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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

unerschöpfte und unerschöpfliche Themata des Nachdenkens und Predigens sind, welche auch im Himmel aller Weisheit Quell und Inbegriff sein werden: kann Er denn ein anderer sein als des Vaters Sohn, der da spricht: „Alles, was der Vater hat, das ist Mein?“ Er als Sohn hat alle Fülle des Vaters, und diese Fülle, niemand kann sie besitzen, als eben der Sohn, und der Ihm gleich ist an Wesen und drum an Erkenntnis, der heilige Geist. Eines Wesens, sind Sie Beide Einer Wahrheit und Weisheit Ursprung, in welcher Sich Vater, Sohn und Geist verklärt.

 Indes wird Christus durch die Lehre des heiligen Geistes nicht bloß in der angegebenen, uneigentlicheren Weise verklärt; sondern Er ist Selbst Gegenstand der Offenbarungen und Lehren des heiligen Geistes, wie wir das längst wißen, − und die fortschreitende Erkenntnis, zu welcher der heilige Geist im Laufe der Zeit die Christen leitet, ist nichts anderes als ein heller Schein, in ihre Herzen gegeben, zu erkennen die Klarheit des Angesichts und der Person JEsu Christi. Nehmt, meine theuern Brüder, z. B. die Lehre von der Allgegenwart der Menschheit JEsu, welche durch die Vereinigung der menschlichen Natur Christi mit der göttlichen so durchaus nothwendig gesetzt wird. Zu welcher Zeit vor Martin Luther wäre diese heilige, trostvolle, wunderbare Lehre, ohne welche nicht bloß für die Austheilung des Leibes und Blutes Christi im Abendmahl alle Wahrscheinlichkeit wegfällt, sondern auch viele andere Lehren und Worte Christi den festen Halt verlieren, − so erkannt worden, wie seitdem? Da hat der Geist Seine Jünger in alle Wahrheit weiter eingeleitet, und dieselbige Kirche, welche St. Pauli herrliche Lehre von Sünde, Gerechtigkeit und Gericht, d. i. Christi weiter ausgeführte Lehre, vollkommener, als vor ihr eine andere Zeit gefaßt hat, bekam es zur Gnadengabe, auch St. Johannis Lieblingslehre von der Gottheit des Menschensohn es auf das Schönste aufzufaßen und so die Herrlichkeit Christi im hellsten Lichte zu schauen. Mehr wird Christus verklärt, immer mehr wird Christus alles in allem, auf daß Gott werde alles in allem. Der heilige Geist zieht die Herzen, die Christo angehören, durch solche Erkenntnis der Person des HErrn immer mehr zu Ihm, dem Bräutigam, hin. Immer anbetender macht Er die Kirche vor Christo, immer mehr wird die Lehre, welche die Apostel so hoch über alle nachfolgenden Zeiten emporgeschwungen hat, die Lehre von dem göttlichen Menschensohne und Seiner Person, wieder erkannt, immer mehr wieder die Lieblingslehre der Auserwählten, und je mehr das wird, desto mehr wird die Kirche selbst vollendet und ins Bild JEsu Christi verklärt. Weiterführung, völligere Einleitung der Kirche in die Wahrheit, Verklärung Christi bei den Seinen und Vollendung Seiner Kirche, das geht Hand in Hand, das beabsichtigt der heilige Geist, das beabsichtigte Christus, darin ist der Vater, Sohn und Geist, wie in allen Dingen, Eines Willens.


 Nach diesem allen, meine Brüder, kehren wir zurück zum Anfang dieser Betrachtung. Weder hätte die Welt die dreifache Lehre und Bestrafung, noch die Kirche die Leitung in alle Wahrheit und die Verklärung Christi, wenn der heilige Geist nicht gekommen wäre, − und Er wäre nicht gekommen, wenn Christus nicht durch Tod und Auferstehen und Himmelfahrt zum Vater gegangen wäre. Hätte Christus nicht Seinen Hingang vollendet, so würde dem Geiste des HErrn die seligmachende Predigt gefehlt haben, durch welche Er die Menschen für das Himmelreich errettet. Und wenn Christus alles vollbracht hätte, es wäre aber der Geist nicht gekommen und hätte der Welt durch Sein Wort und Amt Christi Werk verkündigt; so wäre die heilsamste und glorwürdigste That des HErrn unbekannt und fruchtlos geblieben. War Gott versöhnt, der Friede wiedergebracht, Gerechtigkeit und ewiges Leben erworben; so mußte die Welt es wißen und zwar wißen, wie sie, versunken in Mistrauen und böses Gewißen, es wißen mußte, durch mächtige Zeugen und Zeichen: oder es blieb dennoch die erlöste Welt verloren. Nach Christi Vollbringen lag alles an des Geistes Kommen und Wirken durch Sein Wort und Amt. Das Werk des heiligen Geistes war nöthig zur Sammlung und Vollendung der Kirche, zur Verklärung und Anbetung JEsu. Der Geist mußte alle Kniee beugen und alle Zungen bekennen lehren, daß JEsus Christus der HErr sei zur Ehre Gottes des Vaters. − Wie gut, wie nütze war also in dem Betracht Christi Hingang, durch welchen das Kommen des Geistes möglich wurde, nach welchem es auch wirklich eintrat!


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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/224&oldid=- (Version vom 4.9.2016)