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Auch die Klugheit gebot uns unser Verhalten, denn räumte das Militär die Stadt, oder vereinigte es sich gar mit den Aufständigen, zu welchen beiden Fällen Möglichkeiten leider vorhanden waren, – zu ersterem das unentschiedene Auftreten des Gouverneurs, zu letzterem die Gesinnungsart einiger Truppentheile, – in welche Lage wären wir dann gekommen? Nicht nur die Mitglieder der Kommunalgarde, sondern sämmtliche Bewohner der Stadttheile wären in die gräßlichste Gefahr versetzt gewesen.

Hier könnte man nun einwenden, daß ja bereits bekannt gewesen sei, welches Loos den beiden Stadttheilen im Falle des Sieges der Rothen bestimmt war, was allerdings zugegeben werden muß, wobei aber nicht vergessen werden darf, daß dieses Schicksal erst bestimmt worden war, nachdem drüben am Siege verzweifelt worden war, also erst zu einer Zeit, wo namentlich das Militär durch Preußen hinreichend verstärkt und dadurch der Sieg der Ordnung und des Gesetzes gesichert war.

Denen, welche nachträglich als das beste und ehrenvollste Verhalten des Bataillons herausgefunden haben, daß es mit dem Militär vereint hätte wirken müssen, den Aufruhr zu dämpfen, und sich zu dem Zwecke dem Gouvernement zur Verfügung zu stellen, muß entgegnet werden, daß letzteres vollkommen überflüssig war, indem wir, sobald wir unter Waffen stehen, demselben bereits untergeordnet sind und Befehle von dort, auch wenn sie direkt uns zukommen, sofort zu respektiren haben; doch aber ist uns von dortiger Stelle weder ein ge- noch ein verbietender Befehl zugekommen. War nun diese gänzliche Nichtbenutzung der Autorität eine Ungeschicklichkeit oder eine verständige Inbetrachtnahme der Verhältnisse? Ich kann und will dieses nicht entscheiden, jedenfalls aber ist es für Neustadt nur ein Glück gewesen, daß auch von Seiten des Gouvernements nichts geschah, was uns hätte aus unserer Neutralität reißen können, denn wäre auch der größte Theil völlig dem erhaltenen Befehle nachgekommen, so würde doch eine kleine Minderheit und das Volk sich dem widersetzt haben, und die Ruhe der Neustadt war damit jedenfalls dahin, und niemand hätte wissen können, was für Folgen dies hätte haben können. Man wirft ferner der Kommunalgarde im Allgemeinen vor, daß sie bei dem Appell nicht lieber zu Hause geblieben sei, als sich zu stellen, doch ist dies geradezu ein unverständiger Vorwurf, man verlangt darin etwas von ihr, dessen sie sich selbst später nicht schuldig gemacht hat – den Ungehorsam! Und selbst zugegeben, daß alle Gutgesinnten, aber auch entschieden alle, nicht gekommen wären, die Schlechten würden aber gewiß gekommen sein, und obgleich deren im Verhältniß zum Ganzen nur wenige waren, so würden diese doch durch ihren Eifer, dann der durch nichts gezügelt war, die Sache gewiß nicht verbessert, sondern nur verschlimmert haben. Uebrigens aber war, wie gesagt, der Geist der großen Mehrzahl ein zu guter, als daß sie sich da, wo das Kommando zum Erscheinen auf dem ordnungsmäßigen Wege rief, einer „Dienstverweigerung“" schuldig machen konnte. Wäre die Kommunalgarde, nachdem sie erschienen war, vernünftig und gut geleitet worden, es wäre gewiß so schlimm nicht geworden, so aber wurde von keiner Seite auch nur der Versuch gemacht, ihr eine bestimmte Richtung zu geben, die Individuen waren sich vollkommen selbst überlassen, selbst in Bezug auf die Betheiligung am Aufstande. Lenz war vom Kommando zurückgetreten, desgleichen auch von Brandenstein,[1] nachdem er mit einem Theile seines Bataillons am Nachmittage Streit gehabt. Advokat Heinz, der das Kommando nun übernehmen sollte, und auch führte, war seiner politischen Meinung nach so bekannt und darum von dem größten Theile der Mannschaften nicht mit Vertrauen anerkannt, daß nach all’ dem sich wohl die Frage rechtfertigt, warum denn der Generalkommandant, der doch in der Stadt war, sich nicht zu den Garden verfügte, um wenigstens den Versuch zu machen, dieselben zu einem einheitlichen und entschiedenen Handeln im Interesse der Ordnung und des Gesetzes zu bringen? Es scheint, daß die Zeit und die Verhältnisse ernst genug waren, um etwas Außerordentliches zu versuchen, selbst wenn er eine so schlechte Meinung von der Dresdner Kommunalgarde gehabt hätte, die übrigens aus der Vergangenheit durch nichts gerechtfertigt war. So aber erfolgte von der höchstvorgesetzten Behörde nichts, aber auch gar nichts, um das furchtbare Verhängniß abzuwenden.

Was endlich den Tadel betrifft, welchen sich das 3. Bataillon durch sein Aushalten auf dem Rathhause zu Neustadt durch zwei lange Tage hindurch zuzog, so möchte auch dies gar bald in anderem Lichte erscheinen, wenn man bedenkt, wie wohlthätige Folgen dies für Erhaltung der Ruhe in Neu- und Antonstadt hatte, denn gar bald wurde von den Gemäßigten erkannt, wie vortheilhaft dies für die Ruhe war. Diese Vortheile zeigten sich gar bald darin, daß alle die etwa noch in den diesseitigen Stadttheilen befindlichen Ultras sich auf das Rathhaus verfügten, indem sie erst den Glauben, dann wenigstens die Hoffnung hatten, daß die bewaffnet Versammelten sich doch am Ende noch hinreißen lassen würden, einen Angriff auf das Militär zu machen. Diese Leute nun, welche zum größten Theile der Kommunalgarde nicht angehörten, konnten durch die Gemäßigten überstimmt und dadurch unschädlich gemacht werden, was viel schwieriger gewesen


  1. Kommandant des 1. Bataillons.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1901 bis 1904, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Dritter_Band.pdf/11&oldid=- (Version vom 9.8.2024)