Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Kelchner, Johann Andreas“ von Ernst Kelchner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 15 (1882), S. 556–560, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kelchner,_Johann_Andreas&oldid=- (Version vom 27. November 2024, 04:23 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Kelch, Christian
Nächster>>>
Kelin
Band 15 (1882), S. 556–560 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Johann Andreas Kelchner in der Wikipedia
Johann Andreas Kelchner in Wikidata
GND-Nummer 116116765
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|15|556|560|Kelchner, Johann Andreas|Ernst Kelchner|ADB:Kelchner, Johann Andreas}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=116116765}}    

Kelchner: Johann Andreas K. wurde am 2. August 1789 zu Frankfurt a/M. geboren. Sein Vater, Georg Wilhelm K., war von Grünstadt in der Rheinpfalz gebürtig, wo er ein Landgut besaß und die Landwirthschaft ausübte; nach Frankfurt a/M. gezogen, wurde er 1782 Bürger dieser Stadt. Hier etablirte er ein Handelsgeschäft, Bank- und Commissionsgeschäft und verheirathete sich am 15. Februar 1784 mit Maria Magdalena Köpsel. Nachdem sein Besitzthum in Grünstadt durch die dortigen Klubisten vereinigt mit den französischen Sansculottes zerstört und verbrannt worden war, während er in Frankfurt weilte, da man K. für einen Anhänger der Legitimität hielt, erreichte denselben das Schicksal, auf ähnliche Weise sein Besitzthum in Frankfurt zu verlieren. 1792 bei der Belagerung der Stadt und späterer Erstürmung derselben durch die Hessen, schlugen die ersten Geschosse, die nach der Stadt geworfen wurden, in sein Haus auf der Allerheiligenstraße ein und steckten es in Brand, vernichteten somit das ganze Vermögen und noch dasjenige vieler Nachbarn, die durch Unterbringung ihrer Habseligkeiten und Waaren in dem stattlichen Hause Schutz und Unterkunft gesucht hatten. Dieser Schicksalsschlag hatte auf die späteren Lebensverhältnisse Kelchner’s einen empfindlichen Einfluß, da seine Eltern plötzlich von reichen zu armen Leuten wurden. Georg Wilhelm K. starb auch aus Gram und Kummer bald darauf. Ja, das Feuer sollte nochmals den Rest seiner Habe zerstören. Im J. 1796 verlor die Wittwe K. und ihr Sohn den größten Theil ihres Besitzthums, durch das dreitägige Bombardement Frankfurts, durch die Franzosen unter Baraguay d’Hilliers. Aber das Schicksal war noch nicht zufrieden: 1811 verloren Wittwe und Kind auch noch ihre letzte Habe durch einen Brand. Es war die Familie auf diese Weise arm geworden und nur auf die Arbeitskraft des Sohnes angewiesen. So wurde K. frühe in die Lage versetzt, durch Dienstleistungen jeder Art Unterhalt für sich und seine Mutter zu erwerben. Schon als 14jähriger Gymnasiast war er für das Actuariat des 51er Collegs der Reichsstadt Frankfurt anhaltend beschäftigt, und wußte sich das Vertrauen der Senioren Banfa und Frhr. v. Leonhardi zu erwerben. Da mehrere seiner Verwandten sich in Preußen befanden, ein Oheim als preußischer Militär grau geworden war, so sollte der junge K. in königl. preußische Militärdienste und zwar unter Aufsicht seines bisher in Frankfurt gestandenen Oheims, des Werbecapitäns v. Rechenberg, ins Regiment Kropff eintreten. Die Schlacht von Jena vernichtete dies Vorhaben, und K. mußte, um sich sein Leben zu fristen, in die Lehre des Frankfurter Handlungshauses Gebrüder Mannskopf eintreten. Sein Chef war ein eifriger Anhänger Preußens und in Kelchner’s Seele war die Begeisterung für den Staat Friedrichs des Großen auch durch die Unglücksfälle der Franzosenzeit nicht erschüttert. Er benutzte seine Verbindungen [557] mit hochgestellten französischen Beamten, um dem Generallieutenant v. Seibert und dem preußischen Gesandten beim Fürst-Primas Herrn v. Hänlein wichtige Mittheilungen über französische Zustände zu machen, welche dann auf Umwegen nach Königsberg gelangten. Auf seinen Handlungsreisen nach Westfalen und Nordwestdeutschland hat er oft mit Lebensgefahr, von den französischen Behörden scharf aufs Korn genommen, das Terrain für den Fall einer preußischen Nationalerhebung sondirt und getreulich nach Frankfurt oder Berlin Bericht erstattet. Von Herrn Mannskopf an den damaligen Präfekt des Departements Frankfurt, den Frhrn. v. Günderrode, warm empfohlen, ward K. im J. 1810 bei der großherzoglichen Generaldirection des Bauwesens und der indirecten Steuern als Expedient angestellt. Von Jugend auf zum administrativen Fache neigend und in den einschlagenden Arbeiten erfahren, gewann er sich bald das Vertrauen seines nunmehrigen Vorgesetzten, des Generaldirectors Gergens. Die Thätigkeit, die er insgeheim zu Gunsten Preußens entfaltete, war den Herren Mannskopf, Günderrode und Gergens nicht verborgen geblieben; sie schwiegen dazu, da auch ihre stillen Hoffnungen auf eine Wiedergeburt Preußens gingen. Dagegen mußte K. seine ganze Geschicklichkeit aufbieten, um sich dem Auge des Polizeipräfekten von der Tann, des späteren vertrauten Begleiters König Ludwigs von Baiern, zu entziehen, der den geheimen preußischen Agenten scharf beobachtete. Durch die Bekanntschaft mit dem Commis eines großen Bankhauses war es ihm aber möglich, der von der Tann’schen Forschungen zu spotten und seine Mittheilungen fortwährend glücklich über Wien nach Preußen gelangen zu lassen. Bald sollte sich zeigen, daß man Kelchner’s treue Dienste während der Zeit der Noth in ihrem vollen Umfange gewürdigt hatte. Als die Alliirten in Frankfurt einrückten, erkundigten sich die Staatsminister v. Stein und Hardenberg angelegentlich nach ihm, er ward nach Auflösung des großherzoglichen Generaldirectoriums auf kurze Zeit zur Generalkriegscommission abgegeben und später der königlich preußischen und kaiserlich russischen Commandantur im Hauptquartier der Monarchen attachirt. Im Januar 1814 beschied ihn der Bevollmächtigte der Centralverwaltung für Deutschland, Graf Solms-Laubach, zu sich, um ihm im Auftrag des Verwaltungsraths der großen Armee eine Reihe wichtiger Geschäfte aufzutragen. Es galt das Obligationenwesen für die deutschen Fürsten, die Centralhospitalverwaltung für Deutschland, das Liquidationswesen der deutschen Armee von dem Rhein bis an die Oder, sowie die Rheinschifffahrtsverwaltung zu regeln. Geraume Zeit hindurch hatte K. die Hauptkasse der Centralrheinschifffahrtsverwaltung im Betrag von einer Million Franken zu verwalten. Während des Wiener Congresses wurde er zu wichtigen diplomatischen Arbeiten verwerthet. Dahin gehören Entwürfe der deutschen Bundesakte, Projecte der Staatsaustausche, Schicksal der Mediatisirten, Arrondirungen der Rheinprovinzen, Unterhandlungen über das künftige Schicksal Frankfurts, über die gesammte Organisation der Regierungsbezirke Düsseldorf, Köln, Aachen, Trier, Coblenz und Cleve, wichtige geheime Notizen der Nekrologe der bedeutendsten Personen, die jene sechs Regierungsbezirke besaßen – Aktenstücke, die in die Hände des Staatskanzlers v. Hardenberg niedergelegt wurden. Der Lohn so vielseitiger angestrengter Arbeiten, die K. mit den verschiedenartigsten Persönlichkeiten – Dorow, Mentzel, v. Gruner, Reisach, den späteren Frankfurter Schöffen Ihm, Scharff, Thomas u. A. in Berührung brachten – war ein verhältnißmäßig bescheidener. Im August 1816 in den preußischen Staatsdienst getreten, erhielt er von dem zum Oberpräsidenten der Rheinprovinz ernannten Graf Solms-Laubach die Stelle eines Oberpräsidialregistrators mit 400 Thaler. „Man war so sehr von meiner Genügsamkeit überzeugt, daß man unter dieser geringen Stellung dennoch nach [558] verschiedenen Seiten mich bestens benutzen konnte. So z. B. die momentane Beobachtung des Marschall Soult in seiner Verbannung in Mülheim am Rhein. Ferner ward ich mit der Revision der Einnahme sämmtlicher Rheinschifffahrtsämter beauftragt“. Die persönlichen Verbindungen, welche in dieser wenig glänzenden, aber eingreifenden Stelle am Rhein angeknüpft, haben ihm später, da es galt, Nagler’s Neugierde und polizeiliche Spürkraft zu befriedigen, wesentlichen Nutzen gebracht. Da man bei der inzwischen in Frankfurt errichteten preußischen Bundestagsgesandtschaft eines mit den Verhältnissen Frankfurts vertrauten Individuums bedurfte, ward K. von Köln nach Frankfurt gesandt, der Bundestagsgesandtschaft zugetheilt, 1817 dem Etat des auswärtigen Ministerums als Legationscanzlist beigegeben. Er genoß das volle Vertrauen des Staatsministers von der Goltz, des Regierungsrathis Dr. Schöll und des Residenten Baron Otterstedt, und verrichtete die eigentlichen Residenturgeschäfte für den geheimen Legationsrath Himly und dessen Nachfolger Herrn v. Bülow. Die J. 1818 und 19, die Zeit der Demagogen-, Turner- und Studentenverfolgungen brachten neue wichtige Vertrauensaufträge für den in der Erforschung von Personalien so gewandten Mann. Vier Jahre hindurch, erzählt er selbst, hat er in jeder Woche zwei ganze Nächte blos den Courierbeförderungen nach und von Paris geopfert. Er war von seinem Chef Goltz vertraulich zur Annahme von Aufträgen hochgestellter Persönlichkeiten autorisirt worden. So war ihm von Seiten Hardenberg’s die Correspondenzbeförderung des Dr. Klindworth, und die Aufhebung des Hoffmann’schen Buches „Meister Floh“ aufgetragen worden. Ihm lag die Besorgung vertraulicher Briefe der Frau Herzogin von Cumberland, nachmaligen Königin von Hannover, ob, wofür ihn „Se. Majestät später mit schriftlichem Danke beglückten“. K. war es auch, der die Briefe Wilhelm v. Humboldt’s „an seine Freundin“ beförderte, der als die Territorialreichscommission unter den Herren Wessenberg, Clancarty, Anstett und Humboldt zusammentrat, hinsichtlich der Feststellung der Successionsangelegenheit der Grafen Hochberg benutzt ward, und während der Zeit des Aachener Congresses die Befehle Kaiser Alexanders in dieser Sache empfing. Das Anerbieten, in österreichische Dienste überzugehen, lehnte er wiederholt ab. Vom J. 1824, der Ernennung Nagler’s zum Bundestagsgesandten, an fallen die merkwürdigsten Jahre seines Lebens. Nagler erkannte, was er an K. gewann, welch’ außerordentliche Thätigkeit und Erfahrung hier ausgebeutet werden konnte. Obwol es eine der ersten Sorgen Nagler’s war, den Posten der Residentur eingehen zu lassen, ließ er das Amt für K. dennoch fortbestehen. – Fortan durfte nichts dem unablässig Spähenden entgehen. K. las täglich für den Gesandten alle Zeitungen durch und strich ihm alle Stellen und Namen an, die Berücksichtigung verdienten oder Stoff zu Nachforschungen geben sollten. K. ging nach persönlichen Erkundigungen aus und die anderen Beamten waren mit Entwerfen der Berichte oder Abschreiben beschäftigt. Dafür ward dem unablässig thätigen Manne auch ein unbeschränktes Vertrauen zu Theil: die ganze Correspondenz des geheimen Cabinets ging durch seine Hände. Er mußte dem Chef die nöthigen Andeutungen über alle Hauptgegenstände machen. Ehe K. nicht zu Rath gezogen war, geschah nichts; diesem Unentbehrlichen gegenüber schwand das Mißtrauen, das Nagler sonst beseelte und das er auch vertrauten Zuträgern, wie den Hofräthen Berly und Rousseau gegenüber nicht ganz verleugnete. Während Nagler’s häufiger Abwesenheit war K. im wesentlichen die Seele der Gesandtschaft. Die Berichte, die von allen preußischen Postämtern an Nagler abgeliefert werden mußten, standen natürlich auch dem Factotum Nagler’s zu Gebot, um eventuell den nöthigen Gebrauch zu machen. Er erhielt und vollzog [559] Aufträge, das königlich preußische Haus betreffend; er bewährte seine Vielgewandtheit in den unerquicklichen Händeln, welche der Vermählung des Kurprinzen von Hessen mit der Lehmann folgten; die Beförderung der Correspondenz zwischen Mutter und Sohn, die Abschließung eines Anlehens ward ihm anvertraut. Die polnische Revolution bot ihm Gelegenheit, sich dem russischen Gesandten von Anstett gefällig zu erweisen. Er war Tag für Tag von dem, was in Warschau geschah, unterrichtet und als er dem Gesandten die endliche Nachricht des Falles von Warschau überbrachte, umarmte dieser den getreuen K. mit dem Ausruf: „Sie darf mein Kaiser nicht vergessen!“ Neben der Beobachtung des demagogischen Treibens, das 1832 bis zum Sturm gegen die Frankfurter Hauptwache führte, war Kelchner’s Hauptaugenmerk auf die Zollanschlußintriguen gerichtet. Nachdem die Brücke zwischen Frankfurt und dem Zollverein 1834 gänzlich abgebrochen gewesen, ward ihm der sehr geheime Auftrag, eine neue zu schlagen, und dies gelang ihm nach 6 Monaten im J. 1836 nicht ohne Mühe und Anfeindungen, da der Haß gegen Preußens Zollsystem in Frankfurt auf eine außerordentliche Höhe gestiegen war. Unter Nagler’s Nachfolger, dem General v. Schöler, blieb Kelchner’s Stellung die gleiche. Der Gesandte stellte ihn im J. 1836 bei Gelegenheit seines Dienstjubiläums dem Vicegouverneur von Mainz, General v. Müffling, in Gegenwart von einigen 50 Offizieren mit den Worten vor: „Der Hofrath K., ein Mann, der vor Zeiten Tag und Nacht sein Leben für unseres Königs Sache in die Schranken setzte, obgleich er niemals Uniform getragen“. Schöler starb in Kelchner’s Armen. Es folgte ihm 1840 Herr v. Sydow als Substituirter der Mission, 1841 Herr v. Bülow, 1842 Graf Dönhoff, 1848 v. Usedom, 1849 v. Kamptz, unter denen K. mit wechselnder Gunst, aber stets gleich voll Eifer und Treue seine Obliegenheiten erfüllte. Während im J. 1848–49 der Bundestag aufhörte zu bestehen, war er bei der Centralgewalt für Deutschland unter Camphausen, Radowitz etc. beschäftigt, und als der Bundestag wieder neu erstanden war, setzte er seine Beschäftigungen unter den neu ernannten Gesandten Rochow, Bismarck, Usedom, Valan, v. Sydow, v. Savigny fort und zwar immer unter derselben treuen Pflichterfüllung und der gleichen Anerkennung von Seiten seiner Vorgesetzten. Im J. 1865 trat er in den wohlverdienten Ruhestand, nachdem er noch im J. 1863 sein 50jähriges Dienstjubiläum feiern konnte, bei welcher Gelegenheit ihm viele Anerkennungen zu Theil wurden. Vom König wurde er zum Geheimen Hofrath bei diesem Anlaß ernannt. Freilich wenn er am Ende eines vielbewegten, aber dunklen Lebens seine Leistungen mit seiner Stellung und seinem Lohne verglich, mochte er sich wol einer Anwandlung von Unmuth und Verdruß nicht erwehren. Er starb, nachdem er noch am Abend seines Lebens einige verspätete Auszeichnungen erhalten hatte, am 18. December 1865 in Frankfurt a/M. Er war verheirathet mit Susanne Silbermann aus Schweinfurt in Baiern und waren aus langer glücklicher Ehe vier Kinder entsprossen, von denen zwei Söhne den Vater überlebten.

Handschriftliche Autobiographie. Man vgl. ferner Kombst, G., Actenstücke aus den Archiven des deutschen Bundes, Leipzig 1838 und Straßburg 1837, 1. Ausg.; Derselbe, Der deutsche Bundestag gegen Ende des J. 1832, Straßburg 1836; Derselbe, Erinnerungen aus meinem Leben, Leipzig 1848; Corvin, Aus dem Leben eines Volkskämpfers, Amsterdam 1861, 4 Bde.; Briefe des Staatsministers und Generalpostmeisters v. Nagler an einen Staatsbeamten. Herausgegeben von E. Kelchner und K. Mendelssohn-Bartholdy, Leipzig 1869, 2 Bde.; Briefe des Generals und Gesandten Rochus v. Rochow an einen Staatsbeamten. Herausgegeben von E. Kelchner und K. Mendelssohn-Bartholdy, Frankfurt a M. 1873; Gutzkow, Karl, Rückblicke auf mein [560] Leben, Berlin 1875; Hesekiel, Das Buch vom Grafen Bismarck, Bielefeld 1869; Bismarckbriefe, 1844–70, 3. Aufl., Bielefeld 1880. v. Poschinger, Preußen im Bundestag von 1851–59. Lpzg. 1882.