Frauenleben im Weltkriege/Zwischen den Schlachten

Der Barbar Frauenleben im Weltkriege
von Aurel von Jüchen
Im Kaffeekränzchen
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Zwischen den Schlachten


Die metallene Sonne des Gasöfchens durchstrahlte mit linder Sommerwärme den kleinen Salon, dessen geschmackvolle Ausstattung auf behäbige Verhältnisse seiner Bewohner, und dessen Hauptmöbel, ein großer Bücherschrank, auf ihre geistigen Interessen schließen ließ. Der Gasofen schien dem durch das Fenster flackernden seidenzarten Streifen der ersten Frühlingssonne Hohn zu sprechen und überließ dieser das harmlose Vergnügen, die großen, weißen Büsten von Schiller und Goethe, die als Schmuckstücke des Salons besonders auffielen, mit einem goldenen Hauch von Heiterkeit zu umspielen. Am Fenster saß in einem Klubsessel, ein Tischchen vor sich, Herr Kerner, in feldgrauer Uniform mit dem Abzeichen des Oberleutnants, ein breitschultriger Mann mit verbundener Stirn, dessen Gesicht, braun wie Eichenholz, ein fahlblonder, ungepflegter Bart umwallte. Dicht neben ihm hatte seine nur wenig jüngere Gattin, eine bleiche Dame mit schwarzem Haar, auf einem leichten Strohstuhl Platz genommen und umschlang mit einem Arm seinen Rücken, während die Hand des anderen Armes über der seinigen auf dem Tisch lag. Der Oberleutnant, der in seinem bürgerlichen Beruf Geschäftsreisender einer großen Tuchfabrik gewesen war, hatte nach seiner gestern erfolgten Heimkehr zwanzig Stunden lang unermeßlich tief geschlafen, dann gut zu Mittag gegessen, sich mit seinen beiden kleinen Jungen unterhalten, den Traumtrank einer echten Upmann-Zigarre geschlürft, von denen ihm seine frühere Firma eine Kiste als Willkommengruß übersandt hatte, und nun empfand er, wegen seiner Verwundung von der russischen Front beurlaubt, ein stolzes Wohlgefühl, wie ein Wanderer, der [106] einen fast unerreichbaren Berggipfel erstiegen hat. Seine Frau unterhielt ihn von allem möglichen, von ihren beiden Knaben, von Verwandten und Bekannten, von ihrem Garten, dem Leben der Stadt; er hörte zu, wie etwa ein Kaiser dem Vortrag über die Verwaltung seiner einzelnen Krongüter, ohne Leidenschaft, er stand jetzt über diesen Dingen und machte sich keine Sorgen um sie. Nur selten warf er eine Bemerkung in den Redefluß hinein, die dann mit diesem meistens wenig zu tun hatte. So sagte er, in dem er mit scharfem Auge die Tischdecke musterte, plötzlich: „Die Decke habe ich ja noch nie gesehen.“ Sie lächelte: „Es ist unsere alte Tischdecke, nur war sie früher rot, und ist grün umgefärbt worden.“ „Welch wunderschöne Decke das ist“, staunte er und streichelte mit seiner rauhen Hand zärtlich über die weiche Wolle. Dann wieder einmal fuhr er empor: „Weißt du, was ich möchte? Ich möchte unsere halbe Wohnung, das Öfchen, den Smyrnateppich, alle diese überflüssigen Kissen“, — er warf diesen Gegenständen liebevolle Blicke zu, — „ich möchte den ganzen Krempel mit nach Rußland nehmen. Was glaubst du, wie gut das alles in den Lazaretten zu gebrauchen wäre, wo den Verwundeten als Kopfkissen heute der zusammengelegte Waffenrock genügen muß!“ Auch blickte er wohl einmal jählings auf die Straße, wenn irgendein besonderes Geräusch hier vernehmbar wurde, und als ein eisenbeladenes Gefährt vorüberratterte, gestand er, nach seiner entsetzten Bewegung zur Straße hin, lächelnd: „Ich habe geglaubt, es wäre ein Maschinengewehr.“ Da drückte seine Frau ihren Kopf so innig an seine Schulter, daß ihre klassisch hohe Stirn von seinem Kriegerbart fast verdeckt wurde. „Günther“, frohlockte sie, „komm zurück! Hier gibt es doch keine Maschinengewehre, hier gibt es keinen Feind.“ Seine Augen leuchteten auf, wenn auch in etwas krankhaftem Glanz, und als wenn er Gespenster scheuche, mahnte er mit abwehrender Hand: „Hedwig, wir wollen solche Wörter gar nicht aussprechen, gar nicht an so etwas denken. Ich bin ja daheim, daheim!“

[107] Die Klingel der Etage schrillte, und eine helle Frauenstimme frug draußen das Mädchen: „Ist die Herrschaft zu Hause?“ „Das ist Annchen“, rief Frau Kerner, indem sie aufstand. „O weh!“ knurrte er. „Du hast sie doch immer so gern gehabt“, sagte sie verwundert, indem eine leichte Röte über ihr blasses Gesicht huschte. „Aber heute nicht, schaff' sie bald wieder fort!“ bat er. Die Tür tat sich auf, und eilenden Schrittes flog Fräulein Anna, eine schlanke, blendende Gestalt, im Samtmantel, mit einem prächtigen Federhut auf welligem Blondhaar, der Hausfrau um den Hals. „Liebste Hedwig, was hast du ausstehen müssen!“ Dann begrüßte sie herzlich Herrn Kerner: „Günther! Herr Oberleutnant!“ rief sie, indem ob ihrer irrigen Anrede mit dem Vornamen ein schelmisches Lächeln über ihr rosiges Gesicht ging. „Willkommen in der Heimat! Aber daß Sie uns solche Angst machen, ist undankbar. Sie glauben nicht, wie unsere Gedanken Sie stets umschwirrt haben. Merkten Sie nichts davon?“ „Nein“, erwiderte er mit abweisendem Lächeln, „mich umschwirrten immer diese Dinger hier“, — er zog aus seiner Tasche ein langes, ovales Geschoß mit abgeplatteter Spitze, — „das ist eine ganz gemeine Russenkugel, ich verehre sie Ihnen zum Dank für Ihre schwirrenden Gedanken.“ Die junge Dame konnte nicht genug Worte finden, um ihr Entsetzen vor der Kugel und ihren Dank für das Kriegsandenken auszusprechen, dann frug sie nach der Verwundung, doch Herr Kerner gab nur abgehackte, kühle Antworten; endlich nahm sie mit der Frage: „Ich störe doch nicht?“ an dem in der Mitte des Zimmers stehenden Tisch in einem von Frau Kerner ihr hingeschobenen Sessel Platz. „Alle Bekannten sind voll von eurem Ereignisse, wie war dir nur zumute? Erzähl doch mal!“ sagte sie zu Frau Hedwig. Diese erwiderte ernst: „Glaubst du an eine Auferstehung nach dem Tode? So ähnlich, wie mir, mag dem zumute sein, der im Grabe liegt und plötzlich aufgeweckt wird, um in die Herrlichkeit des Himmels einzugehen.“ „Na, Hedwig“, rief Anna, „ihr sprecht aber beide heute so komisch, das versteht man [108] ja kaum. Dein Bruder Heinrich hat mir ja schon die drollige Geschichte erzählt, daß dein Mann als vermißt in der Verlustliste stand, und du den Tag drauf von ihm eine Karte erhieltest, wonach er leicht verwundet sei, daß du also gar nicht wußtest, ob du Witwe warst oder nicht, bis dann von Breslau eine Depesche eintraf, daß er vom Lazarett aus in Urlaub kommen werde, und jetzt sitzt er da.“ „Dann weißt du ja alles“, sagte Frau Kerner, von Annchens Redeweise unangenehm berührt, aber mit feuchtem Glanz im Auge. „Wie sind Sie denn nur in die Verlustliste gekommen, Sie Ärmster?“ frug Annchen jetzt den Offizier am Fenster, doch der antwortete überhaupt nicht. „Er hört dich nicht“, sagte Frau Kerner, „er ist auch so ungern an den Krieg erinnert; es hängt mit einem Waldgefecht bei Lodz zusammen. Er ist dort durch einen Kolbenstoß gegen den Unterleib besinnungslos geworden. Der Stoß hat Gott sei Dank keine weiteren Folgen gehabt, aber durch die paar Stunden Besinnungslosigkeit hat er die Fühlung mit seiner Truppe verloren, ist einige Tage in der fürchterlichen Kälte umhergeirrt, nur mit knapper Not und mit seiner Kopfwunde der russischen Gefangenschaft entgangen, und hat wie durch ein Wunder schließlich den Weg nach Lodz zurückgefunden.“ „Du Glückliche!“ rief Anna, doch Frau Kerner wehrte ab: „Dieses Mal ist der Kelch an mir vorübergegangen, den so viele trinken müssen, aber ob ich nicht dennoch bald an die Reihe komme? Ich bin auf das Schlimmste gefaßt, aber Günther und ich haben beschlossen, uns die kurzen Glückstage nicht durch Kriegsgedanken zu verbittern.“ Fräulein Anna hatte noch vieles zu fragen, doch endlich kam man auf andere Dinge zu sprechen.

Herr Kerner sagte kein Wort und wandte seinen Blick nicht von der Straße. Dort wurde die Doppelreihe der Gasflammen angezündet, die über die Länge der Straße schwebte. Herrn Kerners Augen folgten dem Laternenmann, bis die letzte Flamme des heiteren Lichtreigens brannte. Das geschieht allabendlich zur rechten Zeit, [109] dachte er, eine Ordnung, unwandelbar, wie der Gang der Natur, und er verglich damit die trostlose Verwahrlosung der russisch-polnischen Ortschaften. Oh, es ist doch etwas Schönes um deutsche Kultur! Sie bietet jedem Bürger Sicherheit für sich und sein Eigentum, jedem sein gutes Recht. Deutschland erschöpft sich doch noch nicht im Militarismus, deutsche Wissenschaft und Kunst strahlen wie freundliche Sterne ins Leben hinein. Und doch glaubten die Russen, uns mit ihrer Kultur beglücken zu müssen! — Dann fiel sein Blick auf die hellbeleuchteten Läden ihm gegenüber: Galanteriewaren, Blumen, welch nebensächliche Bedürfnisse, aber welch ein erfreuliches Zeichen von der Stärke unseres Wirtschaftslebens, deutscher Kaufkraft, daß sie bestanden! Wenn erst wieder einmal Handel und Wandel aufblühten unter dem Strahl der Friedenssonne, dann würde sich wohl auch für ihn eine neue Lebensstellung bieten. Oh, wie er sich sehnte, einmal wieder Kulturmensch zu werden! Heute war man aus der Kultur hinausgestoßen in die roheste Urwelt, verflucht, wie wilde Tiere über den Feind herzufallen, im Mordgewühl Menschentum und Menschenwürde von sich zu werfen. Das würde ja anders werden; doch auch in der alten Welt seiner Tätigkeit standen ihm neue Kämpfe in Aussicht, eine Stellung, die seiner bisherigen gleichkam, war nicht so leicht zu finden, neue Verhältnisse würden seine volle Geisteskraft in Anspruch nehmen. — Herr Kerner hatte seine Berufspflichten stets treu erfüllt, doch innere Befriedigung fand er nicht in seinem Beruf. Er gehörte zu den Hungrigen im Geist, ein Vollmensch wollte er sein, keine Gelderwerbsmaschine. Seine frühere Stellung ließ ihm die nötige Geistesfreiheit, um sich selbst auf dem Wege der Erkenntnis zu vertiefen. Seine Feierstunden hatte er meistens zu Hause in der Gesellschaft lieber, gescheiter Bücher verbracht, während seiner Reisen konnte er empfangene Lichtgedanken keimen lassen, oft blühten ihm just während seiner Geschäftsgänge eigene Gedanken auf, seine Seele konnte trotz der geschäftlichen Gebundenheit [110] ihre Flügel regen. In einer neuen Stellung begann für ihn wieder die atemraubende Hetzjagd um Aufträge, und jeder Aufschwung der Seele war ein geschäftliches Versäumnis, denn wer bei dem Wettlauf nicht mit allen Füßen auf der Erde blieb, wurde überholt. „Man wird wieder Mensch nach dem Krieg, man richtet sich von seinen vier Tierklauen auf“, wie sein Kamerad, der kleine Dallwitz, zu sagen pflegte; aber was nutzte das ihm, wenn er nachher auf zwei Tierklauen, wie ein Pudel vor dem allmächtigen Einkäufer, dem launischen Ladenfräulein umhertanzen mußte? — Er kannte das Leben des Geschäftsreisenden auf der Landstraße, dieses Weidwerk mit nachfolgendem Jagdessen, und er wußte, daß der Frondienst des Erwerbs und des Genusses ihm auch die Feierstunden entweihen würde. Da war ihm der Krieg fast noch lieber. — So grausam und kulturwidrig dieser war, man fühlte sich als Mann gehoben durch den Gedanken, für das Vaterland zu streiten; wo im Handel gemeiner Futterneid die Herzen trennt, schlugen sie hier zusammen in der Glut der Hingabe für das schönste, für das höchste Gut, das Vaterland, statt der Hinterlist und Tücke, mit der im Handel einer dem anderen seinen Bissen vom Munde zu schnappen suchte, herrschte im Kriege treueste Kameradschaft, die den letzten Bissen, den letzten Trunk mit den Gefährten teilt, durch das Kriegsleben klang das Hohelied von Mannesmut und Heldentreue, durch das Geschäftsleben der armselige Gassenhauer: „Ums Geld!“ Und doch wohl oder übel, es war seine Pflicht, für Frau und Kinder zu sorgen, und auch er selbst — sein Blick schweifte freudig durch den Salon — hätte die materielle Grundlage eines behaglichen Lebens nicht entbehren mögen, die er sich einmal geschaffen hatte; so hoch reichte sein Idealismus nicht.

Fräulein Anna war im Begriff, sich zu verabschieden, so trafen sich beider Blicke, und als ob sie Gedanken läse, sagte sie: „Wie glücklich müssen Sie sein, einmal wieder die Segnungen der Kultur zu genießen!“ „Gewiß“, erwiderte er, „wenn es auch nur die geringsten Ausstrahlungen [111] der Kultur sind, man empfindet sie als eine köstliche Wohltat. Wieder einmal in einem gemütlichen Stübchen zu sitzen, in einem reinen Bett zu schlafen, schon das erste warme Bad in Breslau war eine wundersame Wonne.“ Lachend verabschiedete sich Fräulein Anna, und Frau Kerner geleitete sie nach der Haustüre.

Etwas Gutes, dachte Herr Kerner, hat der Krieg für mich gehabt: Daß die böse Flamme, die einst in mir für Fräulein Annchen brannte, völlig erloschen ist. Wer weiß, welcher Brand ohne den Krieg entstanden wäre! Ihm war ähnlich zumute, wie vor einer Woche, als er sich aus dem fürchterlichen russischen Walde herausfand. „O weh“, sagte er zu sich selbst, „wäre der Krieg nicht gekommen, ich hätte ja meinen besten Kameraden, meine Frau, verraten.“ Zugleich ging ihm eine prächtige Aussicht auf: „Sie, dein bester Kamerad, steht doch wie keine auf der Höhe der Kultur, sie kann dir durch Vorarbeiten, durch Anstreichen des Wichtigsten in den Büchern, durch Besprechung aller Kulturfragen, später helfen, trotz aller Zugeständnisse an den Frondienst des Erwerbs wieder zu menschenwürdigem Denken, zu einem geistigen Leben zu gelangen. Wenn sie als Hohepriesterin das Feuer des Geistes hütet, kann es auch dir Licht und Wärme geben.“

Frau Kerner kam zurück. „Du bist ein netter Bruder“, scherzte sie, „du rühmst das warme Bad, das reine Bett, das Zimmer als Segnungen der Kultur, aber von deiner Frau sagst du nichts. Du hast wohl wieder an Rußland gedacht?“

„Nein, nur an dich.“

„Sehr schmeichelhaft, was denn?“

„Ich dachte: Im Kriege schützen wir die deutsche Kultur, aber wir selbst wühlen uns immer mehr aus ihr heraus. Wenn ich heimkomme, wieder reisen muß, vielleicht“ — er lächelte — „in Havannaimporten, Schokolade oder Parfümerien, — dann fördere ich, wie man zu sagen [112] pflegt, die Kultur, aber ich selbst werde durch die Jagd nach dem rollenden Taler von der wahren Kultur immer mehr getrennt. Wer könnte anders helfen, daß mir die unentbehrliche Sonne meines Lebens nicht aus den Augen kommt, als du, mein treuester Kamerad, der ja auf der Höhe der Kultur steht?“

„Auf der Höhe stehe ich nicht“, erwiderte sie, „aber manch liebliches Tal hoch über den Tiefen kann ich dir erschließen und dich hinführen, so oft du willst.“

„Das genügt mir, um aus der Roheit des Kriegslebens wieder emporzukommen und bei der Hetzjagd des Geschäfts nicht den Atem zu verlieren. Ich kann fast alles andere eher entbehren, als den frischen Hauch höheren Geisteslebens.“

„Ach, könntest du doch gleich hierbleiben“, seufzte sie.

„Als Bube hinterm Ofen, pfui, mein Kind!“ erwiderte er.

„Ich habe nie so gefühlt, daß du mein ganzes Glück bist, als bei der falschen Nachricht der Verlustliste.“

„Ich habe nie so gefühlt, daß du mein bester Kamerad bist, als jetzt nach der Blutarbeit und angesichts einer ungewissen Zukunft.“

Das Dienstmädchen kam und frug, ob sie das Abendessen bringen sollte. „Nein, wir wollen noch ein halbes Stündchen warten“, erklärte er. Ob sie Licht anzünden sollte? „Nein, ich werde es selbst tun“, erklärte sie. Lachend erzählte sie, daß sie es nicht angezündet habe, um Annchen nach seinem Wunsch eher zum Gehen zu veranlassen, und er wehrte ihr, es jetzt anzuzünden. Die Abendglocken begannen zu läuten. Er zog sie wieder auf den Stuhl an seiner Seite. Sie lehnte wieder den Kopf an seine Schulter, ihre beiden Herzen jauchzten still vor Glück, und die Heroen schaffender Geisteskraft, die weißen Büsten von Schiller und Goethe, strahlten allein durch das [113] Dunkel, als ob sie sich freuten über dieses im Herzen und Geist verbundene Ehepaar.

So einträchtig waren wir nie, dachte sie, wie heute in der Pause zwischen den Schlachten. Dann nahm sie sich vor, alles zu tun, um reines Licht in sein vom schwelenden Rauch der Kriegsfackel umdüstertes Gemüt zu bringen und ihn dauernd an sich zu fesseln.

Er aber dachte: Hätte doch jeder deutsche Soldat daheim ein Weib, das ihn mit sanfter Hand aus der Barbarei des Krieges wieder emporführt. Herrgott, ich danke dir, du schenkst mir alles, ich werde die treue Kameradschaft wie im Feld und zugleich die Kultur des Friedens genießen! Mit einer solchen Frau sollte ich nicht den Mut haben, alle Pflichten des Tages zu fressen, jeden Kampf aufzunehmen? Oh, wenn er wieder in der Front wäre, er wollte den Russen zeigen, was ihm seine Frau wert war.

Er begann zu träumen. Er war wieder im russischen Walde: Die Kugeln klatschten und pfiffen, die dürren Äste regneten nieder, überall raste Gewehrfeuer, ohrenzerschmetternd. Er hörte sich selbst kommandieren: „Fällt das Bajonett!“ Ein Trommler gab mit rasselndem Wirbel sein Kommando weiter. Er selbst raste seiner Truppe voran in den Feind mit brüllendem Hurra! — Jäh erwachte er aus seinem Traum, weil seine Frau bei dem lauten Kriegsruf von seinen Lippen erschreckt aufgesprungen war. „Komm zurück, Günther!“ sagte sie mild, indem sie ihm das Haupt streichelte. Er aber lachte jauchzend, wie ein lustiger Knabe: „Verzeih“, sagte er, „wenn ich dich erschreckt habe, aber wer solchen Kameraden hat, wie du bist, wie möchte der nicht sofort tapfer ins Feuer gehen?“ Dann zündete sie den Kronleuchter an. Das Abendessen wurde aufgetragen, und er erzählte in fröhlicher Laune von den landschaftlichen Schönheiten, die er im fernen, fremden Rußland geschaut, von dem Elend des [114] Krieges und endlich von seinen eigenen Kriegserlebnissen. Es war das erstemal, daß seine Zunge sich löste, aber Hedwig sah, wie wohl es ihm tat, ihr die ungeheuren Eindrücke mitzuteilen. Sie erlebte im Geist alles mit, und wenn dabei ihr Herz zuweilen sich zuckend zusammenkrampfte, mahnte sie selbst sich: „Tapfer! Ich bin doch sein Kamerad.“