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Artikel „Luise Dorothea, Herzogin von Sachsen-Gotha und Altenburg“ von Albert Schumann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 19 (1884), S. 625–629, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Luise_Dorothea&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 18:59 Uhr UTC)
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Luise Dorothea, Herzogin von Sachsen-Gotha und Altenburg, war neben vier Söhnen die einzige Tochter des Herzogs Ernst Ludwig I. von Sachsen-Meiningen und dessen erster Gemahlin und Cousine Dorothea Maria, einer Tochter Herzog Friedrichs I. von Sachsen-Gotha. Geboren den 10. August 1710 zu Coburg, das damals zu Sachsen-Meiningen gehörte und bisweilen vom Hofe besucht wurde, verlor sie ihre Mutter schon im dritten Altersjahre, worauf sich ihr Vater 1714 mit Elisabeth Charlotte, einer Tochter des Großen Kurfürsten, in zweiter Ehe vermählte. Ihre erste Jugend verlebte L. D. in Coburg und Meiningen und zeichnete sich früh schon durch Lebhaftigkeit des Geistes, heitere Laune und unschuldige Necklust aus. Seit dem zehnten Altersjahre stand sie unter der besonderen Aufsicht ihrer Stiefmutter und folgte dieser, welche nun die Erziehung der Prinzessin ganz in ihre Hände nahm, nach dem Tode ihres Vaters (24. November 1724) nach dem Wittwensitze Coburg, wo sie ihre Tage in fast ländlicher Abgeschiedenheit verbrachte und sogar mit ihren nächsten fürstlichen Verwandten nur selten in Verkehr trat, weil die Herzogin, eine zwar gebildete, aber auf ihre Abkunft stolze und dem reformirten Glauben eifrig ergebene Dame, mit ihren lutherischen Verwandten ernestinischer Linie wenig lebhafte Beziehungen unterhielt. Um so ungestörter konnte sich L. D. ihrer geistigen Ausbildung widmen, und dabei blieb ihr Sinn, fern vom Geräusche der großen Welt, rein und edleren Genüssen zugewandt. Und wenn sie bisher noch eine gleichgestimmte Freundin vermißt hatte, so fand sie eine solche nun auch in der [626] neuen Hofdame ihrer Stiefmutter, der liebenswürdigen und hochgebildeten Juliane Franziska v. Neuenstein, die, einem elsässischen Geschlechte entsprossen, aber in Paris geboren, mit den besten Erscheinungen der neuen französischen Litteratur vertraut war. An sie schloß sich die Prinzessin mit jugendlicher Lebhaftigkeit an und gewann im Umgange mit ihr ein theilnehmendes Verständniß für die schönen Wissenschaften und ihre Vertreter. – Am 13. September 1729 vermählte sie sich mit ihrem Vetter, dem damaligen Erbprinzen von Sachsen-Gotha, welcher drei Jahre später als Friedrich III. seinem Vater in der Regierung folgte. Erst nach beinahe sechs Jahren gingen aus dieser Ehe Kinder hervor. Der 1735 geborene hoffnungsvolle Erbprinz Friedrich starb bereits im 21. Altersjahre an Friesel und Gicht; Ernst Ludwig wurde nach seines Vaters Tode (1772) als Ernst II. (s. Bd. VI S. 308 ff.) regierender Herzog; August (s. Bd. I S. 681) ist später als Gönner und Freund Wieland’s, Herder’s und Goethe’s bekannt geworden; Friederike Louise überlebte ihre Eltern nur kurze Zeit († 1776). Die Erziehung dieser Kinder überwachte L. D. mit mütterlicher Sorgfalt; ihre Lehren und ihr Beispiel weckten in ihnen einen offenen Sinn für alles Edle und Gute und eine lebhafte Theilnahme an den Werken der Kunst und Litteratur. Um auf ihr Herz bildend einzuwirken, schrieb sie lehrreiche Charakterschilderungen und eine Anzahl Lebensregeln für sie nieder und suchte ihnen dadurch die Pflichten der Gottesfurcht, des Gehorsams, der Bescheidenheit, der Wohlthätigkeit einzuprägen. Ihrem Gemahle, einem wohlwollenden, aber an geistiger Begabung ihr nicht gleichkommenden Fürsten, stand sie als kluge Beratherin zur Seite. Sie nahm sogar an den Sitzungen des geheimen Rathes theil und wußte hier durch ihren Einfluß manches Gute zu fördern. Obwol eine fleißige Kirchengängerin, trat sie doch öfters dem einseitigen Walten des mächtigen orthodoxen Oberconsist.-Rathes Cyprian (s. Bd. IV S. 667 ff.) entgegen, wofür sich dieser freilich auf der Kanzel und im Beichtstuhle durch beißende Bemerkungen an ihr rächte. So setzte sie es gegen seinen Willen durch, daß der Graf Ludwig von Zinzendorf am 25. Juni 1740 eine Synode der Herrnhuter in Gotha abhalten durfte; so erwirkte sie ferner im J. 1745 die Erlaubniß zur Gründung der Herrnhutercolonie Neudietendorf. – Zum Glücke ihres Lebens trug nicht wenig bei, daß seit 1735 Franziska v. Neuenstein als Hofdame in ihre Dienste trat. Vier Jahre später mit dem Oberhofmeister Schack Hermann v. Buchwald vermählt und unter diesem Namen als geschmackvolle Kennerin der französischen und deutschen Litteratur bekannt (s. Bd. III S. 494), blieb sie fortan 32 Jahre lang der Herzogin in guten und trüben Tagen nahe, und nur der Tod der ersteren vermochte diesen seltenen Bund der Freundschaft zu lösen. In der Unterhaltung mit ihr und anderen gebildeten Persönlichkeiten des Hofes, unter denen besonders der Oberconsistorialrath Klüpfel (s. Bd. XVI S. 255 ff.) hervorragte, fand L. D. Anregung und Genuß. Daneben las sie die neuesten Werke der französischen Schriftsteller, veranstaltete mit ihrer Freundin dramatische Aufführungen französischer Stücke und verwendete einen Theil des Tages auf eine ausgebreitete Correspondenz mit Gelehrten und Dichtern. Ebenso wenig blieb ihr aber auch die strengere Wissenschaft fremd. So studirte sie die Wolf’sche Philosophie, welche ihr durch Gottsched’s „Erste Gründe der Weltweisheit“ übermittelt wurde. Unter den Franzosen, mit denen sie in brieflichem Verkehre stand, ist vor Allem Voltaire zu nennen. Der Briefwechsel mit demselben begann zu Anfang 1752 und dauerte ohne Unterbrechung bis etwa acht Wochen vor ihrem Tode fort. Er hatte die Herzogin 1753 bei einem Besuche in Gotha kennen gelernt. Nachdem er Berlin am 26. März hatte verlassen müssen, traf er um den 20. April daselbst ein und setzte seine Reise erst nach vier Wochen fort. Er war entzückt von der Aufnahme, die man ihm bereitete, und gedachte nachher [627] immer gern der auf dem Friedenstein verlebten Tage, so daß er seine Gönnerin nicht nur in seinen Briefen als „deutsche Minerva“, ihren Hof als „la cour enchanteresse“ und ihr Schloß als „le palais enchanté“ feierte, sondern ihr auch mehrfach in überschwänglichen Versen huldigte. Einer Aufgabe, welche ihm die Fürstin zutheilte, der Abfassung einer deutschen Reichsgeschichte, unterzog er sich anfangs mit freudiger Zuversicht und begann bereits in Gotha damit; aber im Verlaufe der Arbeit erlahmte sein Eifer, und nur langsam rückte dieselbe vor. Als das Werk, die „Annales de l’Empire“, nach längerer Zeit endlich vollendet war, sah man die Erwartung, durch Voltaire „einen deutschen Henault“ zu erhalten, in keiner Weise befriedigt. Auch mit Formey in Berlin, mit Diderot, d’Alembert, Rousseau, Helvetius und La Beaumelle unterhielt sie einen Briefwechsel, und gleich Voltaire verweilten die beiden Letzteren eine Zeit lang am gothaischen Hofe. Der Baron v. Grimm (s. Bd. IX S. 676 ff.) sandte zuerst an sie allein seine bekannten, später als „Correspondance littéraire“ gedruckten Berichte über das Neueste der Litteratur und Kunst in Paris, und erst nachmals wurden diese auch verschiedenen anderen deutschen Fürsten und der Kaiserin Katharina von Rußland mitgetheilt. Zu anregender Unterhaltung diente ihr auch der 1739 auf ihre Veranlassung vom Herzog gestiftete sogenannte Einsiedler- oder Eremitenorden (Ordre des Hermites de bonne humeur). Entsprechend der Devise „Vive la joie!“ sollten in demselben nur Frohsinn und Heiterkeit walten und die Mitglieder ohne jedes Ceremoniell untereinander verkehren. Die Ordenstracht war ein Kleid von braunem Taffet, ein Strohhut mit Rosaband und ein rosenfarbiger Gürtel, das Ordenszeichen ein grünes Oval von Email an einem weißen, grün eingefaßten Bande. Die Unterhaltung wurde in französischer Sprache geführt und jedes Mitglied mit einem besonderen Namen belegt. Herzog und Herzogin waren Prior und Priorin; Prinz Ernst hieß „l’Espiègle“ Frau v. Buchwald „Brillante“, ihre Schwester „Florissante“, Graf Gotter „Tourbillon“ etc. Die Versammlungen fanden gewöhnlich auf dem Lustschlosse Friedrichswerth statt und dauerten fort, bis ihnen der siebenjährige Krieg ein Ende bereitete. Mit diesem begann eine schwere Zeit für das gothaische Land. Franzosen, Reichstruppen und Oesterreicher suchten es mit Plünderung und Contributionen heim, und selbst das Schloß blieb von Uebergriffen nicht verschont. Das fürstliche Paar hielt in dieser Bedrängniß auf dem Friedensteine wacker aus, und die Herzogin empfing auch ungebetene Gäste, wie den Prinzen von Soubise und seine Offiziere, höflich und zuvorkommend. Auch diese Franzosen fühlten sich durch den feinen Anstand und das geistreiche Gespräch Luise Dorotheas bezaubert, so daß sie, wie das Tagebuch eines gleichzeitigen Gothaers sagt, „nicht in Deutschland, sondern mitten in Paris zu sein glaubten“. Größere Freude als die genannten Gäste bereitete ihr der Besuch Friedrichs des Großen in Gotha. Schon als er noch Kronprinz war, hatte Franziska v. Buchwald, die ihn von Berlin und Coburg her persönlich kannte, öfters voll Begeisterung von ihm gesprochen. Auch er schätzte beide Frauen und hatte die Herzogin bereits im J. 1743 durch den Grafen Gotter zu einem Besuche in Berlin einladen lassen. Trotzdem war es bisher zu keiner persönlichen Begegnung gekommen. Jetzt aber, am 15. September 1757, wenige Wochen vor der Schlacht bei Roßbach, erschien der König, von Husaren und Dragonern begleitet, vor denen sich die Franzosen und Reichstruppen nach Eisenach zurückzogen, zu einem ersten kurzen Besuche auf dem Friedenstein, wo ihn der Herzog und die Herzogin im Schloßhofe empfingen. Drei Tage nachher machte auch des Königs Bruder, Prinz Heinrich, dem gothaischen Hofe seine Aufwartung. Friedrich der Große wiederholte seinen Besuch in Gesellschaft seines Bruders am 3. December 1762, als bereits Friedensunterhandlungen angeknüpft waren, und fand sich diesmal gegen seine sonstige Gewohnheit [628] und zur höchsten Ueberraschung seiner Umgebung in Schuhen und seidenen Strümpfen zum Mahle ein. Er führte die Herzogin unter den für ihn bestimmten Baldachin, nahm neben ihr Platz und war bei der Tafel und nachher im Zimmer ungewöhnlich heiter und aufgeräumt. „Ich sterbe vor Vergnügen!“ sagte er zu Frau v. Buchwald und gab am folgenden Morgen noch einen Beweis dieser befriedigten Stimmung, indem er vor seiner Abreise auf der Flöte blies. Seitdem setzte er den bereits 1756 begonnenen Briefwechsel mit seiner fürstlichen Freundin eifriger fort, und erst wenige Monate vor dem Tode der Letzteren bricht derselbe ab. – Mit dem lebhaften Geiste Louise Dorotheas war ein etwas schwächlicher Körper verbunden. Im September des Jahres 1767 fühlte sie sich so leidend, daß ihr Leibarzt Sulzer seinen Breslauer Collegen Tralles zur ärztlichen Berathung nach Gotha berief. Mit diesem unterhielt sie sich im Angesichte des nahenden Todes über die Richtigkeit und Wahrheit der christlichen Religion, über die Vorzüge der christlichen Moral vor der philosophischen, über die Unsterblichkeit der Seele etc. Auch Tralles’ Kunst reichte nicht aus ihr Leben noch länger zu fristen: am 22. Oktober 1767 starb sie an der Lungensucht. Ihre Freundin, die Oberhofmeisterin v. Buchwald, folgte ihr erst nach 22 Jahren im Tode nach. Nur von dieser gilt, was Beck (Geschichte des gothaischen Landes I, S. 386) beiden Freundinnen zuschreibt, daß sie nämlich „mit der gespanntesten Aufmerksamkeit der großartigen Entwickelung der deutschen Litteratur gefolgt seien“; denn die Herzogin schenkte der letzteren keine oder doch nur sehr geringe Beachtung, Was sie davon erfuhr, geschah durch Gottsched und das von demselben herausgegebene „Neueste aus der anmuthigen Gelehrsamkeit“. Albrecht v. Haller konnte ihr schon um Gottsched’s willen nicht zusagen, und über Klopstock äußerte sie einst gegen Helvetius: „Man behauptet daß dieser Klopstock ein großer Dichter sei; ich weiß es nicht, aber so viel weiß ich, daß ich ihn nicht verstehe.“ Doch ließ sie sich’s gefallen, daß ein einheimischer, jetzt gänzlich verschollener Dichter, Christoph Eusebius Suppius, sie in einem größeren Gedichte „Der Inselsberg“ und in gereimten Oden besang. Daß sie bei längerem Leben auch den Werken Goethe’s und Schiller’s gegenüber theilnahmlos geblieben wäre, ist nicht wahrscheinlich, da ja die ebenfalls französisch gebildete Franziska v. Buchwald diese Heroen unserer Litteratur nach Verdienst zu würdigen verstanden hat.

(J. H. Sam. Formey,) Souvenirs d’un citoyen. Tome II. Berlin 1789, S. 35–79. (Darin auch vier Briefe der Herzogin.) – Fr. W. Gotter, Zum Andenken der Frau v. Buchwald. Gotha 1790, S. 22-27, 29, 31. - Hans v. Thümmel, Beyträge zur Kenntniß d. Herzogthums Altenburg. Altenburg 1818, S. 57–64. (Mit Bildniß und Facsimile der Herzogin.) - Oeuvres de Frédéric le Grand (publ. par J.-D.-E. Preuss), Tome XVIIe, Berlin 1851. p. XIV–XV; Tome XVIIIe, p. 165–256. (An letzter Stelle die Correspondenz Friedrichs des Großen mit der Herzogin im Ganzen 72 Briefe.) – Ludw. Bechstein, Mittheilungen aus dem Leben der Herzoge zu Sachsen-Meiningen. Halle 1856. S. 45–48. – Ludw. Storch, Eine seltene Frauenfreundschaft – in: Die Gartenlaube, Jahrg. 1858, Nr. 41, S. 585 bis 587 u. Nr. 42, S. 604–607. (Mit Bildniß.) – Voltaire à Ferney. Sa correspondance avec la duchesse de Saxe–Gotha, suivie d’autres lettres et des notes …, recueillies et publiées par MM. Evariste Bavoux et A. F. 2. éd. Paris 1865. (140 Briefe Voltaire’s an Luise Dorothea vom 10. Febr. 1752 bis 26. Aug. 1767.) – Aug. Beck, Geschichte d. gothaischen Landes, Bd. I, Gotha 1868, S. 383–387 u. 406–407. – H. A. O. Reichard (1751–1828). Seine Selbstbiographie überarbeitet u. hrsg. von Herm. Uhde. Stuttg. 1877. S. 24–27, 34–36. – Vgl. auch: Balth. Ludw. [629] Tralles’ aufrichtige Erzählung seiner mit König Friedrich dem Großen, der großen Kayserin Maria Theresia u. der Durchl. Herzogin v. Sachsen-Gotha Luise Dorothea gehaltenen Unterredungen. Breslau 1789, S. 119–144 u. 147. – Fr. Jacobs, Vermischte Schriften. 1. Thl., Gotha 1823, S. 60 bis 62 u. 232–233. – Th. W. Danzel, Gottsched u. seine Zeit. Leipzig 1848, S. 44, Anmerkung, S. 65–66 u. 339. – (J. H. Möller,) Gotha Herzogthum und Stadt in den J. 1756–1763. Gotha 1854, S. 25–27 u. 75–76. (Friedrichs II. Besuche in Gotha.) – Aug. Beck, Graf Gustav Adolf v. Gotter. Gotha 1867, S. 88–95.