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und der Anteil der Bundesstaaten an der Reichserbschaftssteuer gekürzt. In verschiedenen Gesetzen vom 15. Juli 1909 fand diese Reform ihren Ausklang. Prüft man sie auf ihr Ergebnis etwa nach der Rechnung von 1911, so findet man, daß auch sie die Erwartungen nicht erfüllt hat. Statt der aus den neuen Steuern erhofften rund 420 Mill. M. sind 1911 nicht ganz 300 Mill. M. angefallen, und nur die günstige Entwicklung anderer Einnahmequellen, namentlich der Zölle, und einige Minderausgaben haben den Bedarf zu decken gestattet und sogar erhebliche Überschüsse gebracht. Das Etatsjahr 1911 schloß mit einem Überschuß von 249, das Jahr 1912 mit einem solchen von 77 Mill. M. ab. Leider werden diese Überschüsse, statt zur außerordentlichen Schuldentilgung Verwendung zu finden, wie dies den 1904 beschlossenen Grundsätzen entsprochen hätte, größtenteils von den neuen Rüstungsausgaben verschlungen. Ergänzend muß bemerkt werden, daß inzwischen die Steuereinnahmen des Reiches eine Mehrung erfahren haben durch die durch Gesetz vom 24. Februar 1911 erfolgte Einführung einer Steuer vom unverdienten Wertzuwachs von Grundstücken und Gebäuden, und daß die Branntweinsteuer, im Sinne oft geäußerter Wünsche, durch Gesetz vom 14. Juni 1912 vereinfacht und von wesentlichen Mängeln gereinigt worden ist.

Die neuen Wehrvorlagen dieses Jahres mit dem Jahresbedarf von 186 und dem einmaligen Aufwand von rund 900 Mill. M. haben die Reichsregierung, wie oben bereits erwähnt wurde, vor eine außerordentlich schwere Aufgabe in bezug auf deren Deckung gestellt. Die rücksichtslose Ausnützung des Kredits in der bisherigen Finanzgebarung ließ dessen weitere Beanspruchung untunlich erscheinen, zumal Anleihen zurzeit nur unter schlechten Bedingungen hätten aufgenommen werden können. Eine weitere Belastung des Verbrauchs hätte im Reichstage und den breiten Wählermassen den größten Widerstand hervorgerufen. So blieb nichts übrig, als unter Preisgabe alter Anschauungen und Gewohnheiten in die bisher geschonte Domäne der Einzelstaaten einzufallen und den Versuch zu machen, mittels direkter Steuern den Bedarf aufzubringen. Die Vorschläge der Regierung verdienen Anspruch auf das oft mißbrauchte Wort „Großzügigkeit“. Die Verhandlungen, die um die Vorlagen geführt wurden und der Inhalt der Hauptgesetze sind in der Öffentlichkeit so viel erörtert worden, daß sich ein Eingehen in Einzelheiten erübrigt; nur die wesentlichsten Punkte seien kurz skizziert.

Die einmalige Ausgabe von rund 900 Mill. M. soll durch den Wehrbeitrag bestritten werden, einer einmaligen außerordentlichen Abgabe von allem Vermögensbesitz von über 10 000 M. und von allem Einkommen von über 5000 Mk., soweit letzteres nicht schon als Ertrag von Vermögen getroffen ist. Beitragsfrei sind Möbel, Hausrat u. dgl.; in gewissen Fällen treten Erleichterungen ein. Die Steuersätze sind nach der Größe des Vermögens und Einkommens gestaffelt und bewegen sich dort zwischen 0,15 und 1,5, hier zwischen 1 und 8%. Die Entrichtung des Wehrbeitrags ist auf die 3 Jahre 1914–1916 verteilt. Die Veranlagung und Erhebung obliegt den Einzelstaaten. Die fortlaufenden Ausgaben mit 186 Mill. M. werden durch die sog. Besitzsteuer aufgebracht, die alle 3 Jahre von der in diesem Zeitraum erfolgten Vermögensmehrung zur Erhebung gelangt. Sie ist ihrem Wesen nach also eine

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/265&oldid=- (Version vom 4.8.2020)