RE:Capitis deminutio
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Änderung d. Stellung innerhalb der 3 Hauptgruppen d. Volksgemeinde | |||
Band III,2 (1899) S. 1523–1526 | |||
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Capitis deminutio ist nach Inst. I 16 pr. eine status permutatio, d. h. eine Änderung der Stellung innerhalb einer der drei Hauptgruppen der altrömischen Volksgemeinde, d. i. der Gruppe der Freien, der Bürger und der agnatischen Verwandten. Dig. IV 5, 11: tria enim sunt quae habemus, libertatem, civitatem, familiam. Andere [1524] Gruppen, z. B. der Senatorenstand, kamen bei diesem Begriffe nicht in Betracht. Inst. I 16, 5. Da der Begriff des caput sich vom status kaum unterschied (s. Caput), so ist auffallend, dass eine blosse permutatio mit einer deminutio auf eine Linie gestellt wurde. Es entsprach dies aber den Regeln des alten Rechtes, welche mit jeder Änderung der Rechtslage hinsichtlich der drei genannten Gruppen einen Rechtsverlust verknüpften.
Die capitis deminutio maxima war der Verlust der Freiheit, der die Rechtsfähigkeit nicht blos verminderte, sondern vernichtete. Dig. IV 5, 3, 1: servile caput nullum ius habet ideoque nec minui potest. Inst. I 16, 4 (vgl. hierzu Caput). Diese stärkste C. d. konnte durch feindliche Gefangenschaft oder auch zur Strafe eintreten, s. Captivitas und Servitus poenae.
Als capitis deminutio media oder minor galt der Verlust des Bürgerrechts und der mit ihm verbundenen Befugnisse, s. Peregrinus und Latinus, ein bürgerlicher Tod, der jedoch nur die Rechte des ius civile entzog, diejenigen des ius gentium, die auch dem peregrinus zustanden, unberührt liess. Dig. XLVIII 19, 17, 1 (Leonhard Inst. 189 § 47 III). Der Austritt aus der Bürgerschaft konnte freiwillig geschehen, z. B. bei dem Eintritte in eine colonia Latina, oder auch zur Strafe; so bei der aqua et igni interdictio. Dig. IV 5 de capite minutis frg. 5 pr. § 1.
Als capitis deminutio minima wird endlich jeder Austritt aus dem bisherigen agnatischen Familienverbande erwähnt, mit dem alle Rechte fortfielen, die eine Zugehörigkeit zu diesem Kreise voraussetzten; vgl. Cic. top. VI 29. Dig. IV 5, 6. Die einzelnen Fälle der c. d. minima waren: 1) die Hingabe einer Haustochter in die eheherrliche Gewalt (manus) ihres Gatten (datio in manum). Die Tochter schied aus ihrer agnatischen Familie aus und trat zu ihrem Gatten in die rechtliche Stellung einer Haustochter, s. Manus. 2) Der Eintritt eines gewaltfreien Mädchens oder einer gewaltfreien Witwe in die manus des Gatten (conventio in manum) hatte dieselben Rechtsfolgen. 3) Die Hingabe eines Hauskindes in die Gewalt eines neuen Hausvaters (datio in adoptionem, s. Adoption Nr. 2). 4) Der Eintritt eines Gewaltfreien in die väterliche Gewalt eines andern, s. Adrogatio und Adoption Nr. 2. Dem adrogatus folgten seine Hauskinder in die Familie des adrogator. Dig. IV 5, 3 pr. 5) Das Ausscheiden aus der väterlichen Gewalt ohne Eintritt in eine neue (emancipatio). 6) Die Hingabe eines Hauskindes in das mancipium (im spätrömischen Recht verschwunden), Gai. I 162 (s. Manicipium).
Die emancipatio und die datio in manum mögen in der ältesten Zeit vornehmlich dann vorgekommen sein, wenn ein Haussohn in eine mit Bürgerrecht ausgestattete Colonie zog. Dann mag sein Hausvater ihn von der väterlichen Gewalt befreit und seine Kinder ihrem Vater in dessen Hausherrschaft hingegeben haben. Hier ergab sich der Austritt aus dem heimischen Verwandtschaftskreise aus seiner Veranlassung. Die Kraft der datio und der conventio in manum sowie der datio in mancipium beruhte auf dem Grundsätze, dass niemand zugleich in zwei agnatischen Familien stehen konnte. Bei der Hingabe [1525] der Tochter in die manus des Schwiegersohnes ebenso wie bei der datio in adoptionem wurde der Verlust der bisherigen Familienrechte durch den Erwerb einer neuen Familie, bei der emancipatio durch den Gewinn der Gewaltfreiheit ausgeglichen. Eine handgreifliche deminutio der Rechtslage trat also nur bei der conventio in manum und bei der adrogatio ein. Man suchte daher die Anwendung des Ausdruckes C. d. auf die emancipatio dadurch zu rechtfertigen, dass bei ihr der emancipatus in dem Scheingeschäfte, das ihm zur Freiheit verhalf, zunächst in eine imaginaria senilis causa kam, Dig. IV 5, 3, 1, s. Emancipatio. Diese Erklärung passte auch auf die datio in adoptionem (s. Adoption Nr. 2), nicht aber auf die datio und conventio in manum, zwei Geschäfte, die übrigens in der Kaiserzeit zugleich mit der manus verschwanden, s. Manus. Hiernach hat also nicht die imaginaria servilis causa des aus der Familie Austretenden, sondern der Verlust der agnatischen Verwandtschaftsrechte der c. d. minima ihren Namen gegeben. Dieser Name rechtfertigte sich noch mehr dadurch, dass grundsätzlich mit den agnatischen Verwandtschaftsrechten auch die privata iura in Wegfall kommen sollten, Dig. IV 5, 6, eine Regel, die von vielen Ausnahmen durchlöchert war und im neuesten römischen Rechte keine praktische Bedeutung mehr besass. Von vorn herein bezog sie sich nur auf die iura civilia (civilis ratio naturalia iura corrumpere non potest Dig. IV 5, 8). Darum blieben auch alle solche Forderungen des von der c. d. minima Berührten in Kraft, die nach römischer Auffassung eine naturalis praestatio hatten, wie die actio de dote Dig. IV 5, 8 und 9, auch alle Rechte, denen die Natur einer Bürgerpflicht anhaftete, wie der tutela Dig. IV 5, 7, 1. Der Niessbrauch (ususfructus s. d.) und der usus (s. d.) erloschen durch c. d. minima, bis Iustinian dies aufhob (Cod. III 33, 16, 2. Inst. II 4, 3), dagegen galt das Gegenteil bei den beschränkteren Nutzungsrechten der habitatio (s. d.) und der operae (s. d.) servorum, Dig. IV 5, 10 quia tale legatum (habitationis) in facto potius quam in iure consistit, ein Satz, der weniger eine Begründung bietet, als einer solchen bedarf (wahrscheinlich waren diese Rechte weniger auf eine dauernde, als auf eine gelegentliche Ausübung berechnet, Leonhard Inst. 292 § 84 V). Die Schulden des capite deminutus erloschen allerdings und bestanden nur ausnahmsweise fort, Dig. IV 5, 2, 3, doch brach der Praetor diesem Grundsatze dadurch seine Spitze ab, dass er alle Forderungen gegen den capite deminutus durch Einsetzung der Gläubiger in den vorigen Stand wiederherstellte. Gai. IV 38. Dig. IV 5, 2. 1. Dieser eigenartige Einfluss des Austrittes aus der agnatischen Familie auf die gesamte Rechtslage beweist, dass man einen solchen in ältester Zeit als einen Abbruch der gewohnten Lebensweise und der bestehenden wirtschaftlichen Beziehungen auffasste. Das ius civile erwartete daher grundsätzlich vor jedem Austritte aus der agnatischen Familie eine Abwicklung der Schuldverhältnisse und eine Preisgabe persönlicher dauernder Nutzungsrechte, ein Grundsatz, der immer unpassender werden musste, je seltener die c. d. minima von einer thatsächlichen Loslösung aus [1526] der bisherigen wirtschaftlichen Lage begleitet war, und der überdies gegen die Gläubiger der capite deminuti eine grosse Härte enthielt.
Litteratur: E. Simson Ad Dig. de cap. min. legem 11 exerc., Regimont. 1835 und die Recension in der Ztschr. f. Altertumswissensch. 1836 nr. 82 S. 660ff. Schilling Lehrb. f. Inst. und Geschichte des R. R. II 91ff. Zimmern Röm. R.-G. I 420ff. v. Savigny System des heut. röm. R. II Beil. VI 493ff. und dazu Puchta in Richter und Schneiders Jahrb. 1840, 687ff. Rudorff Röm. R.-G. II 407. Pernice Labeo I 172ff. Buhl Salvius Iulianus 252ff. Puchta-Krüger Inst.¹⁰ II 116ff. 297. 381. 390. H. Krüger Geschichte der cap. deminutio, 1887 und dazu Kipp Ztschr. der Savignystiftung, roman. Abteilung IX 159. Mitteis in Grünhuts Ztschr. XV 433ff. Karlowa R. Rechtsgeschichte II 114ff. Schulin Geschichte d. röm. Rechts 32ff. 166. 177ff. 191. 241. 249ff. 252. Mommsen R. St.-R.³ III 7ff. 45. Cuq Les institut. juridiques des Romains 1891, 199. Leonhard Inst. 210 § 55 III. 228 § 61 Anm. 6. 292 § 84. S. auch oben Ἀτιμία.