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Mill. M. errechnet worden. Die Ursachen hiefür waren verschiedene: teils wirklicher Mehrbedarf, teils Ausfälle an den Einnahmen. Einen erheblichen Mehrbedarf verursachte die Erhöhung der Beamtengehälter und der Mannschaftslöhne, die offenstehenden Posten für Teuerungszulagen von 1907 und 1908, die Aufzehrung des Invalidenfonds, der jährliche Zuschuß für die Hinterbliebenenversicherung. Die Mindereinnahmen waren veranlaßt durch die Minderbewilligung des Reichstags und dadurch, daß die neuen Einnahmequellen hinter den Erwartungen stark zurückblieben. Wozu noch kam, daß auch die alten Einnahmen stagnierten. Die gesamten Reichseinnahmen betrugen nach dem Voranschlag von 1908 nur etwa 200 Mill. M. mehr als 1904, während die ordentlichen Ausgaben in derselben Zeit von 1124 auf 1557 Millionen angewachsen waren. Auch die Stundung der Matrikularbeiträge hatte sich als verfehlt erwiesen und nur die Schuldenlast vermehrt. Endlich wollte die Reichsregierung die Zuckersteuer, einem Versprechen gemäß, ermäßigen und die unpopuläre Fahrkartensteuer aufheben.

Die parlamentarischen Verhandlungen, die sich an die Vorschläge der Reichsregierung knüpften, sind wohl noch in aller Erinnerung und bedürfen keiner eingehenden Darstellung. Nur die wichtigsten Tatsachen seien hervorgehoben. Zur Deckung des Mehrbedarfs hatten die verbündeten Regierungen vorgeschlagen: Erhöhung der Branntweinsteuer mittels eines Zwischenhandelsmonopols sowie der Brausteuer, Einführung einer Tabakfabrikatsteuer, einer Weinsteuer, einer Nachlaßsteuer in Verbindung mit einer Wehrsteuer, einer Gas- und Elektrizitäts- und einer Anzeigensteuer, Einführung eines Erbrechts des Staates. Die große Mehrheit des Reichstags war darüber einig, daß die Finanzreform ohne stärkere Belastung des Bieres, Branntweins und Tabaks nicht durchgeführt werden könne; aber nur die Biersteuer wurde in der vorgeschlagenen Form genehmigt. An Stelle der Tabakfabrikatsteuer trat eine kleine Erhöhung der inländischen Rohmaterialsteuer und eine Wertsteuer von ausländischen Fabrikaten, an Stelle des Zwischenhandelmonopols beim Branntwein eine Weiterbildung der bestehenden Steuer. In beiden Fällen war mit Mindererträgen zu rechnen. Die Inseratensteuer fiel unter dem Ansturm der in ihren Interessen bedrohten Presse; die Gas- und Elektrizitätssteuer wurde in eine Leuchtmittelsteuer umgewandelt. Die Nachlaßsteuer bzw. die später an ihrer Stelle in Vorschlag gebrachte Erbanfallsteuer (allgemeine Erbschaftssteuer), um die ein heftiger, mit Leidenschaft geführter Kampf zwischen den linksstehenden Parteien einerseits, dem Zentrum und den Konservativen andererseits entbrannte, fiel ebenso wie das staatliche Erbrecht. An Stelle der Weinsteuer wurde lediglich eine Erhöhung der Schaumweinsteuer bewilligt. Zur Deckung der Ausfälle, die durch die Minderbewilligungen und Ablehnungen entstanden, wurden verschiedene zum Teil bedenkliche Steuervorschläge gemacht, schließlich einigten sich die rechtsstehenden Parteien, die in der Hauptsache die Reform durch Mehrheitsbeschlüsse machten, auf eine Erhöhung des Effektenstempels, einen Grundstückumsatzstempel, eine Steuer von Gewinnanteilscheinen und Zinsbogen, eine Erweiterung des Wechselstempels, eine Schecksteuer und eine Zündwarensteuer. Weitere Mittel sollten die Erhöhung des Kaffee- und Teezolles bringen; die geplante Aufhebung der Fahrkartensteuer unterblieb, die Ermäßigung der Zuckersteuer wurde auf weitere 5 Jahre verschoben. Endlich wurden die Matrikularbeiträge verdoppelt

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/264&oldid=- (Version vom 4.8.2020)