Fliegende Blätter Heft 32 (Band 2)

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Titel: Fliegende Blätter Heft 32 (Band 2)
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aus: Fliegende Blätter, Band 2, Nr. 32, S. 57–64.
Herausgeber: Kaspar Braun, Friedrich Schneider
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Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Braun & Schneider
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Universitätsbibliothek Heidelberg, Commons
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Nro. 32.
8. II. Band.
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handlungen, sowie von allen Postämtern und den Band von 24 Nummern 3 fl. 36 kr. R.-W.
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Dürings Erle.
(Schluß.)

Der Morgen des 10. Mai brach an und spiegelte sich tausendfach in den glänzenden Harnischen und blitzenden Waffen der Schlachthaufen des Herzogs von Soz, die zierlich gerüstet langsam in die Ebene heranzogen. Als der Styr von Cheinow sie daher kommen sah, sprach er den Seinigen Muth ein, und rief ihnen zu: „Meine allerliebsten Brüder! sehet, wie stolz und übermüthig sich jene gegen uns gerüstet haben. Auf, ermuntert Euch und seid Männer; die Tapferkeit ist eine sichere Mauer und die Götter sind dem Kühnen gnädig. Gedenket an das Loos, das sie Euch und Euren Weibern und Euren Kindern bereiten wollen! Um das abzuwenden, wollen wir Alles daran setzen, und sie allesammt bis auf den letzten Mann erschlagen. Sie wollen aus Hoffart mit uns fechten, wir aber wollen um unser Vaterland und unser und unsrer Kinder Leben streiten. Auf, laßt uns das Prager Herzogthum verteidigen und heute das Sozer erwerben.“

Wlatislaw aber rückte ohne Aufenthalt vorwärts gegen die Prager, und als er sah, daß sie sich nicht von der Stelle verwendeten, ließ er die Seinigen halten, stellte sich vor sie, und sprach zu den Rittern, die zunächst um ihn waren: „O die armen Leute und verzagten Herzen, ich habe Mitleiden mit ihnen. Sehet, wie sie es nicht wagen, uns in der Ebene zu begegnen. Mir scheint, sie werden die Flucht nehmen, wenn wir ihnen näher kommen. Wir werden leichte Arbeit haben. Tretet sie mit den Füßen und verunreiniget nicht eure Schwerter mit dieses verzagten Volkes Blute. Wir wollen sie davon schrecken; auf, lasset eure Vögel fliegen.“

Und als er dies gesagt hatte, ließen sie ihre Vögel fliegen, und es war nicht anders, als wenn die Sonne von einer dunkeln Wolke verfinstert würde.

Da sprach der Styr von Cheinow: „Meine lieben Ritter, im Falle es sich begebe, daß ich auf der Wahlstatt sterben müßte, so bitte ich, lasset mich auf dieser Höhe begraben, und machet mir ein Grab, das eine Zeitlang währen kann. Denn es will mich bedünken, daß ich heute viel Sozer erlegen und ihren Herzog Wlatislaw selber erschlagen muß.“

Mittlerweile waren die Schlachtreihen der Sozer die Anhöhe bis auf die Hälfte herangerückt und beide Heere nahe aneinander. Da ersah sich der Styr von Cheinow seinen Vortheil und schrie mit lauter Stimme den Seinigen zu: „Nun, meine lieben Gesellen, schlaget getrost drein!“ und mit diesen Worten sprengte er unter die Feinde. Die Prager folgten ihm nicht anders, als die Bienen ihrem Weisel. Also stürmten sie die Anhöhe herab in die Reihen der Sozer, und warfen nieder, was ihnen in den Weg kam. Da erhob sich unter dem Volke ein Geschrei und das Geplätze der Schwerter und Getümmel und Stampfen der Schlachtroße. Der Staub stieg und umhüllte die Streitenden mit einer Gewitterwolke, durch die wetterleuchtend die Schwerter blitzten. Die Schlacht währte lange ohne Glück, die Paniere wurden naß und schwer von rothem Blute; ringsum Mord und Todesnoth. Der Sieg schwankte.

[58] Und unter dem Haufen der schönsten Reisigen und gewappneten Kriegsleute ersahe der Styr von Cheinow einen Mann von schöner Gestalt in einem zierlichen Harnisch, welcher einen vergoldeten Helm auf seinem Haupte hatte und auf den die Andern Achtung gaben. Er erkannte deshalb wohl, daß es Wlatislaw sein müsse und gedachte ihm beizukommen. Aber seine Ritterschaft beschützte ihn so gut, daß der Styr wohl in zwei Stunden nicht an ihn kommen konnte. Der Styr aber focht nicht anders, als wenn er mit der Sense Gras mähte und fällte mehr als hundert Sozer nieder, bis er sich an den Herzog hingearbeitet hatte.

Aber Wlatislaw entwich vor ihm, sich hinter Andre zu verbergen. Da schrie ihn der Styr von Cheinow an: „Ich sehe dich gar wohl, du blutgieriger Tyrann, du bist derselbe, der du deine Vögel füttern wolltest mit unsern Leibern; ich will bald mein Schwert mit deinem Blute tränken und die fliegenden Vögel speisen mit deinem Fleische.“ Und somit drang er auf ihn ein, hieb ihm seinen Schild entzwei, und mit dem andern Streiche spaltete er ihm den Kopf sammt dem Helm voneinander, daß er von dem Streitroß todt auf die Erde herab sank. Bald machten sich viel der Sozer über den Styr her, schossen, hieben und stachen auf ihn los und brachten ihn in Noth. Die Prager beschützten ihn aufs beste, allein vergebens.

An diesem Ort lag ein großer Haufen der Ermordeten, auf diesen fiel der Styr von Cheinow auch nieder und starb. Wer ihn aber tödtlich verwundet, kann Niemand eigentlich sagen.




Noch ward mit grimmiger Erbitterung gefochten, da lief einer der Sozer über das Feld nach dem Walde zu. Bald noch einer; bald folgten mehrere flüchtig. Von Herzog Neklans Volk blieb viel auf der Wahlstatt, aber die Sozer wurden fast Alle erschlagen, mit Ausnahme Weniger, die sich durch die Flucht retteten.




Am folgenden Morgen wurden der Freunde und Feinde Leichen auf der Wahlstatt begraben. Aber dem Styr ward auf Neklans Befehl an dem höchsten Orte, von wo man Cheinow sehen konnte, bei einer Eiche ein Grab bereitet, köstlich und herrlich. Und nach mehr als einem halben Jahrtausende grünte die Eiche noch, und das Volk nannte sie nicht anders, als die Eiche des starken Ritters.

Nun zog Neklan mit seinem Kriegsvolk in das Herzogthum Soz, um die Städte und Schlösser desselben einzunehmen. Aber er fand keinen Widerstand, denn beinahe alle streitbare Mannschaft war in der Schlacht von Turske erschlagen worden. Die Einwohner gingen ihm allenthalben entgegen, und baten ihn, er möge seinen Zorn nicht über sie ergehen lassen und nicht sein eigenes Fürstenthum verderben, denn sie wollten keinem andern Herrn, als ihm sich ergeben.



Hierauf setzte sich Neklan auf den herzoglichen Stuhl zu Soz und fragte nach Wlatislaw’s Hausgesinde. Da wurde ihm gesagt, daß derselbe ein Söhnlein von fünf Jahren hinterlassen habe, Namens Zbislaw, welcher aber nicht hier sei, sondern bei einem alten Weibe in dem Dorfe Bitozewes verborgen werde. Neklan befahl, daß der Knabe vor ihn gebracht werde. Und als das Kind gekommen war, trat es vor den Herzog in aller Ehrfurcht [59] und beugte das Knie vor demselben. Neklan fühlte ein väterliches Mitleid mit dem verwaisten Kinde, und fragte, wer Wlatislaw’s getreuester Diener gewesen wäre. Da antwortete einer aus den Umstehenden: „Das war der Wende Düring, dieser ist des Wlatislaw’s liebster und getreuester Diener gewesen, ihm hat der Herzog sein Kind anvertraut und er hat es auferzogen.“ Da ließ Neklan den Düring vortreten und sprach zu ihm: „Ich bitte dich, du wollest des Wlatislaw, des Vaters dieses Kindes eingedenk sein, denn wie ich höre, hat er dir viel Gutes gethan. Deßwegen nimm diesen Knaben, den ich hiemit deiner Sorgfalt übergebe, wohl in Acht, halte ihn als einen jungen Fürsten und sei des Kreises Postelberg Vorsteher und Verwalter.“ Düring nahm diese Ehre mit Dank an und versprach sich so zu verhalten, wie der Herzog befohlen.

Nun kehrte Neklan wieder nach dem Prager Herzogthum zurück, wo er von seinen Wladyken freundlich und freudig empfangen wurde. Und die Bergleute brachten ihm große Geschenke an Golde. Denn das Böhmerland gab dazumal Gold und Silber in so reicher Fülle, daß eher Mangel an Brod war als an Golde. Bald darnach hielt der Herzog auf dem Berge Widowle eine Versammlung alles Volkes aus beiden Herzogthümern, um sich über des Landes Wohlfahrt zu berathen. Und ehe man wieder auseinander ging, befahl der Herzog allem Volke, die Aecker fleißig zu bauen, zu pflügen und zu säen, damit kein Mangel an Brod entstünde, denn wegen vergangenen Krieges waren die Aecker unbebaut liegen geblieben und das Brod theuer. Auch befahl er, daß man in den Gold- und Silberbergwerken fleißig bauen und dem Goldwaschen ebenfalls obliegen sollte, damit der Wohlstand des Landes emporblühen möge. Und die Bauern und Goldwäscher und die Bergleute versprachen sich so zu verhalten.





Als nun im ganzen Lande Ruhe und Frieden zurückgekehrt war, geschah es eines Tages, daß die Fischer von Postelberg zu Düring, ihrem Landvogte traten, und ihm sagten, wie unter dem Eise, denn es war im Winter, an einem Orte sehr viele Fische zusammengekommen seien. Da befahl er, daß man Wunnen machen und unter dem Eise fischen sollte. Aber Düring hatte ein Böses in seinem Herzen. Er berief den jungen Herzog, der jetzt sieben Jahre alt geworden war und den Neklan seiner Obsorge empfohlen hatte, und führte ihn aufs Eis, nicht weit von dem Orte, wo die Fischer waren; und als sie zu der Wunne kamen, hieß er ihn da hineinsehen und sprach: „Zbislaw, liebes Herrlein, sieh’ doch, welche Menge kleiner Fischlein darin sind.“ Der Knabe knieete nieder, neigte sein Haupt, um hinein zu sehen; da zog der Verräther eine Hellebarde unter dem Mantel hervor und hieb dem Kinde den Hals entzwei. Weil er aber ihn nicht so getroffen, daß der Kopf ganz herunter war, so schnitt er ihn vollends mit dem Messer ab. Als die Fischer diese Greuelthat sahen, erschracken sie, ließen Fische und Netze liegen und liefen davon. Düring aber wickelte das Haupt des Kindes in ein schönes Tuch, nahm dasselbe und trug es nach Prag, in der Hoffnung, er würde seiner ritterlichen That wegen vom Herzog Neklan ein herrliches Geschenk empfangen. Und als er auf den Wischerad kam, fand er den Herzog mit seinen Wladyken und Aeltesten im Rathe sitzen, und er trat vor sie und fing also an zu reden: „Ehrenreicher Fürst, du weißt wohl, daß oftmals ein Fünklein, welches im Hause verwahrloset wird, nicht allein ein Feuer veranlassen und das Haus verbrennen kann, ja nicht allein das Haus, darin es verschlossen war, sondern auch andere Häuser und ganze Städte. Es ist ein altes Sprichwort: Wer dem Feuer zuvorkommen will, der wehre, ehe es zum Dache hinausfährt. Diesen Funken habe ich, durch ein göttliches Eingeben, ausgelöscht, und zuerst dich, berühmter Fürst, und dann Euch, ihr Herren, mit dem Winken meiner Hellebarde vor Gefahr gesichert. Deßhalb mögest du Fürst, als das Haupt, und ihr Herren, als die Glieder dieses Landes, erwägen, welche Geschenke und Gaben ich verdient habe. Ein Unverständiger möchte meine That vielleicht schändlich nennen; aber ihr, als die Weisen, werdet dieses nicht sagen. Es ist euch wohl Allen im Gedächtniß, wie Wlatislaw euch Alle ausrotten und euren Weibern statt euren Kindern junge Hunde an die Brüste legen wollte. Wenn sein Sohn ein männlich Alter erreicht hätte, glaubt ihr, daß er für seines Vaters Tod nicht Rache genommen haben würde? Aber nunmehr möget ihr das Herzogthum Soz in Frieden regieren und ruhig auf beiden Ohren schlafen.“

Als er dies gesprochen, zog er unter seinem Mantel das Tuch hervor, wickelte es auf und legte das blutige Haupt des Knaben Zbislaw auf dem Tische nieder. Der Herzog wie alle Wladyken entsetzten sich ob diesem empörenden Anblicke so sehr, daß sie von ihren Sitzen auffuhren und die Blicke hinwegwendeten. Der Herzog aber sprach mit vorgehaltenen Händen und abgewandtem Angesichte:

„O du Uebelthäter, nimm dein Geschenk mit dir, daß wir es nicht ansehen dürfen. Habe ich dir doch befohlen, daß du ihn in guter Hut halten und nicht tödten sollest. Ich habe dir deßhalb Gutes erwiesen und dich zum Landvogte des Kreises Postelberg gemacht. Aber ich sehe wohl, daß dem Verräther alle Wohlthaten zu wenig sind. Meinst du Bösewicht, daß ich dasselbe nicht auch hätte thun können, und wenn ich dies gewollt, so hätte ich es nicht unbillig thun mögen, als er mein Feind war. Aber dir gebührte es nie, deinen Herrn zu ermorden. Weil du aber gehoffet, wegen dieser deiner Schandthat Geschenke von mir zu erhalten, so gebe ich dir aus den drei folgenden die Wahl: Entweder stürze dich von diesem Felsen [60] Wischerad hinunter und brich dir den Hals, oder ersteche dich mit deinem Schwerte, oder erhenke dich selbst als dein eigener Henker.“

Als Düring dieses hörte, sprach er mit Seufzen: „O welch’ bösen Rath hat mir mein Herz gegeben. Mein Traum hat mir verheißen, daß ich viele Güter in Böhmen erwerben werde. O daß ich so schändlich sterben soll!“ Er wählte sich unter den drei gebotenen Geschenken das letzte.



Alsbald nahmen ihn die Nachrichter, führten ihn herum, und ließen ihm die Wahl unter den Bäumen, daß er sich an demjenigen, der ihm am besten gefalle, erhenke. Aber der Düring ging lange umher und sah die Bäume an, aber gefallen wollte ihm keiner. Endlich stieg er auf eine Erle, knüpfte lange daran, bis ihm eine Schlinge gelang und erhenkte sich. Diese Erle aber hieß stets die Dürings-Erle. Sie soll unterm Wischerad, an dem Orte gestanden sein, wo jetzt die St. Adalbert-Kirche steht.

Im folgenden Jahre starb auch Herzog Neklan. Sein Leib ward neben dem seines Vaters Krzesomysl begraben. Das Volk beweinte ihn sehr, zündete auf seinem Grabe ein großes Feuer an, ging um dasselbe herum und schrie: „Ihr unsterblichen Götter, gebet uns wieder einen Fürsten, der uns zum Siege führt und unser Land beschützt.“ Sie schnitten das Haar von den Bärten, warfen es in’s Feuer und klagten sehr um ihren entschlafenen Herrn.




Der Doktorwein.



Ein alter König fromm und gut, todtkrant darnieder lag –
Doktoren schrie’n ein ganzes Heer sich heiser Nacht und Tag.

Ein jeder rief: „ich bin’s allein!“ und gab ihm dies und das –
Doch aller Mittel ungeacht’ der Kranke nicht genaß!

Das hört ein greiser Rittersmann – des Königs Kampfgenoß –
Der lacht und ruft den Knappen zu: „schnell sattelt mir mein Roß!“

Drauf stieg er in den Keller tief – da lag ein Fäßchen Wein,
Das nimmt er auf und reitet froh damit zur Hofburg ein.

„Zum kranken König führet mich, ich bring ihm Arzenei;
Und, so der Herr mir folgen will, wird er vom Siechthum frei!“

Die Kunde breitet schnell sich aus vom Ritter mit dem Faß,
Wie daß den Herrn zu heilen er so kühnlich sich vermaß!

Auch zu dem König dringt die Mähr’; er läßt ihn kommen schnell:
„Was bringst du für ein Tränklein mir, du närrischer Gesell?“

„„Ein Tränklein, Herr, von Wunderkraft, weit köstlicher denn Gold!
Durch seine Tugend hochberühmt, Ihr schnell genesen sollt!““

Und einen Becher schenkt er voll, reicht ihn dem Kranken dar:
„Nehmt hin, trinkt aus, und freuet Euch des Weines alt und klar!“

Der König trank mit langem Zug den gold’nen Becher leer, –
Sein Auge glänzt, er ruft entzückt: „gib mir des Trankes mehr!“

Und freudig schenkt der Ritter ein, so oft der Becher leer,
Und immer rief der König neu: „gib mir des Trankes mehr!“

Und mit des Weines edlem Trank schlürft er Gesundheit ein,
Drum heißet noch auf diesen Tag den Wein man Doktorwein!


[61]

Das Leben eines Geldbrozen.
(Schluß.)


Gratulation zum Geburtstage.
Die Kinder.

Heut ist der große Tag erschienen
Dideldum, dideldum, dideldum.
Der dir das Leben gab,
Der dir das Leben gab.
Voll Freude strahlen unsre Mienen
Dideldum, dideldum, dideldum.
Es ist schon lange her,
Das freut uns um so mehr.




Vater unsre Thränen fließen,
Wie ein Bächlein durch die Wiesen,
Zwar noch klein, sind wir doch Riesen
In der Liebe Zartgefühl.


Papa Broz.
Schön, ich danke Euch, meine Kinder! – Mukerl, du bist ja ganz weg vor Rührung.


Muckerl.
Ja Mama hat mir ’nen Sechser versprochen, wenn ich recht weine.


Papa Broz.
Bravo Mukerl! du hast recht schön um deinen Sechser geweint.




„Schau’ns fein nur auf, daß der Federbusch nicht so klein wird, gebens lieber ’nen halben Schuh zu.“


Der Geldbroz ist zu seinen Vätern versammelt.

(Ende.)



[62]

Moderner Narrenspiegel.
(Schluß.)


5. Der Possenreißer.

Einen andern Namen kann ich dem rundlichen, wohlgenährten Manne nicht geben, der eigentlich kein besonderes Fach der Unterhaltung bekleidet, sondern als Bajazzo der Gesellschaft seiner barocken Phantasie in den tollsten Sprüngen freien Lauf läßt. Seine Unterhaltungsmanier besteht aus den ungeregeltsten Capriccio’s, die Anfangs fast nur auf die Kinder des Hauses wirken, endlich aber, sich immer mehr steigernd, auch die Ernsthaftesten zum Gelächter hinreißen. Er fängt vielleicht damit an, daß er im Sprechen die Buchstaben oder Sylben versetzt; er spricht z. B. Knaushecht statt Hausknecht, Lachtnampe statt Nachtlampe, verwodert und vermest statt vermodert und verwest, Fleinwasche statt Weinflasche, Pfänsegote statt Gänsepfote, Grattenschund statt Schattengrund u. s. w.; er improvisirt, zwar abscheulich, aber doch höchst possierlich; er gibt schwer sprechbare Phrasen, z. B. sechs und sechzig Schock sächsische Schuhzwecken u. s. w. ein Dutzendmal nacheinander zu sagen auf; er ballt die Faust, malt auf die obere Handfläche mit Tinte eine Art Gesicht, putzt seinen Arm als Wickelkind mit Tüchern und Bändern aus, und vertritt daran die Stelle einer säugenden Mutter, indem er zugleich das Geschrei eines Kindes nachahmt; auch das Surren und Brummen einer Fliege am Fenster und an der Wand weiß er aufs natürlichste nachzuahmen und ein heranziehendes und zuletzt einschlagendes Gewitter durch das bloße Verzerren der Gesichtsmuskeln drollig darzustellen, dann ergötzt er wieder die Gesellschaft mit allerlei Taschenspielerstückchen, indem er z. B. scheinbar ein Messer verschlingt; oder er legt drei Semmelstückchen auf den Tisch, und verspricht, sie unter seinen Hut, den er inzwischen aufgesetzt hat, zu bringen, ohne diesen abzunehmen. Er bewirkt dies, indem er sie verspeist. Ferner bringt er aus seinem Gesichte eine ganze Reihe dummer Fratzen zum Vorschein, so daß sich eine aus der andern immer naturgemäß zu entwickeln scheint: er stellt die Scene dar, wie alle Mitglieder einer Familie umsonst sich bemühen, ein Licht auszublasen, weil sie sämmtlich schiefe Mäuler haben; er führt selbstständige kleine Dramen auf, z. B. eins unter dem Titel: „Habt Ihr meiner Mutter Mütze nicht gesehen?“ wobei er bald als dummer Junge, bald als weinerlicher sentimentaler Bube, bald als bramarbasirender Eisenfresser erscheint, und, jedem dieser Charaktere getreu, im Zimmer nach der Mutter Mütze umhersucht; in Verkleidungen, Verpuppungen und Verkappungen ist er Meister — kurz, er ist im Stande, einen ganzen Abend lang sechs bürgerliche Familien mit Groß und Klein aufs possierlichste zu unterhalten.


6. Der Arrangeur,



insofern der Wichtigste, da er gewissermaßen der organisirende Geist ist, ohne welchen in einer Familie eine Festlichkeit, ein kleiner Ball, ja selbst ein Pfänderspiel nicht wohl zu Stande kommen kann. Er ist, was beim Theater der Direktor, der Regisseur, der Operndirigent, der Feuerwerker, der Inspizient, der Maschinenmeister, der Decorationsmaler, der Balletmeister, der Garderobier, der Theaterdichter und der Lampenputzer sind, in Einer Person. Am glänzendsten zeigt er sich in Festspielen, die er meist selbst erfindet, dichtet und arrangirt, und wobei er vorzugsweise darauf bedacht sein muß, auch die kleinen drei und vierjährigen Sprößlinge des Hauses, die dann gewöhnlich als Genien mit Flügeln erscheinen, passend zu verwenden, und ihnen rührende Verse in den Mund zu legen, welche um so eindringlicher wirken, wenn zuletzt der Namenszug des gefeierten Familienmitgliedes in transparenter Beleuchtung im Hintergrunde erscheint. Der Arrangeur hat zwar viele Mühe und mannigfache Kümmerniß, dafür aber auch die überschwengliche Genugthuung, daß die Mitglieder der Familie, für die er vorzugweise wirkt, die Dramen Shakspeare’s, Schiller’s und Goethe’s gegen seine Festspiele für Schüler- und Stümperarbeiten, und seine Verse für die besten halten, die je gedichtet und deklamirt worden sind.

[63] „Nein! sagen Sie mir nur, wo Sie das Alles so hernehmen?“ sagt der Hausherr, „das klingt ja alles so prächtig, als müßt es irgendwo schon gedruckt stehen;“ dagegen sagt die Hausfrau: „Es ist doch gar zu rührend und klingt wie studirt; der Pastor kann’s auf der Kanzel nicht besser sagen.“

Und doch ist er ein Narr! Statt ein einträgliches Amt zu bekleiden, hungert er Werktags lieber, um an Sonn- und Festtagen im Kreise jener Familie zu schwelgen und bei hochfeierlichen Gelegenheiten die Namenszüge der Gefeierten und seinen eigenen Geist leuchten zu lassen.


7. Der Anekdotenerzähler.

Ein Narr, dessen Gebiet eine ungemeine Ausdehnung hat, dessen Stoff gar nicht zu erschöpfen ist, dessen Literatur von den Anekdoten in Meidingers Grammatik bis zu Müchlers Anekdoten-Almanach und noch höher hinauf reicht, und alle Epochen der Weltgeschichte von Adam bis auf Louis Philipp und den Fürsten Reuß den Sechzigsten umfaßt. Zwar wird er natürlich darauf bedacht sein, vorzugsweise die neuesten Anekdoten und Tagesgeschichten einzufangen, doch ist ihm, bei seinem überreichen Vorrath, unbenommen, auch die älteren und ältesten Gäule aus seinem Anekdotenstall herauszuziehen und vor der Tischgesellschaft courbettiren zu lassen.

Der Mann hat gar keine andere Form zu denken und sich auszusprechen als die Anekdote. Die gesammte Weltgeschichte und ihre Heroen lösen sich bei ihm in lauter Anekdoten auf; eine jagt die andere, eine bringt die andere in Vergessenheit. Mit einer Anekdote von Friedrich dem Großen führt er sich in die Gesellschaft ein und mit einer Anekdote von Talleyrand[WS 1] empfiehlt er sich; von Newton und Galiläi, von Kant und Hegel hat er keine Zeile gelesen, wenn aber einer dieser Männer zufällig genannt wird, so ist zehn gegen eins zu wetten, daß er von ihm wenigstens ein Dutzend Anekdoten zu erzählen weiß. Wird ein Hecht aufgetragen, so stehen ihm wenigstens fünfzig der berühmtesten Leberreime[WS 2] zu Gebote. Seine Philosophie, seine Natur- und Geschichtskenntniß, seine gesammte Weltanschauung verdankt er einzig und allein dem Studium der Anekdotensammlungen, welche seit Erfindung der Buchdruckerkunst veranstaltet wurden. Mit der ersten Anekdote ist für ihn die Welt erschaffen, und mit der letzten wird sie für ihn in ihr Nichts zurückkehren.


8. Der Räthsel- und Rebusaufgeber.

Auch dieser bearbeitet ein sehr wichtiges Feld der Unterhaltung. Er beherrscht vollkommen das weitläufige Gebiet der Charaden, Logogryphen, Räthsel, Anagramme u. s. w. Ist er in sehr gebildeter Gesellschaft, so giebt er die feineren und schwierigeren auf, die sich wo möglich gar nicht errathen lassen; in Gesellschaften von minderer Cultur läßt er sich auch wohl zu Fragen herab wie folgende: Warum sieht sich der Hase um, wenn er von Hunden verfolgt wird? Antwort: Weil er hinten keine Augen hat. — Wie schreibt man gefrornes Wasser mit drei Buchstaben? — Antwort: Eis u. s. w.

Auch die Urelemente der bekannten Rebus beherrscht er in einem sehr seltenen Grade. Angenommen, die Wirthin hieße Eugenie Rosa Waldesel, so nimmt er ein Blättchen Papier, malt darauf zuvörderst ein Ei, schreibt dahinter „Genie," zeichnet darauf eine Rose, dann ein paar Bäume, welche einen Wald vorstellen, endlich einen Esel, und läßt das Blättchen an der Tafel herumgehen, bis endlich Jemand erfreut ausruft: Ach, Madame Eugenie Rosa Waldesel! —

Auch die Geographie gibt ihm einen sehr reichlichen Stoff; er fragt z. B.: in welchem Lande ist man für den Winter am besten eingerichtet? Antwort: In Ungarn, denn da gibt es Ofen. Oder: wo muß man sich am Meisten in Acht nehmen? Antwort : in der Schweiz, denn da gibt es Zug! Wo predigt Schiller Diebstahl? Antwort: In seinem Lied an die Freude, denn er sagt da: Und wer’s nie gekonnt, der stehle etc.

Selbst die ehrwürdige Bibel wird nach Räthselstoffen durch- und umgewühlt, z. B.: Wie hieß der erste Edelmann? Antwort: Herr von Ferne, denn geschrieben steht: Er sah den Herrn von Ferne. — Welch ein Landsmann war David? Antwort: Ein Holländer, denn er sagt: ich bin zu Leiden geboren. — Oder: was für ein Sänger war David? Antwort: Baßsänger; denn er sagt: aus der Tiefe schrei’ ich zu Dir. — Oder: wie hieß Tobiä Hündchen? Antwort: Aber; denn es heißt: Sein Hündchen aber lief ihm voran u. s. w.

Man kann denken, daß es bei so freier Behandlung und Benutzung der Weltgeschichte, der Erdbeschreibung und sogar der ehrwürdigen Bibel dem Räthselnarren nicht wohl an Stoff fehlen kann.


[64]



„s’ist ein Elend, wie lang’s heut wieder dauert, bis der Trieb anfangt.“


„Schweißt der Haas, Hans Jörgel?“
„Ja, Ihr Gnaden, wann er noch a Weil so fort lauft, kommt er g’wiß in Schweiß.“


„Perdrix her – rrrr – rein!“


„Um’s Himmelswillen schießens nit!“



Redaction: Caspar Braun und Friedr. Schneider. München, Verlag von Braun & Schneider.
Kgl. Hof- und Universitäts-Buchdruckerei von Dr. C. Wolf & Sohn in München.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord (1754–1838), französischer Staatsmann und Diplomat.
  2. Leberreim, improvisiertes Scherzgedicht.