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Am Sonntage Cantate.

Evang. Joh. 16, 5–15.
5. Nun aber gehe Ich hin zu Dem, der Mich gesandt hat, und niemand unter euch fragt Mich: Wo gehest Du hin? 6. Sondern, dieweil Ich solches zu euch geredet habe, ist euer Herz voll Trauerns geworden. 7. Aber Ich sage euch die Wahrheit: Es ist euch gut, daß Ich hingehe. Denn so Ich nicht hingehe, so kommt der Tröster nicht zu euch. So Ich aber hingehe, will Ich Ihn zu euch senden. 8. Und wenn Derselbige kommt, Der wird die Welt strafen, um die Sünde, und um die Gerechtigkeit, und um das Gericht: 9. Um die Sünde, daß sie nicht glauben an Mich; 10. Um die Gerechtigkeit aber, daß Ich zum Vater gehe und ihr Mich hinfort nicht sehet; 11. Um das Gericht, daß der Fürst dieser Welt gerichtet ist. 12. Ich habe euch noch viel zu sagen, aber ihr könnet es jetzt nicht tragen. 13. Wenn aber Jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, Der wird euch in alle Wahrheit leiten. Denn Er wird nicht von Ihm selbst reden, sondern| was Er hören wird, das wird Er reden, und was zukünftig ist, wird Er euch verkündigen. 14. Derselbige wird Mich verklären, denn von dem Meinen wird Er es nehmen und euch verkündigen. 15. Alles, was der Vater hat, das ist Mein. Darum habe Ich gesagt: Er wird es von dem Meinen nehmen und euch verkündigen.

 AUch dieses Evangelium wie das vorige versetzt uns in die Nacht, da der HErr verrathen ward, und wir hören in demselben den HErrn, wie Er den Jüngern Seinen Hingang ankündigt und dessen selige Früchte auslegt. In den Ohren der Jünger klang eine Ankündigung des Hingangs JEsu gerade wie die Ankündigung Seiner Leiden und Seines Todes. Wie sie diese nicht verstanden und aus ihr bloß die Gewisheit einer bevorstehenden Trennung entnahmen, so vermochten sie auch in jener nichts, als die unliebe Botschaft der Trennung zu erkennen, welche sie um alles gern vermieden hätten. Deshalb werden sie bei den Worten JEsu traurig und bleiben es auch, Er mag nun bloß von dem Anfang des Hingangs, von Seinen Leiden, reden oder Er mag von dem seligen Ziel und Ende desselben erzählen. Es geht ihnen wie den Trauerleuten, welche nicht das ewige Glück ihrer Todten, sondern nur die Trennung und den eigenen Verlust ins Auge faßen. Gerade so fragten auch die Jünger nicht: „Wo gehst Du hin?“ sondern ihr Herz war voll Trauer, da sie ja doch über den einen Gedanken nicht wegzukommen vermochten: „Du gehst von uns hinweg, Du verläßest die Deinen.“ Ihre Traurigkeit war natürlich, man kann Mitleid mit ihnen haben; stellt man aber, was sie fühlen, ins Licht vor Gottes Angesicht: so kann man sich doch nicht verhalten, daß Selbstsucht in der Traurigkeit ist und daß sie von ihr entledigt werden mußten.

 Bei uns, meine Freunde, gibt es keine Trauer mehr über den Weggang JEsu; von jener natürlichen Liebe der Jünger zu ihrem HErrn sind wir weit entfernt und müßen auch von ihr entfernt sein, da wir Ihn nicht mehr dem Fleische nach kennen. Es findet sich zwar hie und da eine Traurigkeit über den Mangel an Schauen JEsu, aber sie findet sich selten, und wenn ja, so hat sie mit jener Traurigkeit der Jünger nichts zu schaffen. Die Traurigkeit der Jünger ist fleischlich, die, von welcher wir reden, ist geistlich. Jene kann man gar nicht haben, diese, an sich auch nicht die höchste Stufe christlichen Lebens, ist, wie gesagt, selten, − was aber gemein ist, was sich gewöhnlich findet, ist eine schauderhafte Lauheit und Gleichgültigkeit gegen die allerheiligste Person des HErrn. Sichere Christusvergeßenheit und ungestörter Genuß dieser Welt, eine Hingebung an ihre Freuden und an ihre Leiden werden sogar für hohes Lob gehalten. Wer das nicht gut heißt, das anficht, darin stört, ist unbequem. Dieser Zustand ist viel trauriger als jener der Jünger und verursacht, daß für das Verständnis unsers Evangeliums wenig empfänglicher Boden vorhanden ist.

 So verschieden nun aber auch unsere Gemeinden von den Jüngern JEsu und ihre Stimmung von der der Jünger JEsu sein mag, und so wenig Anklang auch die Trostreden, welche der HErr an Seine Jünger gerichtet hat, bei den meisten Christen unserer Tage finden mögen: so will ich mich doch meiner Pflicht, euch die in unserm trostreichen Texte enthaltenen hervorstechenden Gedanken des Näheren vorzulegen und zu zeigen, nicht entziehen. Der HErr, der heilige Geist, kennt eure Herzen, kann euch wider mein Vermuthen geistlich speisen und durch die süßen Worte JEsu zu diesem eurem Heiland führen. Ihm sei es mit sehnlichem Flehen empfohlen!

 In der Seele der trauernden Jünger JEsu lag eine stumme Frage, welche der HErr erkannte und beantwortete. Die Frage war diese: Warum gehest Du hin, warum verläßest Du uns?“ Und die Antwort des HErrn heißt: „Es ist euch gut, daß Ich hingehe“ − oder was eben so viel ist: „Es ist euch nützlich.“ Zu dieser allgemeinen Antwort des HErrn verhält sich alles Uebrige im Evangelium, wie eine Begründung und nähere Erklärung.

 Der erste Grund, warum der Hingang JEsu den Jüngern gut und nützlich sein sollte, ist dieser: „So Ich nicht hingehe, so kommt der Tröster nicht zu euch. So Ich aber hingehe, will Ich Ihn zu euch senden.“ Der Tröster, den der HErr senden wollte, war der heilige Geist. Er wollte Ihn vom Himmel senden; dies konnte Er nicht, ehe Er selbst aufgefahren war in den Himmel. Drei große Gotteswerke sind: des Vaters Schöpfung, des Sohnes| Erlösung, des Geistes Heiligung. Eins folgt auf das andere, eines begränzt das andere. Ehe die Welt geschaffen war, fiel sie nicht, geschweige daß sie wieder versöhnt und erlöst werden konnte; und ehe sie erlöst war, konnte sie nicht geheiligt und vollendet werden, denn die Heiligung und Vollendung geschieht durch das Wort von der Versöhnung und Erlösung. Erst mußte die Last des Fluches von uns weggenommen sein, ehe wir zu Gottes Bild und zu ewigem Leben erneut werden konnten. So wie aber das große Werk der Versöhnung und Erlösung vollbracht war, zögerte die fernere Hilfe und Verheißung nicht. Der Sohn Gottes hatte das Werk der Erlösung auf Sich genommen; zur Zeit, da Er unser Evangelium sprach, war Er an den Schluß Seiner großen Aufgabe getreten; noch vier und zwanzig Stunden und das große: „Es ist vollbracht“ war gesprochen, und die Bahn zu Seiner triumphirenden Heimfahrt eröffnet. Keine Stunde länger, als es erforderlich und nöthig war, blieb Er auf Erden, − und mit Seiner Rückkehr tritt die neue Zeit des heiligen Geistes ein. Angekommen im Himmel, auf dem Thron der Ehre, sendet der HErr den Geist, der im Worte den Strom des Segens, welchen Christus erworben hatte, über die Welt ergießt. Vorher konnte es nicht geschehen, wie die Worte des Evangeliums lauten: „So Ich nicht hingehe, so kommt der Tröster nicht zu euch.“

 Die Jünger hätten freilich dem HErrn sagen können: „O HErr, wir wollen keinen Tröster, keinen Stellvertreter. Bleibe Du Selbst bei uns, so haben wir alles, was wir wünschen.“ Aber eine solche Einrede wäre unstatthaft gewesen. Der HErr war nicht Mensch geworden, um nur allezeit mit den Seinen auf Erden zu wandeln. Für verklärte Leiber der Auferstehung ist die noch mit Sünde und Jammer bedeckte Erde kein Aufenthalt; geschweige für den verklärten Leib JEsu, der in der Verbindung seiner auserwählten Seele mit der Gottheit eine große, ewige Bestimmung bekommen hatte und ein Tempel der höchsten Offenbarungen Gottes im ewigen Reiche sein und werden sollte. Die Verklärung JEsu brachte Himmelfahrt, eine Auffahrt und Erhebung über alle Himmel, auf den Thron des Vaters mit sich, und dazu eine ganz andere als bloß leiblich abgegränzte Gegenwart auf Erden und in der Gemeine. Der HErr sollte und wollte auch nach Seiner Auffahrt bei Seiner Gemeine bleiben, und zwar auch dem Leibe nach, aber nicht wie in der Zeit Seiner Erniedrigung, sondern auf eine weit herrlichere und erhabenere Weise. Ich erinnere euch nur an die auch leibliche Gegenwart unseres HErrn JEsus im Sacrament des Altars. Gerade wenn diese herrlichere und erhabenere Gegenwart JEsu, von der Er Selbst gesagt hat: „Siehe Ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende,“ eintreten sollte, mußte jene irdische Gegenwart im Stande der Erniedrigung aufhören. Dazu kam ja noch, daß nicht allein des Vaters und des Sohnes, sondern auch des heiligen Geistes Gnade und Erbarmung in der Zeit erscheinen sollte. Nachdem des Sohnes Herrlichkeit erschienen war, mußte auch die ewige Kraft und Gottheit des heiligen Geistes offenbart werden und Seine tiefinnige Gemeinschaft und Einheit mit dem Vater und dem Sohne. Schöpfung − Erlösung − Heiligung, ein dreifaches, innerlich völlig zusammenhangendes, wenn ihrs recht verstehen wollet, ein einiges Werk des dreimal Heiligen sollte vollführt werden. Ein Werk und doch dreifach, gleichwie ein Gott ist und doch drei Personen, sollte also vollendet werden, daß eine jede von den drei Personen insonderheit erkannt würde, der Vater in der Schöpfung, der Sohn in der Erlösung, der Geist in der Heiligung. Gleichwie der Vater nicht das Werk des Sohnes vollbrachte, und doch auch in diesem Werke mit dem Geiste völlig einig war, so war der Sohn mit dem Geiste völlig einig zur Heiligung und ist es noch, aber Er vollbrachte und vollbringt nicht das Werk der Heiligung, sondern der Geist vollbringt Sein Werk. So wenig dieß Werk der Heiligung vollzogen werden konnte, ehe die Welt erlöst war; so wenig konnte es nach der Erlösung vollzogen werden, wenn der heilige Geist nicht, von dem Vater und Sohne gesendet, kam es zu vollziehen. Der Weggang JEsu und das Kommen des Trösters war deshalb der Menschheit zu ihrer Heiligung und Vollendung nothwendig und erst dadurch wurde die Ehre Gottes und das Heil der Menschen völlig.

 Der HErr nennt den heiligen Geist, den Er senden will, mit einem besonders lieblichen Namen, welcher ebenso deßen göttliche Verbindung mit JEsu, als Seine Freundlichkeit gegen die erlösten Menschen ausdrückt. Er nennt Ihn einen Tröster, einen Vertreter Seiner unsichtbaren Person und einen Beistand| derer, die eines Beistandes bedürfen in ihrer Schwachheit, eines mächtigen Beistands, wenn sie nicht Waisen sein und werden sollen. Faßen wir nur diesen Namen recht, so muß uns schon klar werden, wie groß und hehr die Würde des heiligen Geistes ist. Wenn die Menschheit ihren Heiland nicht sah, wenn Er Sich vor ihr verbarg, mußte Er ihr zu ihrer Befriedigung einen Ersatz, einen Tröster geben. Wer aber der Menschheit Ersatz und Trost für ihren verborgenen Heiland sein wollte, durfte selbst an Würde und Herrlichkeit nicht hinter dem Heiland zurückstehen und eben so wenig durften Seine Werke hinter denen des Sohnes zurückstehen; dazu mußte Er nicht andere, entgegengesetzte Werke thun, sondern Seine Werke mußten sich an JEsu Werke anschließen, mit ihnen völlig eine Reihe heiliger Gottesthaten ausmachen, ihnen die Krone aufsetzen, JEsum und Sein Werk verklären. Wenn aber das sein sollte, so mußte der Tröster, der Vertreter JEsu, der Beistand der Menschheit gerade so sein, wie wir von dem HErrn, dem heiligen Geiste lesen; Er mußte sein der Geist des HErrn, der vom Vater und Sohne ausgeht, und mit dem Vater und Sohne Ein ewiger, anbetungswürdiger Gott ist.

 Dieser hochgelobte Tröster kam denn auch, wie JEsus Christus verheißen hatte, nach dem Hingang des Sohnes zum Vater, am Tage der Pfingsten. Er war in der Welt auch vor der Menschwerdung Gottes. Das alte Testament hatte seine Heiligen, seine Seligen; heilig aber und selig werden kann ohne den heiligen Geist niemand. Abraham, der Vater der Gläubigen, Mose, der Mann, von Gott erkannt und geliebt, und so viele andere, wie hätten sie, was sie waren, ohne den heiligen Geist werden können? Aber von Pfingsten an gieng ein hellerer, mächtigerer Strom des Geistes über die Juden nicht allein, sondern über alle Völker − und im Vergleich mit dem Lichte, der Seligkeit und Kraft dieses neutestamentlichen Stromes, namentlich auch mit Seiner tröstenden Kraft verglichen, konnte und mußte vom alten Testamente gesagt werden, was wir auch einmal lesen: „Der heilige Geist war noch nicht da.“ Von Pfingsten an gieng der Geist des HErrn aus in alle Lande, und Er geht noch aus, denn es ist jetzt noch dieselbe Zeit. Und jetzt wie damals, damals wie jetzt und wie bis ans Ende der Tage übt Er eine gedoppelte Wirksamkeit aus, welche in unserm Texte beschrieben ist, − eine auf die Welt, eine auf die Kirche, eine außerhalb, eine innerhalb der Kirche, eine sammelnde auf die Welt, eine vollendende auf die Schafe JEsu.

 Die Wirksamkeit, welche sich auf die Welt erstreckt, wird eine strafende genannt, und das Strafen soll sich auf Sünde, Gerechtigkeit und Gericht beziehen. „Er wird, spricht Christus, die Welt strafen um die Sünde, um die Gerechtigkeit und um das Gerichte.“ − Wer sich nun unter strafen weiter nichts denkt, als eine thatsächliche, strenge Wiedervergeltung und Heimgebung deßen, was der Mensch verbrochen, die Ausübung göttlicher Rache und Strafgerechtigkeit, der bringt für die Rede Christi in unserm Texte keinen Sinn heraus. In diesem gewöhnlichen Sinne hat Luther das Wort „strafen“ nicht verstanden, da er es − jedenfalls völlig passend − für den griechischen Ausdruck wählte. Es bedeutet ein Strafen mit Worten, ein ernstes Misbilligen, Anfechten und Verwerfen böser Meinung, ein Widerlegen und Niederlegen alles Irrtums und Widerspruchs, und so paßt es auch ganz für den Sinn des heiligen Geistes gegenüber der Welt, und ganz für die Empfindung der Welt, wenn sie vernimmt, was des Geistes Wort über ihre Ansicht von Gerechtigkeit, Sünde und Gericht urtheilt. − Man denke sich nur die Welt, so wie sie ist; hochmüthig verliebt in ihre Meinung, erkennt sie jeden Widerspruch ihrer Untergebenen als Empörung, den der Gleichgestellten als Beleidigung, den der Obern als Strafe und Pein. So ist denn in der That die Wirksamkeit des heiligen Geistes, der allem Urtheil der Welt verneinend entgegentreten und statt desselben etwas ganz anderes setzen muß, für die Welt selbst und nach ihrem eigenen Empfinden nur eine strafende. Sie ist es aber auch nach dem Urtheil des heiligen Geistes. Denn die Unwißenheit und der Irrtum der Welt ist verschuldet und Sünde, des Geistes Misbilligung also Strafe.

 Der HErr hat uns näher ausgelegt, worin die dreifache Bestrafung des heiligen Geistes bestehen würde. Dafür haben wir Ihm anbetenden Dank zu sagen. Denn da der heilige Geist die Welt nicht unmittelbar straft, sondern durch Menschen, durch Prediger, seien es nun Apostel oder Propheten oder Hirten und Lehrer; so würde man, wenn der HErr nicht die Lehre des heiligen Geistes zum voraus kenntlich| bezeichnet hätte, gewis die Lehre und Strafrede der Apostel, Propheten, Hirten und Lehrer verworfen, wohl gar als nicht christlich, dem Geiste Christi widersprechende verdammt und nichts weniger als angenommen haben. Indem man Menschen widersprochen hätte, hätte man auch geglaubt, Menschenlehren zu widersprechen, und hätte davon ein desto leichteres Gewißen gehabt. Dergleichen, der Welt nur zu sehr angehöriges Verfahren ist nun, wenn auch nicht unmöglich gemacht, doch erschwert. Denn nun hören wir ja aus des HErrn eigenem Munde, wovon die Apostel, vom heiligen Geiste gelehrt, Zeugnis geben sollen, und damit wir ja keinen, auch gar keinen Zweifel in ihre Worte legen möchten, setzt Christus ausdrücklich hinzu, der heilige Geist werde ihnen nichts anderes oder Neues sagen, sondern „von dem Meinen, spricht Er, wird Ers nehmen und reden, was Er hören wird.“ Vollkommene Einigkeit Christi und des Trösters in der heiligen Lehre wird uns somit versichert, und nichts anderes, als Christi und Seines Geistes Wahrheit ist es also, was die heiligen Zeugen gepredigt haben. Dankbar bekannten diese, vom Geist gelehrt zu sein; dankbar erkennen und bekennen auch wir, daß sie uns nichts anderes, als was geistlich und christlich ist, hinterließen, daß wir in des Geistes und in Christi Schule uns befinden, wenn wir in ihrer Schule sind.

 Es ist nun die Lehre, welche der HErr als Lehre des heiligen Geistes bezeichnet, eine allem menschlichen Verstande völlig fremde, von ihm nimmermehr zu erforschen, mit der Person Christi auf das genaueste zusammenhangend, ohne sie gar nicht verständlich. Die Sünde besteht im Unglauben an JEsum; − alle Gerechtigkeit in JEsu Gerechtigkeit, der auf Seinem Gang zum Vater alles gethan und gelitten hat, was als Gerechtigkeit von den Menschen gefordert werden konnte, der als unser Stellvertreter erwiesen ist durch diesen ganzen Gang zum Vater, und durch Seine Aufnahme in das ewige Reich als der einzige Gerechte auf dem unser Heil steht; – – und alles Gericht wird als ein Gericht über den Satan dargestellt, der den Sieg verlor im Kampf gegen Christum, damit bereits verworfen und reif ist für das endliche Gericht, das, sobald die seligen Geschäfte der letzten Stunde beendigt und die Schafe JEsu versammelt sein werden, unverweilt und vor männiglichs Angesicht über den Verworfenen hereinbrechen wird und über niemand sonst, der nicht freiwillig dem Geist der Gnaden widerstrebt und sich dem Satan beigefügt hat. −

 Wer nun diese von Anfang her verborgene, in keines Menschen Herz gekommene, vom heiligen Geiste im neuen Testamente offenbarte Lehre, diese dreifache Ueberweisungspredigt des heiligen Geistes nicht annimmt, wird nie ein Gotteskind, bleibt ein Weltkind, wird immer mehr ein Teufelskind. Wer das nicht zugeben will, daß alle Sünde im Unglauben an JEsum wurzele, seitdem JEsus gekommen und gepredigt ist, daß alle Gerechtigkeit aus JEsu dem Sünder zugerechneter Gerechtigkeit erwachse, alles Gericht ein Gericht sei, das von Gott nur dem Fürsten der Welt vermeint ist: der wird zu wahrem Christentum nie genesen, und alle Gnadenmittel, die er empfängt, zeugen nur gegen ihn und mehren seine Verdammnis. Es gibt keinen andern Weg aus der Welt zu Christo, als den, die Strafe des heiligen Geistes anzunehmen, den Unglauben abzulegen, gläubig Christi Gerechtigkeit anzunehmen und dem Fürsten der Welt abzusagen, der gerichtet ist. Das war auch von Anfang des Geistes Predigt an die Welt, und wäre sie nicht angenommen worden, so wäre nie eine Kirche aus der Welt hervorgegangen und die zweite Thätigkeit des heiligen Geistes wäre nie in die Ausübung gekommen.


 Diese zweite Thätigkeit erstreckt sich auf solche, bei denen die erste bereits geschehen ist; sie erweist sich innerhalb der christlichen Kirche. Durch die erste werden die Seelen aus der Welt gesammelt und der Grund eines geistlichen Lebens in ihnen gelegt. Wenn nun aber das geschehen und Christus als Mittelpunkt des eigenen Lebens, der Kirche, der Welt, des Himmels erkannt ist, dann geht es an ein Vollbereiten, Stärken, Kräftigen, Gründen, welches der HErr in unserm Texte mit dem bildlichen Ausdruck einer weiteren Leitung und Führung bezeichnet. „Ich habe euch noch viel zu sagen, aber ihr könnet es jetzt nicht tragen,“ spricht Er. Denn was dem geförderten Christenmenschen Flügel zum Himmel ist, womit er sich über Welt und Zeit erhebt, das ist dem Kinde in Christo, sei es gleich an sich die heilsamste, seligste Erkenntnis, eine beschwerliche und unerträgliche Last. Der HErr deutet also mit dem eben angeführten| Worte darauf hin, daß Seine Jünger, so viel Günstiges von ihnen auch Seine letzten Reden Joh. 15–17. enthalten, noch immer nur als Anfänger im Erkennen und Leben anzusehen seien. Eben deswegen aber will Er sie nicht als unberathene Waisen hinter Sich laßen, sondern ihnen den Tröster, den Geist der Wahrheit, geben, von dem Er spricht: „Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, Der wird euch in alle Wahrheit leiten.“ Die Wahrheit ist in diesen Worten dargestellt als ein weites, herrliches Land voll Reichtums und Herrlichkeit, als ein Gottes-Paradies; die Jünger des HErrn sind wie Pilgrime, die immer weiter hinein gehen und die Schätze genießen sollen, und der sie hineinführen soll ist der Geist des Landes, der Geist der Wahrheit. Erst lehrt Er die Jünger JEsu Reden, Seine Thaten, Seine Leiden, Seine Auferstehung, Seine Herrlichkeit, − dann lehrt Er sie alles recht verstehen, aus den Reden Schlüße ziehen, wie es Menschen nicht vermögen, aus den Thaten und Leiden Gottes Herz und Sinn erkennen: was sie unter ihrem göttlichen Meister gesehen, gehört, gelernt haben, das macht Er ihnen zum unabsehbaren Quell und Strom göttlicher Erkenntnis und auch die Zukunft wird ihnen aufgethan. Eben so thut Er auch uns. Erst lehrt Er uns kennen, was die Apostel sahen und hörten, was in den Evangelien steht; dann führt Er uns aus den Evangelien in die Apostelgeschichte und in die Episteln, zur Kenntnis Seines sproßenden, wachsenden, blühenden, früchtetragenden, sich weit ausbreitenden Lebensbaumes, zur Erkenntnis der Höhe und Tiefe, der Länge und Breite. Da finden wir dann, je länger, je mehr bestätigt, was der HErr gesagt hat: „Der Geist der Wahrheit wird nicht von Ihm Selbst reden, − Er wird es von dem Meinen nehmen und euch verkündigen.“ Je weiter hinein wir in die apostolischen Schriften gehen, desto mehr bewähren sich uns Christi Reden. Vom Anfang bis zum Ende der apostolischen Schriften stimmt alles auf das harmonischeste zusammen und immer bleibt Christi Person und Werk die Sonne, von welcher alles Licht ausgeht und zu welcher es zurückströmt. Das alte Bild in immer neuem Glanze, die alte Wahrheit in immer neuen, himmlischen Gedanken wird erkannt − und selbst das Zukünftige wird uns eröffnet. Das Zukünftige ist nichts anderes, als was im Himmel ist, und was in der Fülle der Zeit je mehr und mehr heruntersteigt zu uns: droben ist es wohnhaft, droben ist es Besitz, hier ist es Gast und Hoffnung. Diese zukünftige Welt wird uns vom Geiste erschloßen. Wenn wir in vorangegangenen Schriften des neuen Testamentes erstarkt sind, Kräfte der zukünftigen Welt in unsre Seelen aufgenommen haben, dann werden wir eingeleitet in die wundervolle Offenbarung St. Johannis, wo es völlig in Erfüllung geht, was der HErr spricht: „Was zukünftig ist, wird euch der Geist des HErrn verkündigen.“ − So fließt die Wahrheit vom Vater zum Sohne, von Diesem zum heiligen Geiste, von Diesem auf die Apostel. Diese rühmen: „Wir haben es von dem HErrn empfangen,“ und leiten fröhlich das Gewäßer der Erkenntnis weiter, bis es die Völker bedeckt, wie das Meer der Erde Gründe bedeckt, und bis alle Lande der Ehre und Lehre Gottes voll sind. Und von einer Zeit zur andern strömt Wahrheit und Erkenntnis weiter. Jede Zeit, die auf eine vorausgegangene folgt, hat ihre Gnadengabe an Erkenntnis, und je näher dem Ende und der himmlischen Verklärung die Kirche kommt, desto reicher und voller wird ihre harmonische dem Altertume entstammte Erkenntnis. Immer Eine, schreitet sie immer vorwärts, von einer Klarheit zur andern; je länger je mehr wird sie dem Schauen ähnlich, bis endlich das Schauen kommt, das alles übertrifft, selbst die letzte, höchste Stufe der Erkenntnis. Denn es ist alles Wißen auf Erden nur Stückwerk; wenn aber kommen wird das Vollkommene, dann hört das Stückwerk auf.
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 Diese Einführung der Christenheit zur immer volleren Erkenntnis ihres Heils wird auch als eine Verklärung JEsu dargestellt. „Der heilige Geist wird Mich verklären, denn von dem Meinen wird Ers nehmen und euch verkündigen,“ spricht Christus. Der Geist verklärt JEsum, indem Er Seine Worte in ihrem vollen Reichtum auslegt. Je mehr der heilige Geist JEsu Worte auslegt, desto wunderbarer erscheint JEsu Weisheit, welche für die Anfangsstufe Seiner Jünger Worte und eine Darstellung wählen konnte, die so einfältig und dennoch von einer solchen Fülle sind, daß sie eine unaussprechlich reiche Auslegung finden können. Eben damit wird aber auch Christus Selbst, Seine allerheiligste Person vor Seinen Heiligen verklärt. Wenn Er es vermag, in aller Einfalt Worte zu reden, welche für alle Apostel, ja für alle Lehrer, alle Zeiten,| unerschöpfte und unerschöpfliche Themata des Nachdenkens und Predigens sind, welche auch im Himmel aller Weisheit Quell und Inbegriff sein werden: kann Er denn ein anderer sein als des Vaters Sohn, der da spricht: „Alles, was der Vater hat, das ist Mein?“ Er als Sohn hat alle Fülle des Vaters, und diese Fülle, niemand kann sie besitzen, als eben der Sohn, und der Ihm gleich ist an Wesen und drum an Erkenntnis, der heilige Geist. Eines Wesens, sind Sie Beide Einer Wahrheit und Weisheit Ursprung, in welcher Sich Vater, Sohn und Geist verklärt.

 Indes wird Christus durch die Lehre des heiligen Geistes nicht bloß in der angegebenen, uneigentlicheren Weise verklärt; sondern Er ist Selbst Gegenstand der Offenbarungen und Lehren des heiligen Geistes, wie wir das längst wißen, − und die fortschreitende Erkenntnis, zu welcher der heilige Geist im Laufe der Zeit die Christen leitet, ist nichts anderes als ein heller Schein, in ihre Herzen gegeben, zu erkennen die Klarheit des Angesichts und der Person JEsu Christi. Nehmt, meine theuern Brüder, z. B. die Lehre von der Allgegenwart der Menschheit JEsu, welche durch die Vereinigung der menschlichen Natur Christi mit der göttlichen so durchaus nothwendig gesetzt wird. Zu welcher Zeit vor Martin Luther wäre diese heilige, trostvolle, wunderbare Lehre, ohne welche nicht bloß für die Austheilung des Leibes und Blutes Christi im Abendmahl alle Wahrscheinlichkeit wegfällt, sondern auch viele andere Lehren und Worte Christi den festen Halt verlieren, − so erkannt worden, wie seitdem? Da hat der Geist Seine Jünger in alle Wahrheit weiter eingeleitet, und dieselbige Kirche, welche St. Pauli herrliche Lehre von Sünde, Gerechtigkeit und Gericht, d. i. Christi weiter ausgeführte Lehre, vollkommener, als vor ihr eine andere Zeit gefaßt hat, bekam es zur Gnadengabe, auch St. Johannis Lieblingslehre von der Gottheit des Menschensohn es auf das Schönste aufzufaßen und so die Herrlichkeit Christi im hellsten Lichte zu schauen. Mehr wird Christus verklärt, immer mehr wird Christus alles in allem, auf daß Gott werde alles in allem. Der heilige Geist zieht die Herzen, die Christo angehören, durch solche Erkenntnis der Person des HErrn immer mehr zu Ihm, dem Bräutigam, hin. Immer anbetender macht Er die Kirche vor Christo, immer mehr wird die Lehre, welche die Apostel so hoch über alle nachfolgenden Zeiten emporgeschwungen hat, die Lehre von dem göttlichen Menschensohne und Seiner Person, wieder erkannt, immer mehr wieder die Lieblingslehre der Auserwählten, und je mehr das wird, desto mehr wird die Kirche selbst vollendet und ins Bild JEsu Christi verklärt. Weiterführung, völligere Einleitung der Kirche in die Wahrheit, Verklärung Christi bei den Seinen und Vollendung Seiner Kirche, das geht Hand in Hand, das beabsichtigt der heilige Geist, das beabsichtigte Christus, darin ist der Vater, Sohn und Geist, wie in allen Dingen, Eines Willens.


 Nach diesem allen, meine Brüder, kehren wir zurück zum Anfang dieser Betrachtung. Weder hätte die Welt die dreifache Lehre und Bestrafung, noch die Kirche die Leitung in alle Wahrheit und die Verklärung Christi, wenn der heilige Geist nicht gekommen wäre, − und Er wäre nicht gekommen, wenn Christus nicht durch Tod und Auferstehen und Himmelfahrt zum Vater gegangen wäre. Hätte Christus nicht Seinen Hingang vollendet, so würde dem Geiste des HErrn die seligmachende Predigt gefehlt haben, durch welche Er die Menschen für das Himmelreich errettet. Und wenn Christus alles vollbracht hätte, es wäre aber der Geist nicht gekommen und hätte der Welt durch Sein Wort und Amt Christi Werk verkündigt; so wäre die heilsamste und glorwürdigste That des HErrn unbekannt und fruchtlos geblieben. War Gott versöhnt, der Friede wiedergebracht, Gerechtigkeit und ewiges Leben erworben; so mußte die Welt es wißen und zwar wißen, wie sie, versunken in Mistrauen und böses Gewißen, es wißen mußte, durch mächtige Zeugen und Zeichen: oder es blieb dennoch die erlöste Welt verloren. Nach Christi Vollbringen lag alles an des Geistes Kommen und Wirken durch Sein Wort und Amt. Das Werk des heiligen Geistes war nöthig zur Sammlung und Vollendung der Kirche, zur Verklärung und Anbetung JEsu. Der Geist mußte alle Kniee beugen und alle Zungen bekennen lehren, daß JEsus Christus der HErr sei zur Ehre Gottes des Vaters. − Wie gut, wie nütze war also in dem Betracht Christi Hingang, durch welchen das Kommen des Geistes möglich wurde, nach welchem es auch wirklich eintrat!


|  Das sehen und wißen wir, liebe Brüder! Auch unter uns übt der heilige Geist Sein Strafamt und Sein Trostamt aus; wir sind nicht verlaßen; wir sind gnädig heimgesucht. Aber ob wir uns von Gottes Geist strafen laßen? Ob wir unsere Irrtümer und Vorurtheile, Ansichten und Meinungen aufopfern und dagegen des Geistes Unterweisungen annehmen mögen? Ob wir uns gerne in die Wahrheit, in alle Wahrheit leiten laßen, und nicht viel lieber das Reich der Lüge oder doch diese oder jene Lüge behalten? Das sind andere Fragen, die ich so gerne zum Ruhme der erziehenden Gnade des heiligen Geistes beantworten möchte, wenn ich nur könnte. Das Strafamt ist wohl unter uns; aber wer achtet sein? Wer fürchtet Misbilligung des heiligen Geistes? Wer glaubt eine göttliche Rache für jedes Widerstreben gegen Gottes Wort? Wer fürchtet sich? Wer flieht? Wer flieht zum Gnadenstuhle? − Das Trostamt des heiligen Geistes ist wohl da; aber wo sind die Traurigen, daß sie getröstet werden? Wer will denn im Ernst den Trost des heiligen Geistes? Wer hält ihn für nöthig? Wer nimmt ihn auf und läßt ihn in sich wirken? Wer läßt sich einführen in alle Wahrheit, in allen Trost, in alle Gnade? − Fragen genug, wenig gute Antwort. Ach, meine Brüder, meine Brüder! Wie freundlich thut Sich der heilige Geist zu uns in Seinem Worte, auch in Seinem Sacramente! Seine Diener rufen, laden, nöthigen, bitten und vermahnen. Auch ich Diener JEsu, des Königs, bitte, flehe, werbe. Wird denn alles nicht helfen? Werdet ihr immerzu dieselben Wege jammervoller Selbstgenügsamkeit gehen und dem HErrn für Sein Laden und Werben nicht einmal danken? Der HErr helf euch doch von dem angeborenen trägen, stolzen Uebel, brech euch die Herzen und laße euer keinen zu Grabe gehen, bevor sein Hingang JEsu Hingang ähnlich geworden, bevor er durch Leiden und Sterben zu ewigem Leben gelangen kann.

 Der HErr sei euch gnädig! Er sei allen Menschen gnädig! Er mehre Sein Reich und vollende Seine Heerde durch Strafe und Trost Seines heiligen Geistes! Amen.




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