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pflegt, die Kultur, aber ich selbst werde durch die Jagd nach dem rollenden Taler von der wahren Kultur immer mehr getrennt. Wer könnte anders helfen, daß mir die unentbehrliche Sonne meines Lebens nicht aus den Augen kommt, als du, mein treuester Kamerad, der ja auf der Höhe der Kultur steht?“

„Auf der Höhe stehe ich nicht“, erwiderte sie, „aber manch liebliches Tal hoch über den Tiefen kann ich dir erschließen und dich hinführen, so oft du willst.“

„Das genügt mir, um aus der Roheit des Kriegslebens wieder emporzukommen und bei der Hetzjagd des Geschäfts nicht den Atem zu verlieren. Ich kann fast alles andere eher entbehren, als den frischen Hauch höheren Geisteslebens.“

„Ach, könntest du doch gleich hierbleiben“, seufzte sie.

„Als Bube hinterm Ofen, pfui, mein Kind!“ erwiderte er.

„Ich habe nie so gefühlt, daß du mein ganzes Glück bist, als bei der falschen Nachricht der Verlustliste.“

„Ich habe nie so gefühlt, daß du mein bester Kamerad bist, als jetzt nach der Blutarbeit und angesichts einer ungewissen Zukunft.“

Das Dienstmädchen kam und frug, ob sie das Abendessen bringen sollte. „Nein, wir wollen noch ein halbes Stündchen warten“, erklärte er. Ob sie Licht anzünden sollte? „Nein, ich werde es selbst tun“, erklärte sie. Lachend erzählte sie, daß sie es nicht angezündet habe, um Annchen nach seinem Wunsch eher zum Gehen zu veranlassen, und er wehrte ihr, es jetzt anzuzünden. Die Abendglocken begannen zu läuten. Er zog sie wieder auf den Stuhl an seiner Seite. Sie lehnte wieder den Kopf an seine Schulter, ihre beiden Herzen jauchzten still vor Glück, und die Heroen schaffender Geisteskraft, die weißen Büsten von Schiller und Goethe, strahlten allein durch das

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/114&oldid=- (Version vom 1.8.2018)