Erlebnisse eines Dresdner Kommunalgardisten in den Maitagen 1849

Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904) Todtenschau Erlebnisse eines Dresdner Kommunalgardisten in den Maitagen 1849 (1901) von Paul Emil Richter
Erschienen in: Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904)
Aus Julius Schnorrs Tagebüchern. Teil 3
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Erlebnisse eines Dresdner Kommunalgardisten in den Maitagen 1849.
Mitgetheilt von Oberbibliothekar P. E. Richter.

Da ich[1] weder gewohnt war, in politische Vereine zu gehen, wenngleich ich dem Namen und der Gesinnung nach dem Deutschen angehörte, noch öffentliche Orte besuchte, wo man die Stimmung und sich vorbereitende Veränderungen derselben aus unmittelbarer Anschauung kennen zu lernen Gelegenheit hat, so begann für mich erst ein allerdings sehr entschiedener Anstoß und Umschwung meiner zeitherigen Ruhe durch den vom Kommando erlassenen Aufruf der sämmtlichen Bürgerwehr Dresdens zu Urversammlungen, welcher am (Mittwoch) 2. Mai erschien und schon für den Nachmittag einlud.

Diesem Aufrufe folgte ich um so freudiger und mit um so weniger Bedenken, da durch denselben die Stimmung der Bürgerwehr für ein einiges Deutschland Gelegenheit finden sollte, sich aussprechen zu können; und da dies in unserem engeren Vaterlande Sachsen bereits von mehreren, darunter auch der Bürgerwehr Leipzigs, ja sogar schon so vielseitig in den preußischen Staaten geschehen war, so war es gewiß der Dresdner um so weniger zu verargen, wenn auch sie durch eine gleiche Erklärung ihre gewiß nur lobenswerthe deutsche Gesinnung an den Tag legen wollte und nebenher dem Vorwurfe zu begegnen suchte, als bliebe sie theilnahmlos, wenn sonst überall man alle erlaubten Mittel aufbiete, der ebenso schönen als großen Idee allen erlaubten Vorschub zu gewähren. Fest bin ich überzeugt, daß, wenn die Anarchisten hier nicht um jeden Preis einen Aufstand hätten herbeiführen wollen, die hiesige Bürgerwehr in Verbindung mit dem Militär, ebenso wie die Leipziger, im Stande gewesen sein würde, jeden Unfug des Pöbels zu hindern.

In diesen Urversammlungen, welche bataillonsweise, mit je einem zugetheilten Hülfskorps, stattfanden, wurde nun eine von den Kommandanten entworfene gleichlautende Adresse an Se. Majestät den König zur Genehmigung oder Verwerfung vorgetragen. Eine Diskussion, welche von einigen Ultras gewünscht wurde, wurde auch in unserem Bataillone mit wenigstens ⅔ der Stimmen und zwar aus dem Grunde abgelehnt, um nicht durch Rede und Gegenrede die Gemüther zu erhitzen, und nachdem diese Vorfrage erledigt, wurde die Adresse einstimmig angenommen. In der Fassung derselben lag gewiß nichts, was nothwendigerweise eine solche Katastrophe, wie wir sie seitdem gehabt, herbeiführen [2] mußte. Doch aber war es die, damals freilich noch nicht zu errathende Absicht der Anarchisten, hier um jeden Preis einen Aufstand hervorzurufen und zuvor die Kommunalgarde unschädlich zu machen, da sie aus der Haltung des allgemeinen Bürgerwehrvereins nur zu gut ersehen konnten, daß sie nicht nur nichts Ungesetzliches thun, noch weniger aber etwas thätig unterstützen würde, was gegen Gesetz und Ordnung, am allerwenigsten aber für Republik kämpfen werde. Dies Mittel war in dem Antrage gefunden: Daß man an das Kommando zunächst, dann für das ganze Land an das Generalkommando das Ersuchen richte, für Dresden zum Freitag (dem 4. Mai), für das ganze Land nächster Zeit eine große Parade anzuordnen, um durch ein Hoch die Reichsverfassung als zu Recht bestehend anzuerkennen. Dieser Antrag war in allen Bataillonen vorbereitet, mit ihm sollte, wie früher in ähnlichen Fällen im Bürgerwehrverein überrascht werden, denn er stand nicht mit als Tagesordnung auf dem Plakate seitens des Kommandanten.

Als dieser Antrag nun bei uns durch Dr. Minckwitz[2] vorgetragen wurde, entfernte sich eine große Anzahl von den Mitgliedern des Bataillons, weil sie mit ihm nichts zu schaffen haben wollten, dadurch aber wurde die Majorität der Gemäßigten bedeutend verringert, und anstatt daß derselbe hätte abgeworfen werden sollen, ward er, wenn auch nur mit geringer Majorität, genehmigt: Dasselbe fand in gleicher Weise auch in allen übrigen Versammlungen statt.

Die Urversammlungen fanden am 2. Mai statt, und der Antrag ging dahin, daß erst am 4. die Parade stattfinden solle; der Kommunalgardenausschuß aber, der am 3. wegen desselben versammelt war, wurde mit seinem Vorsitzenden, dem Oberkommandanten Lenz,[3] dermaßen gedrängt und zuletzt terrorisirt, auch von solchen, welche gar nicht dazu gehörten, daß er die verlangte, nun rücksichtslos geforderte Parade schon an diesem Tage abhalten lassen mußte, und zwar nun nicht mehr, wie ausdrücklich bestimmt worden war, auf Appell, sondern auf Generalmarsch, dem Lenz nur mit Niederlegung seines Amtes ausweichen zu können glaubte. Im dritten Bataillon wurde indeß nur, der Anordnung des Ausschusses zufolge, Appell geschlagen, doch aber soll dies in Altstadt nicht durchgängig der Fall gewesen sein.

Um 1 Uhr wurden demnach die Abtheilungen versammelt, und in ununterbrochener Ausschußsitzung war bestimmt worden, daß, da eine Parade vom Generalkommando[4] nicht gestattet worden war, sobald die Kommunalgardenbataillone und die Hülfskorps die Antwort des Königs auf ihren Sammelplätzen mitgetheilt bekommen hätten, sie sofort wieder abtreten zu lassen. Bei einigen Abtheilungen der Altstadt war dies sehr bald geschehen, wir aber in Neustadt harrten Stunden lang vergeblich, sowohl auf die versprochene Antwort, als auch auf das sehnlich gewünschte Abtreten.

Durch das Ausschußmitglied, unseren Zugführer Appellationsrath Siebdrat,[5] war uns die Mittheilung geworden, daß wir schleunigst den Befehl zum Abtreten bekommen müßten, indem die Anderen schon längst wieder entlassen seien; er wunderte sich sehr, daß wir noch auf dem Platze seien, erklärte aber, daß seine nur als vertraulich zu betrachtende Mittheilung uns zum Auseinandergehen nicht veranlassen könne, indem der Befehl dazu von einem Adjutanten gebracht werden müsse. Es kam aber weder einer der Kommando-Adjutanten, noch hatte unser Bataillonsadjutant Zychlinsky,[6] als er endlich erschien, irgend einen Befehl für uns, oder er hat ihn uns absichtlich vorenthalten, damit wenigstens ein Bataillon in zweifelhafter Absicht auf den Beinen bliebe. Uns blieb daher weiter nichts übrig, als am Ende eine Deputation auf das Bureau zu senden, um endliche Gewißheit über unsere Lage zu bekommen, und diese konnte ebenfalls erst nach langem Hin- und Herlaufen eine Autorität auffinden, um Befehle für uns zu erlangen. Nach Rückkehr derselben ward sofort abgetreten, nachdem zuvor die Kompagnien Kreise formirt, die Antwort des Königs empfangen und ein Hoch auf die Reichsverfassung, an dem auch das außen stehende Militär mit Begeisterung theilgenommen, ausgebracht hatten.

Unser Standhalten auf dem Sammelplatz war in Altstadt bekannt geworden, und, wie es scheint, damit der geheime Zweck der Anarchisten erreicht; denn unter Geschrei kam eine kleine Abtheilung Bewaffneter aus der Altstadt herüber, geführt von ein paar Rottmeistern, doch aber war die Mehrzahl derselben der Kommunalgarde nicht angehörend, denn schon waren freiwillige Bewaffnete darunter. Der Trupp schien in der Voraussetzung gekommen zu sein, sich uns anschließen zu wollen, da derselbe indeß bemerken mußte, daß er sich in seiner Annahme geirrt hatte, so zog er sehr bald wieder ab und ohne daß auch nur irgend eine Verhandlung stattgefunden hätte. Mit gleich leichter Mühe wurden wir ein Hülfsanerbieten von Barrikadenleuten vom Fache los, von denen zwei im Auftrage anderer Zehne sich zur Disposition des Bataillons stellten und Waffen zu dem Zwecke verlangten. Es war gegen 4 Uhr, als [3] wir endlich wieder zu Hause waren, aber kaum daselbst angekommen und die Waffen abgelegt, rief die Trommel wieder zurück auf den Platz.

Unser Bataillon hatte die Altstädter Rathhauswache während dieser Tage zu geben, und es hatte die 11. Kompagnie dem Wachtreglement gemäß sofort den Posten, den es in der Nacht verlassen hatte, wieder einzunehmen; da aber bei so bewegten Zeiten das gewöhnliche Kommando nicht ausreicht, so bezog das ganze Bataillon dieselbe.

Gegen 5 Uhr marschirte demnach das Bataillon über die Brücke; als dasselbe durch das Georgenthor – seinen gewöhnlichen Weg – marschiren wollte, wurde es durch eine brüllende, fanatisch erregte Menge angefallen, demselben die Richtung nach dem Zeughause aufzuzwingen. Schaudervoll war dieser Moment, über alle Beschreibung gräßlich! wie diese Menschen uns anfielen, Rache schnaubend für einen Alten, der am Zeughause von einer Kugel getödtet, auf einen Leiterwagen mit entblößter Wunde gelegt und so vor den Balkon des Schlosses gefahren worden war. Eine glückliche Eingebung des das Bataillon führenden Vice-Kommandanten (Liscow[7] war nicht zugegen) brachte uns ohne weitere Anfechtung von dem wilden Haufen weg, es ward im schnellen Schritte die Augustusstraße hinauf marschirt, er glaubte also, unser Ziel sei das Zeughaus, und blieb lärmend und schreiend zurück. Wir aber nahmen den Weg über den Neumarkt durch die mittle Frauengasse, wo wir am Anfange der Rosmaringasse dem 5. Bataillon begegneten, und was wir durch die Verzögerung, die ihm unsere Begegnung verursachte, vor großem Unglücke bewahrten: gewiß wäre es sonst gerade mitten in die Kartätschen-Schußlinie gekommen, denn es war auf dem Wege zum Zeughause. Durch die große Frauengasse und Badergasse gelangten wir auf den Altmarkt und somit auf unseren Posten.

Daselbst angekommen, stellten wir uns in erster Linie vor dem Rathhause auf, hinter uns stand bereits die Akademische Legion, und in und unmittelbar vor dem Rathhause war eine Abtheilung Bürgerschützen. Anfangs wurde noch so ziemlich die Ordnung erhalten, als aber wiederholt vom Zeughause her der Geschützdonner erdröhnte, löste sie sich immer mehr und eine furchtbare Aufregung der verschiedensten Art, je nach den verschiedenen individuellen Ansichten und Wünschen der Einzelnen, griff unaufhaltsam um sich. Keinerlei höhere Führung war bemerkbar, weder im Interesse der Ordnung, noch auch der Unordnung, wenn man nicht annehmen will, daß in Bezug auf letztere das Gehenlassen die beste Führung war. Ziemlich lange standen wir in dieser schrecklichen Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, bis endlich von einer Horde Gesindels ein Infanterie-Offiziers-Tschako furchtbar zugerichtet auf einer Latte unter wildem Gebrüll und in teuflischem Triumphe einher gebracht wurde. Jetzt erschallte von allen Seiten der Ruf nach Waffen und Munition, und eine andere Rotte machte sich fertig, in dem Laden am Altmarkte und Seegassenecke, wo Pulver und Blei vermuthet wurde, solches durch Erbrechen gewaltsam wegzunehmen, was aber das 4. Bataillon, was mittlerweile von der Kreuzgasse her auf den Markt gerückt war, durch sein Vorrücken an den bedrohten Punkt verhinderte. Doch aber war ohnedies sehr bald ein großer Vorrath von Pulver und Kugeln auf dem Platze, indem ganze Säcke voll von noch Unbewaffneten herumgereicht wurden. Da bis dahin noch kein Angriff des Eigenthums stattgefunden hatte, so läßt sich daraus mit Sicherheit schließen, daß die Leiter des Aufstandes diese Vorräthe bereits angeschafft hatten, zugleich aber bestätigt es die Annahme, daß der Ausbruch um einige Zeit zu früh kam, denn zu Patronen waren diese Vorräthe noch nicht verarbeitet. Der Moment des Vertheilens war aber vom anarchistischen Standpunkte aus ein gewiß höchst glücklich gewählter, denn er fiel mit dem zusammen, daß das Zeughaus genommen sei, wo es also als erstes Zeichen des Sieges gelten mußte, ohne daß darauf besonders aufmerksam gemacht zu werden brauchte.

Kurz vor dieser Munitionsvertheilung war auch der Anfang gemacht worden, die Buden des Marktes, welche eben abgebrochen und zusammengesetzt wurden, zu Barrikaden an den auf den Markt mündenden Straßen zu benutzen, bei welcher Beschäftigung Tzschirner[8] persönlich Theil genommen haben soll, während im Rathhaus die Gewölbe geöffnet wurden, wo die für den Straßenbau nöthigen Werkzeuge aufbewahrt wurden; und es waren fast ausschließlich Jungen, die die Hacken und Schaufeln in Triumph entführten, um mittelst derselben das Pflaster aufzureißen und mit den Steinen und dem Sande die Barrikaden zu vollenden.

Während dem kam ein Theil des am Zeughause gesprengten 5. Bataillons in wilder, regelloser Hast über die Barrikaden auf den Altmarkt zurück, eine gräßliche Rotte Gesindels begleitete sie unter wildem Geschrei. Der größte Theil des Bataillons kam aber nicht, er war wahrscheinlich nach Hause gegangen. Mit dieser Rotte erschienen auch schon die ersten Plünderungsstücke [4] aus dem Zeughofe, unter Anderem auch große französische Wallbüchsen und andere Gewehre neben allerlei unvollständigen Gewehrtheilen. Von nun an war alle Ordnung dahin. Diejenigen, welche dadurch zu Waffen gekommen waren, fingen sofort an, sie zu probiren, und das Schießen nahm nun seinen Anfang, an welchem sogar ein Zugführer der Kommunalgarde lebhaften Antheil nahm, wenn er nicht selbst es war, der den Anfang damit gemacht hat.

Auf dem Rathhause selbst war ein sehr kleiner Theil der städtischen Behörden versammelt, auch einige Hauptleute und Offiziere der Kommunalgarde waren daselbst zugegen, leider aber gehörten die Anwesenden, Stadträthe und Stadtverordnete, größtentheils zu den „Gesinnungstüchtigen“, von den ruhigen waren nur etwa drei zugegen, während die anderen ihre „Gutgesinntheit“ dadurch bethätigen zu müssen glaubten, daß sie der bösen Sache fern blieben, wodurch der anderen Partei das Feld ohne Kampf überlassen war. Zwischen diesen fanden sich noch einige Mitglieder auswärtiger Deputationen, unter denen auch die Leipziger, und es wurde, da es noch ehrlich der Reichsverfassungsangelegenheit galt, noch ein Versuch gemacht, mittelst einer gemischten Deputation, an welcher die genannten und drei Offiziere der hiesigen Kommunalgarde Theil nahmen, den König nochmals um die so einstimmig gewünschte Anerkennung derselben zu bitten. Einstimmig wurde unser Hauptmann, Appellationsrath Dr. Schwarze[9] zum Sprecher bestimmt, und nach vieler Mühe, erst in das Schloß zu kommen, dann den König aufzufinden, konnte die gewünschte Audienz erreicht werden; aber so tief bewegt der König auch durch die Ansprache der Deputation wurde, so erfolgte die Anerkennung dennoch nicht. Es war in der siebenten Stunde, als diese Deputation auf das Schloß zu sich in Bewegung setzte.

Um die gleiche Zeit war es, als ein kleiner, in einen braun-violetten Rock gekleideter, mit weißer Binde versehener Mann anfing, sich sehr thätig vor dem Rathhause zu zeigen, und diese Thätigkeit besonders den freiwilligen Verfechtern der Reichsverfassung widmete; später verschwand derselbe im Rathhause. Alle Ordnung war inzwischen völlig gelöst, kaum daß sich die Kompagnien noch truppweise zusammenhielten. Jetzt war es auch, wo ein zur Kommunalgarde nicht gehörender Bewaffneter, zwar mit dem Dienstzeichen derselben versehen, auf mich zugestürmt kam und von mir[10] eine Abtheilung Gardisten zu Besetzung der Barrikade an der Wilsdruffer Gasse verlangte. Unbedingte Weigerung würde nur die Sache verschlimmert haben, daher antwortete ich, daß ich allein das nicht bewilligen könnte, ich aber meinen Hauptmann davon in Kenntniß setzen wolle. Dadurch wurde ich den furchtbar Wüthenden los, und ich kam in das Rathhaus, wo ich meinen Hauptmann von der wachsenden Gefahr unterrichtete.

In dem Sessionszimmer war ein ebensolches Bild von Durcheinander anzutreffen, wie unten auf Markt und Straßen; viele von denen, die dasein sollten, waren abwesend, von den gegenwärtigen waren die meisten Ultrademokraten und neben diesen noch eine Menge da, die nicht hingehörte. Unter diesen letzteren zeichnete sich besonders der Kapellmeister Wagner aus, der, obgleich im Nebenzimmer, doch den lebhaftesten Theil am Fortgange des Aufstandes nahm; er hatte weiter nichts im Kopfe, als die Bildung einer provisorischen Regierung, deren Nothwendigkeit er laut aussprach, obgleich er niemand Bestimmtes vor sich hatte, an den er diesen Ausspruch richtete. Der arme Lenz war zwischen all’ diesem Treiben wie eine wandelnde Leiche, all’ seiner Funktionszeichen entkleidet, schien er als Gefangener;[11] ob dies bereits der Fall war, konnte ich nicht errathen.

Als ich wieder auf den Platz zurückkam, hatte sich die Verwirrung nur noch mehr gesteigert, und gar nicht lange dauerte es, so wurde auch aus dem Erker des literarischen Museums, dem Hôtel de Pologne schrägüber, nur um deswillen geschossen, um die Verwirrung recht sicher zu verbreiten, und es hieß, daß es Turner seien.

Während dem war man im Rathhause mit einer Berathung zu Ende gekommen und das Resultat derselben wurde vom Balkon herab, auf welchen vorher schon eine deutsche Fahne gepflanzt worden war, den versammelten Bürgern bekannt gemacht. Der Beschluß war dahin ausgefallen, daß man den Oberbefehl über die gesammte Macht sowohl, als auch über die Stadt dem vormaligen Mitgliede der 1. Kammer, Oberstleutnant Heinze, übertragen und dieser ihn angenommen habe.[12] Jetzt lernte ich den schon erwähnten kleinen überaus thätigen Mann auch dem Namen nach kennen, es war der neue Oberbefehlshaber. Er erklärte sich zur Annahme der Wahl unter der gehörigen Portion von gesinnungstüchtigen Floskeln, z. B. „Des Volkes Wille ist höchstes Gesetz“ etc., bereit und entließ schließlich bis auf weiter zu gebendes Signal die unter Waffen [5] Stehenden, indem er, wie er sich aussprach, nicht wünsche, daß die Bürger ohne Noth sich erschöpften, hoffe aber, daß sofort bei dem ersten Rufe Jeder wieder am Platze sein werde. Hierauf trat ein dritter Sprecher auf, dessen äußere Erscheinung eine keineswegs empfehlende und gewinnende war; er glaubte ganz besonders sich berufen zu fühlen, Mißverständnisse, welche die Rede seines Vorgängers etwa finden könne, dadurch zu beseitigen, daß er erläuterte, daß Heinze in seiner Ansprache die Kämpfer nicht bestimmt habe nach Hause schicken wollen, daß schon dadurch der Zweck der oberkommandantschaftlichen Rücksichtnahme erfüllt werden würde, wenn namentlich weiter Wohnende (wohl die Neu- und Antonstädter?) nur den ermüdenden Stand auf dem Platze verließen und sich in irgend eines der zahlreichen Gasthäuser in der Nähe begäben, um da auszuruhen und frische Kräfte zu sammeln, keineswegs wäre verlangt worden, daß Jeder nach Hause gehen solle, um sich sorgloser Bequemlichkeit zu überlassen. Dieser so besorgt für die gute Sache sich zeigende „Bürger“ war Tzschirner! An das Volk richtete er, wenn ich anders mich recht erinnere, noch die besondere Weisung, daß mit dem begonnenen Bau der Barrikaden fortzufahren sei.

Von dem Momente an, wo Tzschirner der Bewegung als Spitze sich aufdrang, waren wie mit einem Schlage die Sympathien aller Gutgesinnten verschwunden und mit Eifer ergriff der größte Theil des 3. Bataillons sofort den Befehl des Abtretens. Wir auf dem rechten Flügel machten sofort Kehrt und hatten dadurch den Eingang der Scheffelgasse gewonnen; da aber inzwischen auf dem Markte ein Schuß und großes Geschrei gehört wurde, so zögerten einige noch, um zu sehen, was vorgefallen, auch wir sahen uns um; da wir aber nur eine Menge wuthverzerrter Gesichter und diese zum Theil uns drohen sahen, so setzten wir unsern Weg in der festen Entschlossenheit fort, auf keinen Fall umkehren zu wollen. Am Polizeihause hatten wir die erste schon ziemlich fest und hoch gebaute Barrikade zu übersteigen und dabei allen Grund zu fürchten, daß uns, den „Ausreißern“, vom Altmarkte aus Kugeln nachgesendet werden könnten, darum waren wir froh, dies uns jetzt schützende Bollwerk im Rücken zu haben. Am Ausgange der Gasse auf die Wallstraße war eine zweite gleich starke Barrikade errichtet, bei deren Passirung wir bald Händel mit den Erbauern und gleichzeitig Vertheidigern bekommen hätten; es hatte fast den Anschein, als seien die inneren Barrikaden mehr gebaut, die Kommunalgarde zusammen- als das Militär abzuhalten. Wir mußten nun vorsichtig sein, um den Schein des Rückzugs zu vermeiden, durften daher auch nicht ängstlich nach offenen Auswegen spähen, sondern mußten immer festen, sicheren Schrittes vorwärts, und diesen dahin lenken, wo muthmaßlich die Passage offen sein könne. Auf dem Postplatze angekommen, bemerkten wir schon Barrikaden in der Sophienstraße, wo schon eine Menge Wagen umgestürzt ein ziemlich hohes Gerippe abgaben; desgleichen war auch die Ostra-Allee bereits gesperrt, wir mußten daher am schönen Brunnen vorbei nach dem Schlachthofe gehen, hoffend, daß die Zwingerstraße noch offen sein werde, doch auch diese war es nicht mehr und ebenso auch das Malergäßchen; an diesem und über die Gerbergasse weg wurde soeben eine Barrikade erbaut, und es blieb weiter nichts übrig, als durch die Bauenden hindurch zu gehen, wo wir ohne Gefahr sie so lange am Bauen hinderten. Jetzt endlich waren wir außer dem Bereiche der Barrikaden, denn am Queckbrunnen, an der Herzogin Garten, der Ostra-Allee und der kleinen Packhofstraße waren keine mehr zu finden, und so kamen wir auf diesem Umwege und durch die Kohlenniederlage am Packhofe hindurch an die Elbe, wo wir uns übersetzen ließen und froh waren, jener Gesellschaft entronnen zu sein. Es war dies gegen ½8 Uhr, und in Neustadt angekommen ging Jeder mit dem Entschlusse nach Hause, dem Rufe des neuen Oberkommandanten nach Altstadt keine weitere Folge geben zu wollen.

Unter großer Besorgniß für den kommenden Tag ward sich endlich zur Ruhe begeben, welche aber schon sehr zeitig am Freitag früh gestört wurde, denn ungefähr gegen 4 Uhr wurden mehrere starke Salven gehört und vom Kreuzthurme heulte die Sturmglocke. Zu gleicher Zeit sollen auch vom Altmarkte Raketen als Signale aufgestiegen sein, welche sofort von den ferneren Höhen durch Feuer weiter gegeben worden sein sollen. Obgleich das vom Kreuzthurme erschallende Signal das war, was früher von Lenz für Zeiten der Gefahr gegeben worden war, so fand es doch, als unter Tzschirners Einfluß gegeben, vom dritten Bataillone keine Beachtung; später ergab sich, daß die Salven in dem Momente gegeben worden seien, als die Königliche Familie das Schloß verließ, und es waren diese von den Aufständigen als irgend ein Angriff genommen worden.

Für 9 Uhr des Vormittags war für die Bewohner der Neu- und Antonstadt eine allgemeine Versammlung auf dem Rathhause angeordnet worden, um für diese Stadttheile ein gemeinschaftliches und übereinstimmendes Handeln zu besprechen, welche auch ziemlich zahlreich besucht war, wenngleich eine öffentliche und allgemeine Einladung dazu nicht erfolgen konnte. Außer ein paar Stadträthen, unter welchen Lehmann[13] ehrlich ausgehalten hat, waren unter Andern auch die Kaufleute [6] Methe, Collenbusch[14] und andere höchst achtungswerthe Männer zugezogen, außer diesen aber auch eine Menge fanatisch erregten Volkes, und es wurde zunächst im Hinblick dessen, daß auch wir von allen ordentlichen Behörden uns gänzlich verlassen sehen mußten, beschlossen: zu der Wahl eines Sicherheitsausschusses zu schreiten, in welchen außer dem Stadtrathe Lehmann unter Andern der Kaufmann Methe gewählt wurde, und es fiel die ganze Wahl dahin aus, daß, wenn auch kein Rückwärtsler, doch nur Männer gewählt wurden, die den Fortschritt und die Reichsverfassung nur auf dem Wege des Gesetzes verwirklicht wissen wollten. Von diesem Ausschusse ging es aus, daß das diesseitige Bataillon für alle Fälle auf das Rathhaus berufen wurde, und obgleich dasselbe nur spärlich erschien, so stellt sich doch bei ruhiger Ueberlegung jetzt immer entschiedener heraus, daß durch diese Maßregel die Neu- und Antonstadt von den Gräueln der Altstadt befreit wurde, so sehr auch anfangs von der Militärpartei unsere Vereinigung verdammt wurde und von Kurzsichtigen hin und wieder noch jetzt getadelt werden mag. Konnte sich auch zuerst Niemand klar darüber fühlen, was aus uns und mit uns werden könne, so stand doch bei der überwiegenden Mehrzahl der Versammelten soviel unumstößlich fest, daß wir weder gegen das Militär gehen würden noch auch dasselbe anzugreifen im Willen waren.

Der Altstadt gegenüber befand sich unser Bataillon in einer gräßlichen Lage, denn noch immer war es möglich, daß eine Vereinigung des Militärs mit der Altstadt stattfinden könne, immer noch war es nicht außer dem Bereich der Möglichkeit, daß Tzschirner, der sich nur vor- und aufgedrängt haben konnte, durch bessere Elemente neutralisirt werden würde und daß dennoch eine Vereinigung zwischen Krone und Volk noch möglich sein könne. Darum durfte unser Bataillon nicht am Platze fehlen, und die bewaffnete Neutralität war gewiß das einzig Zweckmäßige, was es sowohl zu seiner eigenen als auch des Stadttheils Sicherheit, anderntheils auch im Interesse des Kampfes, der noch immer als der Reichsverfassung geltend angenommen werden mußte, wählen konnte.

Bei dieser ersten allgemeinen Bürgerversammlung wurde der Sicherheitsausschuß, nachdem er gewählt, beauftragt, alle etwa nöthigen Schritte zu thun, zugleich auch die Bestimmung getroffen, sich im Verlaufe des Tages noch mehrere Male, je nach Bedürfniß, zu vereinen, um etwaige Mittheilungen desselben entgegennehmen und weitere Beschlüsse auf Vorschläge desselben fassen zu können. Da die Altstadt um diese Zeit mit dem Gouvernement,[15] als der einzig übrig gebliebenen Behörde, verhandelte, so waren auch die Posten des Militärs für unsere Ordonnanzen nach der Altstadt frei und geöffnet, und auf diese Weise verkehrten wir bis Nachmittag noch einige Male mit dem Altstädter Rathhause.

Was mich betrifft, so muß ich bekennen, daß eins der schrecklichsten, peinigendsten Gefühle, die ich kennen lernte, das war, was aus dem Bewußtsein entsprang, so ganz ohne alle und jede gesetzliche Behörde zu sein, denn keine gab irgend ein Lebens- oder Daseinszeichen von sich. Wohl ward nachträglich behauptet, daß alle Behörden fortbestanden hätten, doch aber kann dies nur insofern als Wahrheit erscheinen, wie man auch von einer Uhr sagen kann, sie existire noch, wenngleich sie stehen geblieben ihrer Bestimmung nicht mehr nachkommt, so auch Behörden, die, wenn sie namentlich in so furchtbarer Zeit nicht handeln, dann ebenfalls aufgehört haben zu sein.

Gegen 11 Uhr, die Zeit der zweiten Versammlung, trat der folgsame Theil des Bataillons, durch mündliches Kommando der Feldwebel und Rottmeister dazu veranlaßt, auf dem Rathhause allmählig zusammen. Von der Altstadt war die Anzeige eingegangen, daß sich dort unter Tzschirners Vorsitz eine provisorische Regierung anstatt des früheren Sicherheitsausschusses gebildet habe, und die Proklamation desselben ward verlesen, sowie auch die vollkommene Zustimmung jener Behörde zu dem von Neu- und Antonstadt gefaßten Beschlusse in Betreff der Haltung der Kommunalgarde; zugleich erfolgte von dort aus auch die Erklärung, daß unser Stadttheil sich ganz überlassen bleiben müsse, daß wir von drüben keinerlei Befehle erwarten dürften, Neu- und Antonstadt müsse in jeder Beziehung selbständig handeln, und als Kommandanten hätten wir den Vice-Kommandanten des Bataillons zu betrachten, der im Einverständnisse mit unserem Sicherheitsausschuß zu handeln habe.

Die Einsetzung der provisorischen Regierung an und für sich schon, besonders aber die Art ihrer Zusammensetzung, brachte keineswegs einen günstigen Eindruck hervor, wenngleich durch sie wieder eine Behörde gewonnen war, deren Nichtvorhandensein Jedermann das drückendste Gefühl beigebracht hatte, und da der großen überwiegenden Mehrzahl nach den Theilnehmern der Versammlung Männer von gemäßigter Gesinnung angehörten, so war kein besonderer Jubel zu bemerken, und auch vom Sicherheitsausschusse ward das nothwendige Uebel nur „einstweilen“ (so, glaube ich, lautete [7] die Bezeichnung) anerkannt, da es leider, der Sachlage nach, nicht abgewiesen werden konnte.

Diese zweite allgemeine Versammlung war eigentlich die letzte, denn von nun an wollte Niemand sich mehr recht bei weiteren Verhandlungen betheiligen, und es wurde im Einverständnisse mit dem Ausschusse entschieden ausgesprochen, daß von nun an die Kommunalgarde nur zu dem Zwecke versammelt bleiben solle, um vorkommenden Falles Personen und Eigenthum schützen zu können. Von einer entschiedenen Anzeige dieses Zweckes an das Gouvernement ward aber zur Zeit noch abgesehen, doch aber war es dort sehr bald bekannt, denn es verschwanden nach und nach die Vorsichtsmaßregeln, welche man auch gegen uns am Blockhause hatte machen müssen: die mittelst Barrikaden mit Schießscharten versehenen Vorkehrungen an den Fenstern desselben.[16] Nach Altstadt ward ebenfalls nur noch ein Mal eine Ordonnanz entsendet, nach deren Rückkehr beinahe alle, wenigstens jede offizielle Verbindung aufhörte. Am Freitage Nachmittags erhielten wir die Altstädter Barrikadenordnung und am Sonnabend die Proklamation der provisorischen Regierung an die Kommunalgarde, worin dieser zur Pflicht gemacht wurde, entweder zu erscheinen oder ihre Waffen an Kampflustigere zu überlassen. Wie alle Bekanntmachungen der aufständischen Behörde, so wurde auch diese an den Ecken in Neustadt angeheftet, und es entstand gerade aus dieser eine furchtbare Krisis für die Neustadt, indem einerseits die Kommunalgarde daraus abnehmen zu müssen glaubte, daß man unser Neutralitätsverhältniß ferner nicht anerkennen wolle, und nur mit größter Mühe gelang es, die Ansicht zur Geltung zu bringen, daß sich dieser Befehl nur auf die Altstadt beziehe, uns aber nicht berühren könne. Anderntheils aber war dieser Anschlag Veranlassung, daß das Militär wieder zu entschiedenerem Handeln aufwachte, indem Kommandos desselben alle von der provisorischen Regierung erlassene Proklamationen abrissen, was natürlich die Anarchisten unter uns in die furchtbarste Wuth brachte und dem sie entgegengetreten wissen wollten. Aus dieser Aufregung traten nun die Extreme wieder einmal in furchtbarer Gestalt sich gegenüber, die eine, glücklicherweise entschiedenst stärkere Partei nahm Gelegenheit, wiederholt zu erklären, daß sie auf keinen Fall an einem Angriffe des Militärs Theil nehmen werde, während die unbedeutende Minderzahl um jeden Preis einen Angriff auf dasselbe herbeiführen wollte. . . . .

Wie schon erwähnt, ist unser Zusammensein auf dem Rathhause vielfach und heftig getadelt worden, indem man uns von beiden Seiten den Vorwurf der Unthätigkeit machen zu müssen glaubte, der sogenannte gutgesinnte Theil uns aber nachträglich den guten Rath geben will, daß wir uns zur Disposition des Gouvernements hätten stellen sollen, um uns zur Unterstützung des Militärs verwenden zu lassen. Ueber beide Ansichten läßt es sich nach überstandener Gefahr herrlich moralisiren, anders ist es freilich während derselben! Ich bin aber der festen Ueberzeugung, daß gerade das beobachtete Benehmen allein geeignet war, Neu- und Antonstadt vor dem Geschicke der Altstadt zu bewahren.

Wir hätten die Altstadt unterstützen sollen, meinte während der gefahrvollen Zeit ein Theil der mit unserer Haltung Unzufriedenen. Doch aber waren die der Reichsverfassung ehrlich und treu Ergebenen mehr als stutzig geworden, als sich ein Element wie Tzschirner der reinen Begeisterung beigemischt hatte, und bald war dieser Tzschirner sogar an Stelle der obersten Staatsbehörde durch seine Partei geschoben worden, jetzt war es bereits mehr als wahrscheinlich geworden, daß es sich um ganz andere Zwecke als Anerkennung der Reichsverfassung handele, und es war um so nöthiger, bei der einmal angenommenen und drüben gebilligten Neutralität zu bleiben, wenn wir nicht riskiren wollten, gemißbraucht zu werden. Wir wurden in diesem Entschlusse nur noch mehr bestärkt, als Blöde,[17] der in seiner Eigenschaft als Mitglied der Staatsschuldentilgungskommission eine Paßkarte nach Neustadt von der Militärbehörde erhalten hatte, uns mit besuchte und in dem fast abgedrungenen Vortrage unsere Neutralität nicht nur billigte, sondern zu Festhaltung derselben ermahnte, und überhaupt mehr als deutlich hindurchblicken ließ, daß man in Altstadt der zügellosen Masse nicht mehr mächtig sei, so daß seine Rede mehr als Abrathen, denn als Anfeuerung gelten und erscheinen mußte.

Besonders das Volk und auch ein Theil der Kommunalgarde glaubte noch immer, daß für die Reichsverfassung, und zwar ohne Beimischung fremder Zwecke, gekämpft werde; daher hätte ein Aufgeben dieser Neutralität nach der anderen Seite hin nur gerade das herbeiführen müssen, was wir eben vermeiden wollten, nämlich das Entbrennen des Kampfes in Neu- und Antonstadt.

[8] Auch die Klugheit gebot uns unser Verhalten, denn räumte das Militär die Stadt, oder vereinigte es sich gar mit den Aufständigen, zu welchen beiden Fällen Möglichkeiten leider vorhanden waren, – zu ersterem das unentschiedene Auftreten des Gouverneurs, zu letzterem die Gesinnungsart einiger Truppentheile, – in welche Lage wären wir dann gekommen? Nicht nur die Mitglieder der Kommunalgarde, sondern sämmtliche Bewohner der Stadttheile wären in die gräßlichste Gefahr versetzt gewesen.

Hier könnte man nun einwenden, daß ja bereits bekannt gewesen sei, welches Loos den beiden Stadttheilen im Falle des Sieges der Rothen bestimmt war, was allerdings zugegeben werden muß, wobei aber nicht vergessen werden darf, daß dieses Schicksal erst bestimmt worden war, nachdem drüben am Siege verzweifelt worden war, also erst zu einer Zeit, wo namentlich das Militär durch Preußen hinreichend verstärkt und dadurch der Sieg der Ordnung und des Gesetzes gesichert war.

Denen, welche nachträglich als das beste und ehrenvollste Verhalten des Bataillons herausgefunden haben, daß es mit dem Militär vereint hätte wirken müssen, den Aufruhr zu dämpfen, und sich zu dem Zwecke dem Gouvernement zur Verfügung zu stellen, muß entgegnet werden, daß letzteres vollkommen überflüssig war, indem wir, sobald wir unter Waffen stehen, demselben bereits untergeordnet sind und Befehle von dort, auch wenn sie direkt uns zukommen, sofort zu respektiren haben; doch aber ist uns von dortiger Stelle weder ein ge- noch ein verbietender Befehl zugekommen. War nun diese gänzliche Nichtbenutzung der Autorität eine Ungeschicklichkeit oder eine verständige Inbetrachtnahme der Verhältnisse? Ich kann und will dieses nicht entscheiden, jedenfalls aber ist es für Neustadt nur ein Glück gewesen, daß auch von Seiten des Gouvernements nichts geschah, was uns hätte aus unserer Neutralität reißen können, denn wäre auch der größte Theil völlig dem erhaltenen Befehle nachgekommen, so würde doch eine kleine Minderheit und das Volk sich dem widersetzt haben, und die Ruhe der Neustadt war damit jedenfalls dahin, und niemand hätte wissen können, was für Folgen dies hätte haben können. Man wirft ferner der Kommunalgarde im Allgemeinen vor, daß sie bei dem Appell nicht lieber zu Hause geblieben sei, als sich zu stellen, doch ist dies geradezu ein unverständiger Vorwurf, man verlangt darin etwas von ihr, dessen sie sich selbst später nicht schuldig gemacht hat – den Ungehorsam! Und selbst zugegeben, daß alle Gutgesinnten, aber auch entschieden alle, nicht gekommen wären, die Schlechten würden aber gewiß gekommen sein, und obgleich deren im Verhältniß zum Ganzen nur wenige waren, so würden diese doch durch ihren Eifer, dann der durch nichts gezügelt war, die Sache gewiß nicht verbessert, sondern nur verschlimmert haben. Uebrigens aber war, wie gesagt, der Geist der großen Mehrzahl ein zu guter, als daß sie sich da, wo das Kommando zum Erscheinen auf dem ordnungsmäßigen Wege rief, einer „Dienstverweigerung“ schuldig machen konnte. Wäre die Kommunalgarde, nachdem sie erschienen war, vernünftig und gut geleitet worden, es wäre gewiß so schlimm nicht geworden, so aber wurde von keiner Seite auch nur der Versuch gemacht, ihr eine bestimmte Richtung zu geben, die Individuen waren sich vollkommen selbst überlassen, selbst in Bezug auf die Betheiligung am Aufstande. Lenz war vom Kommando zurückgetreten, desgleichen auch von Brandenstein,[18] nachdem er mit einem Theile seines Bataillons am Nachmittage Streit gehabt. Advokat Heinz, der das Kommando nun übernehmen sollte, und auch führte, war seiner politischen Meinung nach so bekannt und darum von dem größten Theile der Mannschaften nicht mit Vertrauen anerkannt, daß nach all’ dem sich wohl die Frage rechtfertigt, warum denn der Generalkommandant, der doch in der Stadt war, sich nicht zu den Garden verfügte, um wenigstens den Versuch zu machen, dieselben zu einem einheitlichen und entschiedenen Handeln im Interesse der Ordnung und des Gesetzes zu bringen? Es scheint, daß die Zeit und die Verhältnisse ernst genug waren, um etwas Außerordentliches zu versuchen, selbst wenn er eine so schlechte Meinung von der Dresdner Kommunalgarde gehabt hätte, die übrigens aus der Vergangenheit durch nichts gerechtfertigt war. So aber erfolgte von der höchstvorgesetzten Behörde nichts, aber auch gar nichts, um das furchtbare Verhängniß abzuwenden.

Was endlich den Tadel betrifft, welchen sich das 3. Bataillon durch sein Aushalten auf dem Rathhause zu Neustadt durch zwei lange Tage hindurch zuzog, so möchte auch dies gar bald in anderem Lichte erscheinen, wenn man bedenkt, wie wohlthätige Folgen dies für Erhaltung der Ruhe in Neu- und Antonstadt hatte, denn gar bald wurde von den Gemäßigten erkannt, wie vortheilhaft dies für die Ruhe war. Diese Vortheile zeigten sich gar bald darin, daß alle die etwa noch in den diesseitigen Stadttheilen befindlichen Ultras sich auf das Rathhaus verfügten, indem sie erst den Glauben, dann wenigstens die Hoffnung hatten, daß die bewaffnet Versammelten sich doch am Ende noch hinreißen lassen würden, einen Angriff auf das Militär zu machen. Diese Leute nun, welche zum größten Theile der Kommunalgarde nicht angehörten, konnten durch die Gemäßigten überstimmt und dadurch unschädlich gemacht werden, was viel schwieriger gewesen [9] sein würde, wenn sie einzeln sich aufgesucht und vereinigt hätten, wo es dann geradezu unmöglich war, einen Zusammenstoß abzuwenden. Solche Elemente hatten wir durch unsere Vereinigung angezogen, und die Hoffnung, daß es ihnen am Ende doch noch gelingen könne, uns mit sich fortzureißen, hielt sie an uns fest. Veranlassungen zu Ausbrüchen dieser wilden Flamme der Empörung gab es leider sehr viele, immer aber waren wir so glücklich, sie niederhalten zu können und den Ausbruch derselben zu dämpfen, freilich konnte dies in der Regel nur geschehen, indem wir uns mit auf den Standpunkt der Wüthenden stellten, was ohne Benutzung dieser Taktik geradezu unmöglich geworden wäre, und es war namentlich für die Offiziere um so schwieriger, Vernunft zu predigen, da deren Wirken schon, eben weil sie Offiziere waren, von vornherein verdächtig und darum gehemmt erschien. Der heftigste Angriff dieser Art auf die ruhige und besonnene Haltung des Bataillons erfolgte am Freitag Nachmittag, als vom Militär die Plakate der provisorischen Regierung abgerissen wurden, und es gelang nur dadurch ihn der Neustadt unschädlich zu machen, daß wir zuletzt den fast vor Wuth Schäumenden zuredeten, daß sie mit ihren Waffen allein durch Uebersetzen bei der Schiffmühle[19] sich zu den Altstädtern begeben möchten, was endlich von 6 oder 7 der Wüthenden geschah, welche indeß dem größten Theile nach der Kommunalgarde nicht angehörten, sondern freiwillig Bewaffnete waren.

Da bis Sonnabend Nacht genug Militär in die Stadt gekommen war,[20] so war jede Befürchtung, daß von Neustadt selbst Gefahr für sie drohen könne, vollkommen verschwunden, darum waren wir recht herzlich froh, – so nämlich, wie es unter so schauderhaften Verhältnissen möglich, – daß wir endlich abtreten und nicht länger den Posten zu halten genöthigt waren, und somit hatte bis auf Weiteres unsre Thätigkeit als Kommunalgarde ihre Endschaft erreicht.


  1. Verfasser dieser Mittheilungen, deren Originalniederschrift sich im Manuskript Q. 173b der Königl. öffentl. Bibliothek befindet, ist der Historienmaler Karl Rolle, geboren 1814 in Reichenau bei Zittau und gestorben daselbst 1862, eine angesehene Persönlichkeit von hohem Wuchs und interessantem Gesicht; er hat sich besonders durch seine Sgraffito-Ornamente am äußeren Rundbau und die Deckenbilder im Foyer des abgebrannten Hoftheaters, sowie durch seine Grau in Grau-Malereien im Treppenhause der Gemäldegalerie bekannt gemacht. Er wohnte von 1847 bis 1859 in Neustadt, Kasernenstraße 23, daher seine Zugehörigkeit zum 3. Bataillon der Kommunalgarde. – Seine Mittheilungen sind zwar nicht geeignet, unsere Kenntniß der Vorgänge wesentlich zu bereichern, aber sie enthalten eine bemerkenswerthe Bestätigung der auch in den Denkwürdigkeiten des Appellationsgerichtssekretärs Fritzsche (Geschichtsblätter Bd. II S. 177 flg.) ausgesprochenen Ansicht, daß die Erfolge der Aufständischen zum großen Theile durch die Kopflosigkeit der Behörden und die Lässigkeit der Gutgesinnten verschuldet waren.
  2. Im Adreßbuche v. J. 1849 wird er noch nicht als Advokat, sondern nur als D. Minckwitz, Glacisstraße 1 wohnhaft, angegeben.
  3. Lenz hatte ein Schnittwaarengeschäft i. d. Wilsdrufferstraße.
  4. Generalmajor von Mandelsloh.
  5. Gestorben 1876 als Geheimer Justizrath.
  6. von Zychlinsky, Rechtskandidat, Königstraße 4 wohnhaft, war Bruder eines aktiven Offiziers.
  7. Liscow, ein pensionirter Oberleutnant, war sehr bekannt dadurch, daß er sich für den Prinzen Albert, als derselbe studirte, duellirt haben sollte. Er besaß ein Grundstück an der Großenhainer Straße, wegen dessen er bis zu seinem Tode mit der Leipzig-Dresdner Eisenbahn-Gesellschaft prozessirte.
  8. Advokat, ehemals Landtagsabgeordneter, gestorben 17. Februar 1870 im Jakobshospitale in Leipzig.
  9. Der spätere Generalstaatsanwalt, gestorben 1886.
  10. Rolle war Zugführer und bei seiner Körperlänge eine hervorragende Persönlichkeit.
  11. Sein Geschäft und seine Wohnung in der Löwenapotheke wurden unterdessen vom Pöbel geplündert und verwüstet.
  12. Alexander Clarus Heinze – nicht zu verwechseln mit dem Königl. Sächs. General von Heintz, – der in griechischen Diensten gewesen war, wurde sofort gewählt, nachdem Advokat Heinz, der Kommandant des 2. Bataillons, sich durch die Tzschirner gegebene Erklärung, die Kommunalgarde nicht gegen das Militär führen zu wollen, als für Tzschirners Zwecke untauglich erwiesen. Heinze starb etwa 1856 im Zuchthause zu Waldheim.
  13. Advokat, wohnhaft Fleischergasse 2.
  14. Ersterer Besitzer der viele Jahre renommirten Firma Methe & Co. in der Hauptstraße und einer Villa an der Königsbrückerstraße, alte Nummer 11, gestorben 1865, Letzterer Besitzer einer Tabakfabrik, gestorben 1859.
  15. Stadtkommandant war Generalmajor Ad. Heinrich von Schulz.
  16. Die Balken mit Schießöffnungen zum Ausfüllen der Zwischenräume zwischen den Pfeilern des Blockhauses haben noch viele Jahre in dessen Halle gelegen. Sie konnten die Besatzung bei der geringen Durchschlagskraft der Kugeln glatter Gewehre damaliger Zeit gegen Angriffe aus der Horizontalen allenfalls schützen, während sie bei Beschießung von den nächsten hohen Häusern her nur wenig genützt haben würde. Wie hoch sie aufgeschichtet werden konnten, sieht man noch heute an den etwa 2 Meter hohen grauen Streifen in den Mitten der Pfeiler.
  17. Advokat, Landtagsabgeordneter und Stadtverordneten-Vorsteher.
  18. Kommandant des 1. Bataillons.
  19. Bei Neudorf, da, wo jetzt das Dienstgebäude der Wasserbau-Direktion steht.
  20. Die sächsischen Schützen, das sächsische Leibregiment und das Füsilier-Bataillon des preußischen Kaiser Alexander-Regiments.