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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

derer, die eines Beistandes bedürfen in ihrer Schwachheit, eines mächtigen Beistands, wenn sie nicht Waisen sein und werden sollen. Faßen wir nur diesen Namen recht, so muß uns schon klar werden, wie groß und hehr die Würde des heiligen Geistes ist. Wenn die Menschheit ihren Heiland nicht sah, wenn Er Sich vor ihr verbarg, mußte Er ihr zu ihrer Befriedigung einen Ersatz, einen Tröster geben. Wer aber der Menschheit Ersatz und Trost für ihren verborgenen Heiland sein wollte, durfte selbst an Würde und Herrlichkeit nicht hinter dem Heiland zurückstehen und eben so wenig durften Seine Werke hinter denen des Sohnes zurückstehen; dazu mußte Er nicht andere, entgegengesetzte Werke thun, sondern Seine Werke mußten sich an JEsu Werke anschließen, mit ihnen völlig eine Reihe heiliger Gottesthaten ausmachen, ihnen die Krone aufsetzen, JEsum und Sein Werk verklären. Wenn aber das sein sollte, so mußte der Tröster, der Vertreter JEsu, der Beistand der Menschheit gerade so sein, wie wir von dem HErrn, dem heiligen Geiste lesen; Er mußte sein der Geist des HErrn, der vom Vater und Sohne ausgeht, und mit dem Vater und Sohne Ein ewiger, anbetungswürdiger Gott ist.

 Dieser hochgelobte Tröster kam denn auch, wie JEsus Christus verheißen hatte, nach dem Hingang des Sohnes zum Vater, am Tage der Pfingsten. Er war in der Welt auch vor der Menschwerdung Gottes. Das alte Testament hatte seine Heiligen, seine Seligen; heilig aber und selig werden kann ohne den heiligen Geist niemand. Abraham, der Vater der Gläubigen, Mose, der Mann, von Gott erkannt und geliebt, und so viele andere, wie hätten sie, was sie waren, ohne den heiligen Geist werden können? Aber von Pfingsten an gieng ein hellerer, mächtigerer Strom des Geistes über die Juden nicht allein, sondern über alle Völker − und im Vergleich mit dem Lichte, der Seligkeit und Kraft dieses neutestamentlichen Stromes, namentlich auch mit Seiner tröstenden Kraft verglichen, konnte und mußte vom alten Testamente gesagt werden, was wir auch einmal lesen: „Der heilige Geist war noch nicht da.“ Von Pfingsten an gieng der Geist des HErrn aus in alle Lande, und Er geht noch aus, denn es ist jetzt noch dieselbe Zeit. Und jetzt wie damals, damals wie jetzt und wie bis ans Ende der Tage übt Er eine gedoppelte Wirksamkeit aus, welche in unserm Texte beschrieben ist, − eine auf die Welt, eine auf die Kirche, eine außerhalb, eine innerhalb der Kirche, eine sammelnde auf die Welt, eine vollendende auf die Schafe JEsu.

 Die Wirksamkeit, welche sich auf die Welt erstreckt, wird eine strafende genannt, und das Strafen soll sich auf Sünde, Gerechtigkeit und Gericht beziehen. „Er wird, spricht Christus, die Welt strafen um die Sünde, um die Gerechtigkeit und um das Gerichte.“ − Wer sich nun unter strafen weiter nichts denkt, als eine thatsächliche, strenge Wiedervergeltung und Heimgebung deßen, was der Mensch verbrochen, die Ausübung göttlicher Rache und Strafgerechtigkeit, der bringt für die Rede Christi in unserm Texte keinen Sinn heraus. In diesem gewöhnlichen Sinne hat Luther das Wort „strafen“ nicht verstanden, da er es − jedenfalls völlig passend − für den griechischen Ausdruck wählte. Es bedeutet ein Strafen mit Worten, ein ernstes Misbilligen, Anfechten und Verwerfen böser Meinung, ein Widerlegen und Niederlegen alles Irrtums und Widerspruchs, und so paßt es auch ganz für den Sinn des heiligen Geistes gegenüber der Welt, und ganz für die Empfindung der Welt, wenn sie vernimmt, was des Geistes Wort über ihre Ansicht von Gerechtigkeit, Sünde und Gericht urtheilt. − Man denke sich nur die Welt, so wie sie ist; hochmüthig verliebt in ihre Meinung, erkennt sie jeden Widerspruch ihrer Untergebenen als Empörung, den der Gleichgestellten als Beleidigung, den der Obern als Strafe und Pein. So ist denn in der That die Wirksamkeit des heiligen Geistes, der allem Urtheil der Welt verneinend entgegentreten und statt desselben etwas ganz anderes setzen muß, für die Welt selbst und nach ihrem eigenen Empfinden nur eine strafende. Sie ist es aber auch nach dem Urtheil des heiligen Geistes. Denn die Unwißenheit und der Irrtum der Welt ist verschuldet und Sünde, des Geistes Misbilligung also Strafe.

 Der HErr hat uns näher ausgelegt, worin die dreifache Bestrafung des heiligen Geistes bestehen würde. Dafür haben wir Ihm anbetenden Dank zu sagen. Denn da der heilige Geist die Welt nicht unmittelbar straft, sondern durch Menschen, durch Prediger, seien es nun Apostel oder Propheten oder Hirten und Lehrer; so würde man, wenn der HErr nicht die Lehre des heiligen Geistes zum voraus kenntlich

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/221&oldid=- (Version vom 4.9.2016)