Seite:Dresdner Geschichtsblätter Dritter Band.pdf/6

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

wir endlich wieder zu Hause waren, aber kaum daselbst angekommen und die Waffen abgelegt, rief die Trommel wieder zurück auf den Platz.

Unser Bataillon hatte die Altstädter Rathhauswache während dieser Tage zu geben, und es hatte die 11. Kompagnie dem Wachtreglement gemäß sofort den Posten, den es in der Nacht verlassen hatte, wieder einzunehmen; da aber bei so bewegten Zeiten das gewöhnliche Kommando nicht ausreicht, so bezog das ganze Bataillon dieselbe.

Gegen 5 Uhr marschirte demnach das Bataillon über die Brücke; als dasselbe durch das Georgenthor – seinen gewöhnlichen Weg – marschiren wollte, wurde es durch eine brüllende, fanatisch erregte Menge angefallen, demselben die Richtung nach dem Zeughause aufzuzwingen. Schaudervoll war dieser Moment, über alle Beschreibung gräßlich! wie diese Menschen uns anfielen, Rache schnaubend für einen Alten, der am Zeughause von einer Kugel getödtet, auf einen Leiterwagen mit entblößter Wunde gelegt und so vor den Balkon des Schlosses gefahren worden war. Eine glückliche Eingebung des das Bataillon führenden Vice-Kommandanten (Liscow[1] war nicht zugegen) brachte uns ohne weitere Anfechtung von dem wilden Haufen weg, es ward im schnellen Schritte die Augustusstraße hinauf marschirt, er glaubte also, unser Ziel sei das Zeughaus, und blieb lärmend und schreiend zurück. Wir aber nahmen den Weg über den Neumarkt durch die mittle Frauengasse, wo wir am Anfange der Rosmaringasse dem 5. Bataillon begegneten, und was wir durch die Verzögerung, die ihm unsere Begegnung verursachte, vor großem Unglücke bewahrten: gewiß wäre es sonst gerade mitten in die Kartätschen-Schußlinie gekommen, denn es war auf dem Wege zum Zeughause. Durch die große Frauengasse und Badergasse gelangten wir auf den Altmarkt und somit auf unseren Posten.

Daselbst angekommen, stellten wir uns in erster Linie vor dem Rathhause auf, hinter uns stand bereits die Akademische Legion, und in und unmittelbar vor dem Rathhause war eine Abtheilung Bürgerschützen. Anfangs wurde noch so ziemlich die Ordnung erhalten, als aber wiederholt vom Zeughause her der Geschützdonner erdröhnte, löste sie sich immer mehr und eine furchtbare Aufregung der verschiedensten Art, je nach den verschiedenen individuellen Ansichten und Wünschen der Einzelnen, griff unaufhaltsam um sich. Keinerlei höhere Führung war bemerkbar, weder im Interesse der Ordnung, noch auch der Unordnung, wenn man nicht annehmen will, daß in Bezug auf letztere das Gehenlassen die beste Führung war. Ziemlich lange standen wir in dieser schrecklichen Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, bis endlich von einer Horde Gesindels ein Infanterie-Offiziers-Tschako furchtbar zugerichtet auf einer Latte unter wildem Gebrüll und in teuflischem Triumphe einher gebracht wurde. Jetzt erschallte von allen Seiten der Ruf nach Waffen und Munition, und eine andere Rotte machte sich fertig, in dem Laden am Altmarkte und Seegassenecke, wo Pulver und Blei vermuthet wurde, solches durch Erbrechen gewaltsam wegzunehmen, was aber das 4. Bataillon, was mittlerweile von der Kreuzgasse her auf den Markt gerückt war, durch sein Vorrücken an den bedrohten Punkt verhinderte. Doch aber war ohnedies sehr bald ein großer Vorrath von Pulver und Kugeln auf dem Platze, indem ganze Säcke voll von noch Unbewaffneten herumgereicht wurden. Da bis dahin noch kein Angriff des Eigenthums stattgefunden hatte, so läßt sich daraus mit Sicherheit schließen, daß die Leiter des Aufstandes diese Vorräthe bereits angeschafft hatten, zugleich aber bestätigt es die Annahme, daß der Ausbruch um einige Zeit zu früh kam, denn zu Patronen waren diese Vorräthe noch nicht verarbeitet. Der Moment des Vertheilens war aber vom anarchistischen Standpunkte aus ein gewiß höchst glücklich gewählter, denn er fiel mit dem zusammen, daß das Zeughaus genommen sei, wo es also als erstes Zeichen des Sieges gelten mußte, ohne daß darauf besonders aufmerksam gemacht zu werden brauchte.

Kurz vor dieser Munitionsvertheilung war auch der Anfang gemacht worden, die Buden des Marktes, welche eben abgebrochen und zusammengesetzt wurden, zu Barrikaden an den auf den Markt mündenden Straßen zu benutzen, bei welcher Beschäftigung Tzschirner[2] persönlich Theil genommen haben soll, während im Rathhaus die Gewölbe geöffnet wurden, wo die für den Straßenbau nöthigen Werkzeuge aufbewahrt wurden; und es waren fast ausschließlich Jungen, die die Hacken und Schaufeln in Triumph entführten, um mittelst derselben das Pflaster aufzureißen und mit den Steinen und dem Sande die Barrikaden zu vollenden.

Während dem kam ein Theil des am Zeughause gesprengten 5. Bataillons in wilder, regelloser Hast über die Barrikaden auf den Altmarkt zurück, eine gräßliche Rotte Gesindels begleitete sie unter wildem Geschrei. Der größte Theil des Bataillons kam aber nicht, er war wahrscheinlich nach Hause gegangen. Mit dieser Rotte erschienen auch schon die ersten Plünderungsstücke


  1. Liscow, ein pensionirter Oberleutnant, war sehr bekannt dadurch, daß er sich für den Prinzen Albert, als derselbe studirte, duellirt haben sollte. Er besaß ein Grundstück an der Großenhainer Straße, wegen dessen er bis zu seinem Tode mit der Leipzig-Dresdner Eisenbahn-Gesellschaft prozessirte.
  2. Advokat, ehemals Landtagsabgeordneter, gestorben 17. Februar 1870 im Jakobshospitale in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1901 bis 1904, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Dritter_Band.pdf/6&oldid=- (Version vom 8.8.2024)