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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

bezeichnet hätte, gewis die Lehre und Strafrede der Apostel, Propheten, Hirten und Lehrer verworfen, wohl gar als nicht christlich, dem Geiste Christi widersprechende verdammt und nichts weniger als angenommen haben. Indem man Menschen widersprochen hätte, hätte man auch geglaubt, Menschenlehren zu widersprechen, und hätte davon ein desto leichteres Gewißen gehabt. Dergleichen, der Welt nur zu sehr angehöriges Verfahren ist nun, wenn auch nicht unmöglich gemacht, doch erschwert. Denn nun hören wir ja aus des HErrn eigenem Munde, wovon die Apostel, vom heiligen Geiste gelehrt, Zeugnis geben sollen, und damit wir ja keinen, auch gar keinen Zweifel in ihre Worte legen möchten, setzt Christus ausdrücklich hinzu, der heilige Geist werde ihnen nichts anderes oder Neues sagen, sondern „von dem Meinen, spricht Er, wird Ers nehmen und reden, was Er hören wird.“ Vollkommene Einigkeit Christi und des Trösters in der heiligen Lehre wird uns somit versichert, und nichts anderes, als Christi und Seines Geistes Wahrheit ist es also, was die heiligen Zeugen gepredigt haben. Dankbar bekannten diese, vom Geist gelehrt zu sein; dankbar erkennen und bekennen auch wir, daß sie uns nichts anderes, als was geistlich und christlich ist, hinterließen, daß wir in des Geistes und in Christi Schule uns befinden, wenn wir in ihrer Schule sind.

 Es ist nun die Lehre, welche der HErr als Lehre des heiligen Geistes bezeichnet, eine allem menschlichen Verstande völlig fremde, von ihm nimmermehr zu erforschen, mit der Person Christi auf das genaueste zusammenhangend, ohne sie gar nicht verständlich. Die Sünde besteht im Unglauben an JEsum; − alle Gerechtigkeit in JEsu Gerechtigkeit, der auf Seinem Gang zum Vater alles gethan und gelitten hat, was als Gerechtigkeit von den Menschen gefordert werden konnte, der als unser Stellvertreter erwiesen ist durch diesen ganzen Gang zum Vater, und durch Seine Aufnahme in das ewige Reich als der einzige Gerechte auf dem unser Heil steht; – – und alles Gericht wird als ein Gericht über den Satan dargestellt, der den Sieg verlor im Kampf gegen Christum, damit bereits verworfen und reif ist für das endliche Gericht, das, sobald die seligen Geschäfte der letzten Stunde beendigt und die Schafe JEsu versammelt sein werden, unverweilt und vor männiglichs Angesicht über den Verworfenen hereinbrechen wird und über niemand sonst, der nicht freiwillig dem Geist der Gnaden widerstrebt und sich dem Satan beigefügt hat. −

 Wer nun diese von Anfang her verborgene, in keines Menschen Herz gekommene, vom heiligen Geiste im neuen Testamente offenbarte Lehre, diese dreifache Ueberweisungspredigt des heiligen Geistes nicht annimmt, wird nie ein Gotteskind, bleibt ein Weltkind, wird immer mehr ein Teufelskind. Wer das nicht zugeben will, daß alle Sünde im Unglauben an JEsum wurzele, seitdem JEsus gekommen und gepredigt ist, daß alle Gerechtigkeit aus JEsu dem Sünder zugerechneter Gerechtigkeit erwachse, alles Gericht ein Gericht sei, das von Gott nur dem Fürsten der Welt vermeint ist: der wird zu wahrem Christentum nie genesen, und alle Gnadenmittel, die er empfängt, zeugen nur gegen ihn und mehren seine Verdammnis. Es gibt keinen andern Weg aus der Welt zu Christo, als den, die Strafe des heiligen Geistes anzunehmen, den Unglauben abzulegen, gläubig Christi Gerechtigkeit anzunehmen und dem Fürsten der Welt abzusagen, der gerichtet ist. Das war auch von Anfang des Geistes Predigt an die Welt, und wäre sie nicht angenommen worden, so wäre nie eine Kirche aus der Welt hervorgegangen und die zweite Thätigkeit des heiligen Geistes wäre nie in die Ausübung gekommen.


 Diese zweite Thätigkeit erstreckt sich auf solche, bei denen die erste bereits geschehen ist; sie erweist sich innerhalb der christlichen Kirche. Durch die erste werden die Seelen aus der Welt gesammelt und der Grund eines geistlichen Lebens in ihnen gelegt. Wenn nun aber das geschehen und Christus als Mittelpunkt des eigenen Lebens, der Kirche, der Welt, des Himmels erkannt ist, dann geht es an ein Vollbereiten, Stärken, Kräftigen, Gründen, welches der HErr in unserm Texte mit dem bildlichen Ausdruck einer weiteren Leitung und Führung bezeichnet. „Ich habe euch noch viel zu sagen, aber ihr könnet es jetzt nicht tragen,“ spricht Er. Denn was dem geförderten Christenmenschen Flügel zum Himmel ist, womit er sich über Welt und Zeit erhebt, das ist dem Kinde in Christo, sei es gleich an sich die heilsamste, seligste Erkenntnis, eine beschwerliche und unerträgliche Last. Der HErr deutet also mit dem eben angeführten

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/222&oldid=- (Version vom 4.9.2016)