Juedischer Krieg/Buch III 1-6
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Der Krieg in Galiläa:
Von der Eroberung Jotapatas bis zur Einnahme von Tarichää.
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[227]1 (1.) Als die Kunde von den in Judäa erfolgten Niederlagen zu Nero drang, überfiel den Kaiser, wie leicht begreiflich, ein heimliches Entsetzen und Bangen, aber nach außen zeigte er nur Uebermuth und Ingrimm: 2 Er gab zu verstehen, dass das Vorgefallene nicht so sehr durch die Tapferkeit der Feinde, als vielmehr durch die Lässigkeit der römischen Heerführer herbeigeführt worden sei, und glaubte es auf jeden Fall seiner Ehre auf einem so erhabenen Throne schuldig zu sein, dass er nur mit Verachtung auf sein Missgeschick herabsähe und eine von jedem Unglück unerreichbare Seelengröße nach außen zur Schau trage. Immerhin verriethen seine Sorgen den Sturm im Innern.
3 (2.) Wie er nun so darüber nachdachte, in wessen Hände er den aufgewühlten Orient mit Beruhigung legen könnte, um durch ihn an den jüdischen Rebellen Rache zu nehmen und die von ihrem revolutionären Fieber bereits ergriffenen umwohnenden Völkerschaften noch rechtzeitig ihrem Einfluss zu entrücken, 4 fand er nur den Vespasian den Anforderungen der Lage gewachsen und allein befähigt, die Riesenlast eines so ungeheuren Krieges auf seine Schultern zu nehmen: War doch der Mann seit seinen jungen Jahren bis in sein Greisenalter unter den Waffen gestanden und hatte er schon vor langer Zeit den von germanischen Völkern bedrohten Westen wieder zur Ruhe und zur Anerkennung Roms gebracht, wie auch mit seinem Schwerte das bis dahin kaum bekannte Britannien neu dazugewonnen 5 und selbst seinem Vater Claudius Gelegenheit gegeben, von dort aus sonder Müh’ und Schweiß im Triumphe in Rom einzuziehen.
6 (3.) Da Nero schon in dieser seiner Vergangenheit eine günstige Vorbedeutung für die Zukunft erblickte und seine Kriegserfahrung mit einem gesetzten Alter gepaart, seine persönliche Treue aber noch überdies durch seine Söhne verbürgt sah, deren volle Jugendkraft die rechte Hand ihres kriegskundigen Vaters zu werden versprach, und weil vielleicht auch schon Gott selbst mit dem Kaiserthron seine bestimmten Absichten hatte, 7 so sandte der Kaiser den Mann zur Ueber- [228] nahme des Oberbefehles über die in Syrien stehenden Truppenkörper ab, nachdem er ihn noch zuvor, um seine Thätigkeit anzuspornen, mit honigsüßen Complimenten, wie sie ihm nur die Noth eingeben konnte, und mit allerlei Freundlichkeiten überhäuft hatte. 8 Vespasian schickte zunächst von Achaja aus, woselbst er bei Nero Audienz gehabt, seinen Sohn Titus nach Alexandrien, um die fünfte und die zehnte Legion nach Syrien zu dirigieren; er selbst setzte über den Hellespont und kam auf dem Landwege nach Syrien, wo er nun die römischen Streitkräfte, wie auch zahlreiche Hilfsvölker von den benachbarten Königen zusammenzog.
9 (1.) Nach der Niederlage des Cestius war den Juden infolge ihres ungeahnten Waffenglückes der Kamm so geschwollen, dass sie ihrem Ungestüm gar keine Zügel mehr anlegten und die vom Glücke, sozusagen, angeblasene Kriegsfackel immer weiter schleuderten. Es sammelte sich nämlich alsbald der ganze Kern ihrer Krieger, um auf Askalon loszugehen. 10 Es ist das eine alte, von Jerusalem 520 Stadien entfernte Stadt, die den Juden von jeher ein Dorn im Auge gewesen war, weshalb man auch jetzt den ersten Sturm gerade auf sie zu richten beschloss. 11 Den Ueberfall leiteten drei Männer, die sich ebensosehr durch ihre Körperstärke wie Klugheit auszeichneten, nämlich Niger von Peräa, der Babylonier Silas und als dritter im Bunde der Essäer Johannes. 12 Was nun Askalon betrifft, so hatte die Stadt zwar starke Befestigungen, aber sie war von Streitern nahezu entblößt, indem sie nur von einer Cohorte Fußvolk und einem einzigen Reitergeschwader unter den Befehlen des Antonius geschützt wurde.
13 (2.) Da den Juden nach dem Gesagten der Zorn gewaltig die Schritte beflügelte, so waren sie auch mit einer Geschwindigkeit zur Stelle, als wenn sie aus nächster Nähe hervorgebrochen wären. 14 Doch hatte auch Antonius von ihrem unmittelbar bevorstehenden Anmarsche, ehe er noch sein Ziel erreichte, Wind bekommen und seine Reiter gegen sie ausrücken lassen, mit denen er nun, unbekümmert um die Zahl und Verwegenheit der Feinde, ihren ersten Anprall tapfer aufhielt und ihre Vorstöße gegen die Mauer zurückschlug. 15 Da die Juden ohne Kriegserfahrung lauter gewandten Kriegern, mit bloßem Fußvolk der Reiterei, ohne Ordnung einem Feinde in Reih’ und Glied, mit den erstbesten Waffen den Schwerbewaffneten in voller Ausrüstung, mehr [229] von Leidenschaft als von Ueberlegung geführt wohl disciplinierten und auf jeden Wink eingeübten Truppen gegenüberstanden, so wurden sie mit leichter Mühe geschlagen. 16 Denn sobald nur einmal ihre ersten Linien in Verwirrung gebracht waren, mussten sie auch schon vor der Reiterei die Flucht ergreifen, wobei sie auf die hinteren, mit aller Gewalt gegen die Mauer hindrängenden Abtheilungen stießen, so dass sich die Juden auch noch gegenseitig verwundeten, bis endlich alle mitsammen, von den Attaquen der Reiterei zurückgeworfen, über die ganze Ebene zersprengt wurden. Diese war ein breites und der ganzen Ausdehnung nach für die Reiterei günstiges Terrain, 17 das somit die Bewegungen der Römer wirksam unterstützte und eine fast vollständige Niedermetzlung der Juden ermöglichte. Man konnte hier den flüchtigen Juden den Weg abschneiden, um sich dann denselben entgegenzustürzen, und wo sich infolge der eiligen Flucht ganze Knäuel gebildet hatten, dort sprengten die Römer mitten drein und hieben unzählige nieder. Andere wieder umringten kleinere Abtheilungen, wohin sie sich auch wenden mochten, und schossen sie einfach im Herumreiten zusammen. 18 Für die Juden schien ihre eigene große Zahl infolge der Unmöglichkeit, etwas auszurichten, gar nicht zu existieren, während sich die Römer bei ihrem Waffenglücke, obschon gering an Zahl, im Feuer des Gefechtes zu verdoppeln glaubten. 19 Immerhin trotzten die Juden noch dem furchtbaren Schlage, theils weil sie sich schämten, so rasch das Feld zu räumen, theils weil sie auch auf einen Umschlag hofften, und so zog sich der Kampf, da auch die Römer ihren Vortheil auszunützen nicht säumten, bis zum späten Abend hin, um welche Zeit schon 10.000 Juden mit ihren zwei Anführern Johannes und Silas das Schlachtfeld bedeckten. 20 Die Uebrigen flohen, zum größten Theil selbst auch verwundet, mit dem noch am Leben gebliebenen Feldherrn Niger auf ein kleines Städtchen von Idumäa, namens Sallis, zu. 21 Von den Römern waren ebenfalls einige, aber nur ganz wenige, bei diesem Gefechte verwundet worden.
22 (3.) Durch diese große Schlappe wurde indes der Uebermuth der Juden nicht gedämpft, im Gegentheil steigerte noch das Unglück ihre Kühnheit. Ohne der Leichen zu achten, die noch zu ihren Füßen lagen, ließen sie sich durch ihre früheren Siegesthaten ein zweitesmal in die blutige Falle locken. 23 Nachdem sie kaum solange ausgesetzt, als zur Heilung ihrer Wunden nöthig war, zogen sie ihre ganze streitbare Mannschaft an sich und stürmten dann mit noch größerer Wuth und in weit größerer Anzahl, wie früher, gegen Askalon. 24 Aber außer ihrer Unerfahrenheit im Kriege und den sonstigen Schwächen in militärischer Hinsicht heftete sich auch diesmal wieder das Unglück an ihre Fersen. [230] 25 Antonius hatte sich nämlich schon vorher der Pässe versichert, und so fielen denn die Juden ahnungslos in den gelegten Hinterhalt, wurden von der Reiterei, noch ehe sie sich zur Schlacht ordnen konnten, umringt und abermal mit einem Verluste von mehr als 8000 Mann geschlagen. Alle anderen ergriffen die Flucht, darunter auch Niger, der noch auf der Flucht viele Wunder der Tapferkeit verrichtete, bis man von dem nachsetzenden Feinde in einem festen Thurm des Dorfes Bezedel zusammengedrängt wurde. 26 Da sich die Leute des Antonius an dem schwer einnehmbaren Thurme ihre Zähne nicht ausbeißen und doch auch den Anführer der Feinde und ihren tüchtigsten Soldaten nicht heil entkommen lassen wollten, so legten sie unten an der Mauer Feuer an. 27 Als der Thurm schon lichterloh brannte, zogen sich die Römer im frohen Glauben, dass auch Niger todt sein müsse, zurück. Der aber war vom Thurme in die entlegenste Höhlung der Veste hinabgesprungen, wo er vom Feuer verschont blieb und nach drei Tagen seinen Landsleuten, die unter Wehklagen nach seinem Leichnam forschten, um ihn zu begraben, aus der Tiefe sich vernehmbar machte. 28 Das Wiederauftauchen des Niger bereitete allen Juden eine freudige Ueberraschung, und man glaubte nicht anders, als dass Gott selbst ihn zum Mann des kommenden Krieges bestimmt und aus diesem Grunde jetzt gerettet habe.
29 (4.) Als Vespasian das Commando über die Streitkräfte von Antiochien, der Hauptstadt Syriens, die da wegen ihrer Grösse und sonstigen Blüte unbestritten den dritten Rang unter den Städten des römischen Erdkreises einnimmt, angetreten und auch den König Agrippa, der hier mit seiner ganzen eigenen Macht auf die Ankunft des Oberfeldherrn gewartet, in sein Heer aufgenommen hatte, rückte er in Eilmärschen gegen Ptolemais. 30 Bei dieser Stadt begegneten ihm die Einwohner von Sepphoris in Galiläa, die einzigen friedlich gesinnten Landesbewohner, 31 die weder blind für ihr eigenes Wohl noch für die Macht Roms schon vor der Ankunft Vespasians dem Cestius Gallus Treue geschworen und hinwieder die Zusicherung seines Schutzes erhalten, wie auch eine römische Besatzung aufgenommen hatten. 32 Jetzt waren sie nur in der Absicht erschienen, um den römischen Oberbefehlshaber freundlich zu begrüßen und ihn ihrer bereitwilligsten Bundesgenossenschaft gegen die eigenen Landsleute zu versichern. 33 Auf ihr Verlangen gab ihnen auch der Feldherr zur einstweiligen Deckung soviel Reiterei und Fußvolk, als nach seinem Ermessen gegen die Ueberfälle, die möglicherweise von den Juden ins Werk gesetzt werden konnten, hinreichend war. 34 Denn in der That hätte die Wegnahme von Sepphoris, die als die größte Stadt Galiläas und schon wegen [231] ihrer sehr festen natürlichen Lage eine Zwingburg für das ganze Volk zu werden versprach, eine nicht geringe Gefahr für den kommenden Feldzug bedeutet.
35 (1.) Es gibt zwei Galiläa, das „obere“ und das „untere“ zubenannt, und sie werden von Phönicien und Syrien umschlossen. Gegen Sonnenuntergang begrenzt sie die Stadt Ptolemais mit ihrem Territorium und der ehemals zu Galiläa, jetzt aber zum tyrischen Gebiete gehörige Bergzug des Karmel, 36 an welchem die Reiterstadt Gaba gelegen ist, sogenannt von den unter Herodes verabschiedeten Reitern, die sich hier niedergelassen hatten. 37 Im Süden bildet das samaritische Gebiet und Scythopolis bis zum Jordanlaufe die Grenze, während nach Osten hin das Gebiet von Hippus, Gadara und Gaulanitis, wo das Königreich des Agrippa anfängt, die Scheide bilden. 38 Die nördlichen Landestheile dagegen stoßen an Tyrus und die tyrische Landschaft. Die Länge des sogenannten unteren Galiläa reicht von Tiberius bis zur Stadt Chabulon, an die sich dann im Küstengebiet gleich die Stadt Ptolemais anschließt. 39 Seine Breite erstreckt sich von dem auf der großen Ebene gelegenen Dorfe, namens Xaloth, bis Bersabe, von welchem Orte dann die Breitelinie für das obere Galiläa ansetzt, um bis zum Dorfe Baka an der Grenze des tyrischen Gebietes zu verlaufen. 40 Die Längslinie dagegen zieht sich für Obergaliläa von dem in der Nähe des Jordan gelegenen Dorfe Thella bis Meroth hin.
41 (2.) Obschon von so geringer Ausdehnung und andererseits von so bedeutenden fremdstämmigen Nationen umringt, hat doch Galiläa jedem Versuche einer feindlichen Invasion die Spitze geboten. 42 Die Galiläer sind ja Krieger schon von Kindheit auf und stets sehr volkreich, so dass also weder Zaghaftigkeit ihre Männer, noch Mangel an Männern ihr Land vom Widerstande zurückhalten konnte. Das letztere ist nämlich nach seiner ganzen Ausdehnung fett und weidereich und von den mannigfachsten Bäumen bestanden, so dass es infolge seines äußerst dankbaren Bodens selbst denjenigen zur Arbeit hinzieht, der sonst gar kein Freund von den Mühen des Ackerbaues ist. 43 In Wirklichkeit ist denn auch alles Land von seinen Bewohnern urbar gemacht, und kein Fleckchen unbenützt. Auch zahlreiche Städte gibt es daselbst, und sogar die vielen Dorfschaften sind, dank ihrem reichen Ertrage, allenthalben so stark bevölkert, dass die kleinste davon über 15.000 Einwohner besitzt.
[232] 44 (3.) Ueberhaupt dürfte man wohl Galiläa in Anbetracht seiner Hilfsquellen vor der Landschaft Peräa den Vorzug einräumen, mag man es auch in Ansehung seines Umfanges der letzteren nachsetzen. Galiläa ist überall Culturland und durchgängig sehr ergiebig, während Peräa doch zum größten Theil wüste und zerrissen und für die Pflege edlerer Früchte allzu rauh ist. 45 Immerhin sind auch hier die milderen Striche an allen Erzeugnissen reich, und die Ebenen mit den verschiedenartigsten Baumgattungen bepflanzt, doch sind die Culturen zumeist für den Oelbaum, den Weinstock und für Palmengärten eingerichtet. Befruchtet wird das Land zum Theil von Winterbächen, die aus den Bergen kommen, zum Theil auch von salzhaltigen Quellen, die nie ausbleiben, sollten auch die anderen Wasserläufe in der Sommerhitze versiegen. 46 Seine Längenausdehnung reicht von Machärus bis Pella, seine Breite von Philadelphia bis an den Jordan. 47 Durch das eben genannte Pella wird die Landschaft im Norden, durch den Jordan aber nach Westen hin abgegrenzt. Seine südliche Grenze ist das Moabiterland, während seine Ausdehnung gegen Osten hin durch Arabien und das Silbonitische Gebiet, wie auch durch das Territorium von Philadelphia und Gerasa beschränkt erscheint.
48 (4.) Das Samariterland ist zwischen Judäa und Galiläa eingeschoben. Es beginnt bei dem auf der großen Ebene gelegenen Dorfe Ginäa und hört bei dem Bezirke von Akrabatene auf. In seiner Bodenbeschaffenheit unterscheidet es sich gar nicht von Judäa: 49 beide Landschaften haben Gebirge, die mit Ebenen abwechseln, ihre Lage ist milde genug für den Landbau und sehr fruchtbar, sie sind baumreich und voll von wildem und von edlem Obst, weil es nirgends an natürlichen Rinnsalen fehlt, die Befeuchtung aber durch den Regen noch ergiebiger ist. 50 Alle Wasserläufe in den beiden Ländern sind von ausnehmender Süße, und wegen der Menge trefflicher Weidegräser gibt das Vieh hier mehr Milch, als anderswo. Was aber den vollgiltigsten Beweis für die Güte und den Wohlstand beider Landschaften bildet, das ist der Volkreichthum, der in denselben herrscht.
51 (5.) Auf der Scheide beider Länder liegt das Dorf Anuath, zubenannt Borkeos, das die Nordgrenze von Judäa bildet. Den Süden Judäas, nach dessen Längenausdehnung gerechnet, begrenzt hinwieder ein schon an das arabische Gebiet stoßendes Dorf, welches die Juden jener Gegend Jardan nennen, während seine Breitenausdehnung vom Jordanfluss bis Joppe geht. 52 Von den Städten des Landes nimmt Jerusalem ganz genau die Mitte desselben ein, weshalb auch manche diese Stadt nicht unzutreffend den Nabel von Judäa genannt haben. 53 Da das Land mit seinem Küstengebiet bis Ptolemais heranreicht, so [233] fehlen ihm auch die Reize einer Meeresgegend nicht. 54 Eingetheilt wird Judäa in elf Stammbezirke, mit Jerusalem als Residenz an der Spitze, die da hoch erhaben über das ganze Land herum, wie das Haupt über dem Rumpfe, thront. Die übrigen Städte vertheilen sich nach ihr in folgende Bezirke: 55 Gophna, zweiter Bezirk, nach diesem Akrabatta, dann Thamna und Lydda und Emmaus und Pelle, Idumäa, Engaddä, Herodium und Jericho. 56 Weiters bilden auch Jamnia und Joppe je einen Mittelpunkt für ihre Umgegend, wozu noch die Landschaften von Gamala und Gaulanitis, Batanäa und die Trachonitis kommen, die übrigens schon Gebietstheile vom Königreich Agrippa sind. 57 Das letztere zieht sich seiner Breite nach vom Libanongebirge und den Jordanquellen angefangen bis zum See Tiberius hin, indes seine Länge sich vom Dorfe Arpha bis Julias erstreckt. Juden und Syrer wohnen hier durcheinander. 58 Das in möglichst knappen Umrissen die Schilderung des Judenlandes und seiner Nachbarn.
59 (1.) Die von Vespasian unter dem Commando des Tribunen Placidus den Sepphoriten zu Hilfe gesandte Mannschaft von 1000 Reitern und 6000 Fußgängern hatte auf der großen Ebene erst ein gemeinsames Lager bezogen, sich aber dann getheilt: das Fußvolk quartierte sich zum Schutze der Stadt in Sepphoris ein, während die Reiterei im Lager fortcampierte. 60 Sie machten aber von beiden Punkten aus in einemfort Ausfälle und durchstreiften das Land weit herum, wobei sie den Leuten des Josephus, trotzdem diese sich ganz ruhig verhielten, durch Plünderung der Umgebung einzelner Städte und durch blutige Zurückweisung von Bewohnern, die sich hie und da herauswagten, arg mitspielten. 61 Allerdings wagte Josephus einen Zug gegen die Stadt, in der Hoffnung, eine Festung wieder zu gewinnen, die er selbst vor ihrem Abfall von den Galiläern mit Bollwerken versehen hatte und zwar mit so starken, dass sie auch für Römer fast uneinnehmbar gewesen wäre. Gerade das war es aber auch, woran seine Hoffnung scheitern sollte, da er sich zufolge seiner militärischen Ohnmacht ebenso sehr außerstande fühlte, die Sepphoriten mit Gewalt zu unterwerfen, als mit Nachdruck auf sie einzureden: 62 Ja, er entfesselte mit seinem Zuge erst recht die Kriegsfurie gegen das offene Land, indem die Römer jetzt aus Zorn über den versuchten Handstreich ohne Unterlass bei Nacht und bei Tag das Flachland verheerten, alles Hab [234] und Gut der Landesbewohner plünderten, die waffenfähige Mannschaft regelmäßig niedermetzelten, die schwächeren Leute aber zu Sclaven machten. 63 Ganz Galiläa war ein Blut- und Feuermeer, und es gab kein Leid und kein Unglück, das es nicht verkosten musste. Nur eine einzige Zuflucht hatten die gehetzten Bewohner: die von Josephus in Vertheidigungszustand gesetzten Städte.
64 (2.) Unterdessen war Titus mit einer für die Winterszeit außerordentlichen Schnelligkeit von Achaja nach Alexandrien hinübergefahren und hatte die Heeresmacht, um die er geschickt worden war, daselbst übernommen. In forcierten Märschen kam er dann rasch nach Ptolemais. 65 Hier traf er seinen Vater und schloss sich mit den zwei ihn begleitenden hochberühmten Legionen, der fünften und der zehnten, an die von Vespasian geführte fünfzehnte Legion an. 66 Den Legionen folgten achtzehn Cohorten, wozu noch fünf von Cäsarea nebst einem Reitergeschwader und fünf andere Geschwader syrischer Reiterei kamen. 67 Von den Cohorten hatten zehn eine Stärke von je 1000 Fußsoldaten, die übrigen dreizehn eine Stärke von je 600 Fußgängern und 120 Reitern. 68 Auch von Seiten der Könige war ein zahlreiches Bundesheer aufgebracht worden, nämlich von Antiochus, Agrippa und Soämus, von denen ein jeder 2000 Bogenschützen zu Fuß und 1000 Reiter beigestellt hatte, während der Araber Malchus 1000 Berittene nebst 5000 Fußgängern, worunter der Großtheil Bogenschützen, geschickt hatte. 69 Alle Streitkräfte zusammengenommen betrugen demnach, mit Einschluss der königlichen Truppen, Reiter sowohl als Fußvolk, 60.000 Mann. Nicht mitgezählt ist dabei der Tross von Dienern, die in großer Masse den Anhang zum Heere bildeten, obschon sie in Anbetracht ihrer militärischen Schulung, die sie mit dem eigentlichen Kriegsheer theilten, von dem letzteren nicht wohl zu trennen sind. Da sie nämlich schon zu Friedenszeit regelmäßig zu den Uebungen ihrer Herren herangezogen werden und dann auch in den Fährlichkeiten des Krieges ihnen zur Seite stehen, so brauchen sie in Hinsicht auf Erfahrung und Spannkraft des Leibes mit Niemand, die Herren ausgenommen, einen Vergleich zu scheuen.
70 (1.) Schon an dieser eben besprochenen Handlungsweise muss man die Vorsorge der Römer bewundern, die sich ihre Dienerschaft nicht bloß für die Dienste des gewöhnlichen Lebens, sondern auch für die Verwendung im Felde abrichten. 71 Wirft man aber dann erst einen Blick [235] auf die sonstige Organisation ihres Heeres, so wird man zur Erkenntnis kommen, dass das ungeheure Reich, das sie besitzen, lediglich der Lohn ihrer Thatkraft und nicht ein Geschenk des Glückes ist. 72 Denn bei ihnen greift man nicht erst im Kriege zu den Waffen, noch rührt der Römer die Hand bloß im Nothfall, um sie zur Friedenszeit matt in den Schoß zu legen, sondern, als wäre er mit den Waffen verwachsen, erlaubt er sich in ihrer Uebung niemals einen Stillstand, noch wartet er damit erst auf einen bestimmten Zeitpunkt. 73 Ihre militärischen Exercitien lassen aber zugleich in keiner Hinsicht den Nachdruck des Ernstfalles vermissen, sondern jeder Soldat übt sich Tag für Tag mit allem Eifer genau so, als stünde er vor dem Feinde, 74 und so halten sie auch im blutigen Streite spielend leicht Stand, da weder eine Verwirrung ihre gewohnte Schlachtordnung auflösen, noch Schrecken sie lähmen, noch Strapazen sie aufreiben können. Immer folgt der Sieg zuverlässig ihren Fahnen, weil ihnen nie ein Gegner ebenbürtig wird, 75 so dass man nicht fehlgehen würde, wenn man ihre Manöver unblutige Schlachten, ihre Schlachten aber einfach blutige Manöver nennen wollte. 76 Können sie ja doch nicht einmal auf dem Wege der Ueberrumplung eine leichte Beute für den Feind werden, indem sie, um das zu verhindern, wo immer sie in Feindesland stehen, früher keine Schlacht annehmen, ehe sie ein verschanztes Lager geschlagen haben. 77 Letzteres errichten sie nicht an einem beliebigen Punkte noch auch unregelmäßig, sowie auch nicht alle ohne Unterschied zum Lagerbau verwendet werden, noch dieser selbst ohne genaue Ordnung vor sich geht. Vielmehr wird, wo das Terrain uneben ist, dasselbe zunächst planiert, dann das Lager in der Form eines Viereckes für das Heer abgemessen. 78 Zu diesem Zwecke folgt den Legionen stets ein zahlreiches Corps von Werkleuten mit den zum Lagerbau nothwendigen Instrumenten.
79 (2.) Der Innenraum des Lagers wird auf die einzelnen Zelte vertheilt, während der äußere Rand den Anblick einer Mauer gewährt, die in gleichen Abständen von Thürmen beherrscht ist. 80 Zwischen diesen Thürmen werden die kleinen und großen Katapulten und die Steinwurfmaschinen, kurz alle Arten von Geschützen, sämmtlich schussbereit, aufgestellt. 81 In die Umfassung sind vier Thore, je ein Thor nach einer Seite, eingelassen, die ebenso den Lastthieren einen bequemen Zugang gewähren, wie sie den Soldaten selbst einen breiten Raum zu einem etwa nöthig werdenden raschen Ausfall bieten. 82 Das Innere des Lagers ist sehr geschickt in Straßen getheilt. In der Mitte schlägt man die Gezelte für die höheren Officiere und zwischen diesen wieder als Mittelpunkt des Ganzen das Feldherrnzelt auf, das sich wie ein [236] Tempel ausnimmt. 83 Wie auf einen Zauberschlag zeigt sich unseren Blicken eine Stadt im Kleinen, mit ihrem Markte, ihren Handwerksstätten und Gerichtsstühlen, wo die Rottenführer und Feldobristen über vorkommende Streitigkeiten zu entscheiden pflegen. 84 Ehe man sichs nur versieht, steht auch schon die Umwallung und alles, was sie einschließt, unter sovielen und so kundigen Händen fix und fertig da. Im Falle dringenderer Noth wird auch noch ein Graben in einer Tiefe von vier Ellen und von der gleichen Breite von außen herum aufgeworfen.
85 (3.) Nachdem sie sich so verschanzt haben, campieren sie in aller Ruhe und Ordnung, jeder in seiner ihm angewiesenen Stellung. Pünktlich und sicher vollzieht sich bei ihnen auch alles andere. So geschieht das Herbeischaffen von Holz, Proviant und Fourage, sowie die Wasserzufuhr im Falle des Bedarfes stets durch besondere Abtheilungen. 86 Ja, es ist auch dem Einzelnen durchaus nicht freigestellt, die Abend- oder die Mittagmahlzeit einzunehmen, wann er will, sondern sie ist für alle gemeinschaftlich. Zum Schlafen und für die Wachstunden, wie auch zum Aufstehen wird vorher durch Trompeten das Zeichen gegeben, und nichts geschieht ohne Commando. 87 Gegen Morgen finden sich die Gemeinen sämmtlich bei ihren Hauptleuten, diese hinwieder bei ihren Obersten ein, um ihnen einen guten Tag zu wünschen, worauf dann alle anderen höheren Officiere mit den Obersten sich dem Generalissimus vorstellen, 88 der ihnen nun die beim Militär eingeführte Losung sowie die anderen Befehle zur Mittheilung an die unterstehenden Abtheilungen gibt. Dieselbe stramme Ordnung beobachten sie auch während der Schlacht, indem sie sich rasch dorthin werfen, wo es eben noththut, und dem Commando ebenso compact zum Angriff, wie zum Rückzug folgen.
89 (4.) Muss das Lager verlassen werden, so gibt die Trompete hiezu das Signal. Keiner zaudert dann, sondern kaum ist das Zeichen verklungen, so bricht man schon auch die Zelte ab und stellt alles zum Ausmarsch fertig. 90 Ein wiederholter Trompetenstoß gibt jetzt das Zeichen, bereit zu sein. In einer Schnelligkeit laden nun die Soldaten das Gepäck auf die Maulesel und sonstigen Saumthiere und stehen dann da, wie die Wettläufer vor dem Seile der Rennbahn, zum Losbrechen bereit. Gleichzeitig lässt man das Lager in Flammen aufgehen, da es einerseits für die Römer ein Leichtes ist, am selben Orte ein neues Lager zu errichten, auf der anderen Seite aber zu fürchten wäre, dass das stehengebliebene einmal den Feinden von Nutzen sein könnte. 91 Noch ein drittes Trompetensignal meldet den bevorstehenden Ausmarsch und spornt jene, die aus irgend einer Ursache sich noch [237] verweilen, zur Eile an, auf dass Niemand in seiner Reihe fehle. 92 Hierauf stellt der zur rechten Seite des Kriegsobersten stehende Herold dreimal in lateinischer Sprache die Anfrage, ob die Soldaten bereit wären zu kämpfen. Wie ein gewaltiges Brausen, und zwar des Jubels, schallt es ihm ebenso oftmal zur Antwort entgegen: „Wir sind bereit!“ Ja sie kommen dem Frager zuvor und heben, wie von einem Hauche des Kriegsgottes angeweht, unter lautem Geschrei die rechte Hand in die Höhe.
93 (5.) Nun rücken die Soldaten aus und marschieren alle in der Stille und unter Einhaltung der Ordnung dahin, indem ein jeder Reih und Glied geradeso wahrt, wie im Kampfe selbst. Die Fußgänger sind mit Harnisch und Helm gewappnet und tragen links und rechts je ein Seitengewehr, 94 von denen das Schwert zur Linken die Wehr zur Rechten bedeutend an Länge überragt, da letztere nicht mehr als eine Spanne lang ist. 95 Die auserlesene Garde des Feldherrn zu Fuß trägt Lanze und runden Schild, während das übrige Kriegsvolk zu Fuß Speere und längliche viereckige Schilde und außerdem noch Säge, Korb, Schaufel und Axt, ferner Riemen, Sichel und Handschellen, wie auch Mundvorrath für drei Tage tragen muss, so dass der Soldat zu Fuß einem Packesel wirklich nicht viel nachgibt. 96 Die Reiter dagegen haben auf der rechten Seite ein langes Schwert und in der Hand einen ziemlich langen Stangenspieß, indes ein viereckiger, schräg liegender Schild die Flanke des Pferdes deckt. In einem Köcher stecken noch drei oder mehr Wurfspieße, die an ihrer Eisenspitze sich verbreitern, aber sonst in ihrer Länge sich von förmlichen Speeren nicht unterscheiden. Alle haben Helme und Rüstung, wie die Fußgänger. 97 Die reitende Garde des Feldherrn hat übrigens gar keine anderen Waffen, als wie die Reiter der gewöhnlichen Geschwader. An der Spitze des Zuges marschiert stets jene Legion, die durch das Los die Vorhut bekommen hat.
98 (6.) Das ist also die Marsch- und Lagerordnung bei den Römern, sowie der Unterschied in ihrer Bewaffnung. Bei ihren kriegerischen Operationen geschieht nichts ohne vorausgehende Berathung, nichts ohne Vorbereitung, vielmehr wird jede Unternehmung stets von einem bestimmten Entschluss geleitet, aber auch das, was einmal beschlossene Sache ist, in die That umgesetzt. 99 Das ist auch der Grund, warum sie sehr wenige Fehler machen und, falls sie doch dann und wann zu Schaden kommen, die gemachten Fehler leicht wieder verbessern können. 100 Ja, sie halten selbst das Misslingen eines vorbedachten Planes noch für etwas besseres, als solche Erfolge, die nur der Ausfluss des Glückes sind, da ein nur zufälliger schöner Erfolg, wie sie sagen, zur Unbe- [238] dachtsamkeit verleite, während die Verstandesarbeit, auch wenn sie manchmal Unglück habe, doch wenigstens eine heilsame Sorgfalt erzeuge, um neue Schlappen zu vermeiden. 101 Sowie einerseits kein Glückskind die Genugthuung haben könne, diese Güter sich selbst erworben zu haben, so sei es auch umgekehrt bei ganz unerwartet über uns hereinbrechenden Unglücksfällen noch ein tröstender Gedanke, dass man es wenigstens nicht an reiflicher Ueberlegung habe fehlen lassen.
102 (7.) Auf solche Weise erhöhen die Römer mit ihren Waffenübungen sowohl die Kräfte des Leibes, wie die Energie des Geistes. Dieser Uebung kommt auch die Furcht zu Hilfe, 103 da die Kriegsartikel bei ihnen nicht bloß auf Fahnenflucht, sondern schon auf eine geringe Säumigkeit die Todesstrafe setzen. Aber noch mehr als die Militärgesetze sind die Feldherren selbst zu fürchten, da diese nur durch ihre Auszeichnungen, die sie an die verdienstvollen Krieger verleihen, in etwa den Eindruck der Grausamkeit verwischen können, den ihr Verfahren gegen strafbare Soldaten hervorruft. 104 Der Gehorsam gegen die Anführer ist dafür aber auch so stramm, dass es im Frieden eine wahre Pracht ist, in der Schlacht aber das ganze Heer nur einen einzigen Leib zu bilden scheint: 105 so eng verwachsen sind die Glieder, so behende ihre Schwenkungen, so scharf horcht jedes Ohr auf das Commando, so scharf sieht jedes Auge auf die Zeichen, so schnell ist jede Hand am Werke. 106 So sind sie also auf der einen Seite immer rasch im Handeln und doch auf der anderen wieder sehr zäh im Leiden. Nie und nirgends sind sie im Kampfe, sei es der Uebermacht, oder Kriegslist, oder den Schwierigkeiten des Terrains, ja selbst nicht einmal der Gewalt des Schicksals erlegen. Denn ihre sieghafte Kraft ist selbst durch des Schicksals Mächte nicht zu erschüttern! 107 Sollte man sich demnach bei einem Volke, bei dem stets eine weise Ueberlegung der That vorausgeht, und hinwieder ein so unternehmungslustiges Kriegsheer den Beschlüssen zu Diensten steht, noch wundern, dass es seine Herrschaft im Osten gegen den Euphrat, im Westen an den Ocean, im Süden zu den üppigsten Fluren Libyens, gegen Norden aber an den Ister und den Rhein vorgeschoben hat? Im Gegentheil, man könnte eher mit Fug und Recht die Behauptung aufstellen, dass selbst dieser gewaltige Besitz für solche Eroberer noch keinen würdigen Preis abgebe.
108 (8.) Vorstehende Schilderung habe ich indes nicht so sehr in der Absicht entworfen, um die Römer herauszuheben, als vielmehr, um den Besiegten damit einen Trost zu spenden und die revolutionären Elemente unter ihnen zu warnen. 109 Vielleicht bereichert auch die Darstellung der römischen Heerführung die Erfahrung manches für alles Edle begeisterten Mannes, der bislang davon keine Kenntnis gehabt [239] hat. Nun kehre ich wieder zum Ausgangspunkt meiner Abschweifung zurück.
110 (1.) Unterdessen verweilte Vespasian mit seinem Sohne Titus noch immer in Ptolemais, um die römischen Streitkräfte zu organisieren, während Placidus seine Streifzüge in Galiläa fortsetzte. Nachdem der letztere eine große Menge Menschen, die übrigens nur dem wehrloseren und ausgemergelten Theile der galiläischen Bevölkerung angehörten, in seine Gewalt gebracht und niedergemetzelt hatte, 111 und dabei sehen musste, wie gerade die waffenfähigen Leute ihm regelmäßig nach den von Josephus befestigten Städten entschlüpften, so richtete er nunmehr seinen Marsch gegen die stärkste dieser Vesten, nämlich gegen Jotapata, weil er meinte, sie gleich im ersten Anlaufe mit leichter Mühe nehmen zu können. Diese Eroberung musste natürlich ihm selbst, wie er dachte, bei den obersten Heerführern hohen Ruhm, den letzteren aber einen ebenso großen Vorschub für die übrigen Kriegsoperationen verschaffen, da, wenn einmal die bedeutendste Festung in den Händen der Römer war, zu erwarten stand, dass auch die übrigen schon aus Furcht sich ihnen anschließen würden. 112 Diese Hoffnung betrog ihn aber gewaltig! Die Besatzung von Jotapata hatte nämlich von seinem Anzuge Witterung bekommen und richtete sich vor der Stadt auf einen gehörigen Empfang. Ohne dass die Römer eine Ahnung hatten, stürzten sich die Juden auf ihre Heerschar, und es gelang ihnen auch, da sie sehr zahlreich und für den Kampf vorbereitet, ja für denselben geradezu begeistert waren – galt er ja doch dem Schutze der gefährdeten Vaterstadt und den eigenen Frauen und Kindern! –, die Römer rasch in die Flucht zu schlagen. 113 Dabei verletzten sie viele aus ihnen, tödteten ihnen aber doch nur sieben Mann, weil einestheils der Rückzug der Römer nicht in eine regellose Flucht ausartete, anderentheils die einzelnen Verwundungen am Leibe der ringsum gepanzerten Feinde nur oberflächliche sein konnten, zumal die Juden bei ihrer leichten Bewaffnung mit den Schwerbewaffneten in der Nähe nicht recht anzubinden wagten, sondern sie mehr aus der Ferne beschossen. 114 Auch bei den Juden fielen drei Mann, und gab es einige wenige Verwundungen. Da sich auf solche Weise Placidus aus eigener Erfahrung von seiner Unzulänglichkeit, die Stadt zu berennen, überzeugt hatte, zog er sich vollständig zurück.
[240] 115 (2.) Nunmehr aber brachte Vespasian, der selbst einen Einfall in Galiläa schon fest im Sinne hatte, sein eigenes Heer in die bei den Römern übliche Marschordnung und rückte von Ptolemais ab. 116 Dem eigentlichen Zuge ließ er die leicht bewaffneten Hilfstruppen und Bogenschützen vorausschwärmen, um plötzliche Ueberfälle von Seite der Feinde zurückzuweisen und verdächtige Waldgründe, die leicht einen Hinterhalt bergen konnten, zu durchstöbern. Hinter diesen kam dann auch ein römisches Detachement von Schwerbewaffneten zu Fuß und zu Pferde, 117 gefolgt von zehn Soldaten aus jeder Centurie, die außer dem eigenen Gepäck auch noch die Messinstrumente zur Herstellung des Lagers mit sich führten. 118 An diese reihten sich die Wegmacher, welche die Aufgabe hatten, die Windungen der Heeresstraße abzukürzen und rauhe Stellen zu ebnen, wie auch hinderliches Strauchwerk zuvor abzuhauen, damit das Heer vom schlechten Wege nicht zu leiden hätte. 119 Hinter ihnen ließ Vespasian sein eigenes Gepäck und das seiner Unterfeldherren, welches eine starke Reiterabtheilung bewachen musste, transportieren. 120 Dann kam er selbst geritten, umgeben von seinen Elite-Garden zu Fuß und zu Ross und den Lanzenträgern. Ihm folgte die jeder Legion zugetheilte römische Reiterei, die da für eine Legion stets 120 Mann beträgt. 121 An diese schlossen sich die Maulthiere, welche die Helepolen und die sonstigen Kriegsgeschütze trugen. 122 Hierauf kamen die Legionscommandanten und die Präfecten der Cohorten mit den Tribunen, umschlossen von einer auserlesenen Kriegerschar; 123 dann die Standarten mit dem Adler in ihrer Mitte, welcher als König und Gewaltigster unter den Vögeln bei den Römern einer jeden Legion vorauszieht, da er ihnen ebensowohl als Zeichen der Herrschaft, wie auch als glückliche Vorbedeutung des Sieges gilt, mag der Feind, den sie angreifen wollen, sein, wer immer. 124 Hinter den heiligen Zeichen schritten die Trompeter, und dann marschierten die Schlachtreihen auf, die Colonne sechs Mann hoch und, wie üblich, von je einem Hauptmann zur Ueberwachung der Ordnung begleitet. 125 Nach dem Fußvolk kam der ganze Tross von Knechten, der den einzelnen Legionen angehörte und die Bestimmung hatte, das Gepäck der Soldaten auf Maulthieren und anderen Lastthieren dem Heere nachzuführen. 126 Diesem Zug der Legionen folgten dann noch die Miettruppen, an die sich als Nachtrab zur Deckung der ganzen Marschlinie theils leicht, theils schwer bewaffnetes Fußvolk und eine zahlreiche Reiterschar anschloss.
127 (3.) In dieser Ordnung setzte Vespasian und seine Streitmacht den Marsch bis zur Grenze Galiläas fort. Daselbst angekommen, schlug er ein Lager auf und suchte die Kampfbegier seiner Soldaten einstweilen noch zu zügeln, weil er die Absicht hatte, durch die Ent- [241] faltung seiner Heeresmacht den Muth der Feinde zu brechen und ihnen Zeit zur Umkehr zu gewähren, falls sie doch noch vor dem Kampfe sich eines Besseren besinnen möchten. Zu gleicher Zeit suchte er aber auch seine Rüstungen zur Belagerung ihrer Festungen noch zu ergänzen. 128 In der That rief auch das bloße Erscheinen des Oberfeldherrn in Galiläa bei vielen schon Reue über ihren Abfall, bei allen aber wenigstens Schrecken hervor. 129 So flohen selbst jene, die unter Josephus unweit von Sepphoris bei der Stadt Garis ein Lager bezogen hatten, auf die Kunde darüber, dass es mit dem Kampfe jetzt ernst werde, und dass die Römer bald den blutigen Strauß mit ihnen beginnen würden, nicht etwa erst unmittelbar vor der Schlacht, sondern bevor sie noch den Feind gesehen hatten, nach allen Windrichtungen auseinander. 130 Nur eine kleine Schar blieb bei Josephus zurück, und da sich derselbe außerstande sah, an der Spitze einer so ungenügenden Truppenzahl es mit den Feinden aufzunehmen, und noch dazu bemerken musste, wie den Juden aller Muth entfallen war, und wie die meisten von ihnen bereit wären, sich zu Friedensvorschlägen herbeizulassen, wenn die Römer ihnen nur trauen wollten, so wurde ihm bereits jetzt wegen des ganzen Krieges angst und bange. 131 Vor der Hand aber beschloss er, wenigstens der Gefahr eines Zusammenstoßes, soweit als möglich, auszuweichen, und flüchtete sich mit den wenigen Leuten, die bei ihm noch ausgehalten hatten, nach Tiberias hinab.
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