Zum Jubelfest des schwarz-roth-goldnen Banners

Textdaten
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Autor: Robert Keil
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Titel: Zum Jubelfest des schwarz-roth-goldnen Banners
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aus: Die Gartenlaube, Heft 32, 33, 52, S. 506–510, 518–521, 831–832
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[506]
Zum Jubelfest des schwarz-roth-goldnen Banners.
Rückerinnerungen von Robert Keil.
I.

Sie rüsten sich zum Feste, die Alten wie die Jungen, die je dem schwarz-roth-goldenen Bande und dem Geist gehuldigt, der unter diesem Zeichen siegen soll. Die Aufrufe zur Theilnahme an den Tagen vom 14. bis 16. August finden bereitwillige Aufnahme in der gesammten Presse, die engen Grenzen eines Studenten-Verbindungsfestes sind damit längst überschritten, die nationale Bedeutung desselben wird mit jedem Tag freudiger anerkannt: hat dadurch ein großer Theil des deutschen Volkes doch jetzt erst erfahren, daß Deutschland das einzige sichtbare Zeichen seiner ersehnten Einheit weder seiner Geschichte noch seinen Fürsten zu verdanken hat, sondern einzig und [507] allein der vielverfolgten Burschenschaft. Daß aber in und mit derselben nichts mehr und nichts weniger verfolgt worden ist, als eben das alte nationale Streben nach des Vaterlandes Einheit, das ist es ja, was in jedem einzelnen Lande und Ländchen Deutschlands für die nationale Sehnsucht die zahlreichen Märtyrer und für das Fest der Burschenschaft die treuesten Genossen schuf.

In den schweren Tagen der napoleonischen Vergewaltigung des deutschen Vaterlandes, unter dem erschütternden Gange der Begebenheiten überwand die deutsche studirende Jugend den Standpunkt mittelalterlicher beengender Form. „Sie lernte den rohen Cynismus, den lächerlichen Pomp ihrer ‚Orden und Landsmannschaften’ verachten, und nimmermehr konnte sie an dem jedem vaterländischen Streben abgewandten Studentenleben, das sich, den Bruch mit Zucht und Sitte als ein seinem Stande besonderes Privilegium zurechtlegte, Gefallen finden. Die jungen Männer waren als ganz andere zurückgekehrt. Jahn, welcher in der Kriegszeit großen Einfluß auf sie gewonnen, hatte in seinem „Deutschen Volksthum“ auch für die Hochschulen reformistische Gedanken niedergelegt. Sie zu verwirklichen, war ein Theil der akademischen Jugend ernstlich gewillt. Dies zeigte sich namentlich in Jena. Die Dichtungen der großen Sänger verdrängten gar bald die cynischen Zoten aus dem Munde der Jugend, ein besserer Geist machte sich geltend, und dies zwar schon seit dem Ausbruche der französischen Revolution durch den Antrieb von bedeutenden Männern, welche damals ihre Lehrer waren.

Schiller, der von der Jugend verehrte Dichter der „Räuber“, des „Don Carlos“, hatte seinen Beruf ernst und würdig erfaßt, er wußte als Lehrer begeisternd auf die Jugend zu wirken. Reinhold versuchte nicht fruchtlos die Einführung und Verbreitung Kant’scher Grundsätze und Lehren, und der Segen einer uneingeschränkten Lehrfreiheit bewirkte, daß die bedeutendsten und anziehendsten akademischen Kräfte sich nach Jena wandten und daselbst läuternd und bessernd auftraten. Mit- und nacheinander arbeiteten und lehrten hier jene Männer, deren Namen für die Entwickelung des deutschen Geisteslebens so bedeutsam geworden sind: in der Rechtswissenschaft Feuerbach, Walch, Hufeland, Thibaut; in den Naturwissenschaften Oken, Döbereiner, Suckow; in der Philosophie Reinhold, Fichte, Niethammer, Schelling, Hegel, Krause, Fries, Ersch und Andere; in der Geschichte Eichhorn, später Schiller und Luden; in der ästhetischen Kritik die beiden Schlegel, Tieck und Wilhelm v. Humboldt.

Am nachhaltigsten und durchgreifendsten vermochte Fichte auf sittliche und wissenschaftliche Durchbildung hinzuwirken, Charaktere heranzubilden, mit seiner ethischen Strenge die Herzen derer zu begeistern für die höchsten und heiligsten ideellen Güter, denen sonst Kartenspiel, Dorfnymphen, Unfug und Trinkgelage das Höchste waren.

Da kam die unselige Schlacht von Jena und die Universität hatte nicht wenig unter den Schrecken jener Tage zu leiden. Napoleon schenkte ihr seine Aufmerksamkeit und nannte sie freundlich den ,Hauptheerd aller Revolutionäre und Demokraten‘. Als Luden unter großem Beifalle sein Collegium über vaterländische Geschichte 1807 schloß, umstanden das Auditorium französische Wachen. Die Erhebung Deutschlands führte die akademische Jugend auf den Kampfplatz, die Universität sah sie, wie oben bemerkt, als ganz andere Männer wieder. Die Thuringia, Vandalia, Franconia lösten sich freiwillig auf, eine neue Verbindung wurde hergestellt und an die Spitze ihrer Verfassung der Grundsatz gesetzt: Freiheit und Ehre sind die Grundtriebe des Burschenlebens.




Während der Franzosenkaiser mit seiner zahllosen Armee siegreich in Rußland eindrang, wagte es ein kleines deutsches Studentenhäuflein, das erste deutsch-patriotische Studentenfest dieses Jahrhunderts zu begehen. Es ist dasselbe als Zeichen der Zeit, als die Vorfeier der Burschenschaft bedeutsam. Es war in der Nacht vom 5. zum 6. September 1812, als die Landsmannschaft Vandalia auf der Kunitzburg bei Jena versammelt war. Ein Wachtfeuer loderte innerhalb der wenigen Trümmer mittelalterlicher Ritterlichkeit auf und sprühte seine Flammen und sein Licht weit hinaus in das herrliche Saalthal. Kriegsgesänge und begeisterungsvolle Ansprachen, ein Pereat der Tyrannenmacht, ein Hoch der zu erringenden Freiheit des geknechteten Vaterlandes donnerten in die Nacht hinaus, und es kreisten dazu die gefüllten Humpen. Gleich den ersten Eidgenossen auf dem Rütli erhob sich um die neugeschürte Gluth die in Kampfbegier bis zum Ueberkochen aufbrausende Schaar, schloß kraftbewußt die Hände ineinander und schwur mit einem Weheruf über die trübe Gegenwart unverbrüchliche Treue und Ergebenheit dem Vaterlande. Da, in diesem Augenblicke, blitzten die ersten Strahlen der in prächtigem Glanze am reinen Horizont hervorglühenden Morgensonne, und triumphirend begrüßten die braven Jünglinge diesen ersten Sonnenstrahl als das Sinnbild naher Erfüllung der tief in der Brust gehegten patriotischen Sehnsucht nach Erlösung. Das war das Fest der patriotischen Jünglingsschaar auf der Kunitzburg, es war – um mich des Ausdrucks Robert Blum’s zu bedienen – ein Hahnenruf, welcher den kommenden Tag einer neuen Geschichte unseres Volkes verkündete.

Und es kam der Tag einer neuen Geschichte unsers Volks. „Das Volk stand auf, der Sturm brach los“, in Begeisterung für Vaterland und Freiheit eilten die deutschen Männer und Jünglinge zu den Waffen und allen voran die akademische Jugend. Einzelne Universitäten, wie Jena, Breslau etc., sandten ganze Compagnieen und Schwadronen; Lützow’s „wilde, verwegene Jagd“ bestand großentheils aus deutschen Studenten; wo es das kühnste Wagniß, die verwegenste That galt, da waren sie zur Hand und in erster Reihe. Auf den Schlachtfeldern von Leipzig, von Waterloo etc. schläft mancher blond- und braunlockige Musensohn den langen Schlaf des Heldentodes für deutsche Freiheit. Und als der blutige Sieg entschieden war und das deutsche Volk zwar das Joch französischer Tyrannei gebrochen hatte, aber durch die Federn der Diplomaten um all seine Hoffnungen und gerechten Forderungen einer wahren freiheitlichen Einigung des Gesammt-Vaterlandes schnöde betrogen; als sich nach dem Frieden mit der allgemeinen Enttäuschung auch allgemeine Erschlaffung der Gemüther bemächtigte – da waren es die nach ihren Hochschulen zurückgekehrten Jünglinge, welche das in Deutschland erwachte National-Bewußtsein, die Begeisterung für deutsche Einheit und deutsche Freiheit in sich wach und lebendig erhielten und dem deutschen Volke für spätere Zeiten bewahrten. Angeekelt von dem wüsten Treiben des bisherigen Universitätslebens und von der sinnlosen Absonderung der Studirenden nach Heimath und Landsmannschaft, erstrebten die zurückgekehrten Freiheitskämpfer eine durchgreifende, patriotische Reform des Universitätslebens, eine Vereinigung aller Studirenden, gegründet auf den Geist der Freiheit und Selbstständigkeit des Vaterlandes, eine Vereinigung zu allseitiger Ausbildung der Jugendkraft zum Heil des Volks. Den ganzen, vollen Erfolg hatten diese Bestrebungen zuerst in Jena. Aus den von den zurückgekehrten Freiheitskämpfern fortbetriebenen körperlichen Uebungen ging eine „Wehrschaft“, aus der Wehrschaft endlich die Burschenschaft hervor. Aus unserem Buche, das als Festgabe zum Jubiläum der Burschenschaft nächstens die Presse verlassen wird, „den Alten und den Jungen zur Erinnerung an die großen Tage deutschen Burschenlebens gewidmet“,[1] mag die nach den Mittheilungen damaliger Burschen gegebene Schilderung des Stiftungs-Actes selbst hier Platz finden:

Am 10. Juni 1815 erging der öffentliche Aufruf, daß alle ehrenwerthen Studenten am 12. Juni um neun Uhr Vormittags auf Jenas Markte sich versammeln möchten. Rasch wurden noch die letzten Vorbereitungen getroffen. Johannes Cotta aus Ruhla, stud. theol. zu Jena, von vaterländischer Begeisterung, von burschenschaftlichem Sinn und musikalischem Talent erfüllt, hatte zu Arndt’s hervorragendstem Vaterlandsliede: „Was ist des Deutschen Vaterland?“ eine schwungvolle, kräftige Melodie componirt, die erste Melodie des Liedes, die dann als eigentliche Volksmelodie in Volkesmund übergegangen ist und Tausende von Herzen in Nord und Süd seitdem erwärmt und begeistert hat. Georg Friedrich Hanitsch aus dem Eisenachischen, stud. theol., ging beim Instrumentiren und Einüben des Liedes ihm zur Hand und componirte selbst zu einem andern Arndt’schen Liede, zu den herrlichen Worten: „Sind wir vereint zur guten Stunde“ etc. die schöne Melodie. Am 12. Juni 1815 versammelte sich eine namhafte Zahl von Studenten – Landsmannschafter, Renoncen und Finken, die aufgelösten Landsmannschaften mit ihren Fahnen, auf Jenas freundlichem Marktplatze, von Alters her dem forum der Studenten. Bei den Klängen der Stadtmusik zogen die Versammelten – die Landsmannschaften [508] zum letzten Male mit hochgehaltenen Fahnen – über das Kreuz, durch die Saalgasse, das Saalthor, über die Brücke zum Gasthofe zur Tanne.

Feierlich erklang hier zuerst und zum ersten Male das Lied, das die Burschenschaft zu ihrem Bundesliede wählte, das Lied: „Sind wir vereint zur guten Stunde!" Eine kräftige Ansprache Horn's an die Versammlung folgte, beseelt von patriotischer Begeisterung und sittlichem Ernste. Es war ein feierlicher, ergreifender Moment; das Gefühl einer großen folgenreichen That, gepaart mit stolzen Plänen und Hoffnungen für die Zukunft, ging durch die Versammlung. Die Burschenschaft wurde proclamirt, die entworfene Constitution vorgelesen und angenommen. Einhundertunddreizehn Studenten traten zu dem neuen Bunde zusammen, wählten den stud. theol. Carl Horn aus Neustrelitz, stud. jur. Wilhelm Kassenberger aus Frankfurt a. M., den stud. med. Ludwig Kunstmann aus Ebersdorf, den stud. theol. Edmund Neithart eben daher, den stud. jur. Georg Teichert aus Mitau, den stud. jur. Julius Walter aus Liefland, den stud. med. Ernst Weller aus Gotha, den stud. jur. Gustav Wilpert aus Kurland und den stud. theol. Friedrich Witter aus Hildburghausen zu Vorstehern, wählten ferner drei Candidaten des Vorsteher-Collegiums, einundzwanzig Ausschußmänner und sieben Candidaten des Ausschusses. Die landsmannschaftlichen Fahnen senkten sich zum Zeichen der Auflösung der Landsmannschaften, es folgten brüderliche Umarmung Aller und begeisterter Gesang des Liedes: „Was ist des Deutschen Vaterland?“ Zum ersten Mal in Deutschland erklang das Lied der deutschen Einheit, das deutsche Nationallied, es erklang hier bei der Einigung deutscher Jünglinge in nationalem Geiste, wie zwei Jahre später die Jenenser mit eben diesem Liede zum Wartburgsfest in Eisenach einzogen. Der erste burschenschaftliche Commers mit dem Landesvater und andern erhebenden Liedern beschloß, bis in die späte Nacht hinein während, den festlichen Tag. Die Burschenschaft war gegründet.

Der Gasthof zur Tanne bei Jena.

Begeistert für Wahrheit und Recht, reinigte und veredelte der neuentstandene Jünglingsbund das gesellschaftliche und wissenschaftliche Leben der Universität, man strebte,

Sich vom Halben zu entwöhnen
Und im Ganzen, Guten, Schönen
Resolut zu leben;

aber nach dem andern Kernspruch:

Laßt mir die jungen Leute nur
Und ergötzt euch an ihren Gaben!
Es will doch Großmama Natur
Manchmal einen närrischen Einfall haben,

genoß man auch, im engern Freundeskreise wie im Burschenhause und in den humoristischen Bierstaaten, mit ganzen vollen Zügen die frische brausende Jugendlust. So in Jena, so in Berlin, Heidelberg, Kiel, Erlangen und andern Universitäten, auf welchen die Idee der Burschenschaft von Jena aus rasch Eingang gefunden. Aus Erlangen z. B. berichtet man aus jener Zeit: „Eine günstige Umgestaltung und erhöhte Bedeutung erhielt die Studentenschaft in Erlangen durch die sich dort aufthuende Burschenschaft nach dem Vorbilde in Jena. Abschaffung landsmannschaftlicher Mißbräuche und Renommistereien, z. B. der leichtsinnigen Duelle, die durch ein entscheidendes Ehrengericht verhütet wurden, des Biercomments, der Fuchsenunterordnungen etc. und Einführung strenger Vorschriften in Bezug auf moralische Reinheit, der Turnschulen zur Kräftigung des Körpers, Verbesserung der Burschenlieder, Erweckung der Liebe zum gemeinsamen deutschen Vaterlande und seiner Freiheit, Drang nach der Ausbildung eines wissenschaftlichen und männlich starken Charakters, Achtung vor der Frauenwelt, überhaupt ein Streben nach allen jenen Tugenden, die den deutschen Jüngling zieren und sein Herz stählen und stärken durch eine edle Gluth – das Alles lag in dem Willen der Burschenschaft, die sich deshalb den Landmannschaften schroff gegenüberstellte. Es war ein eigner Anblick, als sich die ersten Burschen mit dem langen gescheitelten Haar, dem sammetnen Baret, goldenes Eichenlaub als Agrafe daran, mit schwarzem deutschem Rock und aufgeschlagenem Hemdekragen zeigten; als die ersten Turnübungen hinter dem Universitätsspitale von den kräftigen leibesgewandten Jünglingen vorgenommen wurden und als das schwarz-roth-goldene Banner auf dem Rütli aufgepflanzt ward. Der Ernst, der in sämmtlichen Regungen und Bewegungen der Burschenschaft herrschte, verschaffte ihr denn auch die Achtung von ganz Erlangen.“

In Jena selbst lenkte eine Erinnerungsfeier an den zweiten Pariser Frieden am 18., 19. und 20. Januar 1816 die Aufmerksamkeit der weitesten Kreise auf die neue Verbindung. Die Landwehr, die Bürger ohne Zahl, hatten sich nämlich offen an der Feier betheiligt, deren Hauptmomente ein Gottesdienst, Festzug auf den Markt und Freiheitsgesänge, von Reden begleitet, bildeten. Unter allgemeiner Theilnahme wurde damals die Eiche auf dem nach ihr so genannten Eichplatz gepflanzt. Und als am 31. März desselben Jahrs zum Andenken an die Einnahme von Paris ein ähnliches Fest gefeiert wurde, überreichten die Frauen und Jungfrauen der Bürgerschaft die schöne schwarz-roth-goldene Fahne, die erste Deutschlands, die wir im Bilde beifügen und deren echt deutsche Schicksale im zweiten Theile dieses Artikels erzählt werden.

Einen noch mächtigern Aufschwung nahm das burschenschaftliche Leben im Jahre 1817. Im Kopfe Jahn's entsprang im Frühjahr 1817 der Gedanke einer allgemeinen deutschen Burschenschaft, welche sämmtliche ehrenwerthe Burschen auf allen Universitäten deutscher Sprache umfassen sollte. Es wurde dieser Plan von den Studirenden mit jubelnder Begeisterung aufgenommen. Mit biedern, echt deutschen Worten lud Robert Wesselhöft (derselbe, der wegen seiner patriotischen Bestrebungen nachmals elf lange Jahre zu Köpenik und Magdeburg im Kerker schmachten sollte) im Namen der Jenaischen Burschenschaft zur Doppel-Feier des dreihundertjährigen Jubelfestes der Reformation und des wiederkehrenden Jahrestags der Leipziger Schlacht nach der Wartburg ein.

Dort wurde jenes Fest abgehalten, welches als ein verhängnißvolles und folgenschweres nachher in der Geschichte der neuesten Zeit eine so traurige Berühmtheit erlangt hat. Trotz der Vorstellungen über die staatsgefährlichen Tendenzen der Versammlung gab Karl August die Erlaubniß; ja er forderte die Bürger Eisenachs auf, ihre Gäste zu beherbergen, beauftragte die Behörden, der akademischen Jugend die Wartburg zu übergeben, ließ seine Fischteiche für das Festmahl öffnen, schenkte Holz aus seinen Forsten und eine Summe zur Bestreitung der Kosten. Im großen Wartburgsaale, wo einst der Sängerstreit gehalten wurde, versammelten sich die Jünglinge. Nachdem im Chore „Ein’ feste Burg ist unser Gott“ gesungen war, begann stud. theol. Riemann, Ritter des eisernen Kreuzes, das er bei Waterloo erworben hatte, die Festrede, die er mit einem Gebete um Gottes Beistand und Segen schloß. Oken berichtet (Isis 1817), daß alle Männer zu Thränen gerührt waren. Der Choral „Nun danket Alle Gott“ und eine Rede des Hofraths Professor Fries machte [509] den Beschluß. Oken warnte die Studenten, eine Partei zu bilden, denn der Staat sei ihnen jetzt fremd, es gezieme nur zu überlegen, wie sie dereinst im Staate handeln sollten. Ein Banket auf der Wartburg und ein Festgottesdienst in der Kirche zu Eisenach folgten. Bei Fackelschein zogen die Studenten sodann nach dem Wartenberge, wo weithin die Ebene beleuchtende Siegesfeuer brannten. Die Professoren, ein Theil der Studenten waren nach der Universitätsstadt zurückgekehrt, die Gedenkfeier war vorüber. – Da kam Maßmann auf den unseligen Gedanken, politische Schriften reactionären Inhalts zu verbrennen, mit Hinweis auf Luther’s That vor dem Thore zu Wittenberg. Man warf die Schriften eines Schmalz, Kamptz, eines Kotzebue u. A., zuletzt einen Schnürleib, einen „Pracht-, Prahl- und Patentzopf“ und einen „großmächtigen Corporalstock“ in das Feuer.

Die Burschenschafts-Fahne.
die erste schwarz-roth-goldne Fahne Deutschlands.
Das Burschenschafts-Schwert.

Das Autodafé lag außerhalb des Festprogramms, geschah ohne Vorwissen des Ausschusses und hatte vor Allem den Nachtheil, die Leidenschaften wachzurufen. Die Phraseologie war entfesselt, und zwar in einer die weisen Staatsmänner jener Tage gewaltig erschreckenden Weise. Indem die Lohe dieses Feuers weithin den ganzen deutschen Himmel röthete – indem die Rödiger’sche Feuerrede und der Gesang:

Zuletzt nun rufet Pereat
Den schuft’gen Schmalzgesellen
Und drei Mal Pere – Pereat!
So fahren sie zur Höllen!
Auf! auf! mein deutsches Vaterland,
Ihr Brüder, reichet Euch die Hand
Und schwört: so woll’n wir’s halten!

weithin durch die deutschen Gauen donnerten und die Maßmann’sche Festbeschreibung und die Schilderungen und Bildchen in Oken’s Isis all das weiter und weiter trugen, wurde die Burschenschaft und ihr Fest der Gegenstand der Angriffe der aus allen Köchern wieder vorgekrochenen mächtigen freiheitsfeindlichen Partei. Das ganze Gelichter eines von Kamptz, Schmalz, von Cölln, Kotzebue etc. fiel über „den Haufen verwilderter Professoren und verführter Studenten auf der Wartburg, welche diese klassische Burg durch einen solchen recht eigentlichen Vandalismus demagogischer Intoleranz öffentlich entwürdigt“ habe, über die „jungen unreifen Solonen“, über „die neuen Jacobiner in Jena“ und „den demagogischen Frevel“ her und denuncirten nach Herzenslust. Noch gelang es dem deutschgesinnten edeln Karl August von Weimar, den Sturm zu beschwören. Nur Eins ging verloren: auf das Erscheinen der auf der Wartburg beschlossenen Burschenzeitung („der deutschen Burschen fliegende Blätter“) hatte man vergebens zu warten. Schon waren Beiträge von Nord und Süd zugesagt; aber die Vorsicht, welche man in Weimar üben zu müssen glaubte, verbot das Erscheinen der Zeitung; war man ja doch von Seiten aller der großen und kleinen Regierungen gegen das kleine liberal regierte Weimar und gegen den Weimarischen Großherzog aufgebracht, der zuerst unter allen deutschen Fürsten sein gegebenes Wort eingelöst, seinem Volke eine freisinnige Verfassung gegeben und sich dadurch neuen Dank, neue Verehrung gewonnen hatte. Die Angriffe auf das Wartburgfest galten zugleich dem Weimarischen Liberalismus.

Karl August aber hatte sich schon vor dem Wartburgfeste durch die hannöverschen Winke: „es gingen große Umtriebe in der deutschen Jugend- und Burschenwelt um, man wolle bei Eisenach eine Zusammenrottung halten und aus den entferntesten Gegenden sich dort zusammenfinden,“ nicht beirren lassen, sondern einfach geantwortet, „er danke herzlich für die Nachricht, wisse das Alles aber schon längst. Er erkannte jetzt, wie sein Staatsminister von Fritsch, allen den Verdächtigungen und Schmähungen der Reaction gegenüber, offen an, daß „das auf die Studirenden gesetzte Vertrauen nicht getäuscht und das Fest des 18. October im Ganzen mit religiösem Ernst, würdiger Haltung und Rührung gefeiert worden sei,“ und überzeugte davon im December 1817 auch den Grafen von Zichy und den Fürsten von Hardenberg, welche von Oesterreich und Preußen ganz expreß nach Weimar und Jena geschickt worden waren, um die unerhörten Dinge in der Nähe zu schauen, und Alles anders fanden, als man es außerhalb Thüringens dargestellt hatte. Namentlich berichtete Zichy hinsichtlich der Ungarn und Siebenbürger (welche noch bis neuere Zeit stets ein starkes Contingent zur Burschenschaft geliefert), daß er bei ihnen Ordnung, Disciplin und treffliche Gesinnungen gefunden habe. Karl August ließ es daher ruhig geschehen, daß in Folge des Wartburgfestes zu besserem Zusammenhalt der verschiedenen deutschen Burschenschaften vom 29. März bis 3. April und wieder vom 10. bis 19. October 1818 Burschentage in Jena abgehalten und von den Abgeordneten von Breslau, Erlangen, Gießen, Halle, Heidelberg, Jena, Königsberg, Leipzig, Marburg, Rostock, Tübingen und Würzburg die allgemeine deutsche Burschenschaft constituirt und am 18. Oktober 1818 durch öffentliche Gesänge und Reden, Gottesdienst und Freudenfeuer festlich gefeiert wurde.

Zum Dank hatte die Jenenser Burschenschaft schon kurze Zeit nach dem Eisenacher Feste ihm ein Fackelständchen bringen wollen, Karl August hatte es abgelehnt, war aber selbst nach Jena gekommen, hatte am 7. März 1818 den Dank der Burschenschaft im Schlosse zu Jena entgegengenommen und die kräftigen Vaterlands- und Kriegslieder des Männergesangvereins mit aufrichtigem Wohlwollen angehört. Am 24. Juni 1818 wurde ihm ein Enkel (der jetzt regierende Großherzog) geboren. Gern ertheilte Karl August der Burschenschaft die erbetene Erlaubniß, ihm und der landesfürstlichen Familie nach der Taufe des Erbprinzen eine feierliche Abendmusik darzubringen, und lud sogar dazu ein, zur Taufe selbst einige Abgeordnete als Vertreter der Burschenschaft abzusenden. v. Binzer, Siewerssen, Graf Keller, Gabler, Bogk und Gruner wohnten in vollem burschenschaftlichen Festkleide dem Taufact am 5. Juli 1818 bei, und an demselben Tage zog die gesammte Jenenser Burschenschaft, fast fünfhundert Mann stark, hinüber nach Weimar. Janitscharenmusik und die von Graf [510] Bocholtz getragene Burschenfahne voran, zogen sie paarweise in den Schloßhof und stellten sich dem Balcon gegenüber in großem Halbkreise auf, von Gagern als Generalanführer brachte „dem durchlauchtigsten Großherzog von Weimar, dem verehrten Erhalter der Jenaischen Hochschule, dem geliebten Beschützer deutschen Rechts und deutscher Freiheit, und dem ganzen großherzoglichen Hause ein freies, freudiges Hoch!“ Jubelnd stimmten all die Burschen ein, kräftig erschollen die Lieder von „Lützow’s wilder Jagd“ und „Was ist des Deutschen Vaterland?“ Mit ungeheuchelter Freude sah vom Balcon herab der Großherzog und sein Hof dem frischen, fröhlichen Treiben zu, der Erbgroßherzog Karl Friedrich sprach den Studirenden warmen Dank aus und der Großherzog ließ sie auf dem Schloßhof an zwölf Tafeln fürstlich bewirthen. Erst gegen zwölf Uhr Nachts schloß das Fest, nicht ohne in den Herzen der Theilnehmer und der Weimarischen Bürgerschaft bis auf den heutigen Tag frohe Erinnerung zurückzulassen.

So bildete sich bei sittlichem Ernst und munterer Jugendlust auf den deutschen Universitäten das Wesen und Leben der Burschenschaft mehr und mehr aus, als plötzlich ein entsetzliches Ereigniß dazwischentrat und für die Burschenschaft die furchtbarsten Folgen hatte.



[518]
II.

Zu den freiheitsfeindlichen Schriftstellern jener Tage gehörte, wie wir sahen, auch von Kotzebue. Weit entfernt, sein dramatisches Talent zu unterschätzen, stimmen wir im Gegentheil der spätern Aeußerung seines genialen Gegners Goethe bei, daß man lange warten könne, ehe ein so fruchtbares und populäres Talent wieder komme. Aber die bei allem Witz und aller Gewandtheit nur gar zu üppig hervortretende Leichtfertigkeit und der Mangel an ernster, sittlicher Gebens- und Weltanschauung, die er in seinen dramatischen Werken, ganz besonders aber in seiner Geschichte des deutschen Reichs und seinem literarischen Wochenblatt zur Schau trug, ließ in ihm den Feind alles Idealen, den hämischen Spötter über jede höhere geistige Regung, den Gegner von Verfassung und Preßfreiheit, den Verächter und Schmäher des patriotischen Geistes der deutschen Jugend erkennen. Er war überdies, obgleich Deutscher von Geburt, der von Rußland besoldete Spion und Denunciant. Während er für alles Russische die schamlosesten Lobpreisungen verschwendete, ergoß er über alles Deutsche den giftigsten Tadel, riß die edelsten Namen frech herunter und suchte jedes freie Aufstreben als thöricht zu verspotten, als staatsgefährlich zu verdächtigen. Auf den deutschen, vom Auslande besoldeten Spürer und Verhetzer seiner Landsleute zog sich ein fast allgemeiner Haß zusammen. E. M. Arndt nennt ihn einen „Späher“, einen „Lauscher“, eine „Schmeißfliege“.

Fand sein Wesen, Thun und Treiben bei allen hervorragenden Geistern jener Zeit das lebhafteste Mißfallen, um wie viel mehr bei der feurigen, in Verehrung wie in Haß gleich maßlosen und überdies hier selbst angegriffnen und geschmähten akademischen Jugend! Schon ehe sein Denunciationsgeschäft an den Tag kam, hatte er bei Jung und Alt die Achtung eingebüßt, und als seine verrätherischen Bulletins entdeckt und veröffentlicht wurden, als er sich sogar zum Vertheidiger der nichtswürdigen Stourdza’schen Schandschrift aufwarf, faßte ein sonst braver, edler, harmloser, aber schwärmerischer und unter dem Einfluß des fanatischen Follen stehender Student, der Burscherschafter Carl Ludwig Sand aus Wunsiedel, den Entschluß, „dem Dichter, der die Sache seines Volkes hasse, dem Schandbuben und Erzknecht, der den Zustand der Schläfrigkeit und Feigheit zu befördern suche, dem Verführer der deutschen Jugend, dem Schänder der deutschen Volksgeschichte, dem russischen Spion des deutschen Vaterlandes das Schwert in’s Gekröse zu stoßen.“ Seinen Freunden fiel Sand’s geändertes Wesen und Benehmen auf. „Was hat Spukmeier? was ist mit ihm?“ frug man sich, aber Niemand wußte eine Antwort. Inzwischen ließ er sich den Dolch nach eigner Zeichnung anfertigen und besuchte chirurgische Collegien, um sich über die Lage und Verletzbarkeit des Herzens genau zu unterrichten. Am 23. März 1819 fiel v. Kotzebue zu Mannheim unter dem Dolche Sand’s.

Es war die Blutthat eines Einzelnen, die Burschenschaft hatte nichts mit ihr gemein. Aber wie einestheils in Mannheim und vielen andern Orten fast die ganze Bevölkerung für Sand gestimmt war und den begangenen Mord als die Heldenthat eines edeln vaterländischen Jünglings ansah, wie man ihm in Mannheim Erfrischungen sandte, vor dem Hospital ihm als dem Märtyrer der Sache des Vaterlandes Lebehoch und Beifall rief, wie sich eben diese Sympathieen auch bei seiner Hinrichtung zeigten, indem die Menge laut weinte und schluchzte, und der Stuhl, auf dem Sand gesessen, Haare von ihm, blutige Splitter des Gerüstes unter großem Andrang gekauft und durch ganz Deutschland hin als theure Andenken an einen lieben Todten verbreitet wurden: ebenso groß war anderntheils bei den hohen und höchsten Herren die durch Sand’s That hervorgerufene Furcht und Sorge. Es herrschte dumpfe Betroffenheit und angstvolle Spannung. Man hatte ein böses Gewissen, und dieses böse Gewissen fing plötzlich zu schlagen an. Die Großen, die Hofleute, die Diplomaten sahen sich aus ihrem weltlichen Behagen gräßlich aufgeschreckt, eine neue heilige Vehme schien erstanden, jeder Student konnte der Vollstrecker ihrer Urtheile sein, sie glaubten sich ihres Lebens nicht mehr sicher, die Einen jammerten und seufzten, Andere schalten und tobten, Alle begehrten Schutz und Abwehr gegen solche Gefahr.

So schildern Zeitgenossen die Furcht jener Herren, und es wurde diese Furcht zur Angst, als, von Sand’s That angereizt, der Apothekerlehrling Löhning in Wiesbaden zum Dolche griff und gegen den nassauischen Präsidenten Ibell seinen Mordversnch ausführte. Auch den Großherzog von Baden erfüllte jene Angst. Schon auf die erste Nachricht aus Mannheim hatte er durch seinen Eifer und seine Unruhe verrathen, wie sehr er erschüttert und verwirrt war, und später bekannte er gegen Varnhagen, daß er sich sehr unglücklich fühle. „Hätte der Kotzebue,“ sagte er im kläglichsten Tone, „doch wo anders gewohnt, als im Badischen! Der Mörder wird durch unsere Gerichte zum Tode verurtheilt, darüber ist gar kein Zweifel, und ich, ich soll dann das Urtheil bestätigen, oder den Thäter begnadigen, beides ist mir entsetzlich. Begnadigen, das geht nicht, und hinrichten lassen, – nicht wahr, lieber Varnhagen, wenn ich das thue, so muß ich mich darauf gefaßt machen, daß auch mir so ein Studentle nächstens Blut läßt?“

Der österreichische Gesandte in Karlsruhe, Graf Trautmannsdorf, faßte zwar das Ereigniß naiver auf, indem er auf die Frage, ob er seine Depesche nach Wien gesandt habe, zur Antwort gab: „Warum nit gar! I hab’s nit bericht’. Was soll i denn davon berichte? Es ist a Mord; bin i dazu Diplomat, daß i jede Mord berichte soll?“

In Wien selbst aber und vollends am Berliner Hofe nahm man die Sache weit ernster, man glaubte sich von einer weitverbreiteten geheimen furchtbaren Vehme umgarnt, man hielt die ganze Jugend für fanatisirt und zu den schrecklichsten Thaten entschlossen. Es sollten, es mußten Mitschuldige gefunden werden. Man schämte sich von ministerieller Seite in Karlsruhe nicht, Beweisstücke zu erfinden und sogar an Anwendung der Tortur gegen Sand zu denken, da ja die Sicherheit aller Fürsten und Staatsmänner solche Abweichung vom gewöhnlichen Rechtsgang wohl rechtfertige! Aber die Mannheimer Untersuchung ergab nichts. Man richtete die Untersuchung gegen die Burschenschaft, ließ überall Verhaftungen vornehmen, strenge Verhöre halten, die Papiere durchsuchen etc., aber es ergab sich doch keine Mitschuld der Burschenschaft, sondern im Gegentheil die Gewißheit, daß die Burschenschaft mit Kotzebue’s Ermordung nichts zu thun hatte. Gleichwohl und trotz der ehrenhaften, eifrigen Vertheidigung, welche Karl August durch seinen Bundestagsgesandten für Jena und die Jenaische Burschenschaft führen ließ, rief die preußische Regierung alle Preußen von Jena ab und der Karlsbader Congreß trat zusammen, um dem vaterländischen und Freiheitssinn der deutschen akademischen Jugend zu möglichster Sicherung fürstlicher Despotie den Todesstoß zu geben.

Die Karlsbader Beschlüsse waren an erster Stelle gegen Karl August, die Weimarische Verfassung und Jena gerichtet. Ihre heimliche Geburt konnte der Großherzog nicht hintertreiben, man hatte seinen uneingeladenen Minister von Fritsch aus Courtoisie zu einer nichtssagenden Extravorstellung der Conferenz zugelassen, im Uebrigen aber hinter die Thür gestellt.

Den Karlsbader Beschlüssen gemäß wurden durch Bundestagsbeschluß vom 20. September 1819 für die Universitäten Regierungsbevollmächtigte als Vormünder angestellt und die Burschenschaft verboten, da „diesem Vereine die schlechterdings unzulässige Voraussetzung einer fortdauernden Gemeinschaft und Correspondenz zwischen den verschiedenen Universitäten zu Grunde liege“. Es ist kaum zu glauben, aber so, wörtlich so lautete das lächerliche Motiv, das man für die Unterdrückung der Burschenschaft angab, das eine Schein-Repräsentation der deutschen Einheit einem patriotischen Verein gegenüber angab, welcher die deutsche Einheit zu seinem Grundprincip genommen hatte! Zugleich wurde die berüchtigte Central-Untersuchungs-Commission in Mainz niedergesetzt, um ihr sauberes Werk zu beginnen.

Da lösten sich überall die Burschenschaften auf, auch in Jena. Am 26. November 1819 erklang dort im Rosensaale gar kräftig und begeistert zum letzten Male das Bundeslied mit seinen Schlußworten:

„Das Wort, das unsern Bund geschüzet,
Das Heil, das uns sein Teufel raubt
Und kein Tyrannentrug uns kürzet,
Das sei gehalten und geglaubt!“

[519] und nachher in engerem Kreise das wehmüthig-schöne Binzel’sche Lied: „Wir hatten gebauet ein stattliches Haus etc.“. Und wie das ganze schöne Lied, so war und wurde seine Schlußstrophe:

„Das Haus mag zerfallen –
Was hat’s denn für Noth?
Der Geist lebt in uns Allen
Und unsre Burg ist Gott!“

ganze volle Wahrheit.

Der Geist, der patriotische, burschenschaftliche Geist lebte fort und er erwärmt heute noch die Greise, wie er in den Jünglingen geglüht hatte. Es war Stud. theol. Karl Horn aus Neustrelitz, der, aus dem Freiheitskampf zurückgekehrt, 1815 die Burschenschaft mit in das Leben gerufen, der die Stiftungsrede gehalten hatte, einer ihrer ersten Vorsteher geworden war und als Sprecher derselben am 19. Januar 1816 beim Pflanzen der Eiche auf dem Eichplatze gerufen hatte: „Wir setzen ihn ein, den Baum der Hoffnung, den Baum der Stärke, den Baum der Freiheit: wir schwören warme Liebe dem Vaterlande, Ergebenheit unsern Fürsten, die für des Vaterlandes Wohl Gut und Blut zu opfern bereit sind, wir schwören standhafte Treue allen deutschen Brüdern, die mit uns einen Sinn, ein heiliges Streben theilen, und rufen in froher Begeisterung ein Hoch der deutschen Freiheit!“ Derselbe Karl Horn, nun Pastor zu Badresch in Mecklenburg-Strelitz, war im August 1858 zum dreihundertjährigen Jubiläum der Universität wieder in Jena, und mit demselben warmen, vaterländischen Gefühl, wie damals in seinen Studentenjahren, 1812 bis 1816, sprach er, der große, kräftige, breitschulterige Mann mit dem offenen, biedern Gesicht und den hellen, freien, hübschen Augen, in der denkwürdigen Burschenschafts-Versammlung, welche damals im deutschen Hause zu Jena stattfand, die schlichten, kernigen Worte: „Der Ruf für das Vaterland hatte uns Alle ohne Unterschied gleich getroffen; Vandalen und Sachsen und wie sie sich nannten, sind zusammen ausgezogen und schlossen sich dem Lützow’schen Corps an. Dort gab uns der König von Preußen selbst die Uniform, in welcher sich zufällig die drei Farben schwarz, roth, gold befanden (schwarze Röcke mit rothen Aufschlägen und gelben Knöpfen), die fortan auch Bundeszeichen wurden, und zwar schwarz wie die Nacht der Knechtschaft, die wir abschütteln wollten, roth wie das Blut, das der Kampf kosten werde, golden wie die Freiheitssonne, die dem Vaterlande aus dem Kampfe gegen die Knechtschaft aufgehen sollte. Was man sonst in diese Farben hineingedeutelt, ist fremder Zusatz, oft kleinliche Spielerei. Nach dem Kampfe kehrten die Jenaer, die ihn überlebt, wieder zu ihren Studien, auch zu ihren Landsmannschaften zurück. Aber Alle brachten das Gefühl mit, daß diese Landsmannschaften ihrer unwürdig, daß in der landsmannschaftlichen Zerrissenheit Deutschlands die eigentliche Ursache gelegen, warum das große, mächtige deutsche Volk so tief habe sinken, so leicht habe in fremde Knechtschaft verfallen können. Dies Bewußtsein brachten wir aus dem Kampfe mit, und in ihm wurzelt die Burschenschaft, die bald nach der Rückkehr der Kämpfer nach Jena entstand. Sie hatte keine politischen Sonderzwecke, sie wollte einfach, klar, offen das Bewußtsein der volksthümlichen Einheit des deutschen Volkes feststellen und der Zerrissenheit unter den Studirenden und, soweit ihr Einfluß, ihr Beispiel gehe, im ganzen Volke ein Ende machen helfen. Das und nichts Anderes war der Zweck der Burschenschaft; so und nicht anders ist sie entstanden. Und wenn Herr Leo sagt, daß meine Vandalenmütze das Roth zum schwarz-roth-goldenen Bande geliefert, so lügt er schnöde, und wenn er sagt, daß ich wahrscheinlich jetzt Bürgermeister oder Landpfarrer sei und den ‚dicken Wanst’ vor Aachen schütteln werde, so oft ich an die Possen der Burschenschaft denke, so ist er im Irrthum. Was wir gewollt, war heilig und ist uns heute noch heilig!“

So dachten die Jünglinge, welche kaum ein Jahr nach der Auflösung der Burschenschaft zu deren Wiederbelebung schritten. Schon im Sommer 1820 trat auf der sogenannten Wölmse bei Ziegenhain der Rest der alten Burschenschaft als Germania wieder zusammen, ebenso bildeten sich in Berlin, Erlangen, Heidelberg, Leipzig etc. wieder Burschenschaften, und Burschentage zu Dresden, zu Streitberg und im Odenwalde brachten sie wieder näher. Aber es bildeten sich auch neue Landsmannschaften, oder vielmehr Corps, nur dem heitern Lebensgenuß und der Freundschaft hingegeben. Conflicte zwischen beiden Parteien konnten nicht ausbleiben, und überall fanden Untersuchungen gegen die Burschenschafter und Maßregelungen derselben mit Relegation und andern Strafen statt. Trotz aller Demagogenriecherei erhielten sich aber überall die geheimen Burschenschaften fort und zeichneten sich durch den guten, wackeren Geist, der sich am deutlichsten aus den freundschaftlichen Herzensergießungen ausspricht, welche damals der Freund dem Freunde in das Stammbuch zu schreiben pflegte.

In Jena traten sie auch offen an den Tag und zeichneten sich nicht selten durch ihren mitunter fast überkräftigen Humor aus. Bei den Aufführungen der Räuber, des Götz, des Tell etc. im Weimarischen Theater fehlten die Jenenser Burschen niemals, stets sangen sie in den Räubern nach altem Studentenrecht ihr Gaudeamus, übten ungenirt eine derbe Kritik des Beifalls oder Mißfalls, und als von Weimar aus dies einmal gerügt wurde, sangen sie auf ihrem Burschenhause mit vielem Jubel:

„Unser Herzog Karl Augustus
Hat allein den wahren Gustus;
Er ruft seinem Parterre zu:
Wenn ich klatsche, klasch auch Du!
     Auf die neue Mode!“

Als gegen Ende des Jahres 1822 ein Anschlag am schwarzen Bret plötzlich das Singen der Studenten auf den Straßen verbot, durchbrauste zur Antwort im massenhaften Aufstand der häusererschütternde Gesang: „Das Volk steht auf, der Sturm bricht los“, die alte Musenstadt, und als zur Dämpfung der Unruhen Militär von Weimar heranrückte, zogen die Burschen, Mann für Mann, mehr als vierhundert, die blitzenden Schläger frei in der Faust, mit Sang und Klang und wehender Fahne auf mehrere Tage nach dem Städtchen Kahla fort.

Ernster war die politische Richtung, welcher die hervorragendsten Kräfte der Burschenschaft sich zuwandten. Ueberall in Deutschland (mit einziger Ausnahme des liberalen Thüringens) erhob die Reaction kühn und immer kühner, immer übermüthiger das Haupt und mußte in den deutschen Jünglingen mit dem Gefühl der Enttäuschung die tiefste Erbitterung wecken. Das Studium der Geschichte hatte in ihnen die innigste und feurigste Liebe zu Volk und Vaterland wachgerufen. Sie sahen mit blutendem Herzen, wie in langwierigen Kriegen, aus dem Boden des eigenen gemeinsamen Vaterlandes Deutsche gegen Deutsche für fremdes Interesse, bethört durch fremde Arglist, sich selbst angefeindet und aufgerieben, sahen auch jetzt ein Geschlecht wiedererstanden, das der verwunderten Welt Ansprüche und Vorurtheile zeigte, welche man lange in den Familiengrüften verwest geglaubt hatte, sahen alte, verrostete Formen, so unpassend sie auch immer waren, wieder hervorgezogen, sahen den Werth der letztvergangenen Zeit so tief als möglich herabgesetzt, ja den heldenmüthigen Aufschwung des deutschen Volkes wie eine Sache hündischen Gehorsams behandelt, sie sahen das Ende solch mannigfachen Elends und eine auf festem Grunde ruhende Sicherheit mit in einer festen Einheit des ganzen Volks, und hielten sich als den Kern der Nation, die Hoffnung der künftigen Generationen ebenso berechtigt, als verpflichtet, für solche Einheit zu wirken.

Auf Anregung der nach der Schweiz geflüchteten Professoren Karl Follen, Snell und Völker stiftete daher der Jenenser Burschenschafter Adolph von Sprewitz aus Rostock im Frühjahre 1821 einen geheimen, durch ganz Deutschland sich verzweigenden „Jünglingsbund“, mit der Tendenz, für politische Freiheit und Einheit des gemeinsamen Vaterlandes zu wirken und namentlich die kommende Generation für entschlossenen Sinn heranzubilden. Dafür mit allen Kräften einzustehen wurden die Neuaufgenommenen verpflichtet und ein Erkennungszeichen verabredet. Eine Zeit lang galt als solches folgende Frage und Antwort:

„Führte Dich Deine Reise auch wohl einmal auf den Johannisberg?“

„Ja, in den ersten Tagen des Mais. Warst Du auch dort?“

„Ja, am 18. October.“

Einen Zustand herbeizuführen, in welchem das gesammte deutsche Volk durch selbstgewählte Vertreter sich eine Verfassung geben könne, war das Endziel ihrer Bestrebungen; über hundert begabte deutsche Jünglinge, darunter die tüchtigsten Köpfe der Burschenschaft, schlossen sich dieser Richtung, diesem Geheimbunde an. Das Resultat ihrer mehrfachen Zusammenkünfte und Berathungen war, daß der Bundeszweck auf dem Wege der Ueberzeugung erreicht werden solle, durch Rede und Schrift sollten die erkannten Wahrheiten [520] dem Volke mitgetheilt werden, damit es einsehen lerne, daß die Einheit Deutschlands nothwendig und gesetzmäßige Freiheit, durch Constitutionen begründet, durchaus wünschenswerth sei. Die praktische Wirksamkeit des Bundes beschränkte sich daher auf seine Verbreitung und auf Versammlungen zu Besprechung des Bundes. Es fehlte ihnen jedoch an Einsicht, Klarheit, Erfahrung, an Einheit und Kräften. Sie blieben ohne Hülfe von außen, der vermeintliche „Männerbund“ existirte nicht, die Umwälzungen in Italien, Spanien, Portugal fanden ihren Damm. So zerfiel allmählich der Jünglingsbund und würde sich auch formell aufgelöst haben, wenn die weite Entfernung der Theilhaber es ermöglicht hätte. Immerhin hat er in der Geschichte des deutschen Volkes seine Bedeutung. Was jetzt die ganze deutsche Nation als nationales Bedürfniß erkannt hat, was wir zum Theil bereits erlangt haben, zum Theil noch zu erlangen streben, was selbst von den deutschen Fürsten vor zwei Jahren im Römer zu Frankfurt als Nothwendigkeit anerkannt worden ist, die freiheitliche Einigung des ganzen großen Vaterlandes, dies und nichts anderes wollten schon damals jene Jünglinge, und ihre Bestrebungen sind ein Factor gewesen in der Fortentwickelung dieses nationalen Processes.

Der Burgkeller in Jena.
die alte Kneipe der Burschenschaft.

Aber wie wurde von den damaligen Regierungen dies Beginnen der deutschen Jugend angesehen, wie mußten die jungen „Demagogen“ für ihren „Hochverrat“ büßen! A. Ruge, ein Mitglied des Jünglingsbundes, erzählt z. B. in seinen Denkwürdigkeiten: Kurz vor Weihnachten 1823 kamen schlimme Nachrichten von den Verhaftungen mehrerer vertrauter Freunde aus dem Burschenkreise von Halle nach Heidelberg, und Ruge fühlte wohl, daß „der fünfte Act des Dramas gekommen“ und die Gefahr, seine Freiheit zu verlieren, nahe gerückt sei. Obwohl gewarnt, entschloß er sich doch, ruhig auszuharren und Simon’s aufopferndes Anerbieten, mit ihm zu flüchten, abzulehnen. An einem der ersten Tage des Jahres 1824 versammelten sich die Freunde zu einem großen Gelage. Als hätte er eine Ahnung gehabt, daß es sein letzter freier Abend sein solle, geizte Ruge förmlich mit den Minuten und wollte am liebsten gar nicht nach Hause gehen. Endlich gegen Mitternacht brachen sie auf. Ruge öffnete die Thür seines Hauses, suchte Stubenschlüssel und Licht, – da tauchten aus allen Ecken Gestalten auf und ein quiekender Regierungsrath aus Karlsruhe verhaftete den allzu Vertrauensseligen „wegen Hochverraths“. Der Kerker wartete seiner und erst sechs Jahre später sollten die Thüren, die jetzt hinter ihm zuschlugen, sich ihm wieder öffnen!

Der Jünglingsbund war durch Verletzung des Briefgeheimnisses entdeckt worden und die große Mehrzahl seiner Mitglieder, soweit sie sich nicht durch eiligste Flucht in die Schweiz oder über das Meer retteten, wurden als Demagogen verhaftet und auf das Allerhärteste gestraft. Wie sich die Mainzer Commission freute, in Demagogenriecherei wieder machen zu können! wie sich überall die Gerichte beeilten, die edelsten Söhne des Vaterlandes in den Kerker zu werfen! Ein einziges Erkenntniß des Breslauer Oberlandesgerichts allein verurtheilte

1) den Lieutenant (früher Student) Karl Friedrich von der Lanken „wegen Theilnahme an einer verbotenen, das Verbrechen des Hochverraths vorbereitenden geheimen Verbindung und deren Verbreitung“ zu zwölf Jahren Festung,

2) den Hülfslehrer am Bielefelder Gymnasium, H. Chr. Alb. Clemen, zu fünfzehn Jahren Festung,

3) Joh. Heinr. Karl Brandes zu sechs Jahren Festung,

4) Carl Joh. Otto Sigismund von Witter zu fünfzehn Jahren Festung, ebenso

5) den Auscultator von Bonge zu Breslau zu fünfzehn Jahren,

6) den Auscultator A. E. Lange zu Landsberg zu fünfzehn Jahren,

7) den Auscultator Kaspari zu Groß-Salza zu dreizehn Jahren,

8) August Friedr. Gottlieb Pötsch zu acht Jahren,

9) Ernst Ferdinand Hagemeister zu acht Jahren,

10) den Rector Schütte zu Herdecke zu fünfzehn Jahren,

11) Georg Arnold Rump zu fünfzehn Jahren, ebenso

12) Arnold Ruge zu fünfzehn Jahren Festung,

13) F. W. L. D. Landfehrmann zu dreizehn Jahren,

14) H. Th. R. E. Ledebur zu fünfzehn Jahren,

15) F. W. Lehmann zu zehn Jahren,

16) Wilh. Ernenputsch zu elf Jahren,

17) Hermann Ascan Demme zu neun Jahren Festung,

18) von Viebahn „wegen dringenden Verdachts, die Existenz dieser Verbindung wohl gekannt, ohne aber hiervon der Behörde Anzeige gemacht zu haben“ (!!), zu „außerordentlichem“ zweijährigen Festungsarrest,

19) A. L. Chr. Gabert zu fünfzehn Jahren Festung, ebenso

20) Moritz Großler zu fünfzehn Jahren,

21) C. Aug. Springer zu fünfzehn Jahren,

22) G. A. Wislicenus zu zwölf Jahren,

23) F. W. H. Pirschner zu vierzehn Jahren,

24) C. F. Bercht zu vierzehn Jahren,

25) E. P. Schliemann zu dreizehn Jahren,

26) R. W. Th. Quinke zu acht Jahren und

27) A. F. Huhold zu neun Jahren Festung,

überdies auch zu Dienstentsetzung, Unfähigkeit zu allen öffentlichen Aemtern, Verlust des Rechts zur Tragung der preußischen Nationalcocarde und der Denkmünze für Nichtcombattanten aus dem Jahre 1815. So brachen ehemalige Landsmannschafter als nunmehrige preußische Richter, gehorsam den Befehlen ihrer Regierung, den Stab über edle deutsche Jünglinge, ohne das patriotische Streben derselben zu verstehen, ohne zu begreifen, wie schwer sie selbst sich gegen das Recht und die Geschichte des deutschen Volkes vergingen. Natürlich richteten sich die hochnothpeinlichen Untersuchungen auch gegen die Mitgliedschaft bei der geheimen Burschenschaft, der bloße Verdacht burschenschaftlicher Gesinnung genügte, um zum Gefängniß, zur Festung geführt zu werden. Wahrlich, die Schamröthe steigt Einem in das Gesicht, wenn man die Blätter der Geschichte deutscher Demagogenriecherei liest!

Von Neuem beschloß im Jahre 1824 die deutsche Bundesversammlung Auflösung der Burschenschaft, von Neuem aber schuf der unverwüstliche burschenschaftliche Sinn der akademischen Jugend sowohl in Jena (wo von 1823 an der altehrwürdige Burgkeller zum Burschenhause diente), als auch in Leipzig, Halle, Erlangen, Würzburg, Heidelberg, Göttingen, Marburg, Gießen etc. geheime burschenschaftliche Verbindungen und vereinigte sie sogar im Jahre 1828 zu einer neuen allgemeinen deutschen Burschenschaft, welche als Endziel die Einheit Deutschlands bezeichnete und als ihre Tendenz aussprach, daß sie „die Vorbereitung zur Herbeiführung eines [521] frei und gerecht geordneten und in Volkseinheit bestehenden Staatslebens in dem Volk, mittels sittlicher, wissenschaftlicher und körperlicher Ausbildung auf der Hochschule“ bezwecke. Es war in diesen Kreisen, wie ein Glied derselben später (in der A. Z.) treffend bemerkte, ein heiteres, ein prächtiges Leben. „Wie platzten in den Fuchskränzchen, in den Verbindungskränzchen, in den allgemeinen Versammlungen, die Geister aufeinander, welche Gegensätze kamen zu Tage, wie offen und muthig sprach diese Jugend aus, was sie auf dem Herzen und auf der Zunge hatte! Es ist wahr, in unsern Staaten, die wir bildeten und die in innigstem Trutz- und Schutzbündniß standen, im Kaiserthum Zwätzen, in der Republik Ziegenhain, in den Herzogthümern Ammerbach und Wöllnitz, thaten wir nach altgermanischer Art den Lanzen, Aebten, Birkenmeiern und Stübchen die gebührende Ehre an, aber wir lagen auch den Studien ob und waren fleißig. Und so ist es gekommen, daß aus dieser Jenaischen Burschenschaft eine verhältnißmäßig große Anzahl von tüchtigen Männern hervorging, welche einflußreiche Aemter bekleiden, sich im deutschen Parlamente, in Landesvertretungen, in Cabineten, auf dem Richterstuhl, auf der Kanzel und als Gelehrte ausgezeichnet haben. Namentlich im Jahre 1830 war eine Fülle von bedeutenden Köpfen und charakteristischen Leuten auf dem Burgkeller, wie sie in solcher Weise sich wohl nicht leicht wieder zusammenfinden.“


(Den Schluß, Nr. III, dieses Artikels lassen wir nach dem Burschenschafts-Jubiläumsfeste folgen, um dem Ganzen einen abgerundeten Abschluß zu geben.)


[831] Das Jubelfest des schwarz-roth-goldenen-Banners. (Nachtrag.) Es ist uns von vielen Seiten der Wunsch ausgesprochen worden, daß die „Gartenlaube“ den in Nr. 33 angezeigten Schluß dieses Artikels noch im laufenden Jahrgang bringen möge. Dies geschieht hiermit, wobei wir jedoch allerdings zu einer möglichst gedrängten Darstellung uns genöthigt sehen.

Mit dem Jahre 1827, bis zu welchem der zweite Theil dieses Artikels (Nr. 33) uns geführt hatte, nahm die berüchtigte Mainzer Commission ein Ende, in den Festungen schmachteten nur noch Wenige (darunter A. Ruge in Colberg), der Ernst der Verbote wurde geringer, die Farben wurden wieder getragen und nur das Turnen noch mit großer Heimlichkeit getrieben.

Inzwischen bereitete sich von Erlangen aus jene innere Spaltung der Burschenschaft vor, welche bald die förmliche Trennung zur Folge hatte. Während die eine Richtung (die sog. arminische) das alte „Frisch, Frei, Fröhlich, Fromm“ der Burschenschaft und deren patriotische Tendenz festhalten, aber von einem Hinausgreifen über das Studentische nichts wissen mochte, wollte die andere Richtung (die sog. germanische) nicht eine bloße Vorbereitung zur Herbeiführung eines freien Staatslebens, sondern schon von der Universität aus diese Herbeiführung selbst, wollte einen freien Verein deutscher Jünglinge zur Herbeiführung eines in Volkseinheit und Volksfreiheit bestehenden Zustandes im deutschen Vaterlande, verfolgte also eine praktisch-politische Tendenz, welche schließlich einen revolutionären Charakter annahm. So trennte sich die Burschenschaft um 1830 fast überall in Arminen und die „forscheren“ Germanen. Hinsichtlich der Eigenthümlichkeiten beider Parteien verweisen wir auf die „Geschichte des Jenaischen Studentenlebens von der Gründung der Universität bis zur Gegenwart (1848–1858) von Rich. und Rob. Keil (Leipzig, Brockhaus 1858)“. Hier mag nur noch bemerkt sein, daß man solchen Conflicten hervorgewachsene beißende Spottlieder, wie sie sich theils nur noch im Gedächtniß der damaligen Musensöhne forterhalten haben, theils durch ein jetzt im sechsundsiebenzigsten Semester stehenden bemoostes Haupt von Jena, die sogenannte Alte Latte, unter dem Titel „Jena’sche Luft“ veröffentlicht worden sind, die gegenseitige Stimmung am deutlichsten veranschaulichen.

Trotz alledem und obgleich die verschiedenartigen Zwecke die beiden Burschenschaften auseinander hielten, war das damalige vielbewegte akademische Leben in Jena doch schön. Da kam das große Hambacher Fest (27. Mai 1832) und in und als Folge desselben neue strengste Bundesverbote gegen die Burschenschaft, wie als Antwort darauf ein neuer Burschentag zu Stuttgart und einige Monate später, am 3. April 1833, das Frankfurter Attentat. Eine neue Untersuchungs-Centralbehörde wurde in Frankfurt a. M. niedergesetzt und neue Demagogen-Verfolgungen begannen. Schon der Besitz eines altdeutschen Rockes reichte damals hin, um chicanirt und gemaßregelt zu werden. Die Bibliothek und das Archiv der Burschenschaft, – aus denen später so viel wichtiges Material zu unserer Geschichte des Jenaischen Studentenlebens und neuerdings zur Aufklärung über die Gründung der deutschen Burschenschaft in Jena geschöpft werden konnte – mußten sich wieder in Kisten und Kasten, ja unter das Holz im Holzstalle flüchten. Aber der burschenschaftliche Geist war auch jetzt nicht auszurotten, im Geheimen bildeten sich neue Vereine, im Geheimen trug man die Farben, pflegte vaterländischen Sinn nach wie vor und vergaß darüber auch den Humor nicht. Die Spalten dieser Zeitschrift brachten vor Kurzem (in dem Artikel „Es war doch schön auf Hochschulen“, Nr. 27) die lebendige Schilderung eines humoristischen Festes aus jener Zeit.

Was die Burschenschaft gepflegt und bewahrt hatte: das deutsche Einheitsgefühl, das Nationalbewußtsein, war allmählich durch alle Schichten des Volkes gedrungen; im Jahre 1848 hatte es, wenn auch nur vorübergehend, seinen Sieg gefeiert; die deutschen Turner, Schützen und Sänger waren seitdem mit ihren nationalen Festen zu einer großen deutschen Burschenschaft geworden. Da feierte in den Augusttagen 1858 das alte, aber ewig junge Jena sein dreihundertjähriges Jubiläum. Von Nah und Fern, von Süd und Nord strömten die „alten Häuser“ herbei, ja selbst die ältesten Häuser, welche in den Jahren 1792, 1793 flg. in Jena studirt, sogar den großen Auszug nach Nohra im Jahre 1792 noch mitgemacht hatten, und am 12. Juni 1865 sah das „deutsche Haus“ wiederum eine Schaar alter Bursche vereinigt. Ein Häuflein Burschenschafter aus der alten und ältesten Zeit der Burschenschaft (Klötzner. Hanitsch, Tömlich, Scheidler, Hotzel, Schüler, Frommann, Stark, Gabler, Haberfeld, Wedekind, Klopffleisch, Kluge u. A.) feierten mit festlichem Mahle den fünfzigjährigen Stiftungstag der Burschenschaft. Es war eine Tafelrunde voll feierlicher, gehobener Stimmung. Wie erklang so festlich wieder unter des greisen Componisten Hanitsch Leitung das alte Bundeslied: „Sind wir vereint zur guten Stunde“! Wie fröhliche Rührung verbreitete sich im Kreise, als Superintendent Klötzner sein von ihm heilig bewahrtes Exemplar des Liedes, wie er es damals am 12. Juni 1815 und mit diesem Datum auf dem Titel behändigt erhalten hatte, aus der Tasche zog! Wie erklangen Toaste so innig, so kräftig auf die Gründer der Burschenschaft, auf ein einiges, freies deutsches Vaterland, auf Fichte, auf ein frisches, freies Studentenleben, auf dahingegangene Freunde etc.! Wie begeistert verabredeten die Theilnehmer am Wartburgfeste von 1817, treu dem Geiste, in dem sie dort vereinigt gestanden, eine Erinnerungsfeier für das Jahr 1867!

Nur Eines fehlte: die alte Burschenfahne, und damit hatte es seine ganz eigenthümliche Bewandtniß.

Am 31. März 1816, am zweiten Jahrestage der Einnahme von Paris, wurde, wie schon im ersten Theil diesen Artikels berichtet ist, der Jenenser Burschenschaft von den Frauen und Jungfrauen Jenas eine prachtvolle Fahne zum Geschenk überreicht. Sie besteht, wie die Abbildung auf Seite 509 der Gartenlaube zeigte, aus einem schwarzen und zu beiden Seiten [832] zwei rothen Streifen, durch welche drei Felder ein goldgestickter Eichenzweig sich quer hinzieht; die Fransen sind ebenfalls golden, die Quasten schwarz-roth-golden, die schwarze Spitze ist goldberandet mit rothem E. F. V. („Ehre, Freiheit, Vaterland“, der Burschenwahlspruch). Diese Fahne wehte seitdem der Burschenschaft bei jedem öffentlichen feierlichen Aufzug voran und zog 1817 an der Spitze des Festzugs, vom Grafen Keller getragen, in die Wartburg ein. In der Zeit der Demagogen-Verfolgungen, im Jahre 1822, als auch ein Befehl zur Confiscation dieser Fahne erlassen worden war und ganz besonders auf sie gefahndet wurde, hielt man sie, das Heiligthum der Burschenschaft, in Jena nicht mehr sicher. Ein Vorsteher der Burschenschaft, Stud. theol. W., überbrachte sie im Jahre 1822 seinem Bruder W. W., ebenfalls einem gediegenen, alten Burschenschafter, in das väterliche Haus nach Dornburg. Dort wurde sie mit Wachstuchüberzug in dem Schlote aufbewahrt. Die Mutter wußte darum. Der Schlotfeger wurde nicht eher zugelassen, bis die Fahne unbemerkt anderwärts geborgen war. Sie bewachten dieselbe wie ein Heiligthum. Die Brüder W. kamen von Dornburg fort, der ehemalige Stud. theol. W. gab daher die Fahne zur Aufbewahrung an einen andern ehemaligen Burschenschafter, Pfarrer T., damals in Sch. in der Nähe von Camburg. Sie soll dort mehrjähriges sicheres Versteck unter dem Altar gefunden haben. In der Zeit der Arminen und Germanen wurde einem der Vorsteher der Arminen die Vollmacht zu Theil, die Fahne für die Arminen in Empfang zu nehmen. Eine Deputation der Letzteren holte sie nach Jena ab. Als aber auf eine vertrauliche Anfrage die Eröffnung erfolgte, daß der Confiscationsbefehl noch nicht zurückgezogen sei, und man daher die Fahne in einer Studentenwohnung nicht sicher glaubte, wurde sie einem damals in Jena lebenden Burschenschafter Prof. R. S. anvertraut, mit welchem sie über die Grenze Deutschlands in die freie Schweiz nach Bern wanderte. Im Jahre 1848 bot Prof. S. den Burschenschaften Jenas, falls sie sich vereinigen wollten, die Fahne an, die Einigung kam aber nicht zu Stande. Zum Jubiläum 1858 kam die Fahne nach Jena, aber sie erschien nicht im Festzuge. Man erzählte sich, daß die weimarische Regierung das Wiederenthüllen der Fahne nicht gestattet habe. Da man damals das Fest der Universität, folglich aller Studenten und aller Verbindungen feierte, so hätte das Enthüllen der alten Burschenschaftsfahne wohl ein zu einseitiges Interesse auf sich gezogen und jenen zu einem politischeren Anstrich Gelegenheit geboten, als man wünschte; dies mochte damals für die Beseitigung der alten Burschenschaftsfahne einen Grund bieten, der natürlich bei dem Feste des Burschenschaftsjubiläums wegfiel.

Und es ist auch wahr geworden, was die obige Vermuthung ausspricht, und dadurch ist zugleich auch der Titel dieses Artikeln schließlich gerechtfertigt: man konnte in der That „das Jubiläum des schwarz-roth-goldenen Banners“ feiern, denn das erste dieser Farbe beging das Fest seiner Wiedererstehung in großartigster Weise. Die Festfeier selbst ist unseren Lesern durch die Tagesblätter wohl ausführlich genug geschildert worden. Wir haben hier blos hinzuzufügen, daß diese Jubelfeier sich bis nach Amerika erstreckte, wo die alten Burschen in New-York sie begingen und von wo Carl Schramm einen poetischen Gruß und ein Bändchen seiner recht frischen, warmen Gedichte (das wir auch dem großen Publicum zur Berücksichtigung empfehlen) an die Festgenossen in Jena sandte. Es ist eine hohe Genugthuung auf dieses fünfzigjährige Jubiläum der Burschenschaft mit dem Gedanken zurückblicken zu können, daß dasselbe vor allen bisherigen Nationalfesten – denn ein solches war es im besten Sinne den Wortes – sich dadurch auszeichnete, daß es nicht nur Gesinnungsgenossen im Streben für Freiheit, Vaterland, National- und Mannesehre zu einem Feste vereinte, bei welchem die Jüngeren sich am Anblick der tapfern Alten stärken und die Alten ihr Mühen und Leiden belohnt sehen sollten an dem frischen Zukunftsmuth der Jugend; sondern, daß es zugleich glänzender als irgend Etwas einen Triumph des Rechts gegen die Gewalt darstellte, indem es zeigte, wie das von der Burschenschaft verfolgte Ziel der Einigung der deutschen Volksstämme und Staaten sammt dem schwarz-roth-goldnen Zeichen dieser Einigung trotz heiliger Allianz und trotz Bundestag, trotz Rußland und Metternich, kurz trotz alle-alle-alledem zum Ziel und Zeichen der deutschen Nation geworden ist, die von Tag zu Tag deutlicher darthut, daß sie diese Errungenschaft nicht so leicht wieder aufgiebt, wie einst andere.



  1. „Die Gründung der deutschen Bruschenschaft in Jena“ von Robert und Richard Keil. Jena, Verlag von Mauke, 1865.