Nicolaus Lenau’s dichterischer Nachlaß

Textdaten
Autor: Nikolaus Lenau
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Titel: Nicolaus Lenau’s dichterischer Nachlaß
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Herausgeber: Anastasius Grün
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: J. G. Cotta
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Erscheinungsort: Stuttgart und Augsburg
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Quelle: Commons
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Nicolaus Lenau’s


dichterischer Nachlaß.

Herausgegeben von

Anastasius Grün.




Stuttgart und Augsburg.
J. G. Cotta’scher Verlag.
1858.

Buchdruckerei der J. G. Cotta’schen Buchhandlung in Stuttgart und Augsburg.
Vorwort.

Durch den ausdrücklichen letztwilligen Wunsch des unsterblichen Dichters, meines unvergeßlichen Freundes, mit der Herausgabe seines jüngsten Dichterwerkes „Don Juan“ betraut, habe ich mich dieser Aufgabe als einer theuren Freundes- und Ehrenpflicht mit der dem großen Todten schuldigen Pietät und gewissenhaftesten Sorgfalt, aber auch mit ernster Wehmuth unterzogen, welche durch die meinen Händen anvertrauten Blätter, deren jedes mir die Größe des erlittenen Verlustes fühlbar erneuerte, nur gesteigert werden mußte. Doch fand ich Stärkung und Erhebung in dem Gedanken, daß der edle Mann und Dichter im Vorgefühle des Scheidens durch jenen Auftrag mir gleichsam nochmals die Hand gereicht hatte, um mir auch für den erschütterndsten Augenblick jene Stelle in der Nähe seines Herzens anzuweisen, nach der ich im Leben wie in der Kunst mit Liebe und Treue von jeher gestrebt hatte. Mag es dem Sterbenden einen großen Trost gewähren, seine letzten Hauche von bewährten Freunden bewacht zu wissen, größer doch ist das Maß der läuternden Weihe, die von dem letzten Schlummerkissen eines großen und reinen Menschen über Jene ausströmt, die es umstanden.

In der dramatischen Dichtung „Don Juan,“ durch welche die vorliegende Sammlung eröffnet wird, begegnen wir der letzten größern Arbeit, welche unsern Dichter unmittelbar vor der verhängnißvollen, erst so hoffnungshellen, dann so unheilschweren Wendung seiner Lebensgeschicke beschäftigt hatte. Im „Don Juan“ sollte die vor Jahren im „Faust“ eingeschlagene Bahn Ergänzung und dichterischen Abschluß erhalten, die dort in dem Hauptcharakter verkörperte spiritualistische Dichtung sollte hier ihre sensualistischen Gegensätze finden, die beiden getrennten Hälften des Doppelwesens Faust-Don Juan sollten eben durch ihre Gegenüberstellung, wie die entgegengesetzten Hemisphären desselben Planetenballes, gegenseitig Zusammenhang, Rundung und Ganzheit gewinnen. Die wechselseitigen Beziehungen beider Werke sind unverkennbar und finden sowohl in deren stofflichem Inhalte wie in der eigenthümlichen weitumfassenden Lebensanschauung des Dichters ihre motivirende Erklärung. Was diesem bei seinem „Faust“ gegönnt war, die Durcharbeitung und Ausführung seines Gegenstandes innerhalb der selbstgestellten Grenzen, scheint ihm bei „Don Juan“ leider versagt geblieben; denn obschon diese Dichtung in ihrer äußeren Handlung zu einem allenfalls genügenden Abschlusse gediehen ist, so trägt sie doch, ganz abgesehen von den in der Handschrift selbst vorkommenden Kennzeichen, innere unverkennbare Merkmale an sich, daß sie in der uns zurückgelassenen Form von dem Dichter selbst noch nicht als fertig und künstlerisch vollendet angesehen werden konnte. Wir finden die Erklärung dieses scheinbaren Widerspruches in der unserem Dichter eigenen und gewöhnlichen Art, seine poetischen Stoffe zu behandeln, die er, nachdem vorläufig der Reichthum des Gegenstandes bewältigt und in großartigen Umrissen und Gruppirungen zum einheitlichen Bilde geordnet worden war, zuerst nur in ihren hervorstechenden Glanzstellen und den seiner Begeisterung näher stehenden Lieblingspartien oft bis in die kleinsten Einzelheiten auszuführen liebte, während er erst später daran ging, die nöthigen Verbindungsglieder und vermittelnden Uebergänge und somit die künstlerische Harmonie des Ganzen herzustellen. Bevor Lenau bei seinem „Don Juan“ an diese letzte Stufe seiner Arbeit gelangen konnte, war die Feder seiner Hand entsunken. Die dadurch zurückgebliebenen Lücken werden der kritischen Sonde des Lesers nicht entgehen; sie werden aber auch während des dankbaren Genusses so großer Schönheiten sein tiefes Bedauern erwecken, daß es dem Dichter selbst nicht mehr vergönnt war jene auszufüllen, diese zu ergänzen.

Was vorstehend über die partielle Unvollständigkeit des Gedichtes nur als Vermuthung ausgesprochen werden konnte, ist durch seither bekannt gewordene Aeußerungen des Dichters selbst gegen näherstehende Freunde, namentlich in Bezug auf den Abschluß seiner Dichtung, zur feststehenden Gewißheit gediehen. Es sey hier zunächst der tiefeingehenden sinnvollen Andeutungen Berthold Auerbachs[1] dankbar und anerkennend erwähnt. Wenn der verehrte Berichterstatter über Lenau’s letzten Sommer die unvertilgbaren eisigen Schauer, denen der Held der Dichtung erliegt, als einen „wesentlich pathologischen Schluß“ bezeichnet, muß man ihm wohl vollkommen beipflichten, ohne jedoch den bescheidenen Zweifel unterdrücken zu können, ob nach der ganzen Anlage des Gedichtes, wie dieses uns vorliegt, ein Schluß wesentlich anderer Art im Sinne des Dichters wohl denkbar sey? Wenn Auerbach dem Dichter entgegenhielt, „Don Juan“ müßte vielmehr ethisch an der Erkenntniß und Erfahrung untergehen, daß er, der Alles genießen zu können glaubte, wahre Frauenliebe nie genossen habe, da diese in höchster Beglückung nur dem würde, der als Individuum wieder ein anderes ganz sein nenne und wisse,“ so scheint es uns doch andererseits höchst bedeutsam, daß der Dichter selbst ungeachtet des momentanen Wohlgefallens, das er anfänglich dieser Idee abzugewinnen schien, sehr bald wieder davon abkam und mannigfache Einwendungen dagegen vorzubringen hatte. Die in Vorschlag gebrachte Wendung war übrigens kaum auf anderem Wege als durch die gründliche Umschmelzung des ganzen Werkes erreichbar. Ob Lenau sich je dazu aus eigener Ueberzeugung entschlossen hätte? ob gerade den Dichter der Skepsis jener Ausgang endgültig befriedigen konnte? ob der freie selbstständige Geist, der trotz des ihm sonst so wohlthuenden Einflusses seiner würdigen Frauenumgebung, deren entschiedener Abneigung gegen diese Dichtung so unbeugsam widerstanden hatte, als sie weitgreifende Dichterpläne auf das Maß des Conventionellen zurückführen wollte? ob dieser unabhängige Geist auf seinen Eroberungszügen vor der Beglückungsschranke eines für ihn vielleicht auch nur ethisch Conventionellen – man erlaube den Ausdruck – befriedigt stille gestanden wäre? ob er endlich vielleicht unter den Einwirkungen jenes, durch eine liebreich bewältigende Persönlichkeit verstärkten Frauenkreises zu dem erwähnten Umgusse seiner Schöpfung oder gar zu dem glänzenden Fallenlassen des perhorrescirten Stoffes veranlaßt worden wäre? – diese Fragen sind durch die finstern Schicksalslose unseres Freundes zu unlösbar geworden, wenn gleich deren Anregung keine ganz müßige seyn dürfte. Jedenfalls aber läßt sich mit Sicherheit annehmen, daß Lenau in den letzten Augenblicken seines lichten Daseyns über Beibehaltung oder Abänderung des Schlusses seiner Dichtung mit sich selbst noch nicht völlig ins Reine gekommen war. Mag immerhin in dieser Beziehung der vorfindige Gedichtschluß als ein, vielleicht nur „provisorisches Nothdach“ gelten, so wird doch das cyklopische Mauerwerk seines mächtigen Unterbaues, als Zeuge einer gewaltigen Kraft und ungewöhnlichen Kühnheit, noch die spätesten Beschauer mit Ehrfurcht und Bewunderung erfüllen müssen.

Mehrseitig lautgewordenen Wünschen entsprechend sind in diesem Bande an die größere Dichtung „Don Juan“ auch die im Nachlasse des Dichters vorgefundenen kleineren Gedichte, meist lyrisch-epischer Gattung, angereiht worden. Vielleicht hat manches hier seine Stelle gefunden, das der gegen sich selbst so strenge Dichter der Oeffentlichkeit vorenthalten hätte. Der Sammler von Reliquien darf nicht ausschließlich nur den künstlerischen, er muß auch den biographischen Werth des Aufgefundenen ins Auge fassen. Es galt ja hier nicht nur der Kritik, sondern auch der Liebe, die kein Pfand der Erinnerung verwirft, Genüge zu thun. Die unverbrüchliche Achtung vor dem Willen des Dichters wies auch hier die einzuhaltenden Schranken; es durfte daher nichts aufgenommen werden, dem er selbst das bisweilen allzustrenge Verwerfungsurtheil gesprochen hatte; in diesem Sinne mußte einiges in den neueren Auflagen der Gedichtsammlung Weggebliebene, so nahe die Versuchung zur Wiederaufnahme lag, auch hier ausgeschlossen bleiben. – Das Bruchstück „Helena,“ in welchem aus der Versuch dramatischer Behandlung einer bekannten bereits mehrfach bearbeiteten Sage vorliegt, gehört wohl in die früheste Dichterperiode Lenau’s, welcher dasselbe schon im Winter 1830 auf 1831 seinem Schwestermanne A. X. Schurz, dem wir dessen Mittheilung verdanken, übergeben hatte. Die vorliegende erste Scene scheint auch die einzige und daher unveröffentlicht geblieben zu seyn. In den lyrisch-epischen Gedichten der letzten Abtheilung dagegen läuft der theure Faden, an welchen die Lenau’sche Muse so kostbare Perlen angereiht hat, bis unmittelbar in die trostlosen Tage, welche jenen so grausam zerrissen; namentlich bezeichnen die beiden Schlußstücke der Sammlung den letzten schöpferischen Lebensabschnitt des Dichters. Das tiefpoetische Lied „Blick in den Strom“ (Seite 153) in Geist und Gemüth empfangen am 15. September 1844, als Lenau auf einem von Wien gen Linz fahrenden Donaudampfschiffe seine Brautreise angetreten hatte, wurde in Stuttgart am 25. September 1844, mithin wenige Tage vor seiner unheilbaren Erkrankung, für eine Freundin in Wien niedergeschrieben. „Eitel nichts!“ (Seite 152) entstand am 18. September 1844, als Lenau spät in der Nacht auf dem rollenden Eilwagen zwischen Zernolding und München, körperlich sehr erschöpft dahinfuhr, gleichsam zum Versuche, ob er unter so ungünstigen Umständen noch zu dichten vermöge. Dieses Gedicht wurde von dem bereits tief erkrankten Dichter am 29. November 1844 in seiner Zelle zu Winnenthal seinem geliebten Justinus Kerner, der von Weinsberg ihn zu besuchen gekommen war, dann seinem Arzt und Freunde Hofrath Zeller, der es ihm sogleich nachschrieb, und endlich seinem von Wien herbeigeeilten Schwestermanne A. X. Schurz, von dem diese Angaben herrühren, mit aller bekannten Vortrefflichkeit des Vortrages mitgetheilt. Diese beiden Gedichte gemahnen uns jetzt wie granitene Denksteine, mit denen der Genius des Dichters dessen letzte Pfade hienieden bezeichnen wollte.

Es mag vielleicht unnöthig erscheinen, die ausdrückliche Versicherung beizufügen, daß die in diesem Bande veröffentlichten Dichtungen, wie es schon die tiefe Verehrung für den Dichter mit sich brachte, genau in der Form und Fassung wiedergegeben sind, in welcher sie von ihm zurückgelassen wurden. Willkürliche Weglassungen und eigenmächtige Zusätze sind mit gleich strenger Gewissenhaftigkeit vermieden worden. Bei Varianten, deren übrigens nur zwei in der Handschrift vorkamen, sowie bei den wenigen im Texte vorfindigen Lücken, die sich auf einzelne fehlende Worte beschränken, wurde die Entscheidung und beziehungsweise die Ergänzung möglichst im Sinne und Geiste des Dichters vorgenommen. Nur einmal in der Scenenfolge des „Don Juan“ erlaubte sich der Herausgeber, durch innere unabweisliche Gründe veranlaßt, eine tiefer greifende Aenderung; es galt nämlich einer Scene, welche mit Rücksicht auf die jetzige Gestalt der Dichtung offenbar am ungehörigen Orte eingereiht schien, – vielleicht nur durch einen Zufall, der die einzelnen nicht gehefteten, je eine ganze Scene enthaltenden Blätter verwechselt haben mochte, – jene geeignetere Stelle aufzufinden, die ihr in der Gliederung des Ganzen organisch angewiesen war. Der Herausgeber wird diese Aenderung für vollkommen gerechtfertigt halten dürfen, wenn deren Auffindung, wie er hofft, auch dem Scharfblicke der Kritik nicht gelingen sollte.

Reichhaltiger an Umfang, als es von einem so gefeierten Dichter der Neuzeit zu erwarten stand, deren wenigen die drängende Ungeduld der Lesewelt, so wie das eigene Gefühl des innigen Zusammenhanges mit der nächsten Gegenwart es erlaubt, das Horazische Neunjahr auch nur annäherungsweise zu berücksichtigen, umfaßt der Nachlaß unseres Freundes so vielfältige Proben seiner dichterischen Begabung, es finden sich darin fast alle Zeitperioden und Dichtungsformen, in welchen sich diese bewährt hat, so mannigfach und glänzend vertreten, daß, hätte der Dichter auch sonst nichts geschrieben, das Vorliegende allein genügen könnte zur kritischen Würdigung seiner Dichtergröße und zur genauen Zeichnung seines Dichterbildes in vollkommener Aehnlichkeit und Uebereinstimmung mit jenem Gemälde, das gewiegte Kunstrichter uns aus seinen übrigen Werken entworfen haben. So führt dieser Nachlaß uns Ueberlebenden die gliederreiche Reihe dichterischer Thaten des Dahingeschiedenen, wie bei einem ernsten Todtengerichte der Alten, noch einmal vor das Auge, daß wir den Mann und Dichter in seiner ganzen Würde und bedeutsamen Eigenthümlichkeit noch einmal an uns vorüberschreiten sehen und den tief erschütternden, aber auch erhebenden Ernst dieser Erscheinung verstehen lernen. In unsere Todtenklage darf sich das Gefühl der Befriedigung mengen, daß die edle Kämpfergestalt, indem sie unserm sinnlichen Auge entrückt wurde, vor unserem geistigen Blicke in ihrer reinen Erhabenheit stehen blieb, aufrecht, das leuchtende Schwert noch erhoben, Siegesgewißheit im wahrheitdurstigen Auge und den ersten noch ungetrübten Wiederschein der anbrechenden Morgenröthe auf dem blanken mackelreinen Schilde; – wir sind beruhigt, daß es uns erspart blieb, sie später vielleicht gebeugt von Mißmuth und Trauer über den so schnell vereitelten Sieg, mit unwillig gesenktem oder gar mit zerbrochenem Schwerte zu sehen in den Tagen einer unerquicklichen Waffenruhe, die kein Frieden ist.

Und so sey der deutschen Nation das in diesem Bande niedergelegte poetische Vermächtniß eines ihrer mächtigsten und edelsten Geister zu liebevoller Aufnahme und schützender Pflege, ihrer selbst und des großen Dichters würdig, liebevoll übergeben. Mir aber ist es, indem ich die folgenden Blätter schließe, als ob ich im letzten Liebesdienste dem theuren Todten die Augen zu ewigen Schlummer drückte. Wer je einen Blick in diese gethan oder aus ihnen empfangen, weiß es, welch treue und wahre, welch reine, freie und große Seele einst aus ihnen geleuchtet.

     Im Januar 1851.

Der Herausgeber.     

Inhalt.

Seite

Don Juan, ein dramatisches Gedicht 1
Helena, dramatisches Bruchstück 79
Gedichte:
Protest 91
Des Teufels Lied vom Aristokraten 93
Das Gespenst 95
Zuruf 98
Die Frivolen 101
Schade! 105
Unberufen 106
Ein offner Wald 108
Trutz euch! 109
Ein Recensent 110
Einem Dichter 111
Gebildete Sprache 112
Der Rekrut 114
Seite
Der Küraß 115
Die Rache 118
Der Unhold 123
Die bezaubernde Stelle 125
Der stille See 126
In einer Schlucht. 1. 2 127
Einem Wanderer in österreichischer Felsenschlucht 129
Ein Heimathbruder 131
Nie zurück! 132
Der Fingerhut 134
Einklang 136
Ein Epigramm 137
In der Neujahrsnacht 1839–1840 138
Zum Jubelfeste des Erzherzogs Karl 141
Mit meinen Gedichten 150
Sonne 151
Eitel nichts! 152
Blick in den Strom 153




  1. Der letzte Sommer Lenau’s. Erinnerung und Betrachtung von Berth. Auerbach. Im „Deutschen Museum,“ herausgegeben von R. Prutz und W. Wolfsohn. 1851, 1. Heft.