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die Bezeichnung) anerkannt, da es leider, der Sachlage nach, nicht abgewiesen werden konnte.

Diese zweite allgemeine Versammlung war eigentlich die letzte, denn von nun an wollte Niemand sich mehr recht bei weiteren Verhandlungen betheiligen, und es wurde im Einverständnisse mit dem Ausschusse entschieden ausgesprochen, daß von nun an die Kommunalgarde nur zu den Zwecke versammelt bleiben solle, um vorkommenden Falles Personen und Eigenthum schützen zu können. Von einer entschiedenen Anzeige dieses Zweckes an das Gouvernement ward aber zur Zeit noch abgesehen, doch aber war es dort sehr bald bekannt, denn es verschwanden nach und nach die Vorsichtsmaßregeln, welche man auch gegen uns am Blockhause hatte machen müssen: die mittelst Barrikaden mit Schießscharten versehenen Vorkehrungen an den Fenstern desselben[1]. Nach Altstadt ward ebenfalls nur noch ein Mal eine Ordonnanz entsendet, nach deren Rückkehr beinahe alle, wenigstens jede offizielle Verbindung aufhörte. Am Freitage Nachmittags erhielten wir die Altstädter Barrikadenordnung und am Sonnabend die Proklamation der provisorischen Regierung an die Kommunalgarde, worin dieser zur Pflicht gemacht wurde, entweder zu erscheinen oder ihre Waffen an Kampflustigere zu überlassen. Wie alle Bekanntmachungen der aufständischen Behörde, so wurde auch diese an den Ecken in Neustadt angeheftet, und es entstand gerade aus dieser eine furchtbare Krisis für die Neustadt, indem einerseits die Kommunalgarde daraus abnehmen zu müssen glaubte, daß man unser Neutralitätsverhältniß ferner nicht anerkennen wolle, und nur mit größter Mühe gelang es, die Ansicht zur Geltung zu bringen, daß sich dieser Befehl nur auf die Altstadt beziehe, uns aber nicht berühren könne. Anderntheils aber war dieser Anschlag Veranlassung, daß das Militär wieder zu entschiedenerem Handeln aufwachte, indem Kommandos desselben alle von der provisorischen Regierung erlassene Proklamationen abrissen, was natürlich die Anarchisten unter uns in die furchtbarste Wuth brachte und dem sie entgegengetreten wissen wollten. Aus dieser Aufregung traten nun die Extreme wieder einmal in furchtbarer Gestalt sich gegenüber, die eine, glücklicherweise entschiedenst stärkere Partei nahm Gelegenheit, wiederholt zu erklären, daß sie auf keinen Fall an einem Angriffe des Militärs Theil nehmen werde, während die unbedeutende Minderzahl um jeden Preis einen Angriff auf dasselbe herbeiführen wollte. . . . .

Wie schon erwähnt, ist unser Zusammensein auf dem Rathhause vielfach und heftig getadelt worden, indem man uns von beiden Seiten den Vorwurf der Unthätigkeit machen zu müssen glaubte, der sogenannte gutgesinnte Theil uns aber nachträglich den guten Rath geben will, daß wir uns zur Disposition des Gouvernements hätten stellen sollen, um uns zur Unterstützung des Militärs verwenden zu lassen. Ueber beide Ansichten läßt es sich nach überstandener Gefahr herrlich moralisiren, anders ist es freilich während derselben! Ich bin aber der festen Ueberzeugung, daß gerade das beobachtete Benehmen allein geeignet war, Neu- und Antonstadt vor dem Geschicke der Altstadt zu bewahren.

Wir hätten die Altstadt unterstützen sollen, meinte während der gefahrvollen Zeit ein Theil der mit unserer Haltung Unzufriedenen. Doch aber waren die der Reichsverfassung ehrlich und treu Ergebenen mehr als stutzig geworden, als sich ein Element wie Tzschirner der reinen Begeisterung beigemischt hatte, und bald war dieser Tzschirner sogar an Stelle der obersten Staatsbehörde durch seine Partei geschoben worden, jetzt war es bereits mehr als wahrscheinlich geworden, daß es sich um ganz andere Zwecke als Anerkennung der Reichsverfassung handele, und es war um so nöthiger, bei der einmal angenommenen und drüben gebilligten Neutralität zu bleiben, wenn wir nicht riskiren wollten, gemißbraucht zu werden. Wir wurden in diesem Entschlusse nur noch mehr bestärkt, als Blöde,[2] der in seiner Eigenschaft als Mitglied der Staatsschuldentilgungskommission eine Paßkarte nach Neustadt von der Militärbehörde erhalten hatte, uns mit besuchte und in dem fast abgedrungenen Vortrage unsere Neutralität nicht nur billigte, sondern zu Festhaltung derselben ermahnte, und überhaupt mehr als deutlich hindurchblicken ließ, daß man in Altstadt der zügellosen Masse nicht mehr mächtig sei, so daß seine Rede mehr als Abrathen, denn als Anfeuerung gelten und er scheinen mußte.

Besonders das Volk und auch ein Theil der Kommunalgarde glaubte noch immer, daß für die Reichsverfassung, und zwar ohne Beimischung fremder Zwecke, gekämpft werde; daher hätte ein Aufgeben dieser Neutralität nach der anderen Seite hin nur gerade das herbeiführen müssen, was wir eben vermeiden wollten, nämlich das Entbrennen des Kampfes in Neu- und Antonstadt.


  1. Die Balken mit Schießöffnungen zum Ausfüllen der Zwischenräume zwischen den Pfeilern des Blockhauses haben noch viele Jahre in dessen Halle gelegen. Sie konnten die Besatzung bei der geringen Durchschlagskraft der Kugeln glatter Gewehre damaliger Zeit gegen Angriffe aus der Horizontalen allenfalls schützen, während sie bei Beschießung von den nächsten hohen Häusern her nur wenig genützt haben würde. Wie hoch sie aufgeschichtet werden konnten, sieht man noch heute an den etwa 2 Meter hohen grauen Streifen in den Mitten der Pfeiler.
  2. Advokat, Landtagsabgeordneter und Stadtverordneten-Vorsteher.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1901 bis 1904, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Dritter_Band.pdf/10&oldid=- (Version vom 9.8.2024)