Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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IV. Philopator, mittlerer der drei Söhne des Antiochos III.
Band II A,1 (1921) S. 12421245
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6) Seleukos IV. Philopator, mittlerer der drei Söhne des Antiochos III. und der Laodike, geboren nach 220 v. Chr. (Wilcken o. Bd. I S. 2470. Bouché-Leclercq Sél. 578), wurde im J. 196 von seinem Vater dazu ausersehen, Lysimacheia wieder aufzubauen und von diesem Herrschersitz (οἰκητήριον) aus die europäischen Gebiete des Reichs zu verwalten (Polyb. XVIII 51, 8 Liv. XXXΙΙΙ 40, 6. App. Syr. 3. Liv. XXXΙΙΙ 41, 4). Er hatte hier, an der Spitze eines Heeres stehend, von 196 bis 191 dauernd Residenz (Liv. XXXV 15, 5. XXXVI 7, 15 App. Syr. 14). 193 rückte er infolge des Todes seines ältern Bruders Antiochos (o. Bd. I S. 2470 Nr. 26) in die Stellung des Thronfolgers vor. (Noch am 24. Ab 119 = Aug. 193 v. Chr. wird nach Antiochos und Antiochos datiert, Clay Babylonian Records II 83ff. nr. 32.) Im Herbst 191 verließ er Lysimacheia mit seinem Heere; den Winter 191/0 hindurch war er in der Aiolis damit beschäftigt, die Küstenstädte im Gehorsam zu halten, die befreundeten zu schützen, die feindseligen durch Gebietsverheerungen zu schädigen (Liv. XXXVII 8, 5. 18, 1, vgl. 21, 6). Es gelang ihm, Phokaia zu nehmen, wo sich eine Partei für ihn erklärt hatte (Polyb. XXI 6, 2ff. 8, 3. Liv. XXXVII 11, 15). Im Frühling 190 rückte er, nach kurzer, erfolgloser Belagerung der Hafenstadt Elaia, vor Pergamon, eröffnete die Belagerung (Liv. XXXVII 18, 1–6. App. Syr. 26) und setzte sie neuerdings fort, nachdem sich die von Antiochos angeknüpften Friedensunterhandlungen zerschlagen hatten (Polyb. XXI 10, 13 = Liv. XXXVII 19, 7). Aber die in seinem Heere eingerissene Fahrlässigkeit ermöglichte dem achäischen Hilfskorps in Pergamon einen glücklichen Handstreich, worauf S. die Belagerung aufgab, das pergamenische Gebiet verließ und wieder seine Tätigkeit an der Küste aufnahm (Liv. XXXVII 21, 4. App. Syr. 26. Liv. XXXVII 21, 6. Zonar. IX 20). Nach einer Version geriet der junge L. Scipio, Sohn des Africanus, in die Gefangenschaft des S. (Dio frg. 59, 2. Zonar. IX 20), doch herrscht über den Vorgang große Unklarheit, vgl. Münzer o. Bd. IV S. 1432. In der Schlacht bei Magnesia (Herbst 190) befehligte S. auf dem linken Flügel (Liv. XXXVII 41, 1. App. Syr. 33); nach dem unglücklichen Ausgang floh er mit einigen φίλοι nach Apameia (Liv. XXXVII 44, 6. App. Syr. 36). [1243] 189 leistete er dem Consul Cn. Manlius Vulso, der auf dem Feldzug gegen die Galater begriffen waT, allerlei Dienste: er brachte vertragsgemäß Heeresproviant nach Antiocheia am Maiandros (Liv. XXXVIII 13, 8f.), geleitete die Kranken und das überflüssige Gepäck von Akoridoskome nach Apameia zurück und gab Manlius Führer auf den Weg nach Galatien mit (Liv. XXXVIII 15, 12f.). Spätestens im Juni 188 v. Chr. (Keilschrifturkunde vom 38. Siwan 124, Clay Babylonian Records II 83ff. nr. 33) ernannte ihn Antiochos III. vor dem Antritt seiner letzten Expedition in den Osten zum Mitregenten (vgl. auch Ztschr. f. Assyr. VIII 109 und Beloch III², 141. 144, dazu Makk. II 9, 23). Im folgenden Jahre (Sel. 125 = April 187 bis März 186; vgl. Niese Herm. XXXV 492f. Beloch a. O.) gelangte er infolge des Untergangs seines Vaters zur Königsherrschaft (App. Syr. 45. Euseb. chron. I 253 Sch. 119 Karst. Hieron. ad Dan. 11, 20). Das Seleukidenreich war zu einer Macht zweiten Ranges herabgesunken und genötigt, um die Wette mit anderen hellenistischen Reichen sich nach Bundesgenossen umzusehen. So finden wir 186/5 (zur Chronologie vgl. Beloch III 2, 145) auf der achäischen Bundesversammlung Gesandte von S., Ptolemaios V. und Eumenes II. sich um die Gunst des Bundes bewerbend (Polyb. XXII 1, 6). S. wünschte die Erneuerung der Freundschaft und bot ein Geschwader von 10 Kriegsschiffen zum Geschenke an (Polyb. XXII 10, 4 H, = 7, 4 B.-W.). Aber in der Versammlung wurden Bedenken laut (Polyb. XXII 11, 5 H. = 8, 5 B.-W.), und es erging der Beschluß, man wolle zwar die Freundschaft erneuern, aber von der Annahme des Geschenks ,zur Zeit’ absehen (Polyb. XXII 12. 13 H. = 9, 13 B.-W., ungenau Diod. XXIX 17). Von einer Gesandtschaftsreise des T. Quinctius Flamininus zu Prusias von Bithynien und zu S. ist im J. 183 die Rede (Polyb. XXIII 5, 1). In dem großen Kriege, der von 182 bis 179 Kleinasien durchtobte, enthielt sich S. vorsichtig jeder Intervention, obwohl ihm die Sache des pontischen Königs Pharnakes sympathisch war. Es scheint, daß er sich zum Eingreifen an der Seite der gegen Pergamon und Südkappadokien gerichteten Koalition erst entschloß, als ihm Pharnakes eine Zahlung von 500 Talenten in Aussicht stellte (so deutet Niese III 75f. augenscheinlich richtig Polyb. frg. 159 Hultsch = 96 B.-W.; die εὐλάβεια καὶ ἀπραγία τοῦ προειρημένου βασιλέως stimmt zu der Charakteristik des S. bei App. Syr. 66 ἀπράκτως ἅμα καὶ ἀσθενῶς). Tatsächlich setzte er sich an der Spitze bedeutender Streitkräfte in Bewegung, um über den Tauros zu ziehen, erinnerte sich jedoch plötzlich – wohl nicht ohne unmißverständlichen Wink von Rom her – (ἔννοιαν λαβών) an den von seinem Vater geleisteten Verzicht auf die Länder jenseits des Tauros und stand von seinem Vorhaben ab (Diod. XXIX 24, dazu Ed. Meyer Gesch. d. Königr. Pontos 76. Bouché-Leclercq Sél. 234). Ein beabsichtigter Angriff Ägyptens auf S. zum Zweck der Wiedereroberung Koilesyriens unterblieb angeblich infolge des plötzlichen Todes des Ptolemaios V. Epiphanes, 181 v. Chr. (Porphyr, bei Hieron. ad Dan. 11, 20). Ein Erfolg für S. war es, daß es ihm gelang, das jahrelang getrübte Einvernehmen mit Makedonien [1244] dadurch wieder herzustellen, daß er seine Tochter Laodike dem König Perseus vermählte (Liv. XLII 12, 3; vgl. IG XI 4, 1074 = Dittenberger Syll.² 294 = ³ 639). Daß die Römer diese Verbindung sehr ungern sahen, bewies die Ungnade, die sie im J. 177 den Rhodiern wegen des für die Seereise der Prinzessin kürzlich gestellten Ehrengeleites zu fühlen gaben (Polyb. XXV 4, 8–10; vgl. App. Mak. 11, 2). Immerhin blieb das offizielle Freundschaftsverhältnis des S. zu Rom (Liv. XLII 6, 8. 10) während seiner ganzen Regierungsdauer gewahrt. Seinen jungen Sohn Demetrios stellte er nach Rom als Geisel (Polyb. XXXI 12, 1f. 5 H. = 2, 1f. 5 B.-W.) und ermöglichte dadurch seinem jüngeren Bruder Antiochos (IV.) die Heimkehr aus langjähriger Geiselschaft (App. Syr. 45f. Euseb. chron. I 253f. Sch. 119 Karst). Der Zwang, gemäß dem Frieden von 188 gewaltige Kriegskostenraten an Rom zu bezahlen, brachte S. in schwere finanzielle Nöte. Tatsächlich war die Schuld bei seinem Ableben noch nicht getilgt, obwohl die stipulierte Frist (12 Jahre nach Friedensschluß) abgelaufen war (Liv. XLII 6, 6). Die dauernde Geldklemme brachte S. in einen ersten Konflikt mit dem jüdischen Kirchenstaat, dessen Opferbedürfnisse er zuvor aufs freigebigste unterstützt haben soll (Makk. II 3, 3). Sein σύντροφος und Reichskanzler (ἐπὶ τῶν πραγμάτων, vgl. App. Syr. 45 τὶς τῶν περὶ τὴν αὐλήν) Heliodoros, den er persönlich mit hohen Ehren auszeichnete (πρὸς ὃν ἔχει τε κ[αὶ ἕξ]ει ὡς πρὸς ἑαυτόν drückt er sich in der Inschrift der von ihm gestifteten Ehrenstatue des Heliodoros in Delos aus, IG XI 4, 1113, vgl. IG XI 4, 1112. 1114 = Dittenberger Or. 247, dazu Wilhelm Beitr. z. griech. Inschriftenkunde 162f. 312f. Crönert Österr. Jahresh. X 148f. Otto o. Bd. VIII S. 13), machte einen mißlungenen Versuch, bei den Juden außergewöhnliche Kontributionen zu erheben (Daniel 11, 20; legendarischer, doch im Kern geschichtlicher Bericht Makk. II 3, 4ff., weiter entsteht Makk. IV 3, 20–4, 15; vgl. Otto a. O. 13f.). Ansprechend ist vermutet worden (Otto a. O., vgl. auch Bouché-Leclercq Sél. 239f.), daß sich Heliodoros von den Juden habe bestechen lassen und darum unverrichteter Sache heimgekehrt sei. Aus Furcht vor Enthüllungen und königlicher Ungnade ließe sich am ehesten der nun erfolgende verbrecherische Anschlag des Heliodoros auf das Leben des Königs erklären. Die Tatsache der Ermordung S.s durch Heliodoros ist gut bezeugt (App. Syr. 45; vgl. Dan. 11, 20); ihr Zeitpunkt fällt Ende 176 oder Anfang 175 v. Chr., Euseb. chron I 253 Sch. 119 Karst, vgl. Niese Herm. XXXV 493; Gesch. III 89, 4. Beloch III 2, 144. App. Syr. 66 läßt S. in Übereinstimmung mit den Chronographen (Euseb. chron. I 253. 263f. II 124f. Sch. 119. 124. 203 Karst) 12 Jahre lang, und zwar tatenlos und schwach, die Regierung führen (ἀπράκτως ἅμα καὶ ἀσθενῶς διὰ τὴν τοῦ πατρὸς συμφοράν); vgl. Hieron. ad Dan. 11, 20: qui nihil dignum Syriae et patris gessit imperio et absque ullis proeliis inglorius periit. S. hinterließ drei Kinder: 1. den von v. Gutschmid Kl. Schr. II 175ff. Mago Riv. classici e neolatini n. 6 (Aosta 1906). Otto o. Bd. VIII 14f. an der Hand von Diod. XXX 7, 2. Joh. [1245] Ant. frg. 58 (FHG IV 558) nachgewiesenen Antiochos (IV.), der nur wenige Monate zwischen S. und Antiochos IV. (V.) Epiphanes regiert hat; 2. den späteren König Demetrios I. Soter (o. Bd. IV S. 2795 Nr. 40) und 3. Laodike, die Gemahlin des letzten Makedonenkönigs Perseus. Den Beinamen Φιλοπάτωρ bezeugen für S. die gleichzeitige Inschrift IG XI 4, 1114 = Dittenberger Or. 247, 2f. Porphyr. bei Hieron. ad Dan. 11, 20. Euseb. chron. I 264 Sch. = 124 Karst. II 125 Sch. Synkell. 542 Bonn. Suid. s. Ἀντίοχος. βδέλυγμα. sowie Münzen (Head HN² 762). Auf der in S.s eigenem Namen abgefaßten Inschrift IG XI 4, 1113 fehlt der Beiname, ebenso in den sakralen Inschriften Dittenberger Or. 245, 20. 246, 9. Versehentlich gibt ihm Joseph. ant. Ιud. XΙΙ 223 den Beinamen Σωτήρ. Der Reichskult war unter S. so geordnet, daß die sämtlichen früheren Könige einen eponymen Priester hatten, der lebende König einen zweiten Dittenberger Or, 245, dazu Laqueur Quaest. epigraphicae [Diss. Straßburg 1904] 97. Bouché-Leclercq Lagides III 59; Seleucides 228). Niebuhr Vortr. über alte Gesch. III 538 charakterisiert S.: ,ein gutmütiger Mensch und ein sehr guter Bruder, übrigens schwach und unbedeutend.’ Im allgemeinen vgl. Bevan II 120ff. Bouché-Leclercq Sél. 227ff.