Finanzen und Steuern (1914)
Vorbemerkung.
In den 25 Jahren, die seit dem Regierungsantritt Kaiser Wilhelms II. verflossen sind, haben sich im Finanz- und Steuerwesen des Reichs, der Einzelstaaten und der Gemeinden bedeutungsvolle Wandlungen vollzogen. Überall macht sich eine unaufhaltsame Steigerung der Ausgaben bemerkbar. Sie ist im Reiche und in den großen Stadtgemeinden stürmischer als in den Einzelstaaten, erreicht aber auch hier einen bemerkenswerten Umfang. Dort, im Reiche, sind es in erster Linie die Rüstungsausgaben, die teilweise unter dem Druck gleichartiger Bemühungen des Auslandes in den 25 Jahren sich mehr als verdoppelt haben; in den Stadtgemeinden treten die großen Ausgaben für das Schul-, das Armen-, das Straßenwesen, für Kanalisation und Hygiene im weitesten Sinne beherrschend in den Vordergrund; in den einzelstaatlichen Budgets hat der Aufwand für die Förderung von Landwirtschaft, Gewerbe und Handel, für Gesundheitswesen, Rechtspflege, Unterricht, Kunst und Wissenschaft eine stets wachsende Höhe erreicht, die nicht nur durch das Anwachsen der Bevölkerung, sondern auch durch die weit größeren Ansprüche bedingt ist, die heute an die Staaten in Erfüllung solcher Aufgaben herantreten. In allen drei Gemeinwirtschaften, aber wieder weit mehr im Reich und in den großen Stadtgemeinden als im Haushalt der Einzelstaaten, sind die Schulden zu beängstigender Höhe gestiegen.
Dieses Steigen der Ausgaben, das sich in der Zeit seit 1888 nach Milliarden berechnet, wäre nicht möglich gewesen, wenn sich nicht, trotz zahlreicher Rückschläge im einzelnen, im ganzen ein Aufschwung des Wirtschaftslebens, eine Mehrung der Einkommen und Vermögen vollzogen hätte, die noch um 1870 außerhalb aller Wahrscheinlichkeitsrechnung lag. Aber je mehr die Ausgaben wuchsen, um so ergiebiger mußten auch die Einnahmen gemacht werden, um jene Ausgaben zu decken. In einigen Einzelstaaten gelang es, einen Teil des Mehrbedarfs durch die günstige Entwicklung der staatlichen Verkehrsanstalten aufzubringen. In den anderen aber und vor allem im Reich und in den Gemeinden fiel ihre Deckung fast ausschließlich dem Abgabewesen zu. Es zeigte sich jedoch, daß die alten Steuereinnahmen weder quantitativ noch qualitativ zur Deckung des gesteigerten Bedarfs ausreichten. Im Reiche, das die Zölle und Aufwandsteuern sowie die Verkehrssteuern an sich gezogen hatte, zwang die Zunahme der Ausgaben zu einer häufig wiederholten Steigerung der Steuersätze und zur Einfügung weiterer Glieder. Und wenn dabei auch vielfach die Grundlagen geändert und dem Streben [236] nach größerer Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit bei der Verteilung der Steuerlasten Rechnung getragen wurde, so konnte dieses nach der ganzen Natur der Aufwand- und Verkehrssteuern doch nur in beschränktem Maße zur Geltung gelangen. Anders in den Einzelstaaten. Seit das Reich sich der Zölle, Aufwandsteuern und Verkehrssteuern bemächtigt hatte, waren diese, mit wenigen Ausnahmen, auf die Ausnutzung ihrer direkten Steuern angewiesen. Außerordentlich groß waren noch vor 25 Jahren die Verschiedenheit der tatsächlichen Verhältnisse in den Einzelstaaten; aber keines der Steuersysteme zeigte sich den drängenden Anforderungen auf die Dauer gewachsen. Sie entsprachen älteren, einfacheren Verhältnissen; die ihnen anhaftenden Mängel mußten bei Steigerung der Sätze unerträglich werden. Das sich verfeinernde Gerechtigkeitsgefühl drängte zu neuen Grundlagen und Formen. So sind die 25 Jahre erfüllt von einzelstaatlichen Steuerreformen, deren Antrieb in der Not der Bedürfnisse gegeben, deren Ergebnis aber letzten Endes eine gerechtere Verteilung und eine weit bessere Technik war. Der Entwicklungsgang war verschieden, wie dies bei der Verschiedenheit der historischen Verhältnisse und der wirtschaftlichen Zustände kaum anders sein konnte; der eine Staat hat rasch, der andere zögernd und unter großen Schwierigkeiten den Fortschritt vollzogen. Aber, mit verschwindenden Ausnahmen, haben die deutschen Staaten den Übergang zur Personalbesteuerung im Prinzipe vorgenommen und sind damit, was das direkte Steuerwesen betrifft, an die Spitze der Kulturstaaten getreten. Nur für die Lösung des schweren Problems der Gemeindebesteuerung ist der Schlüssel noch nicht gefunden. Und die unzweifelhaften Fortschritte, die auch hierin die letzten 25 Jahre gebracht haben, können über ihre Mängel nicht hinwegtäuschen. Es wird Aufgabe der Zukunft sein, ihrer Weiterbildung sich zu widmen.
Die reiche Entwicklung der Finanzen und insonderheit des Steuerwesens in dem Zeitraum von 1888 bis heute für das Reich in ihren wichtigsten Etappen und Ergebnissen kurz darzustellen, soll auf den folgenden Seiten versucht werden. Ein Eingehen auf die Finanzverhältnisse der Einzelstaaten und Gemeinden ist wegen der Beschränktheit des Raumes nicht möglich.
1. Das Ausgabewesen. Die Ausgaben im allgemeinen.
Die Ausgaben des Reichs sind bedingt von seinen Aufgaben. Als diese werden in den Einleitungsworten der Reichsverfassung bezeichnet: „Schutz des Bundesgebietes und des innerhalb desselben gültigen Rechtes“ und „Pflege der Wohlfahrt des deutschen Volkes“. Der Artikel 4 führt sie des näheren auf: auf dem Gebiete der Macht- und äußeren Politik das Heer- und Marine-, Gesandtschafts- und Konsulatswesen, auf dem Gebiete der inneren Politik die Wahrung der wirtschaftlichen Einheit durch die Zoll- und Handelsgesetzgebung, die Fürsorge für die allgemeinen Interessen bei Eisenbahnen, Wasserstraßen und im Nachrichtenverkehr, die Regelung des Gewerberechts, des Versicherungswesens, des Erfinderschutzes und des Schutzes des geistigen Eigentums, die Sicherung der Rechtseinheit im gesamten bürgerlichen Recht, im Strafrecht und im gerichtlichen Verfahren.
[237] Diesen verschiedenen Aufgaben wohnt nicht die gleiche Bedeutung für die Finanzen inne. Die Erfüllung der einen, nämlich derjenigen, die der inneren Politik dienen, ist mehr oder weniger in das Belieben der gesetzgebenden Faktoren gegeben. Die Erfüllung der anderen, der Aufgabe des militärischen Schutzes, ist nur zum Teile dem freien Ermessen überlassen; zum größten Teil ist sie bedingt durch das Verhalten der Nachbarstaaten; sie muß erfolgen im Verhältnis der Steigerung von deren Wehrmacht, wenn nicht der Bestand des Reiches bedroht werden soll. Daraus ergeben sich schwerwiegende Folgen für den Reichshaushalt.
Aus dem deutsch-französischen Krieg war das Reich hervorgegangen. Wenn es der Kunst des leitenden Staatsmannes auch gelungen war, Deutschland die Frucht seiner Siege zu sichern, so war ihm doch ein tief gekränkter, auf Vergeltung sinnender Feind entstanden, der in Respekt gehalten werden mußte. Und im Laufe der Jahre kamen andere Vorgänge dazu, die einen verstärkten Schutz bedingten. Vor allem das wirtschaftliche Erweiterungsbedürfnis des Deutschen Reichs. Gerade die Einigung zum Reiche ist der mächtigste Hebel zu einer beispiellosen, nach aufwärts und auswärts drängenden wirtschaftlichen Entwicklung geworden. Die rasch sich mehrende Bevölkerung, zum Teil auch die Krisis in der Landwirtschaft führten wachsende Menschenströme ins Ausland, noch mehr aber in die industriellen Arbeitsstätten, die der rasch aufgeschossene Unternehmungsgeist zu errichten begonnen hatte. Für die anschwellenden Mengen von Waren mußten Absatzgelegenheiten im Auslande gesucht werden. Die Zunahme der Einkommen und Vermögen gab den Mut, höher verzinsliche Anlagen im Auslande aufzusuchen. Wählend die Menschenausfuhr allmählich zurückging, wuchs die Ausfuhr von Waren und Kapitalien. Erst mit Staunen, dann mit wachsendem Mißbehagen sahen andere Staaten, allen voran England, den Einbruch in alte Reservate. Zwar war auch früher der deutsche Kaufmann seinem Erwerb auf der ganzen Welt nachgegangen; aber mehr unauffällig, mit bescheidenen Gewinnen sich begnügend, häufig in dienender Stellung, ohne Nationalbewußtsein, ohne den Rückhalt eines starken und ansehengebietenden Heimatlandes. Mit der Gründung des Reiches war dies anders geworden. Das Bedürfnis, im Ausland festen Fuß zu fassen, an den Handelsgewinnen anderer Völker teilzunehmen, auf unverteilte Gebiete der Erde Hand zu legen, den Schutz seiner überseeischen Interessen auszubauen, brachte den Deutschen in Gegensatz zu dem führenden Handels- und Seefahrtsvolk der Welt. Angst um den Verlust der alten Weidegründe und die Schmälerung der Welt- und Seeherrschaft haben England zu einer gewaltigen Steigerung seiner Seewehr und zu dem Bündnis mit Frankreich und Rußland geführt, dessen Wirkungen wieder auf uns zurückfielen. Mochte das Deutsche Reich noch so oft die Friedfertigkeit seiner Gesinnung betonen –, man hatte sich draußen gewöhnt, es als Störenfried mit Mißtrauen und Übelwollen zu betrachten. Unter solchen Verhältnissen blieb nichts übrig, als den Aufwand für Heer und Flotte in steter Entwicklung zu steigern, wenn anders das Reich nicht seine Existenz aufs Spiel setzen will.
Diese allgemeinen Ursachen für die Steigerung des Kriegsaufwandes werden noch verstärkt durch besondere technische. Die moderne Technik, der wir die beispiellosen Fortschritte auf allen Gebieten des wirtschaftlichen Lebens, insbesondere im [238] Maschinen- und Verkehrswesen, verdanken, hat auch der kriegerischen Verteidigungs- und Zerstörungsmittel sich bemächtigt. Welche Umwälzungen haben sich in kurzer Zeit in der Bewaffnung der Infanterie, in der Artillerie, im Festungsbau, in den Typen und der Armierung der Kriegsschiffe vollzogen! Wie viele Kriegsmittel sind zu den alten hinzugekommen! Auch in dieser Beziehung treibt ein Staat den anderen, und die Ausgaben wachsen um so rascher.
In viel höherem Maße als beim Machtzweck ist Umfang und Steigerung der Ausgaben für die innere geistige, wirtschaftliche und rechtliche Entwicklung in das Belieben der gesetzgebenden Gewalten gelegt. Ob diese oder jene Ausgabe gesteigert, ob zu den alten noch neue übernommen werden sollen, ist allein von der Rücksicht auf das eigene Bedürfnis und die Größe der verfügbaren Mittel bedingt. Zudem ist der Betätigung des Reiches hier eine gewisse Schranke gezogen durch die Bestimmungen der Reichsverfassung und den eigenen Wirkungskreis der Gliedstaaten. Aber auch die Ausgaben für friedliche Verwaltungszwecke sind in steter Zunahme begriffen. Ja sie sind relativ rascher gewachsen, als die Militärausgaben. Es haben sich im Laufe der Zeit immer mehr Aufgaben eingestellt, die in zweckmäßiger Weise nur von dem größeren Ganzen des Reiches erfüllt werden konnten. Die alten Ausgaben sind bedeutend gewachsen, und nicht wenige neue, an die bei der Gründung des Reiches nicht gedacht werden konnte, haben sich eingestellt.
Werfen wir nach dieser Vorbemerkung einen Blick auf die Ziffern des Reichsbedarfs und verfolgen wir kurz seine Entwicklung seit dem Jahre 1888.
Rüstungsausgaben.
Die fortdauernden Ausgaben betrugen nach Ausscheidung der Überweisungen an die Bundesstaaten, die nur durchlaufende Posten sind, und ohne den Betriebsaufwand für Eisenbahnen, Posten und Telegraphen und die Reichsdruckerei im Jahre 1888: 506,8, 1912: 1501,9 Mill. M., sind also um das Dreifache in die Höhe gegangen; die jährliche Zuwachsrate beträgt in dieser Zeit rund 41,5 Millionen. Von diesen Ausgaben entfielen auf das Heer, mit Einschluß Bayerns, 1888: 378,1, auf die Marine 38,9 Mill. M., während in dem Voranschlag von 1912 für das erstere 785,4, für die letztere 181,1 Mill. M. vorgesehen sind. Die gesamte Landesverteidigung forderte an fortdauernden Ausgaben 1888: 417,0, 1912: 966,5 Mill. M. In Verhältniszahlen sind dies 1888: 82,3, 1912: 64% der Ausgaben. Obwohl sich also die Heeres- und Flottenausgaben in den 25 Jahren mehr als verdoppelt haben, hat ihr prozentualer Anteil um 18% abgenommen. Die übrigen dauernden Ausgaben sind also relativ stärker gestiegen als die für den Machtzweck.
Das Bild wäre freilich lückenhaft, wenn die einmaligen und außerordentlichen Ausgaben unberücksichtigt blieben, die gerade für Heer und Flotte sehr bedeutend sind. Sie sind ihrer Natur nach stark schwankend, und deshalb verbietet sich eine einfache Vergleichung der Anfangs- und der Endziffern. Es genüge die Feststellung, daß in dem Zeitraum 1888–1912 die gesamten einmaligen und außerordentlichen Ausgaben rund 2568 Mill. M., also durchschnittlich 383 Mill. M. im Jahr betragen haben. Davon entfielen auf das Heer 3375, auf die Marine 2608, zusammen also 5984 oder 62%. Während [239] in den ersten 10 Jahren dieses Zeitraumes die Ausgaben für das Heer bei weitem überwogen, sind von 1898 ab die für die Flotte in den Vordergrund getreten.
Ferner muß auch ein erheblicher Teil der Schuldzinsen, die 1912 mit Verwaltung und Tilgung 234,5 Mill. M. betrugen, auf das Konto der Landesverteidigung gesetzt werden. Die Summe läßt sich nicht genau angeben, aber man wird nicht fehlgehen, wenn man ihr die Hälfte aufbürdet. Endlich ist auch der weitaus größte Teil des Pensionsaufwands und seit einigen Jahren sind die Ausgaben des Invalidenfonds hierher zu rechnen. Der erstere betrug 1888: 28,82, 1912:143,41 Mill. M., wovon auf Heer und Flotte 1888 rund 28, 1912: 139 Mill. M. entfallen.
Es würde zu weit führen, wollte ich die Ursachen der Bedarfssteigerung für Heer und Flotte im einzelnen vorführen. Nur auf einige Punkte sei in Ergänzung der eingangs gemachten allgemeinen Bemerkungen hingewiesen. Die Bedarfssteigerung ist, was die fortdauernden Ausgaben anlangt, in erster Linie veranlaßt durch die Erhöhung der Präsenzziffer bei Heer und Marine, Ausbau der Flotte, Vermehrung und Verbesserung des Kriegsmaterials, dann auch Verteuerung der Verpflegskosten und Erhöhung der Löhne und Gehälter. So betrug die Geldverpflegung beim Heer (ohne Bayern) 1888: 108,54, bei der Marine 8,15 Mill. M.; 1912 waren es 176,21 und 42,43; die Naturalverpflegung 1888: 76,35 und 2,78, 1912: 185,37 und 3,26. Für Artillerie- und Waffenwesen des Heeres waren erforderlich 1888: 12,96, 1912: 67,91, für Bekleidung und Ausrüstung der Truppen 1888: 23,27, 1912: 42,94 Mill. M. Für Garnisonsverwaltungs- und Serviswesen steigerten sich die Ausgaben in derselben Zeit von 37,39 auf 63,95. Bei der Flotte betrug der Bedarf für Indiensthaltungen 1888: 7,43, 1912: 51,94, für Unterhaltung der Flotte und Werftanlagen 11,20 und 36,98, für Waffenwesen und Befestigungen 2,77 und 21,82.
Und daß zunächst noch kein Ende in dem Anschwellen dieser Ausgaben abzusehen ist, lehren die Anträge der Reichsregierung und die Verhandlungen des Reichstages, die soeben in der Zeit des Regierungsjubiläums des Kaisers ihren Abschluß gefunden haben. Die Balkankriege, das Vordringen des Slawentums und die veränderte politische Lage veranlaßten zusammen mit anderen Ursachen allenthalben neue Rüstungen. Nicht nur die Großmächte, sondern auch die kleineren Staaten sehen sich genötigt, ihren Schutz für den Fall eines Weltkrieges wirksamer zu gestalten. Man geht nicht irre, wenn man den jährlichen Mehraufwand der europäischen Staaten für diesen Zweck auf über 1 Milliarde M. veranschlagt. Und die einmaligen Ausgaben werden diese Summe um das Drei- oder Vierfache übersteigen. Die deutsche Wehrvorlage, die im wesentlichen von der großen Mehrheit des Reichstags gebilligt wurde, erhöht die Friedenspräsenzstärke um rund 117 000 Mann; 63 000 Rekruten sollen jährlich mehr eingestellt werden, 18 Regimenter die noch fehlenden dritten Bataillone, die Jägerbataillone sollen Radfahrer- und Maschinengewehrkompagnien erhalten, neue Artillerie- und Kavallerieregimenter usw. geschaffen, rund 4000 Offiziere und 15 000 Unteroffiziere neuangestellt werden. Der jährliche Aufwand ist für 1913/14 auf 54, für das folgende Jahr auf 153, und von 1915 ab auf 186 Mill. M. veranschlagt. Dazu kommen große einmalige Aufwendungen für Beschaffung von Kriegsmaterial, Ausbau der Festungen und der Luftflotte, Errichtung [240] einer neuen Kriegsschule und neuer Unteroffiziersschulen, Vergrößerung der Kadettenanstalten u. a. m. Der Betrag hierfür wird im ersten Jahre auf 435, im zweiten auf 286, im dritten auf 178, im ganzen also auf rund 900 Mill. M. sich stellen. Ferner sind 15 Millionen erforderlich, um einen Silberschatz von 120 Millionen einzurichten. Schon im Voranschlag von 1913/14, der zum erstenmal 3 Milliarden M. übersteigt, zeigt sich die Wirkung; denn gegen 1912, bei der Flotte gegen 1911, weisen die ordentlichen Ausgaben der Heeresverwaltung eine Mehrung um rund 100, die der Flotte um 32 Mill. M., die einmaligen Ausgaben eine solche um 438 bzw. 55 Mill. M. auf. Mit dieser Vorlage sah sich allerdings, wie der Staatssekretär des Reichsschatzamtes in seiner einleitenden Rede sagte, die Reichsfinanzverwaltung vor eine Aufgabe gestellt, wie sie ihr schwerer seit dem Bestehen des Reiches nie gestellt worden ist. Auch die größte Heeresvorlage habe bisher an fortlaufenden Ausgaben nur einen Bruchteil der neuen erfordert; und was die einmaligen Ausgaben anlangt, so hätten sie bei sämtlichen bisherigen Vorlagen zusammen nicht annähernd an den jetzigen Bedarf herangereicht.
Die Ausgaben der Zivilverwaltung.
Die Ausgaben für das Auswärtige Amt haben seit 1888 von 8,56 auf 18,72 Mill. M. zugenommen. Die Mehrung ist verursacht teils durch eine Ausgestaltung der diplomatischen Vertretung, wie die wachsende Verflechtung des Reiches in den internationalen Verkehr sie erfordert, teils durch größeren Personalbedarf im Auswärtigen Amt, teils durch Förderung allgemeiner Kulturzwecke: Dotationen für deutsche wissenschaftliche Forschungen, Anstalten und Schulen im Ausland, Entsendung landwirtschaftlicher Sachverständiger und Anstellung von Handelssachverständigen bei deutschen Konsularämtern.
Eine besonders starke Steigerung hat der Bedarf für die Kolonialverwaltung erfahren. Zwar sind die Ausgaben der Zentralverwaltung relativ niedrig, 1912: 2,89 Mill. Mark; dagegen hat die Fruchtbarmachung der Schutzgebiete große einmalige und außerordentliche Aufwendungen erforderlich gemacht; in der Zeit von 1896–1912 sind es 376,96 Mill. M. oder 22,17 pro Jahr. An eigentlichen außerordentlichen Ausgaben im budgetrechtlichen Sinne gehört aus den früheren Jahren nur hierher der Betrag von 16,75 Mill. M., der 1889 für den Ankauf der spanischen Karolinen-, Palau- und Marianeninseln aufgewendet wurde. Dazu kommen dann noch verschiedene Ausgaben für Sicherung der Schutzgebiete und Niederwerfung von Aufständen. Die Expedition in das ostafrikanische Schutzgebiet in den Jahren 1905/06 erforderte 273 300 M., die in das südwestafrikanische 1903/06 218,41 Mill. M. Rund 151 Mill. M. betrugen die einmaligen Ausgaben für Kiautschou. Deutschland macht mit seinen Kolonien eben dieselbe Erfahrung, wie sie mehr oder weniger alle kolonisierenden Staaten machen mußten: es wird nur dann ein Gedeihen zu erwarten sein, wenn genügend Kapital und Arbeit in ihnen investiert wird. Es kommt dazu, daß die Erträge aus unseren Kolonien überhaupt nicht so reichlich fließen werden, da sie weder reine Ackerbaukolonien noch reich ausgestattete Kultivationsgebiete sind. Zunächst erfordern sie nahezu alle nicht unbedeutende Zuschüsse. Aber wir wären heute schon weiter, wenn diese Zuschüsse gleich [241] anfangs geflossen, wenn mehr für Eisenbahnen, Hafenbauten, kurz für ihre Erschließung geschehen wäre.
Das Reichsamt des Innern hat seinen Bedarf an fortdauernden Ausgaben in den Jahren 1888–1912 von 8,05 auf 93,51 Mill. M., also um das Elfeinhalbfache gesteigert. Eine große Anzahl neuer Aufgaben ist diesem Amte erwachsen; finanziell von der größten Tragweite sind die Zuschüsse des Reiches zur Invalidenversicherung, die 1911: 53,3 Mill. M. und seit 1891 im ganzen 693 Mill. M. Mehrausgaben betrugen. Unter den sonstigen Ausgaben verdienen Erwähnung die mit 1886 einsetzenden und zurzeit etwa 8 Mill. M. betragenden Postdampfersubventionen, die Ausgaben für den meteorologischen Dienst, zur Förderung der Seefischerei und des Absatzes landwirtschaftlicher Produkte, zur Unterstützung von Landwirtschaft, Gewerbe und Handel u. dgl. Die einmaligen Ausgaben dieses Amtes betragen seit 1888 etwa 131 Mill. M., die außerordentlichen rund 318, darunter seit 1902 rund 38 Millionen Darlehen an Baugenossenschaften usw. zur Herstellung von Kleinwohnungen und große Beträge für Erbauung und Erweiterung des Kaiser-Wilhelm-Kanals.
Der Aufwand der Reichsjustizverwaltung betrug 1888 1,89 Mill. M., 1912 2,86, die zum weitaus überwiegenden Teil auf das Reichsgericht entfallen. Daneben treten hier zeitweise größere einmalige Ausgaben auf, die aber 1 Mill. M. nur selten übersteigen.
Die Zunahme der Ausgaben der Reichszivilverwaltung erklärt sich aus dem natürlichen Verlauf der Dinge. Die Geschäfte der Ämter sind umfangreicher geworden und erfordern ein größeres Beamtenpersonal, der Pensionsaufwand hat zugenommen, die Teuerung der Lebenshaltung hat Gehaltsaufbesserungen und Wohnungsgelder nötig gemacht. Noch mehr aber wuchs der Aufwand durch die Übernahme neuer Aufgaben auf das Reich und die Verselbständigung früher unselbständiger Abteilungen der Reichsämter. Wer die Behördenorganisation des Reiches im Jahre 1872 oder auch noch 1888 mit der heutigen vergleicht, ist erstaunt über die große Menge von Zentralbehörden, die von dem Reichskanzleramt, dann von dem Reichsamt des Innern abgezweigt wurden. Diese Entwicklung, die dem geistigen und wirtschaftlichen Fortschritt dient, wird auf allgemeinen Beifall rechnen. Wenn auch die Pflege der geistigen und wirtschaftlichen Kultur in erster Linie Sache der Einzelstaaten geblieben ist, so gibt es doch Aufgaben, die nur oder doch am besten von dem größeren Ganzen des Reiches in Angriff genommen werden können. Hierher gehört das große Werk der Arbeiterversicherung, das für Handel und Marine gleich bedeutende Werk des Kaiser-Wilhelm-Kanals, die Ämter, die auf wichtigen Gebieten die Reichseinheit zum Ausdrucke bringen: das Patent-, das Statistische, das Reichsgesundheitsamt, das Aufsichtsamt für Privatversicherung u. a. Es wäre freudig zu begrüßen, wenn für solche Zwecke noch reichlichere Mittel zur Verfügung gestellt werden könnten.
Eine bedeutende Zunahme haben die Ausgaben für die Reichsschuld, entsprechend ihrem unaufhaltsamen und starken Anwachsen, erfahren. Von 1888 bis 1912 ist der Aufwand von 34,5 auf 234,45 Mill. M. gestiegen. Ungefähr die Hälfte davon muß dem Rüstungsaufwand, der Rest größtenteils der Post- und der Eisenbahnverwaltung zur Last gerechnet werden.
[242] Im allgemeinen darf man bei Betrachtung der Ausgaben mit der Anerkennung nicht zurückhalten, daß der Reichstag die erforderlichen Mittel dem Reiche zur Verfügung gestellt hat. Selbst für die großen und oft heiß umstrittenen Forderungen der Heeres- und Marineverwaltung hat sich immer eine Mehrheit finden lassen. Die früher auch bei manchen bürgerlichen Parteien übliche Rechthaberei und unfruchtbare Negation ist einer großzügigeren Auffassung und besserer Einsicht gewichen. Daß der Reichstag die großen Ansprüche der Heeres- und Marineverwaltung im Sommer dieses Jahres mit einer erdrückenden Mehrheit bewilligt hat, ist ein Ruhmesblatt in seiner Geschichte. Er hat damit die Auffassung der Reichsregierung gebilligt und den veränderten politischen Verhältnissen mit einsichtsvoller patriotischer Gesinnung Rechnung getragen.
2. Die Einnahmen und das Schuldenwesen. Das Einnahmewesen im allgemeinen.
Der Artikel 70 der Reichsverfassung verwies in seiner ursprünglichen Gestalt das Reich zur Bestreitung seiner Ausgaben in erster Linie auf die Überschüsse der Vorjahre, dann auf die gemeinschaftlichen Einnahmen aus den Zöllen, den gemeinschaftlichen Verbrauchssteuern und dem Post- und Telegraphenwesen. „Insoweit dieselben“, heißt es dann wörtlich, „durch die Einnahmen nicht gedeckt werden, sind sie, solange Reichssteuern nicht eingeführt sind, durch Beiträge der einzelnen Bundesstaaten nach Maßgabe ihrer Bevölkerung aufzubringen, welche bis zur Höhe des budgetmäßigen Betrags durch den Reichskanzler ausgeschrieben werden.“
Die wachsenden Bedürfnisse des Reiches machten aber bald eine Ergänzung dieser dürftigen finanziellen Ausstattung erforderlich. Schon bis zum Jahre 1888/89 hatte sich der ursprünglich enge Umkreis der Einnahmen erheblich erweitert; und ein Blick in den Voranschlag des Jahres 1913 zeigt eine große Anzahl neu hinzugekommener Abgaben und eine sehr starke Steigerung des Erträgnisses der 1888/89 bereits vorhandenen. Die folgende Übersicht über die dauernden Einnahmen für die Jahre 1872, 1888/89 und 1912 tut dies einleuchtend dar.
Einnahmen des Reiches in 1000 M. | ||||||
A. Erwerbseinkünfte[1] | 1872 | 1888/89 | 1912 | |||
Post und Telegraphie | 14 054 | 31 719 | 112 835 | |||
Eisenbahnverwaltung | 5 525 | 20 338 | 31 391 | |||
Reichsdruckerei | – | 1 375 | 3 181 | |||
Bankwesen | – | 1 088 | 15 264 | |||
| ||||||
Summe A: | 19 579 | 54 520 | 162 671 | |||
B. Zölle und Verbrauchssteuern. | ||||||
Zölle | 94 878 | 283 149 | 703 470 | |||
Tabaksteuer | 1 300 | 10 841 | 11 325 | |||
Zigarettensteuer | – | – | 33 469 | |||
Zuckersteuer | 4 121 | 9 507 | 157 600 | |||
Salzsteuer | 24 623 | 41 287 | 59 660 | |||
Branntweinsteuer | 33 465 | 99 718 | 203 455
[243] | |||
Brausteuer[2] | 12 693 | 22 014 | 124 780 | |||
Essigsäureverbrauchsabgabe | – | – | 825 | |||
Schaumweinsteuer | – | – | 10 685 | |||
Leuchtmittelsteuer | – | – | 13 346 | |||
Zündwarensteuer | – | – | 19 601 | |||
| ||||||
Summe B: | 171 080 | 466 516 | 1 338 216 | |||
C. Stempelabgaben. | ||||||
Spielkartenstempel | – | 1 162 | 1 900 | |||
Wechselstempelsteuer | 5 080 | 6 560 | 18 623 | |||
Börsen- und Lotteriesteuer | – | 27 202 | 128 288 | |||
Frachturkundensteuer | – | – | 17 444 | |||
Automobilsteuer | – | – | 3 430 | |||
Fahrkartensteuer | – | – | 22 344 | |||
Tantiemesteuer | – | – | 5 880 | |||
Umsatzsteuer | – | – | 39 200 | |||
Schecksteuer | – | – | 3 136 | |||
| ||||||
Summe C: | 5 080 | 34 924 | 240 245 | |||
D. Sonstige Abgaben. | ||||||
Statistische Gebühr | – | 622 | 1 822 | |||
Erbschaftssteuer | – | – | 44 000 | |||
Wertzuwachssteuer | – | – | 18 000 | |||
Banknotensteuer | – | – | 1 036 | |||
| ||||||
Summe D: | – | 622 | 64 858 | |||
Summe B–D: | 176 160 | 502 062 | 1 643 319 | |||
oder auf den Kopf | 4,2 M. | 10,5 M. | 24,4 M. |
Diese Tabelle zeigt zunächst, daß die Reichseinnahmen im Gegensatz zu denen der meisten Einzelstaaten fast ganz auf Steuern beruhen. Sie lehrt ferner, wie die überkommenen Steuerquellen zu immer größerer Ergiebigkeit gebracht, und wie viele neue Steuern hinzugenommen werden mußten, um dem wachsenden Bedarf zu genügen. Die Zunahme der Zölle und Abgaben von 1872 bis 1913 betrug mehr als das Neunfache, von 1888 bis 1913 mehr als das Dreifache. Dazu kommen noch die von den Bundesstaaten tatsächlich geleisteten Matrikularbeiträge, die 1872: 94, 1913: 53,7 Millionen betrugen, während man 1888 ohne sie auskam.
Im einzelnen ist folgendes zu bemerken:
Die Erwerbseinkünfte.
Die sogenannten Erwerbseinkünfte sind im Reiche ohne größere Bedeutung. In dieser Beziehung war die Welt schon vergeben, als das Reich gegründet wurde. Domänen, Forsten, Bergwerke waren im festen Besitz der Einzelstaaten; von den neuzeitlichen Erwerbseinkünften konnten nur drei ernsthaft in Frage kommen, die Posten, die Eisenbahnen und die Zentralbanken. Von diesen ist nur das Post- und Telegraphenwesen, mit Ausnahme der Reservate von Bayern und Württemberg, in die Hände des Reiches gelangt. Infolge des wirtschaftlichen Aufschwunges und der Zunahme der allgemeinen Bildung haben zwar die [244] Betriebsergebnisse der Reichspost einen glänzenden Aufschwung genommen; die Roheinnahmen betrugen gleich nach der Reichsgründung rund 100, 1888/89: 201,12, im Jahre 1913 dagegen 842,37 Mill. M., seine Reineinnahmen sind in dieser Zeit von 14,05 und 31,72 auf 112,84 Mill. M. gestiegen. Aber im Vergleich zur Größe der gesamten fortlaufenden Einnahmen sind diese Reineinnahmen nicht allzu bedeutend, und zudem stehen ihnen auch recht erhebliche Schuldzinsen und einmalige und außerordentliche Ausgaben gegenüber, die z. B. in den letzten fünf Jahren 1908–1912: 316,63 oder durchschnittlich 631/3 Mill. M. im Jahre betragen. Der Plan des Fürsten Bismarck, die Eisenbahnen auf das Reich zu übernehmen, scheiterte an dem Widerspruch der Bundesregierungen und des Reichstags, obwohl gewichtige verkehrspolitische und finanzielle Gründe dafür sprachen. Um wieviel besser wäre es heute um unsere Reichsfinanzen bestellt, wenn der Plan sich hätte verwirklichen lassen. Über 520 Mill. M. Reineinkünfte zieht der preußische Staat zurzeit aus den Eisenbahnen. So hat das Reich nur die Einkünfte aus den elsaß-lothringischen Reichsbahnen und der Wilhelm-Luxemburg-Bahn, die 1872 brutto 25,20, 1888/89: 50,7, 1913: 153,78 Mill. M. betrugen, während die Reinerträge dieser Jahre sich auf 5,53, 20,34 und 31,39 belaufen. Aber auch diesem Reinertrage stehen erhebliche einmalige und außerordentliche Ausgaben gegenüber, die 1908–12 nahezu 103, also jährlich über 20 Mill. M. betrugen, und sie mindern sich um den Betrag der Schuldzinsen, die auf Konto der Eisenbahnen entfallen. Die Übernahme des Notenbankwesens auf das Reich unterblieb aus Gründen, die nicht für unberechtigt gelten können. Dagegen hat sich das Reich von der 1875 gegründeten Reichsbank einen Gewinnanteil gesichert, der von rund 2 Mill. M. im Jahre 1876/77 infolge der günstigen Entwicklung dieses Instituts auf 15,26 Mill. M. im Jahre 1913 gestiegen ist. Die Einnahmen aus der Reichsdruckerei die zuerst im Jahre 1878/79 im Reichshaushalt erscheinen, ergaben 1888: 1,375 und 1913: 3,191 Mill. M. netto.
Die Reichssteuern im allgemeinen.
Was die Reichssteuern betrifft, so war eine schwierige und dornenvolle Arbeit zu leisten, bis ihre heutige Ergiebigkeit erreicht war. Schon die Fassung des Artikels der Reichsverfassung, wonach Matrikularbeiträge auszuschreiben sind, solange Reichssteuern nicht eingeführt sind, war keine glückliche. Da die Matrikularbeiträge immer als subsidiäre Deckungsmittel zur Verfügung standen, so war die Neigung, Reichssteuern einzuführen, eine geringe. Dazu kam die Unklarheit über den Begriff „Reichssteuern“, infolgedessen jede Partei aus dem Worte herauslas, was sie wünschte. Die einen fanden, daß darunter im Gegensatz zu den indirekten Verbrauchssteuern nur direkte Steuern zu verstehen seien. Und zwar dachten die Vertreter des wirtschaftlichen Liberalismus, die damals die Mehrheit im Reichstage hatten, an die allgemeine progressive Einkommensteuer, die nach englischem Muster alljährlich zu bewilligen wäre. Die Reichsregierung selbst verstand darunter, wie die Folge zeigt, nur indirekte Steuern. Wieder andere waren der Meinung, daß unter Reichssteuern im Gegensatze zu den bisherigen durch die Bundesstaaten eingezogenen gemeinsamen Verbrauchssteuern solche zu verstehen seien, die unmittelbar vom Reiche erhoben werden, gleichviel, welche Art von Steuern es sei. [245] Der lange wogende Streit, der der Sache selbst nicht förderlich war, ist allmählich der besseren Einsicht gewichen, daß nach dem Wortlaute der Verfassung an sich alle Arten von Steuern dem Zugriff des Reiches offenstehen. Die Steuergesetzgebung der letzten Jahre hat dieser Anschauung auch praktische Geltung verschafft, zuerst durch Einführung der Erbschaftssteuer im Jahre 1906, die die Wissenschaft wenigstens übereinstimmend als direkte Steuer bezeichnet, dann der Wertzuwachssteuer von 1911, und vor allem der erst kürzlich bewilligten Besitzsteuer und des Wehrbeitrags. Daß das Reich tatsächlich bis zur Finanzreform von 1906 nur Verbrauchs- und Verkehrssteuern hatte, hat seine guten Gründe, von denen nachher die Rede sein wird.
Die Zoll- und Steuerreformen von 1879–87.
Die Steuerausrüstung des Reiches bald nach seiner Gründung war also in keiner Weise den Anforderungen gewachsen, welche die rasch sich erweiternden Aufgaben stellten. Die Zölle waren um 1878 infolge des freihändlerischen Tarifs auf einen Mindestbetrag von 100 Mill. M. gesunken, die Tabaksteuer brachte kaum 1 Million, die Rübenzuckersteuer zwischen 40 und 50, die Salzsteuer etwa 33, die Branntweinsteuer 35, die Brausteuer 15, die Wechselstempelsteuer 6 Mill. M. Die ganze Steuereinnahme betrug damals etwa 240 Mill. M. Zu ihrer Ergänzung mußten die Matrikularbeiträge in der beträchtlichen Höhe von gegen 90 Millionen herangezogen werden, und schon meldeten sich die ersten Anleihen, mittels deren man 1876–78 131 Millionen deckte. Bei dem Wachsen der Ausgaben drohte eine neue Erhöhung der Matrikularbeiträge, die schon aus politischen Gründen vermieden werden mußte. Die wirtschaftliche Depression ließ eine Abkehr vom Freihandelssystem angezeigt erscheinen, die auch den Finanzen zugute kommen sollte. Daneben sollten noch andere Einnahmequellen eröffnet, Bier, Tabak und Branntwein stärker herangezogen, eine Spielkartensteuer und Stempelabgabe eingeführt werden. Auf die Zoll- und Finanzreform von 1873 setzte die Reichsregierung große Hoffnungen: durch sie sollte nicht nur der Bedarf des Reiches ausreichend befriedigt, sondern auch die Landesfinanzen dotiert werden. Aber der große Finanzplan kam nur in stark verstümmelter Gestalt zur Ausführung. Zwar der Zolltarif erlangte in der Hauptsache die Zustimmung des Reichstages, auch der Spielkartenstempel wurde angenommen, die Brausteuererhöhung jedoch fiel ganz und Tabakzoll- und -steuer wurden gegenüber den Vorschlägen wesentlich erniedrigt. Da aber die Ausgaben des Reiches weiter wuchsen, so mußte man schon 1880 und 1881 auf weitere Vermehrung der Reichssteuern bedacht sein. Aber auch diesmal wurde nur der kleinere Teil der Anforderungen bewilligt. Die Tabakwertsteuer wurde 1881, das Tabaksmonopol 1882, die Erhöhung der Biersteuer 1880 und 1881 abgelehnt, nur eine niedrige Steuer auf Aktien, Renten- und Schuldverschreibungen, Schlußnoten und Lotterielose fand Annahme. Und zunächst ging es so auch; denn allmählich mit der Besserung der Wirtschaftsverhältnisse und infolge der Erhöhung des Zolltarifs in den Jahren 1885 und 1887 stiegen die Einnahmen, so daß den Bundesstaaten erhebliche Überschüsse zugewiesen werden konnten. Freilich mußten daneben seit 1879 durchschnittlich 43,8 Mill. M. Schulden im Jahr aufgenommen werden.
Inzwischen waren aber die fortdauernden und einmaligen Ausgaben neuerdings [246] stark gewachsen; von Frankreich her drohte der Krieg; neue Heeresausgaben waren erforderlich. Schon 1886 war dem Reichstag der Entwurf eines Branntweinmonopols und nach dessen Ablehnung zwei Entwürfe über Umgestaltung der Branntweinsteuer zugegangen. Aber erst ein vierter Entwurf, der eine Branntweinverbrauchsabgabe in Verbindung mit einer verbesserten Maischbottichsteuer zur Einführung bringen sollte, aber einen sehr viel kleineren Ertrag in Aussicht stellte, fand die Zustimmung des Reichstages. Immerhin wurde dadurch die bestehende ungenügende Branntweinbesteuerung zweckentsprechender weitergebildet und deren Vereinheitlichung für das ganze Reich erreicht. Die drohende Kriegsgefahr vermochte den Reichstag auch zu einer Reform der Zuckersteuer, die nun aus einer Rohmaterialsteuer in eine Fabrikatsteuer in Verbindung mit einer abgeminderten Materialsteuer umgebildet wurde.
Das Steuerwesen von 1888–1906.
Zur Zeit, als Kaiser Wilhelm II. die Regierung antrat, schien das Ziel des Fürsten Bismarck, das Reich finanziell auf eigene Füße zu stellen, trotz der Minderbewilligungen, erreicht. Es kamen infolge der günstigen Wirtschaftskonjunktur fünf fette Jahre, in denen den Einzelstaaten große Überschüsse aus Reichsmitteln zuflossen, nämlich 397 Mill. M. in den Jahren 1888–92. Aber der Segen war nicht von Bestand. Die Ausgaben waren in unaufhörlichem Steigen begriffen und 1893 mußten die Bundesstaaten wieder um 30 Mill. M. mehr an Matrikularbeiträgen zahlen, als sie an Überweisungen erhielten. Bereits 1891 wurde eine Reform der Zuckersteuer im Sinne einer reinen Fabrikatsteuer beschlossen, wobei sich freilich die Regierung mit einem niedrigeren Steuersatz als dem vorgeschlagenen begnügen mußte. Da der Militärbedarf und die Reichszuschüsse zur Alters- und Invalidenversicherung von 1889 neue Ausgaben und die neuen Handelsverträge starke Mindereinnahmen an Zöllen in Aussicht stellten, die Schuldzinsen seit 1887 rasch zunahmen, so mußte man neuerdings auf die Suche nach Einnahmen gehen. Nachdem, wie üblich, weitergehende Vorschläge der Reichsregierung abgelehnt worden waren, wurde durch Erhöhung der Reichsstempelabgaben im Jahre 1894 dem augenblicklichen Bedürfnis notdürftig genügt. Die in den Jahren 1893 und 1894 gemachten Versuche der Reichsregierung, die ganz unzulängliche Tabaksteuer durch eine Fabrikatsteuer zu ersetzen, und eine Weinsteuer einzuführen, scheiterten an dem Widerstande des Reichstages. Das finanzielle Ergebnis der Bemühungen der Reichsregierung um Erschließung neuer Einnahmequellen war demnach recht dürftig und würde nicht annähernd ausgereicht haben, den Bedarf des Reiches zu befriedigen, wenn nicht die günstige Konjunktur der 1890er Jahre ein starkes Anwachsen der bisherigen Abgaben begünstigt hätte. Die Zollerträge stiegen 1894–98 um etwa 100 Mill. M., der Ertrag der Zuckersteuer um nahezu 20, der Reichsstempelabgaben um 32 Millionen. Da auch die Posteinnahmen sich erhöhten, so gelang es, nicht nur den inzwischen auf 976 Mill. M. angewachsenen Bedarf zu decken, sondern auch 1895–98 durchschnittlich 16 Millionen pro Jahr an die Bundesstaaten zu überweisen und sogar 143 Millionen für Schuldentilgung zu verwenden. Rein äußerlich betrachtet, sieht der Finanzzustand des Reiches um jene Zeit nicht ungünstig aus. Die Einnahmen waren 1887–1900 von 309 auf 974 Millionen gestiegen; die Gliedstaaten hatten über [247] 500 Millionen Überweisungen eingeheimst. Es scheint, als ob die Zurückhaltung des Reichstages in der Genehmigung von Einnahmen berechtigt gewesen sei. Allein es scheint nur so; denn zu gleicher Zeit ist die Reichsschuld von 139 auf 2223 Mill. M. gestiegen. Und ein großer Teil der Schulden hätte nach gesunden Finanzgrundsätzen aus laufenden Einnahmen bestritten werden sollen und auch können, wenn nicht die verfehlte Überweisungspolitik und die unkluge Sparsamkeit des Reichstags es vereitelt hätte.
Von 1899 ab gerieten die Finanzen des Reichs in immer größere Verwirrung. Erhöhte Ausgaben für Stärkung der Seewehr führten zwar zur Einführung der Schaumweinsteuer und zur Erhöhung der Reichsstempelabgaben, allein die Einnahmen reichten nicht aus zur Deckung des Bedarfs. Der stark schutzzöllnerische Zolltarif des Reiches versprach zwar neue Einnahmen; die Handelsverträge minderten jedoch das Erträgnis, und zudem waren auf Antrag des Abgeordneten Trimborn zwei Drittel des Mehrertrags der Lebensmittelzölle für die geplante Hinterbliebenenversicherung festgelegt worden. Da die übrigen Einnahmequellen kaum zunahmen, so waren Defizite unvermeidlich. Von Überweisungen war keine Rede mehr, vielmehr mußten die Bundesstaaten 1899–1905 durchschnittlich 20 Mill. M. Matrikularbeiträge effektiv leisten. Im Jahre 1905 betrug das Defizit 125 Millionen. Die Schuldenlast war in dieser Zeit um 800 Millionen angewachsen. Die sog. kleine Finanzreform vom 15. Mai 1904, welche die Überweisungen einschränkte und etwaige Überschüsse zur Deckung des außerordentlichen Bedarfs bestimmte, konnte mangels solcher Überschüsse keine Abhilfe bringen. Nur eine kräftige Steuervermehrung konnte sie schaffen.
Die sog. große Finanzreform des damaligen Reichsschatzsekretärs Freih. v. Stengel vom Jahre 1906 hatte ein dreifaches Ziel: neue Einnahmen zu schaffen, der Schuldenmehrung steuern und das finanzielle Verhältnis der Einzelstaaten zum Reich fester abzugrenzen. Im ganzen war ein jährlicher Mehrbetrag von rund 250 Mill. M. erforderlich, teils zur Beseitigung des ständigen Defizits, teils zur Verstärkung der Flotte, zur Erhöhung der Friedenspräsenzstärke und der Militärpensionen, zur Entlastung des Invalidenfonds und für andere Ausgaben. Zur Deckung war in Aussicht genommen: Umgestaltung und Erhöhung der Brausteuer, Erhöhung der Tabaksteuer, Einführung einer Zigarettensteuer, einer Steuer vom Fracht- und vom Reiseverkehr, einer Quittungs-, Automobil- und Reichserbschafts- und Schenkungssteuer. Von diesen Steuern wurde die Erhöhung der Tabaksteuer und des Quittungsstempels abgelehnt, die Brau- und die Frachturkundensteuer erheblich abgemindert, die Steuer vom Reiseverkehr erhöht, die Zigaretten-, Erbschafts- und Automobilsteuer im wesentlichen nach Antrag genehmigt und aus eigener Initiative des Reichstags eine Tantiemesteuer, Erhöhungen im Reichsstempelgesetz und des Ortsportos hinzugefügt. Die Matrikularbeiträge sollten, soweit sie 24 Mill. M. überstiegen, den Bundesstaaten auf drei Jahre gestundet werden. Diese Reform fand ihren Niederschlag in verschiedenen Gesetzen vom 3. Juni 1906.
Die Finanzreformen von 1909 und 1913.
Allein schon 3 Jahre darauf mußte man zu einer neuen, noch größeren Finanzreform schreiten. Es war für die nächsten 6 Jahre ein Mehrbedarf von je 400–500 [248] Mill. M. errechnet worden. Die Ursachen hiefür waren verschiedene: teils wirklicher Mehrbedarf, teils Ausfälle an den Einnahmen. Einen erheblichen Mehrbedarf verursachte die Erhöhung der Beamtengehälter und der Mannschaftslöhne, die offenstehenden Posten für Teuerungszulagen von 1907 und 1908, die Aufzehrung des Invalidenfonds, der jährliche Zuschuß für die Hinterbliebenenversicherung. Die Mindereinnahmen waren veranlaßt durch die Minderbewilligung des Reichstags und dadurch, daß die neuen Einnahmequellen hinter den Erwartungen stark zurückblieben. Wozu noch kam, daß auch die alten Einnahmen stagnierten. Die gesamten Reichseinnahmen betrugen nach dem Voranschlag von 1908 nur etwa 200 Mill. M. mehr als 1904, während die ordentlichen Ausgaben in derselben Zeit von 1124 auf 1557 Millionen angewachsen waren. Auch die Stundung der Matrikularbeiträge hatte sich als verfehlt erwiesen und nur die Schuldenlast vermehrt. Endlich wollte die Reichsregierung die Zuckersteuer, einem Versprechen gemäß, ermäßigen und die unpopuläre Fahrkartensteuer aufheben.
Die parlamentarischen Verhandlungen, die sich an die Vorschläge der Reichsregierung knüpften, sind wohl noch in aller Erinnerung und bedürfen keiner eingehenden Darstellung. Nur die wichtigsten Tatsachen seien hervorgehoben. Zur Deckung des Mehrbedarfs hatten die verbündeten Regierungen vorgeschlagen: Erhöhung der Branntweinsteuer mittels eines Zwischenhandelsmonopols sowie der Brausteuer, Einführung einer Tabakfabrikatsteuer, einer Weinsteuer, einer Nachlaßsteuer in Verbindung mit einer Wehrsteuer, einer Gas- und Elektrizitäts- und einer Anzeigensteuer, Einführung eines Erbrechts des Staates. Die große Mehrheit des Reichstags war darüber einig, daß die Finanzreform ohne stärkere Belastung des Bieres, Branntweins und Tabaks nicht durchgeführt werden könne; aber nur die Biersteuer wurde in der vorgeschlagenen Form genehmigt. An Stelle der Tabakfabrikatsteuer trat eine kleine Erhöhung der inländischen Rohmaterialsteuer und eine Wertsteuer von ausländischen Fabrikaten, an Stelle des Zwischenhandelmonopols beim Branntwein eine Weiterbildung der bestehenden Steuer. In beiden Fällen war mit Mindererträgen zu rechnen. Die Inseratensteuer fiel unter dem Ansturm der in ihren Interessen bedrohten Presse; die Gas- und Elektrizitätssteuer wurde in eine Leuchtmittelsteuer umgewandelt. Die Nachlaßsteuer bzw. die später an ihrer Stelle in Vorschlag gebrachte Erbanfallsteuer (allgemeine Erbschaftssteuer), um die ein heftiger, mit Leidenschaft geführter Kampf zwischen den linksstehenden Parteien einerseits, dem Zentrum und den Konservativen andererseits entbrannte, fiel ebenso wie das staatliche Erbrecht. An Stelle der Weinsteuer wurde lediglich eine Erhöhung der Schaumweinsteuer bewilligt. Zur Deckung der Ausfälle, die durch die Minderbewilligungen und Ablehnungen entstanden, wurden verschiedene zum Teil bedenkliche Steuervorschläge gemacht, schließlich einigten sich die rechtsstehenden Parteien, die in der Hauptsache die Reform durch Mehrheitsbeschlüsse machten, auf eine Erhöhung des Effektenstempels, einen Grundstückumsatzstempel, eine Steuer von Gewinnanteilscheinen und Zinsbogen, eine Erweiterung des Wechselstempels, eine Schecksteuer und eine Zündwarensteuer. Weitere Mittel sollten die Erhöhung des Kaffee- und Teezolles bringen; die geplante Aufhebung der Fahrkartensteuer unterblieb, die Ermäßigung der Zuckersteuer wurde auf weitere 5 Jahre verschoben. Endlich wurden die Matrikularbeiträge verdoppelt [249] und der Anteil der Bundesstaaten an der Reichserbschaftssteuer gekürzt. In verschiedenen Gesetzen vom 15. Juli 1909 fand diese Reform ihren Ausklang. Prüft man sie auf ihr Ergebnis etwa nach der Rechnung von 1911, so findet man, daß auch sie die Erwartungen nicht erfüllt hat. Statt der aus den neuen Steuern erhofften rund 420 Mill. M. sind 1911 nicht ganz 300 Mill. M. angefallen, und nur die günstige Entwicklung anderer Einnahmequellen, namentlich der Zölle, und einige Minderausgaben haben den Bedarf zu decken gestattet und sogar erhebliche Überschüsse gebracht. Das Etatsjahr 1911 schloß mit einem Überschuß von 249, das Jahr 1912 mit einem solchen von 77 Mill. M. ab. Leider werden diese Überschüsse, statt zur außerordentlichen Schuldentilgung Verwendung zu finden, wie dies den 1904 beschlossenen Grundsätzen entsprochen hätte, größtenteils von den neuen Rüstungsausgaben verschlungen. Ergänzend muß bemerkt werden, daß inzwischen die Steuereinnahmen des Reiches eine Mehrung erfahren haben durch die durch Gesetz vom 24. Februar 1911 erfolgte Einführung einer Steuer vom unverdienten Wertzuwachs von Grundstücken und Gebäuden, und daß die Branntweinsteuer, im Sinne oft geäußerter Wünsche, durch Gesetz vom 14. Juni 1912 vereinfacht und von wesentlichen Mängeln gereinigt worden ist.
Die neuen Wehrvorlagen dieses Jahres mit dem Jahresbedarf von 186 und dem einmaligen Aufwand von rund 900 Mill. M. haben die Reichsregierung, wie oben bereits erwähnt wurde, vor eine außerordentlich schwere Aufgabe in bezug auf deren Deckung gestellt. Die rücksichtslose Ausnützung des Kredits in der bisherigen Finanzgebarung ließ dessen weitere Beanspruchung untunlich erscheinen, zumal Anleihen zurzeit nur unter schlechten Bedingungen hätten aufgenommen werden können. Eine weitere Belastung des Verbrauchs hätte im Reichstage und den breiten Wählermassen den größten Widerstand hervorgerufen. So blieb nichts übrig, als unter Preisgabe alter Anschauungen und Gewohnheiten in die bisher geschonte Domäne der Einzelstaaten einzufallen und den Versuch zu machen, mittels direkter Steuern den Bedarf aufzubringen. Die Vorschläge der Regierung verdienen Anspruch auf das oft mißbrauchte Wort „Großzügigkeit“. Die Verhandlungen, die um die Vorlagen geführt wurden und der Inhalt der Hauptgesetze sind in der Öffentlichkeit so viel erörtert worden, daß sich ein Eingehen in Einzelheiten erübrigt; nur die wesentlichsten Punkte seien kurz skizziert.
Die einmalige Ausgabe von rund 900 Mill. M. soll durch den Wehrbeitrag bestritten werden, einer einmaligen außerordentlichen Abgabe von allem Vermögensbesitz von über 10 000 M. und von allem Einkommen von über 5000 Mk., soweit letzteres nicht schon als Ertrag von Vermögen getroffen ist. Beitragsfrei sind Möbel, Hausrat u. dgl.; in gewissen Fällen treten Erleichterungen ein. Die Steuersätze sind nach der Größe des Vermögens und Einkommens gestaffelt und bewegen sich dort zwischen 0,15 und 1,5, hier zwischen 1 und 8%. Die Entrichtung des Wehrbeitrags ist auf die 3 Jahre 1914–1916 verteilt. Die Veranlagung und Erhebung obliegt den Einzelstaaten. Die fortlaufenden Ausgaben mit 186 Mill. M. werden durch die sog. Besitzsteuer aufgebracht, die alle 3 Jahre von der in diesem Zeitraum erfolgten Vermögensmehrung zur Erhebung gelangt. Sie ist ihrem Wesen nach also eine [250] Vermögenszuwachssteuer und trifft wie der Wehrbeitrag Vermögen allerart. Vermögen bis 20 000 M. und Zuwachse bis 10 000 M. einschließlich bleiben steuerfrei. Die Steuer beginnt mit 0,75 und erreicht bei einem Zuwachs von mehr als 1 Mill. M. 1,50%; dazu tritt ein nach der Größe des Vermögensbesitzes abgestufter Zuschlag von 0,1–1 v. H. Auf dem Wege der Zuwachssteuer ist nun auch die vielumstrittene Besteuerung der Erbschaftsanfälle an Abkömmlinge erreicht, insofern diese gleichermaßen wie sonstige Vermögensmehrungen getroffen werden. Die Veranlagung und Erhebung ist gleichfalls den Bundesstaaten übertragen. Die erste Feststellung des Vermögenszuwachses erfolgt am 1. April 1917 für den in der Zeit vom 1. Januar 1914 bis 31. Dezember 1916 entstandenen Zuwachs. Als Wert des steuerbaren Vermögens am 1. Januar 1914 gilt der nach dem Wehrbeitragsgesetz festgestellte. Die Entrichtung der Steuer geschieht in drei Jahresraten. Von dem Wehrbeitrag wird ein Ertrag von etwa 1000 Mill. M. erwartet, wovon 880 aus der Besteuerung der Vermögen physischer Personen, 40 Millionen aus der der Aktiengesellschaften und 80 Millionen aus Einkommen fließen sollen. Die Besitzsteuer soll etwa 100 Mill. M. im Jahr erbringen, davon 41,5 Millionen aus Erbschaften. Da der Ertrag der Besitzsteuer allein nicht ausreichen würde, um den ganzen fortdauernden Aufwand zu decken, so müssen noch andere Einnahmequellen herangezogen werden. Als solche sollen dienen 1. eine Erhöhung der Sätze der Erbschaftssteuer, sowie des Reichsanteils an dieser von ¾ auf 4/5, die 10 Millionen erbringen soll, 2. eine Vermehrung der Stempelsteuern in Form der Besteuerung von Gesellschafts- und von Versicherungsverträgen, von der 50 Millionen erwartet werden, 3. ein Plus an laufenden Einnahmen von 16 Millionen. Ferner soll die Zuckersteuer, deren Abminderung beschlossen war, in der bisherigen Höhe weitererhoben werden, was einer Mehreinnahme von 40 Millionen gleichkommt; desgleichen der provisorische Zuschlag zum Grundstückumsatzstempel bis zum Ende des Rechnungsjahres 1916. Diese Beträge mit insgesamt 216 Mill. M. mindern sich aber um 20 Millionen wegen Aufhebung des Reichsanteils an der Wertzuwachssteuer und vom 1. Januar 1917 ab um weitere 3 Millionen wegen Aufhebung der Schecksteuer, so daß 193 Millionen verbleiben, die auch, falls die Annahmen zutreffen, ausreichen würden, um den Jahresbedarf von 186 Millionen zu decken. Allein ein Teil dieser Einnahmen, namentlich die Einnahme aus der Besitzsteuer, werden erst später flüssig, während bereits in diesem und den folgenden Jahren mit erheblichen Mehrausgaben zu rechnen ist. Ihre Deckung soll in der Hauptsache erfolgen durch den den Bedarf übersteigenden Mehrertrag des Wehrbeitrags und durch den Überschuß des Jahres 1912 und etwa der folgenden Jahre.
Matrikularbeiträge und Überweisungen.
Bevor in eine kritische Würdigung der Steuerverhältnisse des Reiches eingetreten werden soll, muß auch der Entwicklung der Matrikularbeiträge und des Schuldenwesens gedacht werden, denn sie stehen mit jenen in enger Verbindung, und manche Fehler und Mißgriffe im Steuerwesen finden ihre Erklärung in dem Anleihegebaren und in der verkehrten Behandlung der Matrikularbeiträge.
Die Matrikularbeiträge wurden als bequemes Aushilfsmittel aus der Verfassung [251] des Norddeutschen Bundes in die Reichsverfassung übernommen. Sie waren als Provisorium gedacht, solange es an anderen genügenden Einnahmen fehlte. Ihre Berechtigung soll nicht bestritten werden, wenn es sich darum handelt, die geringen Bedürfnisse eines lockeren Staatenbundes zu befriedigen. Für einen stark zentralisierten Bundesstaat mit so großen Aufgaben wie das Deutsche Reich sind sie ungeeignet. Ganz abgesehen davon, daß ihre Verteilung nach der Kopfzahl den einen Staat mehr als den anderen belastet, bereiten sie den einzelstaatlichen Finanzwirtschaften große Ungelegenheiten, und zwar um so größere, je mehr sie schwanken und je höher sie sind. Fürst Bismarck hat ihre ungünstigen politischen Wirkungen nicht verkannt, und die Reichsregierung hat es von Anfang an nicht an Bemühungen fehlen lassen, sie zu beseitigen. Schon die Zoll- und Finanzreform von 1879 sollte sie entbehrlich machen, ja nach dem Gedanken des Reichskanzlers das bisherige Verhältnis in das Gegenteil verkehren und den Bundesstaaten Zuschüsse aus Reichsmitteln gewähren. Dieser Gedanke ist dann auch erreicht worden, aber in einer Weise, die keineswegs in der Absicht der Reichsregierung gelegen war. Durch die Beseitigung der Matrikularbeiträge drohte nämlich dem Reichstag das Recht der Einnahmebewilligung zu entgleiten, das er durch deren jährliche Festsetzung ausgeübt hatte. Darin erblickte man eine konstitutionelle Gefahr, die abzuwenden für notwendig erachtet wurde. Zu diesem Zwecke wies man nach der Franckensteinschen Klausel zum Zolltarifgesetz von 1879 den 130 Mill. M. übersteigenden Betrag der Zölle und Tabaksteuer an die Bundesstaaten und erreichte damit, daß die eigenen Einnahmen des Reiches zur Befriedigung seines Bedarfs nicht ausreichten, also nach wie vor jährlich Matrikularbeiträge bewilligt werden mußten. Diese Regelung hat die konstitutionellen Garantien nicht verstärkt, dagegen viel Verwirrung formeller und materieller Art in den Finanzen des Reiches angerichtet. Sie hat zu unnützen Hin- und Herschiebungen von Geldern, zur Verschleierung der tatsächlichen Finanzverhältnisse geführt und es verhindert, daß das Reich finanziell selbständig wurde. Sie hat auch auf die Bundesstaaten keinen günstigen Einfluß ausgeübt. Denn sie hat ihnen Mittel zugeführt, die nicht immer eine zweckmäßige Verwendung gefunden haben, während sie in der Hand des Reiches der Zunahme der Schulden gesteuert hätten. Soweit die Bundesstaaten mit ihnen laufende Ausgaben bestritten und ihre Budgets bilanzierten, mußten große Verlegenheiten entstehen, als sie wieder abnahmen und versiegten.
Als dem Reiche später weitere Einnahmequellen erschlossen wurden, mußte man, auf der betretenen Bahn fortschreitend, auch diese ganz oder teilweise den Bundesstaaten überweisen, um das künstliche Defizit aufrecht zu erhalten. Im Jahre 1904 machte man dem Reichstage das Zugeständnis, die Matrikularbeiträge aus einer vorläufigen in eine dauernde Einrichtung zu verwandeln. Der Ausweg, zu dem man im Jahre 1906 griff, um den Bundesstaaten die Last zu erleichtern, nämlich die Matrikularbeiträge, soweit sie den Betrag von 40 Pf. pro Kopf der Bevölkerung überstiegen, auf 3 Jahre zu stunden, erwies sich als verfehlt; denn die gestundeten Matrikularbeiträge erreichten damals eine Höhe, daß sie auch nach 3 Jahren von den Bundesstaaten nicht bezahlt werden konnten, ohne deren Finanzwesen schwer zu erschüttern. [252] Die Finanzreform von 1909 hat sie dann auch auf das Reich übernommen, der zu leistende Beitrag wurde aber auf 80 Pfennige pro Kopf erhöht. Eine Verbesserung besteht darin, daß zugleich den Bundesstaaten einige Sicherheit gegeben wurde, daß dieser Betrag zunächst nicht überschritten werden würde, und daß das Überweisungswesen eine wesentliche Vereinfachung erfuhr. Wenn nun auch die Matrikularbeiträge zunächst begrenzt sind, so bestehen sie doch, Erhöhungen sind rechtlich nicht ausgeschlossen, und sie schweben demnach wie ein Damoklesschwert über den Bundesstaaten. Nachdem sie nun einmal aus einer provisorischen eine ständige Einrichtung geworden sind, müßte wenigstens eine Festlegung ihres Höchstbetrags auf eine längere Zeitperiode erfolgen, zum Heile der Bundesstaaten, die vor Überraschungen gesichert wären, und des Reiches, das zur finanziellen Selbständigkeit geführt würde.
Das Schuldenwesen.
Im Jahre 1875 war das Reich noch schuldenfrei. Dann begann das Schuldenmachen, anfangs in mäßigen Beträgen, dann in immer größeren. Die 8 Jahre 1887–94 brachten allein eine Schuldenvermehrung von 486 auf 2081 Mill. M., was eine jährliche Zuwachsrate von rund 200 Millionen bedeutet. Es geschah dies in einer Zeit, in der über 500 Mill. M. „Überschüsse“ an die Bundesstaaten abgeführt wurden. Von da bis 1898 wuchs die Schuld mäßig, jährlich um etwa 35 Millionen, so daß der Schuldenstand sich damals auf 2223 Millionen belief. Davon entfielen 1848 Millionen auf die Landesverteidigung, nämlich 1502 auf das Heer, 346 auf die Flotte. Der Rest verteilt sich mit 117 Millionen auf die Reichseisenbahnen, 75 auf die Post- und Telegraphenverwaltung, 105 auf den Nordostkanal, 52 auf die Kosten des Zollanschlusses von Bremen und Hamburg, 46 auf das Münzwesen. Nur ein recht kleiner Teil der Schulden ist demnach für werbende Anlagen verwendet worden. Im Jahre 1900 betrugen die Schulden mit Einschluß von 80 Mill. langfristiger Schatzanweisungen 2395 Millionen. Dann setzt neuerdings eine Periode starker Verschuldung ein, so daß 1907 mit Einrechnung von 100 Millionen langfristiger Schatzanweisungen von 1904 der Schuldenstand 4004 Millionen betrug. Allerdings fallen in diese Zeit die Kriegsausgaben für Ostasien und Südwestafrika mit 717 Millionen, deren Übernahme auf Anleihen unvermeidlich war. Am 31. März 1912 war der Stand der Reichsanleihen 4,802 Milliarden M., darunter 220 Mill. M. verzinsliche Schatzanweisungen. Etwa 600–700 Millionen der Schulden entfallen auf werbende Anlagen, davon wieder über 300 Millionen auf die Eisenbahnen. Seit dem Jahre 1888, in dem 721 Mill. M. Schulden vorhanden waren, stieg also die Schuldenlast um rund 4,1 Milliarde oder 170 Millionen im Jahr. Entsprechend dem Anwachsen der Schulden ist auch die Zinsenlast gestiegen: 1888 erforderte die Verwaltung und Verzinsung 29 Millionen, 1913 stehen dafür 178,5 Millionen im Voranschlag.
Bis zum Jahre 1901 fehlte es an allen Grundsätzen im Anleihewesen, und die Verhältnisse drängten ja auch zu einer laxen Handhabung. Zahlreiche Ausgaben im ordentlichen Etat, die durch ordentliche Einnahmen hätten gedeckt werden sollen, wurden als außerordentliche behandelt und auf Anleihen übernommen. Es hat auch nicht an der Erkenntnis der Mißstände gefehlt; seit Ende der 1880er Jahre war die Finanzverwaltung [253] bestrebt, zu einer sorgfältigeren Scheidung der ordentlichen und außerordentlichen Ausgaben zu gelangen, aber es fehlten die Mittel, gelegentlich auch die Kraft, der Erkenntnis gemäß zu verfahren. Erst im Jahre 1900 erwachte das Gewissen und die Überzeugung, daß es nicht so weitergehen könne. Damals ersuchte der Reichstag die Regierung, Grundsätze darüber aufzustellen, welche Ausgaben aus Anleihemitteln gedeckt werden dürfen. Sie wurden genau für die Verwaltung des Reichsheeres, der Marine, der Eisenbahn- und Postverwaltung bezeichnet und waren geeignet, Ordnung anzubahnen. Man hat berechnet, daß, wenn diese Grundzüge seit Beginn der Verschuldung eingehalten worden wären, von den bis 1894 aufgenommenen 1740 Mill. M. Reichsanleihen 865 Millionen aus laufenden Einnahmen zu decken gewesen wären. Wären die Überweisungen der Jahre 1883–92 mit über 500 Mill. M., dann diejenigen von 1896–98 mit rund 60 Millionen dem Reiche verblieben, wäre rechtzeitig eine Einnahmemehrung seitens des Reichstags bewilligt worden und, was an Zinsen gezahlt werden mußte, den eigentlichen Ausgaben zugute gekommen, so hätte sich das Reich ohne allzu große Belastung der Steuerzahler bis Anfang dieses Jahrhunderts so ziemlich schuldenfrei halten können. Es wäre dann nicht notwendig gewesen, die ganze Last der Rüstungsausgaben von 1913 der Gegenwart aufzubürden. Aber auch nachdem die Grundsätze aufgestellt waren, wurde es zunächst nicht anders; denn man konnte sie nicht befolgen. Teils waren die Kriegsausgaben zu bestreiten, von denen oben die Rede war, teils waren bedeutende Ausgaben für Heer und Flotte, für die Eisenbahn- und Postverwaltung nötig, für die es gänzlich an Mitteln fehlte. Mußten doch in dieser Zeit für 141 Millionen Zuschußanleihen aufgebracht werden, um Defizite im ordentlichen Etat zu decken. Im Zusammenhang mit der Finanzreform von 1906 sollte auch das Schuldenwesen gebessert werden; von 1908 ab sollte die Anleiheschuld mit mindestens 3/5%, des jeweiligen Schuldbetrags getilgt werden. Aber bei dem kläglichen finanziellen Ergebnis dieser Reform mußte diese Vorschrift auf dem Papier bleiben. Endlich ist ein neues Tilgungsgesetz im Zusammenhang mit der Finanzreform von 1909 ergangen. Darnach sollen die früheren Vorschriften über die Tilgung solcher Anleihen, die zu werbenden Zwecken eingegangen sind, in Kraft bleiben; zur Tilgung der bis 30. September 1909 begebenen sonstigen Anleihen ist jährlich mindestens 1% des an diesem Tage vorhandenen Schuldkapitals zu verwenden; die Tilgung der vom 1. Oktober 1910 ab aufgenommenen Schulden hat zu geschehen: bei Anleihen für werbende Zwecke mit mindestens 1,9%, im übrigen mit mindestens 3%, in beiden Fällen unter Hinzurechnung der ersparten Zinsen. Da aber auch Abschreibungen vom Anleihesoll und Anrechnung auf offene Kredite bis zur Höhe der zur Schuldentilgung zur Verfügung stehenden Beträge einer Tilgung gleich geachtet werden sollen, so ist bei der stets gegebenen Veranlassung zur Aufnahme neuer Schulden eine ergiebige Verminderung des Schuldenstandes kaum zu erhoffen.
3. Abschließende Betrachtungen.
An diese kurzen geschichtlichen Darlegungen, die unumgänglich sind, um ein Bild von den Finanzen und Steuern des Reiches in der Zeit von 1888 bis zur Gegenwart zu geben, sollen einige kritische Betrachtungen sich anschließen.
[254] Von Finanzreformen spricht man eigentlich solange das Reich besteht; größere und kleinere wechseln miteinander ab und folgen sich in immer kürzeren Zwischenpausen. Wie kommt dies? Liegt dies in der Natur der Einnahmen des Reiches oder haben andere Ursachen dieses endlose Drama, wie es G. Cohn einmal nennt, verursacht?
Es war sozusagen natürlich, daß das Reich sein Einnahmewesen zunächst auf Zölle und einige Verbrauchssteuern gründete, die schon im Zollverein und im Norddeutschen Bund die gemeinsamen Einnahmen bildeten. Ihre Verwendung für das Reich störte das Finanzwesen der Einzelstaaten nicht, verhütete Reibungen und Rivalitäten, wie sie leicht entstehen konnten, wenn das Reich Steuern für sich in Anspruch genommen hätte, die den Haushalt der Gliedstaaten alimentierten. Zudem waren Zölle, Verbrauchs- und die bald hinzutretenden Verkehrssteuern in Deutschland noch wenig entwickelt und also ausbaufähig. Sie ergaben im Jahre 1875 in England 27,28, in Frankreich 25,83 M. auf den Kopf der Bevölkerung, im Deutschen Reich einschließlich der Bundesstaaten etwa 7 M. Von den gesamten Einnahmen entfielen im gleichen Jahre in Frankreich 43,4, in England 58,6, in Deutschland kaum 20% auf sie. Man wird also zugeben müssen, daß sie im Vergleich mit diesen beiden anderen Staaten einer Steigerung fähig waren. Aber die Verhältnisse waren ihrem Ausbau nicht günstig. In Frankreich und England stammt ihre ergiebige Ausnützung aus einer Zeit, in der man eine kräftige Besteuerung des Massenkonsums von entbehrlichen Genußmitteln als selbstverständlich ansah und das bestechende Schlagwort vom Pfeifchen des armen Mannes noch nicht geprägt war. Die ersten Jahre nach der Gründung des Deutschen Reiches aber standen unter der Herrschaft des volkswirtschaftlichen Kongresses, dessen Anhänger dem Staat überhaupt nur ein Mindestmaß der Betätigung gestatten wollten, und, wenn Steuern bewilligt werden sollten, nur für die allgemeine Einkommensteuer und vielleicht auch die Vermögenssteuer zu haben waren, also Steuern, die in jener Zeit verfrüht und für das Reich aus politischen und wirtschaftlichen Gründen unerreichbar waren.
Die tatsächlichen Verhältnisse, die Änderungen in den wirtschaftlichen Anschauungen und in den Parteigruppierungen sind über jene Doktrinen hinweggeschritten. In der Zollpolitik mußte die freihändlerische Richtung der schutzzöllnerischen weichen. Das Wachsen der Reichsausgaben war so wenig aufzuhalten, wie ein weiteres Ausnützen der Verbrauchssteuern und ein Zugriff auf Verkehrssteuern. Aber mit unsäglicher Mühe und der fruchtlosen Arbeit vieler Jahre mußten die Mittel den gesetzgebenden Faktoren abgerungen werden. Immanent schien dem Reichstag das Mißtrauen gegen die Forderungen der Reichsregierung. Nur nicht zu viel bewilligen, war die Losung. Und da dann immer zu wenig bewilligt und das Bewilligte durch die Franckensteinsche Klausel künstlich verringert wurde, so standen stets neue Forderungen vor der Türe und weder Regierung, noch Reichstag, noch Publikum kamen zur Ruhe. Freilich haben Zölle und Verbrauchssteuern auch fatale Eigenschaften: ihr Ergebnis ist in hohem Maße abhängig von den jeweiligen wirtschaftlichen Verhältnissen; günstige Konjunkturen erhöhen es, ungünstige machen es sinken. Nicht selten versagen sie gerade in Zeiten, in denen der Staat höherer Einnahmen bedarf. Bei einer so stürmischen Entwicklung der Ausgaben, wie wir sie im Reich hatten, reicht ihr natürliches, d. h. das durch Wohlstandsmehrung [255] und Bevölkerungszunahme bewirkte Wachstum nicht aus, dem Bedarf zu genügen. Eine einfache Erhöhung der Steuersätze, wie sie bei Einkommens-, Ertrags-, Vermögenssteuern in der Regel mit der Wirkung des Erfolges möglich ist, läßt sich bei jenen nicht so ohne weiteres vornehmen. Wirtschaftliche Rücksichten auf die Produzenten und Händler erfordern sorgfältige Erwägung; bei den Zöllen ist daneben noch durch Verträge u. a. die Erhöhung zeitweise ausgeschlossen. Steuererhöhungen sind bei den Verbrauchssteuern fast immer mit Umbildungen der Grundlagen der Besteuerung verbunden. Längere Beratungen gehen vorher; die Presse und Interessenvertretungen bemächtigen sich der Vorlagen; berechtigte und unberechtigte Ansprüche machen sich geltend. Namentlich seit die Produzenten und Händler sich zu Verbänden zusammengetan haben, ist es ihnen gelungen, einen bis in die Parlamente reichenden Einfluß zu gewinnen, der naturgemäß einen festen Rückhalt an der breiten Masse der Konsumenten findet. Man denke nur an die Agitation der Tabakinteressenten im Jahre 1909. Nicht selten war eine Regierungsvorlage schon verurteilt, noch bevor sie zur Beratung im Reichstag kam. Die alten Vorurteile gegen Monopole haben kaum etwas an Stärke verloren; man nahm lieber den Nachteil eines Privatmonopols in Kauf, als daß man seine Erträge durch den Staatsbetrieb der Allgemeinheit zugeführt hätte. So bei dem im Jahre 1909 geplanten Zwischenhandelsmonopol mit Branntwein. Wenn es trotz aller dieser Schwierigkeiten gelungen ist, den Ertrag der Getränke-, der Zucker- und der Tabaksteuer von 145 Mill. M. im Jahre 1888 auf 582 Millionen im Jahre 1913 zu steigern, so war nur die bittere Not die treibende Ursache.
Da man die bisher ausgenützten Steuern nicht noch mehr anspannen konnte oder wollte, so war man genötigt, auch noch andere Verbrauchs- und Aufwandsteuern hinzuzufügen, wie die historische Übersicht gezeigt hat. So ist es gekommen, daß die sämtlichen Verbrauchssteuern einschließlich der Zölle nach der Rechnung von 1911: 1368 Mill. M. oder rund 21 M. auf den Kopf der Bevölkerung betragen. Zum Vergleich mag bemerkt werden, daß nach den Rechnungen für 1912 bzw. 1911 die Belastung mit den gleichen Abgaben in England etwa 34, in Frankreich 41 M. auf den Kopf beträgt. Der Prozentanteil dieser Abgaben gegenüber den anderen, also den Verkehrs- und sog. direkten Steuern betrug im Reich 84, in England 46, in Frankreich 54. Bei Betrachtung dieser Zahlen, die nur einen ganz rohen Maßstab geben können, darf aber nicht vergessen werden, daß der Vergleich schief ist. In Deutschland bilden Reich und Bundesstaaten zusammen eine finanzielle Einheit, und man muß, wenn man die deutsche Steuerbelastung mit der Englands und Frankreichs vergleichen will, auch die Steuereinnahmen der Gliedstaaten mit in Rechnung setzen. Und da diese zum weitaus überwiegenden Teil aus direkten Steuern fließen, so nähert sich im Endergebnis der Anteil der einen und der andern Steuern der französischen Ziffer.
Je höher die Steuersätze der Verbrauchssteuern und die Belastung des notwendigen Konsums durch Zölle wurde, um so eifriger wurde die Frage erörtert, ob nicht Einhalt in ihrer weiteren Ausnutzung mit Rücksicht auf die minderbemittelten Klassen geboten sei. Nun läßt sich das Maß der Belastung der einzelnen Klassen durch Verbrauchssteuern und Zölle nicht einwandfrei feststellen, immerhin wird man zugeben müssen, daß es eine [256] bemerkenswerte Höhe erreicht hat, und daß der Druck, den sie auf die unteren Klassen ausübt, nicht ausgeglichen wird durch die Erleichterungen im direkten Steuerwesen der Einzelstaaten. Die gesetzgebenden Faktoren des Reiches haben das auch namentlich seit den letzten 10 Jahren anerkannt und Abhilfe zu schaffen gesucht. Schon die stärkere Ausnutzung der Verkehrssteuern ist hierfür ein Symptom. In derselben Richtung lag auch der Ruf nach der allgemeinen Erbschaftssteuer und nach der „Besitzsteuer“, von der freilich niemand recht sagen konnte, welcher Art sie sein sollte. Gemeint war damit jedenfalls die Forderung, daß es nun genug an den Verbrauchssteuern sei, und daß weitere Lasten den leistungsfähigeren, „besitzenden“ Klassen aufgebürdet werden sollen. Übrigens erschallt dieser Ruf nicht nur in Deutschland; vielmehr macht sich überall, selbst in Frankreich, das Bestreben geltend, die neuen Ausgaben der sog. richesse acquise zuzuschieben und besonders die Wehrforderungen für die Landesverteidigung den angesammelten Sparfonds zu entnehmen. In sozialer Hinsicht erscheint dies als ein Fortschritt. Es wird auch nicht bestritten werden können, daß in Deutschland weitaus der größte Teil des Wehrbeitrags und der Besitzsteuer wird aufgebracht werden können, ohne den Vermögensstamm anzugreifen, indem der Steuerpflichtige sich einige mehr oder weniger überflüssige Ausgaben versagt. Daß aber die Volkswirtschaft den Entzug von 1 Milliarde M. durch Verschiebungen im Erwerbsleben verspüren wird, kann nicht zweifelhaft sein. Die Rüstungsindustrien, das Wort im weitesten Sinne genommen, werden aufblühen; andere Geschäfte, bei denen die Nachfrage nachläßt, werden wenigstens vorübergehend leiden. Rechtzeitige Zurückhaltung im Schuldenwesen hätte die Möglichkeit gewährt, einen großen Teil der einmaligen Ausgaben der neuen Wehrvorlage auf Anleihen zu nehmen. Jetzt büßen die Söhne für die Sünden der Väter.
Für die Zukunft ergibt sich jedenfalls die Mahnung, in der Ordnung des Haushaltes mit möglichster Strenge zu verfahren und die Anlässe zu Schuldaufnahmen wenigstens allmählich zu vermindern. Damit hängt die andere zusammen, keine Ausgabe zu bewilligen, bevor nicht die Deckungsmittel bereitgestellt sind. Es ist mit Sicherheit vorauszusehen, daß Regierung und Reichstag über kurz oder lang sich neuerdings vor dem Problem der Steuermehrung befinden werden. Die Erfahrung von Jahrzehnten zeigt, daß die Sparsamkeit in der Bewilligung von Einnahmen schlimme Folgen zeitigt. Das ratenweise Steuerbewilligen bringt den Haushalt des Reiches in Unordnung und erzeugt beim Steuerzahler und den beteiligten Industrien steigenden Unmut. Es muß dabei als selbstverständlich gelten, daß die künftigen Vorlagen von dem Gedanken der sozialen Gerechtigkeit beherrscht sein müssen. Das soll nicht den Verzicht auf eine Höherbelastung solcher Gegenstände bedeuten, deren Konsum ohne Gefahr für die Volksgesundheit je nach Einkommen vermindert oder aufgegeben werden kann, wohl aber soll jene Forderung auf die Pflicht einer aussöhnenden Belastung der stärkeren Steuerkräfte verweisen, deren Neigung zur Steuerzahlung nicht immer im Verhältnis steht zur Mehrung des Wohlstandes und des Einkommens.