Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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die Verfluchung, die Verwünschung
Band S IV (1924) S. 454456
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Exsecratio, Verfluchung, Verwünschung, s. Georges Lexicon und Forcellini Totius lat. Lex.; s. auch o. Bd. VI S. 2773. Wie bei den Juden und den Griechen (s. nebst der o. Bd. VI S. 2773 angeführten Literatur auch Mayer Die Rechte der Israeliten, Athener und Römer [1862] I 317 und 320 [speziell über den Verwünschungseid]. Michaelis Mosaisches Recht VI § 302. II § 70 und Leist Gräcoital. Rechtsgesch. 470ff.; bezüglich der Juden bes. 751ff. Was die griechische Auffassung des Eides als einer Selbstverfluchung für den Fall der Verletzung desselben anlangt, sowie darüber, daß man im ὅρκος in ältester Zeit einen verderbenbringenden Dämon erblickte, ja daß ὅρκος nichts anderes war, als der Orcus der Römer, s. Hirzel Der Eid 137ff.), so spielte auch bei den Römern der Fluch eine nicht unbedeutende Rolle (über den altarischen Eidfluch s. Leist Altarisches jus gentium 29ff.). Schon in den ältesten Gesetzen wird der Zuwiderhandelnde verwünscht, indem er mit der Sacertät, d. h. der Friedlosigkeit bedroht wird (s. auch Consecratio o. Bd. IV S. 896). Über die mit der consecratio verbundene exsecratio s. Krüger Cap. dem. 8. So im Gesetze des Romulus, von dem Dio II 10 berichtet und das inhaltlich mit Lex XII tab. 8. 21 übereinstimmt: patronus si clienti fraudem fecerit, sacer esto; in den Gesetzen Numas, wo es heißt: si quisquam aliuta faxit, ipsos Iovi sacer esto; und dort, wo auf das Auspflügen eines Grenzsteines die Sacertät gesetzt war (Dion. II 74; vgl. hierzu Fest. s. Termino: denique Numa Pompilius statuit eum qui terminum exarasset, et ipsum et bovem sacros esse; im Gesetze des Servius Tullius: si parentem puer verberit, ast olle plorassit, puer divis parentum sacer esto. Auch die Lex Valeria, die jedem, der sich königliche Gewalt in Rom künftig anmaßen würde, mit Hab und Gut den Göttern der Unterwelt weihte (Dion. V 19. Liv. II 8 sacrando cum bonis capite eius, qui regni occupandi consilia inisset). Zum Begriff der Sacertät s. Hitzig Zum ältesten Strafrecht 31. Zu den hier angeführten Leges regiae, sowie zur Lex Valeria s. Voigt Über die Leges regiae, Abh. Akad. Leipz. VII 19ff. 48ff. 73ff. und Karlowa Röm. Rechtsgesch. I 105ff. Ferner sind das bei Dion. VI 89. Liv. II 33. III 55 angeführte Gesetz zum Schutze der plebeischen Tribunen, sowie das die Diktatur abschaffende Gesetz, das an den Vorschlag ihrer Wiedereinführung Fluch und Ächtung knüpfte (Cic. Philipp. I 13. II 36. 45. Cass. Dio XLIV 51), hier zu erwähnen.

Bei Eiden und eidlich abgeschlossenen Rechtsgeschäften finden sich häufig Verfluchungen und Selbstverwünschungen für den Fall des Nichteinhaltens der übernommenen Verpflichtung. Bei Verträgen von Volk zu Volk, insbesondere beim Abschluß von Bündnissen, wurden die Götter durch den Priester zu Zeugen aufgerufen, daß das Volk den Vertrag unverbrüchlich halten wolle: für den Fall böswilligen Vertragsbruches wird die Strafe der Gottheit auf das römische Volk und den Priester herabgerufen und ist diese Verwünschung angeknüpft an das vermittelst des silex vollzogene Opfer eines Ferkels: tunc illo die Iuppiter populum Romanum sic ferito, ut ego [455] hunc porcum hic hodie feriam, Liv. I 24, 8 (vgl. IX 5, 3. XXI 45, 8). Über die Verwünschung s. insbes. Polyb. III 25, 6. Vgl. Wissowa Rel. 387ff. Die Verfluchungsformel des ältesten römischen Eides per Iovem lapidem (Fest. s. lapidem) ist gleichfalls hier anzuführen: Si sciens fallo, tum me Dissiper salva urbe arceque bonis eiciat, ut ego hunc lapidem. S. zu dieser Frage auch Bertolini Il giuram. 271. Pernice Sakralrecht I 1164. Auch bei der sacrorum detestatio, der feierlichen Bekräftigung, die sacra übernehmen zu wollen, finden wir Selbstverwünschungen für den Fall des Wortbruches (Gell. II 6 detestatione exsecrationeque totius generis humani dignus). Verfluchungen kommen ferner beim Amtseid der Magistrate für den Fall wissentlicher Nichterfüllung der beschworenen Pflicht vor (Plin. paneg. 61: quin etiam (consul) sedens praeivit iusiurandum et ille iuravit expressit, exploravitque verba, quibus caput suum donum suam, si sciens fefellisset, deorum irae consecret); dann beim Eide der Beamten auf die Gesetze, beim Soldateneid. Zu letzterem s. Liv. X 38. 41. Danz Sakr. Schutz 66. Pernice Sakralrecht I 1162ff. Wissentlicher Falscheid ist ein Sakralverbrechen: die bürgerliche Rechtsordnung jedoch ist durch den Meineidigen nicht verletzt; der Schwörende wird impius, was aber keine weltlichen oder bestimmt normierte geistliche Strafen mit sich bringt; auch wird er nicht, wie dies Danz a. a. O. und Jhering Geist I 276, s. auch Rudorff Röm. Rechtsgesch. II 408 und 390 behaupten, aus dem römischen Sakralverbande ausgestoßen; es war vielmehr den Göttern überlassen, den Meineidigen, ihrem Gutdünken nach, zu züchtigen (s. Zumpt Crim. Recht I 393. Pernice a. a. O. 1164. Mommsen R. St.-R. II 366 und ebendenselben in Sybels Hist. Ztschr. LXIV 391ff. Wissowa Rel. 388). Die censorische Rüge stellt die Infamie des Sakralverbrechers (impius) fest (Cic. de leg. II 22). War der Eid bei des Kaisers Majestät u. dgl. geleistet und sodann verletzt worden, brachte er die Strafe des crimen laesae maiestatis mit sich. Das Nähere hierüber bei Wenger a. a. O. 272.

Speziell in den verschiedenen Eidesformeln der griechischen Papyrusurkunden finden sich, auch in der römischen Epoche, Verfluchungen, wie εὐορκοῦντι ἔστω μοι εὖ, ἐφιορκοῦντι δὲ ἐναντία und ähnliches; sodann später das ἔνοχος ἐὶναι τῷ ὅρκῳ; ersteres in der Zeit von Augustus bis Nero; letzteres seit den letzten Regierungsjahren Neros; von da an fehlt dann immer häufiger die Sanktion für den Fall der Eidesverletzung. Der Teil des Eides, in welchem der den Eid Leistende über sich und die Seinigen alles Unheil herabrief, wurde als e. bezeichnet (Danz Sakr. Schutz 21. Wenger a. a. O.). Mit dem kriminellen exilium und der, sich aus ihm ergebenden, aquae et ignis interdictio war gleichfalls die e. verbunden (Mommsen R. St.-R. III 52; s. auch, was die historische Entwicklung anlangt, L. M. Hartmann De exilio apud Romanos. Weitere Literatur s. o. Bd. VI S. 1685.

Auch bei Testamenten und zum Schutze von Grabdenkmälern pflegten Verwünschungen vorzukommen. Darüber Näheres bei Lasaulx a. a. O. Über die private Anwendung des Fluches, [456] bei der insbesondere auch die Fluchtäfelchen (Tabellae defixionum) in Betracht kommen, in Fällen, in denen staatliche Hilfe versagte oder nicht ausreichte, s. die bei Pfaff in H. Groß Archiv XLII 161ff. angeführte Literatur sowie Audollent Defix. tabellae. Dortselbst ist auch zu entnehmen, welch’ verschiedenen Zwecken diese Fluchtäfelchen dienen konnten.

Einer altrömischen Sitte zufolge war es üblich, bei Belagerungen feindlicher Städte vor der Erstürmung derselben, die Schutzgötter der Stadt zu evozieren und ihnen Rom Tempel und Kultus in Aussicht zu stellen. Ein solches carmen evocationis s. bei Macrob. Sat. III 9. Zur Evokation vgl. auch Pernice Sakralrecht I 1157 und o. Bd. V S. 279. Nach der Evokation der Götter wurde dann die Stadt samt dem feindlichen Heere feierlich verflucht. Solch carmen devotionis gleichfalls bei Macrob. a. a. O. S. hierzu auch Voigt Ius Nat. II 293. Über ein altindisches Verwünschungsgebet wider ein gegenüberstehendes Heer s. Leist Gräcoitalische Rechtsgesch. 252. Über die Verfluchung des Triumvirn Crassus durch den Volkstribunen Ateius Capito s. Lasaulx a. a. O.

Literatur. Lasaulx Über den Fluch bei Griechen u. Römern, Würzb. Vorlese-Verzeichnis (1843). Danz Der sakr. Schutz im röm. Rechtsverkehr (1857). Zumpt Criminalrecht d. röm. Republik I 393ff. Pernice Zum röm. Sakralrecht I u. II, S.-Ber. Akad. Berl. (1885 u. 1886). Mommsen Röm. St.-R. III 52 (1887); Röm. Strafrecht 72 (1899). Huvelin Les tablettes magiques et le droit romain (1901) (über Fluchtafeln auch die im Text angeführte Literatur). Wenger Der Eid in den griech. Papyrusurkunden, Sav.-Ztschr., Rom. Abt. XXIII (1902). Hirzel Der Eid, ein Beitrag zu seiner Gesch. (1902) 137ff. (hierzu auch Wenger DLZ 1903 nr. 5. Wissowa Relig. u. Kultus der Römer (Iwan Müllers Handbuch der klass. Altertumswissensch. V 4, 387. 388 [1912]). Vgl. auch Radermacher ,Schelten und Fluchen‘ im 11. Bd. d. Archivs für Religionswissensch., sowie den Art. Bouché-Leclerq im Daremberg-Saglio s. devotio.

[Pfaff. ]

Nachträge und Berichtigungen

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Band R (1980) S. 109
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Exsecratio

Die Verfluchung, die Verwünschung. S IV.