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Methe, Collenbusch[1] und andere höchst achtungswerthe Männer zugezogen, außer diesen aber auch eine Menge fanatisch erregten Volkes, und es wurde zunächst im Hinblick dessen, daß auch wir von allen ordentlichen Behörden uns gänzlich verlassen sehen mußten, beschlossen: zu der Wahl eines Sicherheitsausschusses zu schreiten, in welchen außer dem Stadtrathe Lehmann unter Andern der Kaufmann Methe gewählt wurde, und es fiel die ganze Wahl dahin aus, daß, wenn auch kein Rückwärtsler, doch nur Männer gewählt wurden, die den Fortschritt und die Reichsverfassung nur auf dem Wege des Gesetzes verwirklicht wissen wollten. Von diesem Ausschusse ging es aus, daß das diesseitige Bataillon für alle Fälle auf das Rathhaus berufen wurde, und obgleich dasselbe nur spärlich erschien, so stellt sich doch bei ruhiger Ueberlegung jetzt immer entschiedener heraus, daß durch diese Maßregel die Neu- und Antonstadt von den Gräueln der Altstadt befreit wurde, so sehr auch anfangs von der Militärpartei unsere Vereinigung verdammt wurde und von Kurzsichtigen hin und wieder noch jetzt getadelt werden mag. Konnte sich auch zuerst Niemand klar darüber fühlen, was aus uns und mit uns werden könne, so stand doch bei der überwiegenden Mehrzahl der Versammelten soviel unumstößlich fest, daß wir weder gegen das Militär gehen würden noch auch dasselbe anzugreifen im Willen waren.

Der Altstadt gegenüber befand sich unser Bataillon in einer gräßlichen Lage, denn noch immer war es möglich, daß eine Vereinigung des Militärs mit der Altstadt stattfinden könne, immer noch war es nicht außer dem Bereich der Möglichkeit, daß Tzschirner, der sich nur vor- und aufgedrängt haben konnte, durch bessere Elemente neutralisirt werden würde und daß dennoch eine Vereinigung zwischen Krone und Volk noch möglich sein könne. Darum durfte unser Bataillon nicht am Platze fehlen, und die bewaffnete Neutralität war gewiß das einzig Zweckmäßige, was es sowohl zu seiner eigenen als auch des Stadttheils Sicherheit, anderntheils auch im Interesse des Kampfes, der noch immer als der Reichsverfassung geltend angenommen werden mußte, wählen konnte.

Bei dieser ersten allgemeinen Bürgerversammlung wurde der Sicherheitsausschuß, nachdem er gewählt, beauftragt, alle etwa nöthigen Schritte zu thun, zugleich auch die Bestimmung getroffen, sich im Verlaufe des Tages noch mehrere Male, je nach Bedürfniß, zu vereinen, um etwaige Mittheilungen desselben entgegennehmen und weitere Beschlüsse auf Vorschläge desselben fassen zu können. Da die Altstadt um diese Zeit mit dem Gouvernement,[2] als der einzig übrig gebliebenen Behörde, verhandelte, so waren auch die Posten des Militärs für unsere Ordonnanzen nach der Altstadt frei und geöffnet, und auf diese Weise verkehrten wir bis Nachmittag noch einige Male mit dem Altstädter Rathhause.

Was mich betrifft, so muß ich bekennen, daß eins der schrecklichsten, peinigendsten Gefühle, die ich kennen lernte, das war, was aus dem Bewußtsein entsprang, so ganz ohne alle und jede gesetzliche Behörde zu sein, denn keine gab irgend ein Lebens- oder Daseinszeichen von sich. Wohl ward nachträglich behauptet, daß alle Behörden fortbestanden hätten, doch aber kann dies nur insofern als Wahrheit erscheinen, wie man auch von einer Uhr sagen kann, sie existire noch, wenngleich sie stehen geblieben ihrer Bestimmung nicht mehr nachkommt, so auch Behörden, die, wenn sie namentlich in so furchtbarer Zeit nicht handeln, dann ebenfalls aufgehört haben zu sein.

Gegen 11 Uhr, die Zeit der zweiten Versammlung, trat der folgsame Theil des Bataillons, durch mündliches Kommando der Feldwebel und Rottmeister dazu veranlaßt, auf dem Rathhause allmählig zusammen. Von der Altstadt war die Anzeige eingegangen, daß sich dort unter Tzschirners Vorsitz eine provisorische Regierung anstatt des früheren Sicherheitsausschusses gebildet habe, und die Proklamation desselben ward verlesen, sowie auch die vollkommene Zustimmung jener Behörde zu dem von Neu- und Antonstadt gefaßten Beschlusse in Betreff der Haltung der Kommunalgarde; zugleich erfolgte von dort aus auch die Erklärung, daß unser Stadttheil sich ganz überlassen bleiben müsse, daß wir von drüben keinerlei Befehle erwarten dürften, Neu- und Antonstadt müsse in jeder Beziehung selbständig handeln, und als Kommandanten hätten wir den Vice-Kommandanten des Bataillons zu betrachten, der im Einverständnisse mit unserem Sicherheitsausschuß zu handeln habe.

Die Einsetzung der provisorischen Regierung an und für sich schon, besonders aber die Art ihrer Zusammensetzung, brachte keineswegs einen günstigen Eindruck hervor, wenngleich durch sie wieder eine Behörde gewonnen war, deren Nichtvorhandensein Jedermann das drückendste Gefühl beigebracht hatte, und da der großen überwiegenden Mehrzahl nach den Theilnehmern der Versammlung Männer von gemäßigter Gesinnung angehörten, so war kein besonderer Jubel zu bemerken, und auch vom Sicherheitsausschusse ward das nothwendige Uebel nur „einstweilen“ (so, glaube ich, lautete


  1. Ersterer Besitzer der viele Jahre renommirten Firma Methe & Co. in der Hauptstraße und einer Villa an der Königsbrückerstraße, alte Nummer 11, gestorben 1865, Letzterer Besitzer einer Tabakfabrik, gestorben 1859.
  2. Stadtkommandant war Generalmajor Ad. Heinrich von Schulz.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1901 bis 1904, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Dritter_Band.pdf/9&oldid=- (Version vom 9.8.2024)