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ihre Flügel regen. In einer neuen Stellung begann für ihn wieder die atemraubende Hetzjagd um Aufträge, und jeder Aufschwung der Seele war ein geschäftliches Versäumnis, denn wer bei dem Wettlauf nicht mit allen Füßen auf der Erde blieb, wurde überholt. „Man wird wieder Mensch nach dem Krieg, man richtet sich von seinen vier Tierklauen auf“, wie sein Kamerad, der kleine Dallwitz, zu sagen pflegte; aber was nutzte das ihm, wenn er nachher auf zwei Tierklauen, wie ein Pudel vor dem allmächtigen Einkäufer, dem launischen Ladenfräulein umhertanzen mußte? — Er kannte das Leben des Geschäftsreisenden auf der Landstraße, dieses Weidwerk mit nachfolgendem Jagdessen, und er wußte, daß der Frondienst des Erwerbs und des Genusses ihm auch die Feierstunden entweihen würde. Da war ihm der Krieg fast noch lieber. — So grausam und kulturwidrig dieser war, man fühlte sich als Mann gehoben durch den Gedanken, für das Vaterland zu streiten; wo im Handel gemeiner Futterneid die Herzen trennt, schlugen sie hier zusammen in der Glut der Hingabe für das schönste, für das höchste Gut, das Vaterland, statt der Hinterlist und Tücke, mit der im Handel einer dem anderen seinen Bissen vom Munde zu schnappen suchte, herrschte im Kriege treueste Kameradschaft, die den letzten Bissen, den letzten Trunk mit den Gefährten teilt, durch das Kriegsleben klang das Hohelied von Mannesmut und Heldentreue, durch das Geschäftsleben der armselige Gassenhauer: „Ums Geld!“ Und doch wohl oder übel, es war seine Pflicht, für Frau und Kinder zu sorgen, und auch er selbst — sein Blick schweifte freudig durch den Salon — hätte die materielle Grundlage eines behaglichen Lebens nicht entbehren mögen, die er sich einmal geschaffen hatte; so hoch reichte sein Idealismus nicht.

Fräulein Anna war im Begriff, sich zu verabschieden, so trafen sich beider Blicke, und als ob sie Gedanken läse, sagte sie: „Wie glücklich müssen Sie sein, einmal wieder die Segnungen der Kultur zu genießen!“ „Gewiß“, erwiderte er, „wenn es auch nur die geringsten Ausstrahlungen

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/112&oldid=- (Version vom 1.8.2018)