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„Nein! sagen Sie mir nur, wo Sie das Alles so hernehmen?“ sagt der Hausherr, „das klingt ja alles so prächtig, als müßt es irgendwo schon gedruckt stehen;“ dagegen sagt die Hausfrau: „Es ist doch gar zu rührend und klingt wie studirt; der Pastor kann’s auf der Kanzel nicht besser sagen.“

Und doch ist er ein Narr! Statt ein einträgliches Amt zu bekleiden, hungert er Werktags lieber, um an Sonn- und Festtagen im Kreise jener Familie zu schwelgen und bei hochfeierlichen Gelegenheiten die Namenszüge der Gefeierten und seinen eigenen Geist leuchten zu lassen.


7. Der Anekdotenerzähler.

Ein Narr, dessen Gebiet eine ungemeine Ausdehnung hat, dessen Stoff gar nicht zu erschöpfen ist, dessen Literatur von den Anekdoten in Meidingers Grammatik bis zu Müchlers Anekdoten-Almanach und noch höher hinauf reicht, und alle Epochen der Weltgeschichte von Adam bis auf Louis Philipp und den Fürsten Reuß den Sechzigsten umfaßt. Zwar wird er natürlich darauf bedacht sein, vorzugsweise die neuesten Anekdoten und Tagesgeschichten einzufangen, doch ist ihm, bei seinem überreichen Vorrath, unbenommen, auch die älteren und ältesten Gäule aus seinem Anekdotenstall herauszuziehen und vor der Tischgesellschaft courbettiren zu lassen.

Der Mann hat gar keine andere Form zu denken und sich auszusprechen als die Anekdote. Die gesammte Weltgeschichte und ihre Heroen lösen sich bei ihm in lauter Anekdoten auf; eine jagt die andere, eine bringt die andere in Vergessenheit. Mit einer Anekdote von Friedrich dem Großen führt er sich in die Gesellschaft ein und mit einer Anekdote von Talleyrand[WS 1] empfiehlt er sich; von Newton und Galiläi, von Kant und Hegel hat er keine Zeile gelesen, wenn aber einer dieser Männer zufällig genannt wird, so ist zehn gegen eins zu wetten, daß er von ihm wenigstens ein Dutzend Anekdoten zu erzählen weiß. Wird ein Hecht aufgetragen, so stehen ihm wenigstens fünfzig der berühmtesten Leberreime[WS 2] zu Gebote. Seine Philosophie, seine Natur- und Geschichtskenntniß, seine gesammte Weltanschauung verdankt er einzig und allein dem Studium der Anekdotensammlungen, welche seit Erfindung der Buchdruckerkunst veranstaltet wurden. Mit der ersten Anekdote ist für ihn die Welt erschaffen, und mit der letzten wird sie für ihn in ihr Nichts zurückkehren.


8. Der Räthsel- und Rebusaufgeber.

Auch dieser bearbeitet ein sehr wichtiges Feld der Unterhaltung. Er beherrscht vollkommen das weitläufige Gebiet der Charaden, Logogryphen, Räthsel, Anagramme u. s. w. Ist er in sehr gebildeter Gesellschaft, so giebt er die feineren und schwierigeren auf, die sich wo möglich gar nicht errathen lassen; in Gesellschaften von minderer Cultur läßt er sich auch wohl zu Fragen herab wie folgende: Warum sieht sich der Hase um, wenn er von Hunden verfolgt wird? Antwort: Weil er hinten keine Augen hat. — Wie schreibt man gefrornes Wasser mit drei Buchstaben? — Antwort: Eis u. s. w.

Auch die Urelemente der bekannten Rebus beherrscht er in einem sehr seltenen Grade. Angenommen, die Wirthin hieße Eugenie Rosa Waldesel, so nimmt er ein Blättchen Papier, malt darauf zuvörderst ein Ei, schreibt dahinter „Genie," zeichnet darauf eine Rose, dann ein paar Bäume, welche einen Wald vorstellen, endlich einen Esel, und läßt das Blättchen an der Tafel herumgehen, bis endlich Jemand erfreut ausruft: Ach, Madame Eugenie Rosa Waldesel! —

Auch die Geographie gibt ihm einen sehr reichlichen Stoff; er fragt z. B.: in welchem Lande ist man für den Winter am besten eingerichtet? Antwort: In Ungarn, denn da gibt es Ofen. Oder: wo muß man sich am Meisten in Acht nehmen? Antwort : in der Schweiz, denn da gibt es Zug! Wo predigt Schiller Diebstahl? Antwort: In seinem Lied an die Freude, denn er sagt da: Und wer’s nie gekonnt, der stehle etc.

Selbst die ehrwürdige Bibel wird nach Räthselstoffen durch- und umgewühlt, z. B.: Wie hieß der erste Edelmann? Antwort: Herr von Ferne, denn geschrieben steht: Er sah den Herrn von Ferne. — Welch ein Landsmann war David? Antwort: Ein Holländer, denn er sagt: ich bin zu Leiden geboren. — Oder: was für ein Sänger war David? Antwort: Baßsänger; denn er sagt: aus der Tiefe schrei’ ich zu Dir. — Oder: wie hieß Tobiä Hündchen? Antwort: Aber; denn es heißt: Sein Hündchen aber lief ihm voran u. s. w.

Man kann denken, daß es bei so freier Behandlung und Benutzung der Weltgeschichte, der Erdbeschreibung und sogar der ehrwürdigen Bibel dem Räthselnarren nicht wohl an Stoff fehlen kann.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord (1754–1838), französischer Staatsmann und Diplomat.
  2. Leberreim, improvisiertes Scherzgedicht.
Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 2). Braun & Schneider, München 1846, Seite 063. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_2.djvu/67&oldid=- (Version vom 12.12.2020)