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dachte er, eine Ordnung, unwandelbar, wie der Gang der Natur, und er verglich damit die trostlose Verwahrlosung der russisch-polnischen Ortschaften. Oh, es ist doch etwas Schönes um deutsche Kultur! Sie bietet jedem Bürger Sicherheit für sich und sein Eigentum, jedem sein gutes Recht. Deutschland erschöpft sich doch noch nicht im Militarismus, deutsche Wissenschaft und Kunst strahlen wie freundliche Sterne ins Leben hinein. Und doch glaubten die Russen, uns mit ihrer Kultur beglücken zu müssen! — Dann fiel sein Blick auf die hellbeleuchteten Läden ihm gegenüber: Galanteriewaren, Blumen, welch nebensächliche Bedürfnisse, aber welch ein erfreuliches Zeichen von der Stärke unseres Wirtschaftslebens, deutscher Kaufkraft, daß sie bestanden! Wenn erst wieder einmal Handel und Wandel aufblühten unter dem Strahl der Friedenssonne, dann würde sich wohl auch für ihn eine neue Lebensstellung bieten. Oh, wie er sich sehnte, einmal wieder Kulturmensch zu werden! Heute war man aus der Kultur hinausgestoßen in die roheste Urwelt, verflucht, wie wilde Tiere über den Feind herzufallen, im Mordgewühl Menschentum und Menschenwürde von sich zu werfen. Das würde ja anders werden; doch auch in der alten Welt seiner Tätigkeit standen ihm neue Kämpfe in Aussicht, eine Stellung, die seiner bisherigen gleichkam, war nicht so leicht zu finden, neue Verhältnisse würden seine volle Geisteskraft in Anspruch nehmen. — Herr Kerner hatte seine Berufspflichten stets treu erfüllt, doch innere Befriedigung fand er nicht in seinem Beruf. Er gehörte zu den Hungrigen im Geist, ein Vollmensch wollte er sein, keine Gelderwerbsmaschine. Seine frühere Stellung ließ ihm die nötige Geistesfreiheit, um sich selbst auf dem Wege der Erkenntnis zu vertiefen. Seine Feierstunden hatte er meistens zu Hause in der Gesellschaft lieber, gescheiter Bücher verbracht, während seiner Reisen konnte er empfangene Lichtgedanken keimen lassen, oft blühten ihm just während seiner Geschäftsgänge eigene Gedanken auf, seine Seele konnte trotz der geschäftlichen Gebundenheit

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/111&oldid=- (Version vom 1.8.2018)