Eryx. 1) Ἔρυξ (im älteren Latein Erycus oder Erucus, Cic. Verr. II 22. 115. Tac. ann. IV 43. Flor. I 18. Terentianus Scaurus bei Keil GL VII p. 29; in monte Eruco CIL X 7253), Berg und Stadt auf der westlichen Spitze von Sicilien, jetzt Monte S. Giuliano. Der Berg erhebt sich aus einer Ebene mit unbedeutenden Hügeln isoliert zu 751 m., so daß er den Eindruck bedeutend größerer Höhe macht, und von den Alten dem Aetna an die Seite gesetzt wird (Polyb. I 55. Mela II 17. Solin. 5, 9; vgl. Verg. Aen. XII 701. Val. Flacc. II 523). Er trug schon seit Urzeiten, wie Funde von Steinwaffen auf der Spitze und an den Abhängen (Salinas Not. d. scavi 1882, 361f.) beweisen, eine menschliche Niederlassung; in mythische Vorzeit datierte die antike Legende auch die Gründung des berühmten Heiligtums der Aphrodite auf seinem Gipfel zurück. Als Stifter wird entweder Aeneas (Strab.
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XIII 608. Verg. Aen. V 759) oder Eryx, Sohn der Aphrodite und des Butes (s. Nr. 2) genannt. Das Institut der Hierodulen, welches bei diesem Tempel bis in späte Zeit bestand und zahlreiche Besuche anlockte (anschauliche Schilderung aus römischer Epoche bei Diodor IV 83) deutet auf orientalischen, wohl phoinikischen, Ursprung des Kultus. Thukydides VI 2 zählt E. zu den Städten der Elymer (o. Bd. V S. 2467), ebenso Strab. XIII 608. Eine griechische Kolonie ist auf dem E. nie gegründet worden; ein Versuch, der von dem Spartaner Dorieus gegen Ende des 6. Jhdts. gemacht wurde, mißlang (Herodot. V 43. 45). Im 5. Jhdt. befand sich die Niederlassung um den Tempel in der Einflußsphäre des mächtigen Segesta; die Münztypen legen von dieser Abhängigkeit Zeugnis ab (Holm Geschichte Siciliens III 598 nr. 95-98). Mit den Tempelschätzen von E., die sie für ihr Eigentum ausgaben, verlockten nach Thukydides Erzählung (VI 46) die Segestaner die Athener zur sicilischen Expedition. Seit Ende des 5. Jhdts. v. Chr. gelang es den Karthagern, sich des E. zu bemächtigen und trotz zeitweiliger Erfolge der Syrakusaner (406 v. Chr.: Diodor. XIII 80. 6; 397 v. Chr.: Diodor. XIV 48, 1. 55, 7; 368 v. Chr.: Diodor. XV 73, 3) die Position zu behaupten. Münzen aus dieser Zeit haben zum Teil punische Aufschriften (Holm a. a. O. 642 nr. 262. 263, vgl. 672). Im J. 278 (277?) eroberte Pyrrhos von Epeiros die Stadt nach heftiger Belagerung (Diodor. XXII 21), doch fiel es nach seinem Abzuge wieder den Karthagern in die Hände. Hamilcar verpflanzt im J. 260 den größten Teil der Einwohner in das neu gegründete Drepanum (Diodor. XXIII 14, vgl. Bd. V S. 1698), doch blieb der Tempelbezirk mit seinen starken Mauern eine wichtige strategische Position: der Consul L. Iunius Pullus eroberte ihn im J. 247 (Diodor. XXIV 1. Polyb. I 55. Zonar. VIIT 15), Hamilcar Barkas nahm ihn den Römern 244 wieder ab und machte ihn bis zum Ende des Krieges 241 zum Hauptstützpunkt für seine Operationen (Diodor. XXIV 10. Polyb. I 58. Liv. XXI 10, 7. XXVIII 41, 5).
Seit dieser Zeit ist von der Stadt E. nicht mehr die Rede, dagegen blieb der Tempel auch bei den Römern in hohem Ansehen, wozu die angebliche Gründung durch Aeneas beitrug. Die Bewohnerschaft des Tempelbezirks bildete zwar keine eigene Gemeinde, nahm aber eine Ausnahmestellung, ähnlich wie die des Tempelbezirks der Diana Tifatina bei Capua, ein. Sie werden Venerii servi genannt (Cic. divin. 55 Verr. III 50. 55. 89. 92f. 104; pro Cluent. 43); Ziegel mit dem Stempel Venerus Heruc(inae) CIL X 8042, 1 zeugen für ihre selbständige Organisation. In der Kaiserzeit sank das Ansehen des Tempels; die Stadt ward nicht wieder hergestellt, und irrtümlich, wie es scheint, führt Plinius n. h. III 91 E. unter den civitates stipendiariae auf. Als im J. 23 n. Chr. der Tempel baufällig wurde, erbaten sich die Segestaner das Privileg, ihn zu restaurieren, doch übernahm Tiberius den Bau (Tac. ann. IV 43); noch einmal ward er unter Claudius restauriert (Suet. Claud. 25), in späterer Zeit verfiel er. Lateinische Inschriften aus der späteren Kaiserzeit fehlen ganz, die auf dem Berge gefundenen Dedikationen [604] an die Venus Erucina sind fast alle aus republikanischer Epoche (CIL X 7253–7255. 7258), die jüngsten aus der Zeit des Tiberius (CIL X 7257, großes Weihgeschenk der Apronii, vgl. Bücheler Anth. epigr. 1525, und CIL X 7259). Die antiken Reste auf dem E. bestehen hauptsächlich, in den Ringmauern auf der Spitze, welche die moderne Stadt Monte S. Giuliano umschließen. Dieselben zeigen Spuren mehrfacher Erneuerungen, unter Wiederverwendung alten Materials, u. a. zahlreicher Quadern mit Buchstaben des phoinikischen Alphabets als Steinmetzzeichen. Die letzte Restaurierung (bei der sich opus incertum findet) stammt ohne Zweifel erst aus römischer Zeit (Salinas Not. d. scavi 1883, 142–147. Richter Antike Steinmetzzeichen, Berlin 1885, 43—51). Eine besonders gut gebaute und wohl erhaltene Substruktion auf der höchsten (östlichen) Kuppe des Stadtberges darf man vielleicht dem Tempel selbst zuschreiben (Richter a. a. O. 43). Die Annahme, daß die Stadt E. nicht auf dem Gipfel, sondern auf halber Höhe gelegen habe, beruht auf Polyb. I 77, ist aber an sich unwahrscheinlich und wird durch keine Funde unterstützt; Pais Stor. della Sicilia I 47 urteilt meines Erachtens darüber richtiger als Holm Gesch. Siciliens III 354f. Übrigens sind antike Reste, außer den Ringmauern und einigen verbauten Säulen, auch auf dem Gipfel spärlich. Griechische Inschriften von E. IG XIV 281–286, lateinische CIL X 7253–7262.