ihm gerühmt werden, daß er als einer der ersten die Größe J. S. Bach’s und Händel’s erkannt hat, wenn er sie auch in seinem „Tempel der Ewigkeit“ mit „Bokemeyer, Fux, Graun, Graupner, Hasse, Heinichen, Kayser, Schmidt, Stölzel und Telemann“ zusammensperrt. In allen diesen Auseinandersetzungen bewährt S. ein nicht gewöhnliches schriftstellerisches Talent; seine Ausdrucksweise ist leicht und einfach und unterscheidet sich darin wie in der auffälligen Vermeidung des Fremdwortes, die allerdings hin und wieder zu breiter Umständlichkeit führt, vortheilhaft vor der Gelehrtensprache seiner Zeit. Dagegen leidet das Werk, welches eingestandener maaßen Gottsched’s Critische Dichtkunst (1730) zum Vorbild hatte und bestimmt war, „die Nachahmung der Natur in der Musik“ zu untersuchen, an allen Mängeln einer von Tag zu Tag und nach den Bedürfnissen des Augenblicks entstandenen Arbeit und ermüdet den Leser durch seine scheinbare Planlosigkeit, zahlreiche Wiederholungen und mancherlei Weitschweifigkeiten. Andrerseits freilich sind diese Blätter so reich an neuen Gedanken und Anregungen, daß sich das Aufsehn, das sie erregten, die litterarischen Fehden die sie hervorriefen, wohl begreifen lassen. Der „Critische Musikus“ ist eine der wichtigsten Fundgruben für die Geschichte der musik-ästhetischen Theorien im 18. Jahrh. Aus den Streitigkeiten, in die ihn namentlich einige Schilderungen des zeitgenössischen deutschen Musiklebens verwickelt hatten, führte der Ruf des Markgrafen Friedrich Ernst von Brandenburg S. im J. 1740 nach Kulmbach, wo er als Capellmeister wirkte, und 1744 stellte ihn das Vertrauen des Königs von Dänemark an die Spitze des Kopenhagener Hoforchesters. In dieser Stellung, die er allerdings schon 1749 dem Italiener Sarti einräumen mußte (er wurde mit 400 Thalern Gehalt in den Ruhestand versetzt), wandte sich S. wieder eifriger, aber ohne sonderlichen Erfolg der Composition zu. Schon zu seinen Lebzeiten fand er mit seinen musikalischen Schöpfungen weniger Anklang, als mit seinen litterarischen Arbeiten; seinen Chören wurde eine auffallende Chromatik und daraus folgende übermäßige Schwierigkeit, seinen Arien Mangel an Coloratur, seinen Recitativen ein Uebermaß von Affect vorgeworfen, ihr größter und allgemeinster Mangel ist jedenfalls Gedankenarmuth. So konnten sich weder seine für die Neuberin geschriebenen Schauspielouvertüren zu Polyeuct und Mithridat noch seine späteren dramatischen („Thusnelde, ein Singspiel“ 1749) und oratorienhaften Werke behaupten. Von den letzteren sind zu nennen: „Auferstehungs und Himmelfahrts-Cantate von K. W. Ramler, für Chöre, Soli und Orchester“ (Autograph. 150 Folioseiten auf der königl. Bibliothek zu Berlin); „Der wundervolle Tod des Welterlösers“, ein Oratorium, dessen Text ebenfalls von S. herrührt und das durch die Einfügung der „Cidli“ in das Personal der Passion auffällt (Ms. auf der königl. Bibliothek zu Berlin), ferner: „Die Patrioten. Ein Singgedicht auf den Geburtstag des Kronprinzen von Dänemark“. Die Poesie ist von Hofprediger Cramer, die Musik von J. A. S. (Sinfonie, Chöre und Arien der Patrioten). Außerdem erwähnen die musikalischen Lexika noch 150 kirchliche Werke, 150 Flötenconcerte, 30 Violinconcerte, 70 Sinfonien (d. h. einsätzige Orchesterstücke), sowie Claviertrios, Cantaten, Solos etc. Nur wenig davon ist gedruckt; erwähnenswerth darunter sind die 1765 erschienenen tragischen Cantaten (zweite Ausgabe 1779) wegen des vorangeschickten Sendschreibens vom Recitativ. Auch für einige Liedersammlungen. wie „Balthasar Münters geistliche Lieder“ (Leipzig 1773); „Kleine Lieder für Kinder zur Beförderung der Tugend“ [692] (Flensburg 1766); „Vollständiges Liederbuch für Freimaurer mit Melodien“ (Kopenhagen und Leipzig 1776–1788, 3 Bde.) hat S. Beiträge geliefert. Nachdem er während der Mußezeit seiner letzten Jahre noch den ersten Theil einer auf vier Bände berechneten Compositionslehre „Ueber die music. Komposition“ (1773) fertig gestellt, eine Reihe von Uebersetzungsarbeiten geliefert und vorübergehend auch eine Unterrichtsanstalt zu Sonderburg geleitet hatte, starb S. im April 1776 zu Kopenhagen.

Ueber S. außer seinen Schriften zu vergleichen: Gerber, Hist.-biogr. Lexicon der Tonkünstler 1792, II, Sp. 412 ff. – Jens Worm, Lexicon, Deel 2, 330 f. – Nyerup, Litteraturlexicon, S. 528. – Fétis, Biographie des musiciens VII, 444. – Goedeke, Grundriß III², 339.