Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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ostafrikanisches Tier
Band VII,1 (1910) S. 889891
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Gazelle. Die den alten Griechen, Römern und Ägyptern bekannten G. – zu unterscheiden von den Antilopen im allgemeinen – sind in allererster Linie die gemeine ostafrikanische G., Antilope dorcas oder Gazella africana; weiterhin die Ledra-G. (Antilope damna), die arabisch-kleinasiatische Isabell-G. (Antilope isabellina), die Schwarznasen-G. (Antilope arabica), die Säbelantilope (Oryx leucoryx), die Tedal-G. oder Antilope Soemeringii. Auch Tibet und Indien besaßen eigentümliche G. Das Freileben und die Jagd der tibetanischen Goa-G. sind in altassyrischen Reliefs in wunderbarer Naturtreue geschildert (s. Keller Antike Tierwelt I 189. 190 Fig. 93 a und b). Die Ledra-G. mit rechtwinklig eingebogenem sonderbarem Gehörn ist auf ägyptischen Bildwerken öfters zu sehen, z. B. Keller Antike Tierwelt I 291 Fig. 94.

Am öftesten handelt es sich von der gemeinen G., Antilope dorcas oder Gazella africana. Diese ist nur 1,1 m lang, mit 0,20 m langem Schwanz. 0,60 m hoch, zarter gebaut und schöner gezeichnet als unser Reh, mit großen feurigen Augen, feinen, zierlich behuften Beinen, mittellangen Ohren und kleinem Gehörn bei beiden Geschlechtern; sie ist sandfarbig gelblich, auf dem Rücken und an den Läufen dunkel-rotbraun, an Brust und Bauch weiß. Seneca findet die Haut (cutis) der G. (damma) schmucker (decentior) als die des Menschen.

Die Römer bezeichnen das Tier mit dem fremdländischen – afrikanischen? – Wort damma, (Colum. IX 1, 1. Seneca. Plin. n. h. VIII 214. XI 124), während die Griechen die G. als das Tier mit dem eigentümlichen Blick bezeichnen; δορκάς (Aristot. Arrian. cyn. 24, 1), ζορκάς (Herod.), δορκῶν, δόρκος, δόρξ (Lucian. amor. 19), dorx (Grattius), ζόρξ (Callimach. h. in Dian. 97. Aelian. n. a. VII 17) – von δέρκομαι, δέδορκα [890] blicken. Dorcas kommt auch als Eigenname für eine vermutlich der Halbwelt angehörige Dame in einer Inschrift von Aix-les-Bains vor. Die wunderschönen, sanften, klaren Augen waren der größte Schmuck des Tieres, mit dem auch die morgenländischen Dichter wie der des Hohenlieds (wo Luther ,Reh‘ übersetzt) so gern die Geliebte vergleichen. Ihr arabischer Name bedeutet ,die Liebliche‘, und in der arabischen Metrik wurde die Gasehle nach ihr getauft. Daß die freilebenden G. (δόρκοι) mit den Steinhühnern (πέρδικες) befreundet seien, und daß sie mit den Wildeseln in Herden Zusammenleben, erzählt Timotheus (anon. Matth. c. 17).

In Altägypten wurde die G. rationell gezüchtet und oft in großen Herden zahm gehalten. Eine Grabinschrift zu Sakkara berichtet von einem einzigen Manne, daß er 1135 Stück G. – abgesehen von einer Masse Säbeloryxe und Mendesantilopen – besessen habe. Nach Aelian nat. an. X 23 war sie zu Koptos der Isis heilig. Auf gravierten Steinen findet man sie bei Horus, Harpokrates und Hermes-Serapis (Chabouillet Pierres gravées, Paris 1858 nr. 2196. 2203. 2758).

In Italien wurden die G. in den Vivarien gehalten und oft auch geschlachtet (Iuven.). Ein pompeianisches Gemälde zeigt einen Fleischerladen, wo zwei geschlachtete G. an der Wand hängen. Auch das Leder war ein geschätzter Artikel; es gab das feinste Pergament. Das Sprungbein verarbeitete man zu Astragalen (Theophr. Ps.-Lucian.), das Gehörn zu allerlei Werkzeugen. Zur Jagd benützte man windschnelle Pferde und Hunde, Pfeil und Speer, Netz und Lasso.

Eine G.-Jagd in der thebaischen Wüste, wobei die prächtigen ägyptischen Jagdwindhunde die Hauptrolle spielen, zeigt uns das auch bei Keller Antike Tierwelt Fig. 53. 54 wiederholte berühmte Jagdwandbild eines Grabes des Neuen Reiches (Wilkinson II 92). Die Existenz der G., δορκάδες, in Libyen bezeugt Arrian (cyn. 24. 1). Δορκάς kommt allerdings auch im Sinn von Reh vor (Keller Tiere des class. Altert. 104), und dies ist sogar die ursprünglichere Bedeutung des Wortes, aber in diesem Falle ist die Bedeutung außer allem Zweifel, denn mit Recht gibt schon Plinius (n. h. VIII 228) an, daß es in Afrika überhaupt keine Rehe gebe.

In künstlerischer Beziehung ragt Ägypten hervor, wo wir sehr gelungenen Szenen aus dem Leben der zahmen und wilden G. begegnen. Die pompeianischen Wandbilder zeigen hübsche G.-Gespanne, z. B. im Hause der Vettier (Keller Antike Tierwelt I 287 Fig. 91). Herculaneum hat eine schöne Bronzefigur geliefert; Mykenai die berühmte Dolchklinge mit afrikanischem Motiv, wo die G. von ihren Spezialfeinden, den Löwen, verfolgt werden (Collignon Sculpt. Gr. I 26); Utica ein großes Jagdmosaik, in dem auch Strauße auftreten. Löwe und Wolf streiten sich um eine G. auf einem Achat des Britischen Museums, Imhoof-Keller Münzen und Gemmen XVIII 46. Auf einem Karikaturpapyros römischer Zeit spielen Löwe und G. miteinander eine Art Schach. Als archaisches Kunstmotiv ist die Gegenüberstellung von Löwe und G. nichts Seltenes. An die Stelle des Löwen tritt auch der phantastische Greif. [891]

Literatur: O. Keller Antike Tierwelt, Leipz. 1909 I 286ff. (mit Abbildungen). Lichtenstein Über die Antilopen des nördlichen Africa, in Beziehung auf die Kenntnis, welche die Alten davon gehabt haben, Berl. 1826. Dümichen bei Brehm III2 197. R. Hartmann bei Dümichen Resultate der archäologisch-photographischen Expedition 29.