Friedrich Ernst Daniel Schleiermacher

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Autor: Unbekannt
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Titel: Friedrich Ernst Daniel Schleiermacher
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aus: Die Gartenlaube, Heft 2–3, S. 28–30; 39–40
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Friedrich Ernst Daniel Schleiermacher.

Je mehr in neuerer Zeit auf dem kirchlichen Gebiete und besonders innerhalb des Protestantismus eine dem Geiste desselben widersprechende Hierarchie sich geltend macht, Bildung und Fortschritt für Abfall vom Glauben, Toleranz und Duldung für mattherzige Schwäche gehalten, die Umkehr der Wissenschaft und ein beschränkter Pietismus offen und laut gepriesen und gelehrt wird, um so nothwendiger dürfte die Erinnerung an einen Mann und Theologen sein, dessen ganzes Leben und Wirken ein herrliches Zeugniß dafür ablegt, daß Humanität und Wissen mit der wahren Religion stets Hand in Hand geht, daß das Christenthum sich mit echter Bildung nicht nur verträgt, sondern Beide sich gegenseitig heben und unterstützen, daß der Protestantismus Verfolgungssucht und jede Inquisition ausschließt, wenn er nicht seinem Ursprung und seiner innersten Natur zuwiderhandeln und somit sich selbst aufheben und vernichten will.

Dieser wahre Bekenner des Evangeliums war der berühmte Schleiermacher, gleich groß als akademischer Lehrer, als protestantischer Theolog, als christlicher Redner, als geistreicher Schriftsteller und bedeutender Mensch. Er wurde am 21. November 1768 zu Breslau geboren, wo sein Vater als reformirter Feldprediger lebte. Seine Mutter war die jüngste Tochter des Hofpredigers Stubenrauch, eine überaus fromme Frau, der er bei den vielen Abhaltungen seines Vaters die erste Jugenderziehung verdankte. Schon mit fünf Jahren besuchte das frühreife Kind die unter der Direktion des Hofpredigers Heinz stehende Friedrichs-Schule, wo er sich durch sein leichtes Gedächtniß vor den meisten Schülern auszeichnete. Die daraus entstehende Eitelkeit und eine gewisse Heftigkeit des Temperaments bekämpfte die zärtliche Mutter hauptsächlich durch religiöse Vorstellungen, eine planmäßige Gleichmüthigkeit und einleuchtende Gerechtigkeit. Noch mehr wurde sein Stolz durch eigene Erfahrung gedemüthigt, indem er bald die Mangelhaftigkeit seines eigenen Wissens einsehen lernte und an der gepriesenen Größe seiner natürlichen Fähigkeiten zweifelte, weil er sich die einfachsten Dinge, wie das Wasser kocht oder friert, nicht zu erklären vermochte. Seitdem schwebte er in fortwährender Angst, daß auch Andere die Entdeckung seiner Unwissenheit machen würden.

Unterdeß wurden Schleiermacher’s Eltern nach Pleß in Oberschlesien und von da nach der in der Nähe befindlichen Colonie Anhalt versetzt. Hier genoß er einen nur mangelhaften Unterricht; je geringer aber seine wissenschaftlichen und besonders seine Sprachkenntnisse waren, einen desto reicheren Schatz von Sachkenntnissen sammelte er dagegen auf dem Lande durch die Bemühungen seiner Mutter ein. Schließlich aber fand auch der zwölfjährige Knabe den geeigneten Lehrer in einem Schüler Ernesti’s, der sich große Verdienste um seinen Zögling erwarb. Er belebte und weckte Schleiermacher’s Eifer für die gelehrten Sprachen und übte ihn zuerst in der Kunst, über einen Gegenstand ordentlich nachzudenken und das Gedachte zu Papiere zu bringen. Für die Selbstständigkeit und Originalität seines Geistes legte der Umstand Zeugniß ab, daß er lange Zeit all die alten Schriftsteller für untergeschoben hielt, ohne jedoch diesen Skepticismus laut werden zu lassen, da der Zwiespalt zwischen seinem Ruf eines guten Kopfes und dem Gefühle seiner eigenen Befähigkeit ihn äußerst verschlossen machte.

Während dieser Zeit hatten die Eltern auf einer Reise die Erziehungsanstalt der Herrnhutergemeinde in Niesky in der Oberlausitz kennen gelernt und beschlossen, Schleiermacher und seinen jüngeren Bruder derselben anzuvertrauen. Der Vater hatte ihm schon öfters von rein sittlichen Verderben der meisten großen Schulen und den gefährlichen Bekanntschaften auf denselben erzählt, dagegen die unschuldige Frömmigkeit und die weise Mischung von Unterricht und gemeinsamer Erholung in dem Brüderinstitut in so lachenden Farben gemalt, daß der Knabe mit Ungeduld dem Tage seiner Abreise entgegensah. Dieser verzögerte sich viel zu lange für seine Ungeduld, da die Einwilligung der Vorsteher nicht so leicht zu erlangen war, und außerdem, wie bei allen großen und kleinen Angelegenheiten der Herrnhuter, erst die Entscheidung durch das Loos stattzufinden hatte.

Bis zu dieser Entscheidung hielt er sich mit seinen Eltern in einer andern Brüdercolonie zu Gnadenfrei auf, wo der Grund zu einer Herrschaft der Phantasie in Sachen der Religion für ihn gelegt wurde. Schon in seinem elften Jahre kostete es dem lebhaften [29] Knaben schlaflose Nächte, daß er bei Berechnung des Verhältnisses zwischen den Leiden Christi und der Strafe, deren Stelle dieselben vertreten sollen, kein beruhigendes Facit finden konnte. Hier in Gnadenfrei wurden durch die Vorträge der Brüder, denen er beiwohnte, neue Qualen in seiner Seele hervorgerufen. So lernte er aus eigener Erfahrung die Gefahren eines schwärmerischen Pietismus und den angstvollen Zustand des Zweifels kennen, den er durch eigene Kraft siegreich überwand. – Vorläufig aber faßte er eine solche Vorliebe für die Brüdergemeinde, daß er ihr unter jeder Bedingung angehören und lieber in ihr als ehrsamer Handwerker leben, als außerhalb derselben den Weg zum gelehrten Ruhm betreten wollte, für den ihn sein früherer Lehrer in Pleß so zu enthusiasmiren gewußt hatte.

Friedrich Ernst Daniel Schleiermacher.

In solcher Verfassung erfüllte ihn die Gewährung seines Herzenswunsches mit unendlicher Freude; er wurde im Jahre 1783 in das Pädagogium zu Niesky und später in das Seminarium zu Barby aufgenommen, um sich zum Geistlichen der Gemeinde auszubilden. Mit großem Fleiße widmete er sich in Gemeinschaft mit seinem talentvollen Freunde Albertini, dem nachmaligen Bischof der Brüder, dem Studium der griechischen Sprache. Trotz ihrer mangelhaften Vorkenntnisse lasen, oder verschlangen vielmehr die Jünglinge die ewigen Dichtungen eines Homer, Hesiod, Theokrit, Sophokles, Euripides und Pindar. So legte Schleiermacher hier den Grund zu seiner classischen Bildung, zu der wunderbaren Verschmelzung des christlichen Lebensinhalts mit hellenischem Schönheitssinn in seiner vielseitigen, reichbegabten Natur. – Aber zugleich entwickelte das tiefere Studium des Alterthums und die damit verbundenen Fortschritte in seiner Seele einen heftigen Gährungsproceß. Je mehr er über sich nachdachte und seine Umgebung beobachtete, desto klarer wurde ihm der Zwiespalt zwischen seiner inneren Ueberzeugung und der zwar frommen, aber beschränkten Weltanschauung und Lebensordnung der Brüdergemeinde, bis er endlich zu dem Entschlusse gelangte, dieselbe zu verlassen. Er schrieb zu diesem Zwecke an seinen Vater, dem er offen den Zustand seiner Seele darlegte.

„Ach, bester Vater,“ sagte er unter Anderm in diesem charakteristischen Briefe, „wenn Sie glauben, daß ohne den Glauben, den Sie als ein Regale der Gottheit bezeichnen, keine, wenigstens nicht die Seligkeit in jenem, nicht die Ruhe in diesem Leben ist, als bei demselben, und das glauben Sie ja, o, so bitten Sie Gott, daß er mir ihn schenke, denn für mich ist er verloren. Ich kann nicht glauben, daß der ewiger wahrer Gott war, der sich selbst nur den Menschensohn nannte; ich kann nicht glauben, daß sein Tod eine stellvertretende Versöhnung war, weil er es nie ausdrücklich gesagt hat, und weil ich nicht glauben kann, daß sie nöthig gewesen; denn Gott kann die Menschen, die er offenbar nicht zur Vollkommenheit, sondern nur zum Streben nach derselben geschaffen hat, unmöglich darum ewig strafen wollen, weil sie nicht vollkommen geworden sind. Ach, bester Vater, der tiefe durchdringende Schmerz, den ich beim Schreiben dieses Briefes empfinde, hindert mich, Ihnen die Geschichte meiner Seele in Absicht auf meine Meinungen und alle starken Gründe für dieselbe umständlich zu erzählen, aber ich bitte Sie inständig, halten Sie sie nicht für vorübergehende, nicht tief wurzelnde Gedanken; fast ein Jahr lang haften sie bei mir, und ein langes, angestrengtes Nachdenken hat mich dazu bestimmt.“ – Zugleich bat der Sohn um die Erlaubniß, die Universität Halle besuchen zu dürfen, wo ein Bruder seiner indeß verstorbenen Mutter Professor der Theologie war. Mit tiefem Schmerz, aber weit entfernt von fanatischem Zorn empfing der gläubige Vater das Bekenntniß des von Zweifeln heimgesuchten Jünglings, das er von seinem Standpunkte aus zu widerlegen versuchte. – „Und nun, mein Sohn,“ schließt der nicht minder charakteristische Brief, „den ich mit Thränen an mein Herz drücke, ach! mit herzschneidender Wehmuth entlass’ ich Dich, und entlassen muß ich Dich – da Du den Gott Deines Vaters nicht mehr anbetest – nicht mehr vor einem Altar mit ihm kniest – aber noch einmal, mein Sohn, ehe wir von einander scheiden – ach, sage mir doch: was hat denn der arme, sanftmüthige und von Herzen demüthige Jesus Dir gethan, daß Du nun seiner Erquickung, seinem Gottes-Frieden entsagest? war Dir denn nicht wohl bei Ihm, wenn Du Deine Noth, den Jammer Deines Herzens Ihm klagtest? Und nun willst Du für Gottes Langmuth und Geduld, mit der Er Dich trug, Ihn verleugnen? den Schwur brechen, den Du so oft vor Ihm thatest: bei Dir Jesu will ich bleiben? – warum willst Du von Ihm gehn – hast Du keine Lebensworte bei Ihm vernommen?“ – Nachdem er die Erlaubniß seines Vaters endlich erlangt, schied Schleiermacher aus der Brüdergemeinde, um die Universität Halle unter keineswegs günstigen Umständen zu beziehn. Er selbst fertigte über seine Ausgaben folgendes interessante Rechnungsschema an von dem, was ein Student in Halle damals brauchte: Holz jährlich 12 Gulden. Miethe und Aufwartung 24 Gld. Mittagstisch 40 Gld., Frühstück und Abendbrot 48 Gld., wovon er, da er keinen Kaffee trank und des Abends nicht viel aß, die Hälfte noch zu „retranchiren“ hoffte; Friseur 8 Gld., ditto Stiefelputzer und ditto Wäscherin. Dazu kamen noch Collegiengelder und Kleidungsstücke, mit denen er, wie er klagte, sehr schlecht versehn war. Zum Glück fand er an dem Bruder seiner Mutter sowohl eine leibliche wie auch eine geistige Stütze. Durch diesen wackern Verwandten und gelehrten Theologen kam auch eine gewisse Ordnung in sein lückenhaftes Wissen. Schleiermacher war eigentlich ein Autodidakt und theilte die Fehler und Vorzüge dieser Menschenrasse, einen gewissen Eigendünkel, den er erst später ablegte, aber auch eine gewisse geistige Selbstständigkeit, indem er aus der Universität meist nur Thatsachen und Data kennen lernen wollte, um daran seine eigenen Reflexionen anzureihen. Mit besonderer Vorliebe wandte er sich der Geschichte zu und zwar, was sich eigentlich als sein höchstes Bedürfniß zeigte, der Geschichte der menschlichen Meinungen. [30] Dadurch wurde er vor einer einseitigen theologischen Auffassung behütet, indem er das Walten der Gottheit in den großen historischen Ereignissen erfaßte.

Nur zwei Jahre war es ihm vergönnt, die Universität zu besuchen; nach Beendigung seiner Studien folgte er dem Oheim Stubenrauch, der seine Professur mit einer Predigerstelle zu Drossen in der Neumark vertauscht hatte, um sich unter dessen specieller Leitung für sein Examen vorzubereiten. Durch Empfehlung des Hofpredigers Sack erhielt er zunächst eine Hofmeisterstelle bei dem Grafen Dohna zu Schlobitten in Preußen, wo er drittehalb recht glückliche Jahre verlebte und sich die Achtung und Liebe dieser hochgestellten und gebildeten Familie erwarb. Im Jahre 1793 eröffnete sich ihm eine neue Laufbahn; er wurde Mitglied des Seminars für gelehrte Schulen, das unter der Leitung des aufgeklärten Ober-Consistorialrathes Gedicke stand, und zugleich interimistisch als Lehrer an dem Kornmesserschen Waisenhause in Berlin angestellt. Ein halbes Jahr verweilte er in diesen Verhältnissen, als der Prediger Schumann zu Landsberg an der Warthe, ein naher Verwandter Schleiermacher’s, wegen fortdauernder Kränklichkeit ihn zum Gehülfen in seiner Amtsthätigkeit wünschte. Er folgte diesem Rufe um so lieber, da er auch die praktische Seite seines Standes kennen lernen wollte. Aber schon nach kurzer Zeit kehrte er nach Berlin wieder zurück, wohin er einen Ruf als Prediger an der Charité erhalten hatte. Hier in der Hauptstadt entfaltete sich sein großes Talent als Redner, seine ausgezeichneten Predigten machten ihn zunächst bekannt und erwarben ihm zahlreiche Verehrer und Freunde. Hochgebildete Frauen und Männer suchten seinen Umgang und gaben ihm Gelegenheit, sein gesellschaftliches Talent zu entwickeln, seine Kenntnisse und Anschauungen zu erweitern. In jenen Zeitraum fällt zunächst seine nähere Verbindung mit dem berühmten Dichter und Aesthetiker Friedrich Schlegel, mit dem er in Berlin zusammenwohnte, seiner mit der geistreichen Jüdin Henriette Herz, der Gattin des bekannten Arztes. Beide übten einen großen Einfluß auf Schleiermacher aus, durch Schlegel wurde er veranlaßt, sich an der Literatur zu betheiligen. Schon früher hatte er auf Anrathen des Bischofs Sack die Predigten von Blair und Fawcett aus dem Englischen übersetzt; jetzt trat er selbständig mit seinen durch Kühnheit der Gedanken und Vollendung der Form ausgezeichneten „Reden über Religion“ auf, die er an die „Gebildeten unter ihren Verächtern“ richtete. Groß war das Aufsehn dieses Buches, da man eine solche Sprache von einem Geistlichen nicht kannte.

In diesen Reden entwickelte Schleiermacher seine Ansichten über das Christenthum, gleich weit entfernt von einer beschränkten Orthodoxie, wie von einer seichten Aufklärung; überall weht uns daraus der Geist der Freiheit und des Fortschritts wie ein reinerer Lebensodem an. „Nie hat“, so lautet Schleiermacher’s Ueberzeugung, „auch Christus die religiösen Ansichten und Gefühle, die er selbst mittheilen konnte, für den ganzen Umfang der Religion ausgegeben, welche von seinem Grundgefühle ausgehn sollte; er hat immer auf die lebendige Wahrheit hingewiesen, die nach ihm kommen würde, wenn auch nur von dem Seinigen nehmend. So auch seine Schüler. Nie haben sie dem heiligen Geiste Grenzen gesetzt, seine unbeschränkte Freiheit und die durchgängige Einheit seiner Offenbarungen ist überall von ihnen anerkannt worden; und wenn späterhin, als die erste Zeit der Blüthe vorüber war, und er auszuruhen schien von seinen Werken, diese Werke, so viel davon in den heiligen Schriften enthalten war, für einen geschlossenen Codex der Religion unbefugter Weise erklärt wurden, geschah das nur von denen, welche den Schlummer des Geistes für seinen Tod hielten, für welche die Religion selbst gestorben war; aber alle, die ihr Leben noch in sich fühlten oder es in Andern wahrnahmen, haben sich immer gegen dies unchristliche Beginnen erklärt. Die heiligen Schriften sind Bibeln geworden aus eigner Kraft, aber sie verbieten keinem andern Buche, auch Bibel zu sein oder zu werden; und was mit gleicher Kraft wäre, würden sie sich gern beigesellen lassen; vielmehr soll sich alles, was als Ausspruch der gesammten Kirche und also des göttlichen Geistes auch später erscheint, getrost an sie anschließen, wenn auch ihnen als den Erstlingen des Geistes eine besondere Heiligkeit und Würde unaustilgbar beiwohnt.“

Nicht minder freisinnig und echt protestantisch lautete der Ausspruch: – „Wer von demselben Hauptpunkt mit seiner Religion ausgeht, ist ein Christ ohne Rücksicht auf die Schule, er mag seine Religion historisch aus sich selbst oder von irgend einem Andern ableiten; denn das wird sich von selbst ergeben, daß, wenn ihm dann Christus mit seiner ganzen Wirksamkeit gezeigt wird, er ihn auch anerkennen muß als den, der aller Vermittlung Mittelpunkt geworden ist, der wahrhaft Erlösung und Versöhnung gestiftet hat.“ – Wahrhaft christlich mild und duldsam erscheint Schleiermacher gegen Andersgläubige, fern von dem geistlichen Hochmuth und der Verfolgungssucht moderner Pietisten, indem er über diesen Gegenstand sich folgendermaßen vernehmen ließ: „Wenn es nun immer Christen geben wird, soll deswegen das Christenthum auch in seiner allgemeinen Verbreitung unbegrenzt und als die einzige Gestalt der Religion in der Menschheit allein herrschend sein? Es verschmäht diese beschränkende Alleinherrschaft; es ehrt jedes seiner Elemente genug, um es gern als den Mittelpunkt eines eigenen Ganzen anzuschauen; es will nicht nur Mannigfaltigkeit bis ins Unendliche erzeugen, sondern möchte außer sich alle anschauen, die es aus sich selbst nicht herausbilden kann. Nie vergessend, daß es den besten Beweis seiner Ewigkeit in seiner eigenen Verderblichkeit, in seiner eigenen oft traurigen Geschichte hat, und immer wartend einer Erlösung aus der Unvollkommenheit, von der es eben gedrückt wird, sähe es gern außerhalb dieses Verderbens andere und jüngere, wo möglich kräftigere und schönere Gestalten der Religion hervorgehn dicht neben sich aus allen Punkten, auch von jenen Gegenden her, die ihm als die äußersten und zweifelhaften Grenzen der Religion überhaupt erscheinen. Die Religion der Religionen kann nicht Stoff genug sammeln für ihre reine Neigung zu allem Menschlichen; und so wie nichts irreligiöser ist als Einförmigkeit zu fordern in der Menscheit überhaupt, so ist nichts unchristlicher als Einförmigkeit zu suchen in der Religion.“

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Autor: Unbekannt
Titel: Friedrich Ernst Daniel Schleiermacher
aus: Die Gartenlaube 1861, Heft 3, S. 39–40
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[39] Den bedeutenden „Reden“ Schleiermacher’s, welche schnell hintereinander mehrere Auflagen erlebten und die größte Wirkung ausübten, folgten die nicht minder ausgezeichneten „Monologe“, eine Reihe von Betrachtungen und Ansichten über den inneren Menschen voll tiefer Anschauungen und geistreicher Gedanken, die dieses Buch bald zu einem Evangelium der Gebildeten und besonders der Frauen machten. Durch beide Werke wuchs Schleiermacher’s Ruf in den Berliner Kreisen, zu denen er in eine geistige Wechselwirkung trat. Die vorzüglichsten Männer aus der Nähe und Ferne, wie Brinkmann, Schlegel, Hülsen, Willich u. s. w. schlossen sich ihm an, besonders groß aber war die Zahl seiner weiblichen Verehrer, die sich von seinen Schriften angeregt und begeistert fanden. Erst jetzt kam sein geselliges Talent zur vollsten Geltung; er war nichts weniger als ein finsterer Ascetiker, sondern wie Luther hatte auch er seine Freude am Leben und an einer unschuldigen Heiterkeit. Manches dauernde Bündniß wurde eingegangen, manche Freundschaft für die Ewigkeit geschlossen.

In jene Zeit fällt auch Schleiermacher’s Verhältniß zu einer Frau, die in unglücklicher, kinderloser Ehe lebte. Er glaubte, daß ihr inneres Leben in jener Verbindung zu Grunde gehen müsse, und hielt deshalb die Scheidung, gegen die unsere heutigen Zeloten eisern, die Auflösung eines solch innerlich unwahren Verhältnisses für eine sittliche Pflicht. Sie hatte nicht die Kraft, einen solchen Entschluß zu fassen, weshalb er nach schweren Kämpfen seiner Liebe entsagte. Diese Umstände und noch manche andere Verdrießlichkeiten, die er sich durch seine schriftstellerische Thätigkeit, zumal durch die mißverstandenen Briefe zu der berüchtigten „Lucinde“ seines Freundes Schlegel zugezogen hatte, verleideten ihm seinen Berliner Aufenthalt, so daß er es vorzog, eine Stelle als Prediger in Stolpe anzunehmen. Vorher schon hatte er sich mit Schlegel zu einer gemeinschaftlichen Uebersetzung des „Plato“ verabredet, die er später ganz allein beendete. Auch ließ er eine Sammlung seiner Predigten erscheinen, Muster eines gediegenen, klaren Vortrags, reich an Gedanken und allerdings weit mehr auf das Denkvermögen und den Verstand seiner Zuhörer, als auf ein frömmelndes Gefühl oder religiöse Phantasie berechnet. – Auch in seinem Exil blieb er der Wissenschaft und der von ihm einmal eingeschlagenen Richtung treu; hier veröffentlichte er die „Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre“ und „Zwei unvorgreifliche Gutachten in Sachen der protestantischen Kirche“, das letztere Werk ohne seinen Namen, beide aber ausgezeichnet durch ihre scharfsinnige Dialektik. –

Im Jahre 1804 erhielt Schleiermacher, dessen Verdienste in der gelehrten Welt volle Anerkennung fanden, nachdem er den Ruf an die Universität zu Würzburg abgelehnt, eine Anstellung als außerordentlicher Professor der Theologie und Philosophie in Halle. Hier schloß er mit Steffens den herzlichsten Freundschaftsbund; auch nahm er seine Halbschwester Nanni zu sich, die später die treue Lebensgefährtin unseres Vater Arndt wurde. Nur zwei Jahre dauerte seine akademische Wirksamkeit in Halle, da in Folge der Schlacht bei Jena und der französischen Invasion durch einen Machtspruch Napoleons die Universität aufgelöst wurde. Schleiermacher kehrte nach Berlin zurück, wo er als Prediger eine Anstellung fand; zugleich hielt er, wie Fichte, öffentliche Vorlesungen. Von der Kanzel herab wirkte er in jener für Preußen so traurigen Zeit im herrlichsten Sinne für Belebung des Patriotismus, für Hebung und Weckung der Vaterlandsliebe, indem er unerschrocken den Drohungen der fränkischen Machthaber trotzte und unerschütterlich inmitten der Bajonette Davoust’s blieb. Im gleichen Sinne schrieb er auch damals seine „Weihnachtsfeier“, voll erhabener Gedanken, die Zeugniß für seine Hochherzigkeit ablegten. Erst im Jahre 1809 wurde er als Pastor der Dreifaltigkeits-Kirche fest angestellt, worauf er sich mit der Wittwe seines verstorbenen Freundes von Willich verheirathete, die ihm aus erster Ehe einen Sohn und eine Tochter zubrachte, bei denen er Vaterstelle vertrat. Sie gebar ihm einen einzigen Knaben, Namens Nathanael, der ihm zum größten Schmerze im neunten Jahre wieder entrissen wurde. – Unterdeß war durch Stein, Hardenberg und Scharnhorst die Regeneration des preußischen Staates eingeleitet und zum Theil beendet worden. Mitten im Drangsal und unter dem Joche des fremden Eroberers begann jene herrliche Zeit der staatlichen Wiedergeburt, an der auch Schleiermacher seinen redlichen Antheil als Lehrer an der neu begründeten Universität zu Berlin hatte. Als solcher wirkte er auf die studirende Jugend durch die Kunst und Anmuth seines Vortrages, durch die Tiefe und den Scharfsinn seiner Gedanken, vor Allen aber durch die freisinnigen Anschauungen, die er in die nur zu sehr verknöcherten Begriffe der damaligen Theologie brachte. Er war gleichsam der Gründer einer neuen theologischen Schule, welche die Harmonie des Wissens und des Glaubens anstrebte und den echt protestantischen Fortschritt gegenüber einer beschränkten Orthodoxie und einem überschwänglichen Pietismus vertrat. Für diese Gesinnung legt seine „kurze Darstellung des theologischen Studiums“ ein sprechendes Zeugniß ab.

Seine wissenschaftlichen Arbeiten wurden von der Berliner Akademie durch die Ernennung zu ihrem Mitgliede belohnt. In ihren „Denkschriften“ veröffentlichte er eine Reihe höchst bedeutender Abhandlungen zur Geschichte der alten Philosophie. Aber Schleiermacher war keiner jener Stockgelehrten, die über ihre Studirstube die Welt vergessen. Stets nahm er den lebendigsten Antheil an den großen Ereignissen seiner Zeit, vorzugsweise an dem Schicksale seines Vaterlandes. Als Jung und Alt zu den Waffen griff und sich zum Befreiungskriege rüstete, war auch er bereit, sein Blut und Leben zu opfern. Er trat mit den Vaterlandsfreunden in Verbindung und manche gefährliche politische Sendung übernahm er trotz der damit verbundenen Gefahr. Zugleich wurde er ein thätiges Mitglied des Landsturmes und der zur Vertheidigung der bedrohten Hauptstadt niedergesetzten Schutzcommission. Wenn er seine Vorträge an der Universität beendet, seine Predigt für den nächsten Sonntag entworfen, dann vertauschte er den Hörsal mir dem Exercirplatz, die Feder mit der Lanze, bereit mit Wort und That dem Vaterlande zu dienen. – Aber auch nach dem erkämpften Siege gegen den fränkischen Unterdrücker blieb Schleiermacher jener Freiheit treu, die, nachdem sie ihren Dienst gethan, von vielen Fürsten und Staatsmännern verleugnet und verfolgt wurde. Auch in Preußen begann eine Zeit der Reaction auf religiösem und politischem Gebiete. Das Wartburgfest und die Ermordung Kotzebue’s boten einem Schmalz und Consorten die willkommene Gelegenheit, gegen den freien Geist der deutschen Jugend und der Universitäten zu eifern, die Freunde des Fortschrittes und wahren Patrioten zu verleumden. Unbekümmert um seine weltliche Stellung, ohne Scheu vor den Machthabern trat Schleiermacher der Gemeinheit entgegen, indem er die von oben begünstigten Anklagen des Geheimrath Schmalz mit Entrüstung und platonischer Dialektik bekämpfte, obgleich er wohl wußte, daß er dadurch sich viele einflußreiche Feinde weckte. Aber ihm stand die Wahrheit höher als jeder irdische Vortheil. Auch in kirchlichen Angelegenheiten behauptete er seine Unabhängigkeit und den Ruf der Freisinnigkeit, wie sein Angriff gegen den Oberhofprediger von Ammon und sein ironisches, geistvolles Glückwünschungsschreiben an die zur Verbesserung der preußischen Liturgie niedergesetzte Commission bewies. Ihm standen, wenn er wollte, die Waffen eines vernichtenden Witzes wie Wenigen zu Gebote; um so höher ist darum seine Mäßigung den Gegnern gegenüber zu bewundern. Nichts desto weniger scheute er nicht den Kampf für die Freiheit und das Licht der Vernunft, welches die protestantischen Jesuiten zu verdunkeln suchten.

Dafür zollten ihm die bedeutendsten Männer seiner Zeit ihre Achtung und Anerkennung. Seine Mitbürger ehrten ihn mit vielfachen Beweisen ihres Vertrauens, seine Predigten wurden von dem gebildetsten Theile der Hauptstadt mit Bewunderung gehört, und die Dreifaltigkeitskirche faßte kaum die Zahl der Zuhörer, die sich an seinem lebendigen Worte erlabten. Er lehrte auf der Kanzel das wahre Christenthum, die Religion der Duldung, der Demuth und Liebe; auf dem Katheder der Universität bildete er eine Reihe von Theologen, wie Jonas, Sydow etc., die das protestantische Princip in seiner Reinheit wahrten. Weit über die Grenzen Deutschlands drang sein Ruf, wofür er bei seiner Anwesenheit in Kopenhagen den glänzendsten Beweis erhielt. Mit Begeisterung wurde er daselbst empfangen, von dem Dichter Oehlenschläger bei einem ihm zu Ehren veranstalteten Festmahle mit [40] dem Toast begrüßt: „Dem Denker, dem Prediger, insonderheit dem Menschen“; woran sich ein von einem dänischen Theologen gedichtetes Lied schloß, dessen Schlußvers lautete:

Gegrüßt uns am dänischen Sunde,
Der Ritter aus edlem Geschlecht!
Willkommen im nordischen Bunde
Für Glauben, Wahrheit und Recht!
Hoch lebe der herrliche Meister
Der freundlich zu uns sich gesellt;
Es blüh’ die Gemeinschaft der Geister
Von hier bis ans Ende der Welt. –

So genoß Schleiermacher die Früchte eines reichen Lebens, freilich getrübt durch den Verlust seines einzigen Sohnes, durch den Verdruß über die immermehr um sich greifende Reaction, der seine besten Freunde, wie der ihm nah’ verwandte Arndt, zum Opfer fielen, gestört durch vielfache körperliche Leiden, denen er endlich am 12. Februar 1834 erlag. Sein Tod war der eines Weisen, eines Christen und legte das herrlichste Zeugniß für sein tiefes religiöses Gefühl, für die Treue seines oft angegriffenen Glaubens ab, weshalb seine Sterbestunde besonders hervorgehoben zu werden verdient. – Ueber die letzten Augenblicke hat seine Wittwe, die ihn um sechs Jahre überlebte, für die näheren Freunde des verewigten folgende denkwürdige Aufzeichnung hinterlassen:

„Schon seit zwölf Tagen litt der geliebte Schleiermacher an großer Heiserkeit und Husten, sah freilich heiter und klar, aber sehr blaß aus. So sehr wir uns beunruhigten und ihn baten, mehr Rücksicht auf seine Gesundheit zu nehmen, so wies er doch Alles mit der Versicherung zurück, daß er sich vollkommen wohl fühle, daß dies nur äußere Leiden seien, die auf sein inneres Befinden gar keinen Einfluß hätten.

Am Donnerstag den sechsten war der letzte Abend, der flott und heiter im Familienkreise verlebt wurde. In der Nacht zum Freitag begann die Krankheit durch einen fürchterlichen Anfall von Schmerzen im ganzen Körper. Sein Aussehen war wie eines Sterbenden, und er sprach sehr bestimmt seine Todesahnung aus.

Ich hatte sogleich nach dem Arzt geschickt, der den Zustand sehr gefährlich fand, durch dessen Hülfe jedoch dieser Zustand in wenig Stunden beseitigt war und er ruhig und schmerzlos in seinem Bette lag.

Am Sonntag war eine Consultation von vier Aerzten. Ich kam nicht von seinem Bette. Die im anstoßenden Zimmer auf meinen Wink wartenden Kinder und Freunde besorgten Alles, zur persönlichen Pflege war ich hinreichend und die höchste Stille mir geboten. Ich habe sie so gewissenhaft gehalten, daß ich ihn zu keinem einzigen theuern Wort veranlaßt habe.

Er versicherte oft, er leide nicht so viel, als es wohl scheine. Seine Stimmung war während der ganzen Krankheit klare, milde Ruhe, pünktlicher Gehorsam gegen jede Anordnung, nie ein Laut der Klage oder Unzufriedenheit, immer gleich freundlich und geduldig, wenn auch ernst und nach innen gezogen.

Einmal rief er mich an sein Bett und sagte: „Ich bin doch eigentlich in einem Zustande, der zwischen Bewußtsein und Bewußtlosigkeit schwankt (er hatte nämlich Opium bekommen, das ihn viel schlummern machte), aber in meinem Innern verlebe ich die göttlichsten Momente – ich muß die tiefsten spekulativen Gedanken denken, und die sind mir völlig eins mit den innigsten religiösen Empfindungen.“ – Einmal hob er die Hand auf und sagte sehr feierlich: „Hier zünde eine Opferflamme an.“ Ein anderes Mal: „Den Kindern hinlerlasse ich den Johannischen Spruch: Liebet Euch untereinander.“ Wieder ein anderes Mal: „Die guten Kinder, welch’ ein Segen Gottes sind sie uns!“ Ferner: „Ich trage Dir auf, alle meine Freunde zu grüßen und ihnen zu sagen, wie innig lieb ich sie gehabt habe.“ – „Wie freue ich mich auf die schönen Tage der silbernen Hochzeit, Hildchens (seiner Tochter) Hochzeit – ich durchlebe sie jetzt schon ganz.“ – „Ich wäre so gern noch bei Dir und den Kindern geblieben.“ – Und als ich meine Hoffnung aussprach: „Täusche Dich nicht, liebes Herz (mit der höchsten Innigkeit), es ist noch viel Schweres zu überstehen.“ – Auch verlangte er die Kinder zu sehen, doch als ich ihn bat, ja alles Bewegende zu vermeiden, stand er gleich davon ab und war damit zufrieden, daß jedes nur einmal in das Zimmer kommen sollte, etwas zu bringen. Er fragte einige Male, wer im Nebenzimmer sei, und als ich ihm die lieben Freunde nannte und sagte: „Sie sind mit den Kindern im stillen Gebet vereinigt,“ schien er sich daran zu freuen.

Am letzten Morgen stieg sein Leiden sichtbar. Er klagte über heftigen inneren Brand, und der erste und letzte Klagelaut drang aus seiner Brust: „Ach, Herr, ich leide viel.“ Die vollen Todeszüge stellten sich ein, das Auge war gebrochen, sein Todeskampf gekämpft. Da legte er die beiden Vorderfinger an das linke Auge, wie er that, wenn er tief nachdachte, und fing an zu sprechen: „Ich habe nie am todten Buchstaben gehangen, und wir haben den Versöhnungstod Jesu Christi, seinen Leib und sein Blut. Ich habe aber immer geglaubt und glaube auch jetzt noch, daß der Herr Jesus das Abendmahl in Wasser und Wein gegeben hat.“

Diese Aeußerung bezog sich darauf, daß ihm Wein ausdrücklich verboten war und bei den Juden wurde bekanntlich, wie im ganzen Alterthum, der Wein nur vermischt mit Wasser genossen. Während dessen hatte er sich aufgerichtet, seine Züge fingen sich an zu beleben, seine Stimme war rein und stark. Er fragte mit priesterlicher Feierlichkeit: „Seid Ihr auch eins mit mir in diesem Glauben, daß der Herr Jesus auch das Wasser in dem Wein gesegnet hat?“ worauf wir ein lautes Ja antworteten. „So lasset uns das Abendmahl nehmen, Euch den Wein und mir das Wasser,“ sagte er feierlich, „es stoße sich keiner an der Form.“ Nachdem das Nöthige herbeigeholt war, während wir in feierlicher Stille mit ihm gewartet hatten, fing er an, mit verklärten Zügen und Augen, in denen ein wunderbarer Glanz, ja eine höhere Liebesgluth, mit der er uns anblickte, zurückgekehrt war, einige betende, einleitende Worte zu der feierlichen Handlung zu sprechen. Darauf gab er zuerst mir, dann jedem Anwesenden und zuletzt sich selbst das Brod, indem er bei jedem die Einsetzungsworte laut sprach: „Nehmet hin und esset,“ ja so laut sprach er, daß alle Kinder, die horchend an der Thür des Nebenzimmers knieten, es deutlich hörten.

Ebenso reichte er den Wein mit den vollständig ausgesprochenen Einsetzungsworten, und zuletzt, nachdem er auch sich selbst wieder die Einsetzungsworte geredet hatte, das Wasser; dann: „auf diesen Worten der Schrift beharre ich, sie sind das Fundament meines Glaubens.“ Nachdem er den Segen gesprochen, wandten sich seine Augen noch einmal voll Liebe zu mir – dann: „in dieser Liebe und Gemeinschaft bleiben wir eins.“ Er legte sich auf das Kissen zurück. Noch ruhte die Verklärung auf ihm. Nach einigen Minuten sagte er: „Nun kann ich auch nicht mehr hier aushalten,“ und dann: „gebt mir eine andere Lage!“ Wir legten ihn auf die andere Seite. Er athmete einige Mal auf; das Leben stand still. Unterdeß waren alle Kinder hereingetreten und umgaben knieend das Bett. Sein Auge schloß sich allmählich. – – Wle schwach reicht jetzt selbst die Erinnerung an die Wirklichkeit dieser ungeheueren Augenblicke!“ –

So lebte, wirkte und starb Schleiermacher; er ruht in Berlin auf dem Kirchhofe der Dreifaltigkeitsgemeinde vor dem Hallischen Thore. Ein sinniger Grabstein mit seinem überaus ähnlichen Brustbilde bezeichnet die letzte Stätte des Mannes, der den Geist des Christenthums, Liebe und Duldung, Freiheit und Fortschritt, wie Wenige, erkannt und durch Wort und That gefördert hatte.