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aus dem Zeughofe, unter Anderem auch große französische Wallbüchsen und andere Gewehre neben allerlei unvollständigen Gewehrtheilen. Von nun an war alle Ordnung dahin. Diejenigen, welche dadurch zu Waffen gekommen waren, fingen sofort an, sie zu probiren, und das Schießen nahm nun seinen Anfang, an welchem sogar ein Zugführer der Kommunalgarde lebhaften Antheil nahm, wenn er nicht selbst es war, der den Anfang damit gemacht hat.

Auf dem Rathhause selbst war ein sehr kleiner Theil der städtischen Behörden versammelt, auch einige Hauptleute und Offiziere der Kommunalgarde waren daselbst zugegen, leider aber gehörten die Anwesenden, Stadträthe und Stadtverordnete, größtentheils zu den „Gesinnungstüchtigen“, von den ruhigen waren nur etwa drei zugegen, während die anderen ihre „Gutgesinntheit“ dadurch bethätigen zu müssen glaubten, daß sie der bösen Sache fern blieben, wodurch der anderen Partei das Feld ohne Kampf überlassen war. Zwischen diesen fanden sich noch einige Mitglieder auswärtiger Deputationen, unter denen auch die Leipziger, und es wurde, da es noch ehrlich der Reichsverfassungsangelegenheit galt, noch ein Versuch gemacht, mittelst einer gemischten Deputation, an welcher die genannten und drei Offiziere der hiesigen Kommunalgarde Theil nahmen, den König nochmals um die so einstimmig gewünschte Anerkennung derselben zu bitten. Einstimmig wurde unser Hauptmann, Appellationsrath Dr. Schwarze[1] zum Sprecher bestimmt, und nach vieler Mühe, erst in das Schloß zu kommen, dann den König aufzufinden, konnte die gewünschte Audienz erreicht werden; aber so tief bewegt der König auch durch die Ansprache der Deputation wurde, so erfolgte die Anerkennung dennoch nicht. Es war in der siebenten Stunde, als diese Deputation auf das Schloß zu sich in Bewegung setzte.

Um die gleiche Zeit war es, als ein kleiner, in einen braun-violetten Rock gekleideter, mit weißer Binde versehener Mann anfing, sich sehr thätig vor dem Rathhause zu zeigen, und diese Thätigkeit besonders den freiwilligen Verfechtern der Reichsverfassung widmete; später verschwand derselbe im Rathhause. Alle Ordnung war inzwischen völlig gelöst, kaum daß sich die Kompagnien noch truppweise zusammenhielten. Jetzt war es auch, wo ein zur Kommunalgarde nicht gehörender Bewaffneter, zwar mit dem Dienstzeichen derselben verssehen, auf mich zugestürmt kam und von mir[2] eine Abtheilung Gardisten zu Besetzung der Barrikade an der Wilsdruffer Gasse verlangte. Unbedingte Weigerung würde nur die Sache verschlimmert haben, daher antwortete ich, daß ich allein das nicht bewilligen könnte, ich aber meinen Hauptmann davon in Kenntniß setzen wolle. Dadurch wurde ich den furchtbar Wüthenden los, und ich kam in das Rathhaus, wo ich meinen Hauptmann von der wachsenden Gefahr unterrichtete.

In dem Sessionszimmer war ein ebensolches Bild von Durcheinander anzutreffen, wie unten auf Markt und Straßen; viele von denen, die dasein sollten, waren abwesend, von den gegenwärtigen waren die meisten Ultrademokraten und neben diesen noch eine Menge da, die nicht hingehörte. Unter diesen letzteren zeichnete sich besonders der Kapellmeister Wagner aus, der, obgleich im Nebenzimmer, doch den lebhaftesten Theil am Fortgange des Aufstandes nahm; er hatte weiter nichts im Kopfe, als die Bildung einer provisorischen Regierung, deren Nothwendigkeit er laut aussprach, obgleich er niemand Bestimmtes vor sich hatte, an den er diesen Ausspruch richtete. Der arme Lenz war zwischen all’ diesem Treiben wie eine wandelnde Leiche, all’ seiner Funktionszeichen entkleidet, schien er als Gefangener;[3] ob dies bereits der Fall war, konnte ich nicht errathen.

Als ich wieder auf den Platz zurückkam, hatte sich die Verwirrung nur noch mehr gesteigert, und gar nicht lange dauerte es, so wurde auch aus dem Erker des literarischen Museums, dem Hôtel de Pologne schrägüber, nur um deswillen geschossen, um die Verwirrung recht sicher zu verbreiten, und es hieß, daß es Turner seien.

Während dem war man im Rathhause mit einer Berathung zu Ende gekommen und das Resultat der selben wurde vom Balkon herab, auf welchen vorher schon eine deutsche Fahne gepflanzt worden war, den versammelten Bürgern bekannt gemacht. Der Beschluß war dahin ausgefallen, daß man den Oberbefehl über die gesammte Macht sowohl, als auch über die Stadt dem vormaligen Mitgliede der 1. Kammer, Oberstleutnant Heinze, übertragen und dieser ihn angenommen habe.[4] Jetzt lernte ich den schon erwähnten kleinen überaus thätigen Mann auch dem Namen nach kennen, es war der neue Oberbefehlshaber. Er erklärte sich zur Annahme der Wahl unter der gehörigen Portion von gesinnungstüchtigen Floskeln, z. B. „Des Volkes Wille ist höchstes Gesetz“ etc., bereit und entließ schließlich bis auf weiter zu gebendes Signal die unter Waffen


  1. Der spätere Generalstaatsanwalt, gestorben 1886.
  2. Rolle war Zugführer und bei seiner Körperlänge eine hervorragende Persönlichkeit.
  3. Sein Geschäft und seine Wohnung in der Löwenapotheke wurden unterdessen vom Pöbel geplündert und verwüstet.
  4. Alexander Clarus Heinze – nicht zu verwechseln mit dem Königl. Sächs. General von Heintz, – der in griechischen Diensten gewesen war, wurde sofort gewählt, nachdem Advokat Heinz, der Kommandant des 2. Bataillons, sich durch die Tzschirner gegebene Erklärung, die Kommunalgarde nicht gegen das Militär führen zu wollen, als für Tzschirners Zwecke untauglich erwiesen. Heinze starb etwa 1856 im Zuchthause zu Waldheim.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1901 bis 1904, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Dritter_Band.pdf/7&oldid=- (Version vom 8.8.2024)