ADB:Kindleben, Christian Wilhelm

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Artikel „Kindlebn, Christian Wilhelm“ von Franz Muncker in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 15 (1882), S. 765–768, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kindleben,_Christian_Wilhelm&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 13:27 Uhr UTC)
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Band 15 (1882), S. 765–768 (Quelle).
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Kindlebn: Christian Wilhelm K. (Kindleben), wurde am 4. Octbr. 1748 als der älteste Sohn eines Handwerksmannes, dessen Vorfahren dem geistlichen Stand angehört hatten, zu Berlin geboren. Er besuchte daselbst die Elementarschule; daneben erhielt er durch Privatlehrer Unterricht in fremden Sprachen. In seinem dreizehnten Jahre verlor er seinen Vater, der die früh entwickelten Fähigkeiten des wißbegierigen Knaben unermüdlich zu fördern bestrebt gewesen war; die Familie blieb in kümmerlichen Verhältnissen zurück. Durch die Hülfe reicherer Gönner sah sich K. in die Lage versetzt, seine Studien am Gymnasium zum grauen Kloster in Berlin fortzuführen und die Universität zu beziehen; am 9. Octbr. 1767 wurde er zu Halle a. S. unter dem Protectorat Buechner’s immatriculirt. Obgleich das Anerbieten, als Secretär einen alten General zu begleiten, dem von Nahrungssorgen hart bedrängten Jünglinge für den Augenblick eine sichere Stelle und für die Zukunft die Aussicht auf ein einträgliches Amt eröffnete, war er seiner Neigung zur Theologie treu geblieben. Mit größtem Fleiß gab er sich unter Semler’s Leitung dem Fachstudium hin. Daneben erweiterte er den Kreis seiner Kenntnisse nach allen Seiten, trat mit Klotz als Schüler in näheren Verkehr und befleißigte sich vornehmlich der schönen Wissenschaften. Im Gymnasium hatte er bereits poetische Versuche gemacht; jetzt wurde Johann Georg Jacobi, damals Professor in Halle, neben Ramler sein Lehrer und Vorbild in der Dichtkunst. Doch behielt er seine Verse, die Klotz und Jacobi durchgesehen und gebilligt hatten, vorläufig noch im Pulte aus Furcht, ihre Publication möchte ihm als Theologen in seinem Fortkommen schaden. Nachdem er die Universität verlassen und als Hofmeister oder Privatlehrer sich einige Zeit durch’s Leben geschlagen hatte, bekam er nach [766] mehreren vergeblichen Bewerbungen 1773 die mäßige Stelle eines Landpredigers zu Kladow, Gathow und Glinike in der Mittelmark bei Potsdam, die er besonders Anfangs mit vielem Beifall, aber unter mancherlei geistigen und physischen Entbehrungen verwaltete. Seine Predigten, großentheils aus dem Stegreif gehalten, waren, wie verschiedene durch den Druck aufbewahrte zeigen, frei von jeder phrasenhaften Rhetorik, einfach in der Form, von reichem und mannigfaltigem Inhalt. Durch ein halb geschichtliches, halb erbaulich moralisirendes Büchlein, „Ueber den Ursprung, den Nutzen und die Mißbräuche des Kirchenpatronats“ (Berlin 1775), das 1781 in vermehrter und verbesserter Auflage wieder erschien, bekundete er sein über den eng beschränkten Kreis des Berufs hinausreichendes Können und Streben. Mit dem Anfang des Jahres 1776 legte er „aus Amts- und Familienverdruß“ seine Stelle nieder, vielleicht auch genöthigt durch beschämende Auftritte in Folge des dissoluten Lebens, zu dem sich der früher so strenge und ordentliche Mann durch sein heiteres Naturell hatte verleiten lassen. Seine erste Gattin hatte er nach kurzer, kinderloser Ehe in Kladow durch den Tod verloren; die zweite trennte sich 1776 von ihm, als er sich von seinem Pfarramte nach Berlin zurückbegab, und wurde im folgenden Jahre gerichtlich von ihm geschieden. K. blieb 1776 in Berlin, mit litterarischen Arbeiten beschäftigt, doch ließ er davon nur wenige drucken, die dazu dienen sollten, ihn zu einem höheren Rang in der wissenschaftlichen Welt zu erheben. Um sich in Frankfurt a. O. den Magistertitel zu erwerben, schrieb er 1776 eine „Disputatio philologica super illa a nonnullis eruditorum agitata quaestione, quam ob causam Pythagoras discipulos jusserit abstinere a fabis“. Doch gelangte er nicht so rasch zu seinem Ziele. Den Gedanken, sich an der jungen mecklenburgischen Universität Bützow zu habilitiren, gab er bald wieder auf; die Magisterpromotion hingegen suchte er zu erlangen. Er maßte sich nicht nur 1777 auf dem Titelblatte der Streitschrift „De reditu mortuorum“ die ihm noch nicht gebührende Würde an, sondern wandte sich auch sofort an die Universität Wittenberg, wo er endlich im April 1779 zum „Doctor der Weltweisheit und der freien Künste Magister“ creirt wurde. Unruhige Jahre gingen diesem Ereigniß voraus. Vom April bis zum September 1777 lebte K. als Hofmeister bei einem adeligen Gutsbesitzer in einem hinterpommerischen Dorf in der Nähe des Städtchens Bahnen. Den folgenden Winter brachte er in verschiedenen Orten Mecklenburgs zu. Einige Wochen verweilte er in Rostock, wo er sich um eine erledigte Prediger- und Professorstelle bewarb; die übeln Berichte, die aus Berlin über ihn einliefen, zerstörten den Erfolg seiner Anfangs glücklichen Bemühungen. Nach einem längeren Besuche Berlins wurde er im Frühling 1778 von Basedow als Gehülfe (studiorum socius) an seinem Philanthropinum zu Dessau angenommen. Als Basedow jedoch wenige Wochen darnach sein Curatoramt an dieser Anstalt niederlegte, gab auch K. bald seine Stelle auf und ging nach Berlin zurück, siedelte aber schon im September 1778 nach Leipzig über. Die Erfahrungen, die er in Dessau gemacht hatte, bestimmten ihn, in seinen jetzigen Schriften bei jeder Gelegenheit gegen Basedow’s Pädagogik zu polemisiren. Ebenso suchte er seiner Gegnerschaft gegen Nicolai und die Berliner Schule, wo er nur konnte, Ausdruck zu leihen, fand freilich dafür weder in der „Allgemeinen deutschen Bibliothek“ noch in anderen Berliner gelehrten Zeitungen eine günstige Aufnahme seiner zahlreichen litterarischen Arbeiten. Ueberhaupt kämpfte er jetzt gegen die Tendenz der Aufklärer, der er früher selbst gehuldigt hatte, wenigstens auf religiösem Gebiete an. Noch 1778 gab er „Der Teufeleien des 18. Jahrhunderts letzten Act“ heraus, eine Art von Widerruf seines 1776 erschienenen, ganz rationalistisch gefärbten Büchleins „Ueber die Nonexistenz des Teufels“. Er gerieth dadurch in einen langwierigen gelehrten [767] Streit mit dem Professor Heinrich Martin Gottfried Küster in Gießen, der seit Jahrzehnten die Bedenken in der Lehre vom Teufel erörtert hatte. Gegen die Aufklärer richteten sich auch Kindlebn’s schon vor einigen Jahren entworfene, dem Hauptpastor Göze in Hamburg gewidmete „Gedanken über das Berlinische neue Gesangbuch und dessen vermeinten Vorzug vor dem Porstischen“ (Halle 1779), deren abfällige Recension in Berliner Blättern gleichfalls der Anlaß zu heftiger Polemik wurde. Selbst wo K. in der Sache Recht hatte, schlug er einen verwerflichen Ton an, der seiner Absicht nur schaden konnte, so bei dem in Briefform abgefaßten Schriftchen „Die allerneueste deutsche Orthographie des 18. Jahrhunderts, erfunden von Klopstock, nachgeahmt von dem Dessauischen Erziehungsinstitute, ausgezischt von der gelehrten Welt und übergegangen in die Vergessenheit“ (1779). Daneben übersetzte er einige Schriften aus dem Griechischen (Plutarch von der Erziehung der Kinder, 1788, Isokrates’ Rede an Demonikos, 1779) und zahlreiche Werke aus dem Französischen, sammelte seine vermischten Gedichte seit dem Jahr 1764 (Berlin und Leipzig 1779) und begann den Roman „Leben und Abenteuer des Küsters zu Kummersdorf Wilibald Schluterius“ (Halle 1779), der nur bis zu einem niedrigen Grad es verdiente, vom Verfasser als ein Pendant zu Nicolai’s „Leben und Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker“ bezeichnet zu werden. Von dem Plane, sich in Leipzig zu habilitiren, stand er wieder ab, als sich ihm in Berlin eine – bald entschwindende – Aussicht auf die Stelle eines Militärpredigers aufthat. Im Sommer 1779 kehrte er, nachdem er Dresden besucht hatte, nach Berlin zurück und gab daselbst mehrere moralische Wochenschriften heraus, an denen außer ihm noch einige Autoren dritten oder vierten Ranges arbeiteten, von denen auch keiner eine lange Dauer beschieden war („Vermischte Aufsätze für das denkende Publikum“, 2 Theile, 1779; „Unterhaltungen für Frauenzimmer“. 2 Theile, 1780). Nur die „Vermischten Aufsätze zur Beförderung der Litteratur und der Sitten“, die er im Juli 1780 zu Halle, wohin er seit dem Frühling übergesiedelt war, begründete, erlebten einen zweiten Jahrgang, der unter dem Titel „Zeitverkürzer“ den vier Theilen des ersten Bandes folgte. Moralische Erzählungen und moralisirende Abhandlungen über die verschiedenartigsten Fragen des sittlichen Lebens, Briefe, gelehrte Anzeigen, witzlose Anekdoten und Proben von geistlichen oder weltlichen Gedichten veröffentlichte K. darin, fast immer langweilig, am unerträglichsten jedoch, wenn er, allenfalls in jüdelnder Schreibart, komisch wirken will; seinen Namen versteckte er dabei gern unter der griechischen Form des Pseudonyms Michael Brephobius, Dem „Schluterius“ war schon Anfangs 1780 ein weiterer Roman in zwei Theilen gefolgt, „Matthias Lucretius, sonst Votius genannt, oder Geschichte eines verunglückten und metamorphosirten Candidaten“ mit einer „Zugabe, welche die Geschichte des Fräuleins Wilhelmine von Wangenheim enthält“. Im Herbst desselben Jahres gab K. heraus „Emanuel Hartensteins, eines peregrinirenden Weltbürgers, Reise von Berlin über Rostock nach Dresden, ein hieroglyphisches Tagebuch für Pilger und Pilgerfreunde“, eine ausführliche und genaue, aber endlos breite Darstellung seiner eigenen Erlebnisse von 1776 bis 1780. Gleichfalls autobiographischen Charakters war das 1781 zu Halle erschienene Werk „Florido oder Geschichte eines unglücklichen Philosophen“. In demselben Jahre 1781 gab K. eine Sammlung geistlicher Gedichte und Lieder sowie einen Band Studentenlieder und ein Studentenlexikon zu Halle heraus. Die beiden letzten Bücher wurden von dem derzeitigen Prorector der Universität confiscirt, der Verfasser aus Halle ausgewiesen. Er wandte sich wieder nach Leipzig, wo ihm seine „Briefe eines Laien“, eine fade Satire auf Zollikofer, leicht dasselbe Schicksal hätten bereiten können, und gewann sich in der gewohnten Weise durch litterarische [768] Arbeiten seinen Unterhalt. 1782 erschienen „Moralische Fragmente zur Kenntnis des Menschen, in Briefen“ sowie „Zeitverkürzende Unterhaltungen aus Josephs II. Leben“, 1783 ein Volksroman „Der gehörnte Siegfried“ in zwei Theilen und „Galanterien der Türken“, ebenfalls in zwei Bänden. K. starb 1785 zu Dresden. – K. versank während seiner letzten Jahre immer mehr in ein ausschweifendes und gemeines Leben. Die Spuren davon sind in seinen Schriften, namentlich in den Romanen „Schluterius“ und „Lucretius“, nur allzu deutlich wahrzunehmen. Selbst wo K. Moral predigen will, läßt er es sich nicht entgehen, das Laster, das überwunden werden soll, aufs breiteste zu schildern. Seine unreine Phantasie ergeht sich mit Wollust in der Ausmalung schlüpfriger und obscöner Situationen. Seine Romane knüpft er alle mehr oder weniger an sein eigenes Leben an; Brephobius spielt im „Schluterius“ keine geringe Rolle. Die Schreibart ist langweilig, die Darstellung breit, um so mehr, als K. wiederholt Stücke aus seinen Predigten, Reden, Briefen oder Gedichten in die Geschichte einflicht. Seine Gedichte (meist Gelegenheitsstücke lyrischer Art, Lieder, Epigramme, auch eine Cantate) sind von Schmutz und Zweideutigkeiten freier, nach Inhalt und Form aber unbedeutend und bewegen sich in der Mitte zwischen der Manier Ramler’s und des in Gleim’s Bahnen wandelnden Jacobi. Auch seine geistlichen Lieder, nach Gellert’s oder Johann Andreas Cramer’s Vorbild gedichtet, sind ohne originellen Werth und nur wenig in das Volk und in die Gesangbücher eingedrungen.

Almanach der Belletristen und Belletristinnen fürs Jahr 1782, S. 92 ff. 223 ff. – Gottfried Lebrecht Richter, Allgemeines biographisches Lexikon alter und neuer geistlicher Liederdichter (Leipzig 1804), S. 166. – Johann Georg Meusel, Lexikon der vom Jahr 1750 bis 1800 verstorbenen deutschen Schriftsteller, Bd. VII, S. 22 ff. – Kindlebn’s Vorreden zu seinen Schriften und autobiographische Romane. – Mittheilung aus den Acten der Universität Halle a. S. durch die Güte des Herrn Professors Dr. R. Haym.