Seite:Wilhelm Löhe - Evangelien-Postille Aufl 3.pdf/225

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

 Das sehen und wißen wir, liebe Brüder! Auch unter uns übt der heilige Geist Sein Strafamt und Sein Trostamt aus; wir sind nicht verlaßen; wir sind gnädig heimgesucht. Aber ob wir uns von Gottes Geist strafen laßen? Ob wir unsere Irrtümer und Vorurtheile, Ansichten und Meinungen aufopfern und dagegen des Geistes Unterweisungen annehmen mögen? Ob wir uns gerne in die Wahrheit, in alle Wahrheit leiten laßen, und nicht viel lieber das Reich der Lüge oder doch diese oder jene Lüge behalten? Das sind andere Fragen, die ich so gerne zum Ruhme der erziehenden Gnade des heiligen Geistes beantworten möchte, wenn ich nur könnte. Das Strafamt ist wohl unter uns; aber wer achtet sein? Wer fürchtet Misbilligung des heiligen Geistes? Wer glaubt eine göttliche Rache für jedes Widerstreben gegen Gottes Wort? Wer fürchtet sich? Wer flieht? Wer flieht zum Gnadenstuhle? − Das Trostamt des heiligen Geistes ist wohl da; aber wo sind die Traurigen, daß sie getröstet werden? Wer will denn im Ernst den Trost des heiligen Geistes? Wer hält ihn für nöthig? Wer nimmt ihn auf und läßt ihn in sich wirken? Wer läßt sich einführen in alle Wahrheit, in allen Trost, in alle Gnade? − Fragen genug, wenig gute Antwort. Ach, meine Brüder, meine Brüder! Wie freundlich thut Sich der heilige Geist zu uns in Seinem Worte, auch in Seinem Sacramente! Seine Diener rufen, laden, nöthigen, bitten und vermahnen. Auch ich Diener JEsu, des Königs, bitte, flehe, werbe. Wird denn alles nicht helfen? Werdet ihr immerzu dieselben Wege jammervoller Selbstgenügsamkeit gehen und dem HErrn für Sein Laden und Werben nicht einmal danken? Der HErr helf euch doch von dem angeborenen trägen, stolzen Uebel, brech euch die Herzen und laße euer keinen zu Grabe gehen, bevor sein Hingang JEsu Hingang ähnlich geworden, bevor er durch Leiden und Sterben zu ewigem Leben gelangen kann.

 Der HErr sei euch gnädig! Er sei allen Menschen gnädig! Er mehre Sein Reich und vollende Seine Heerde durch Strafe und Trost Seines heiligen Geistes! Amen.




Am Sonntage Rogate.

Evang. Joh. 16, 23–30.
23. Wahrlich, wahrlich, Ich sage euch: So ihr den Vater etwas bitten werdet in Meinem Namen, so wird Er es euch geben. 24. Bisher habt ihr nichts gebeten in Meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, daß eure Freude vollkommen sei. 25. Solches habe Ich zu euch durch Sprichwort geredet. Es kommt aber die Zeit, daß Ich nicht mehr durch Sprichwort mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von Meinem Vater. 26. An demselbigen Tage werdet ihr bitten in Meinem Namen. Und Ich sage euch nicht, daß Ich den Vater für euch bitten will; 27. Denn Er Selbst, der Vater, hat euch lieb, darum, daß ihr Mich liebet und glaubet, daß Ich von Gott ausgegangen bin. 28. Ich bin vom Vater ausgegangen und gekommen in die Welt; wiederum verlaße Ich die Welt und gehe zum Vater. 29. Sprechen zu Ihm Seine Jünger: Siehe, nun redest Du frei heraus und sagst kein Sprichwort. 30. Nun wißen wir, daß Du alle Dinge weißt, und bedarfst nicht, daß Dich jemand frage. Darum glauben wir, daß Du von Gott ausgegangen bist.

 DIeses Evangelium schließt sich eng an das Jubilateevangelium „Ueber ein Kleines“ an, und der ganze Inhalt desselben ist nichts als eine Fortsetzung und Vollendung der Antwort Christi auf die Frage der Jünger von dem Ausdruck „Ueber ein Kleines“ und dem Hingang zum Vater. Er handelt ganz von der seligen Frucht des Hingangs JEsu, welcher sich am Himmelfahrtstage vollendet hat. Die Antwort,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/225&oldid=- (Version vom 4.9.2016)