« Septuagesimae Wilhelm Löhe
Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)
Register der Winterpostille
Estomihi »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|

Am Sonntage Sexagesima.

2. Cor. 11, 19 – 12, 9.
19. Denn ihr vertraget gerne die Narren, dieweil ihr klug seid. 20. Ihr vertraget, so euch jemand zu Knechten macht, so euch jemand schindet, so euch jemand nimmt, so euch jemand trotzt, so euch jemand in das Angesicht streichet. 21. Das sage ich nach der Unehre, als wären wir schwach geworden. Worauf nun jemand kühn ist (ich rede in Thorheit), darauf bin ich auch kühn. 22. Sie sind Ebräer, ich auch. Sie sind Israeliter, ich auch. Sie sind Abrahams Same, ich auch. 23. Sie sind Diener Christi (ich rede thörlich); ich bin wohl mehr. Ich habe mehr gearbeitet, ich habe mehr Schläge erlitten, ich bin öfters gefangen, oft in Todesnöthen gewesen. 24. Von den Juden habe ich fünfmal empfangen vierzig Streiche weniger eins. 25. Ich bin dreimal gestäupet, einmal gesteiniget, dreimal habe ich Schiffbruch erlitten, Tag und Nacht habe ich zugebracht in der Tiefe (des Meeres). 26. Ich habe oft gereiset: ich bin in Gefahr gewesen zu Waßer, in Gefahr unter den Mördern, in Gefahr unter den Juden, in Gefahr unter den Heiden, in Gefahr in den Städten, in Gefahr in der Wüste, in Gefahr auf dem Meer, in Gefahr unter den falschen Brüdern; 27. In Mühe und Arbeit, in viel Wachen, in Hunger und Durst, in viel Fasten, in Frost und Blöße. 28. Ohne was sich sonst zuträgt, nemlich, daß ich täglich werde angelaufen und trage Sorge für alle Gemeinen, 29. Wer ist schwach, und ich werde nicht schwach? Wer wird geärgert, und ich brenne nicht? 30. So ich mich je rühmen soll, will ich mich meiner Schwachheit rühmen. 31. Gott und der Vater unsers| Herrn Jesu Christi, welcher sei gelobet in Ewigkeit, weiß, daß ich nicht lüge. 32. Zu Damaskus der Landpfleger des Königs Areta verwahrete die Stadt der Damaster und wollte mich greifen; 33. Und ich ward in einem Korbe zum Fenster aus durch die Mauer niedergelaßen, und entrann aus seinen Händen. 1. Es ist mir ja das Rühmen nichts nütze, doch will ich kommen auf die Gesichte und Offenbarungen des Herrn. 2. Ich kenne einen Menschen in Christo, vor vierzehn Jahren (ist er in dem Leibe gewesen, so weiß ich es nicht, oder ist er außer dem Leibe gewesen, so weiß ich es auch nicht; Gott weiß es); derselbige ward entzückt bis in den dritten Himmel. 3. Und ich kenne denselbigen Menschen, (ob er in dem Leibe, oder außer dem Leibe gewesen ist, weiß ich nicht, Gott weiß es). 4. Er ward entzückt in das Paradies, und hörete unaussprechliche Worte, welche kein Mensch sagen kann. 5. Davon will ich mich rühmen, von mir selbst aber will ich mich nichts rühmen, ohne meiner Schwachheit. 6. Und so ich mich rühmen wollte, thäte ich darum nicht thörlich, denn ich wollte die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber deß, auf daß nicht Jemand mich höher achte, denn er an mir siehet oder von mir höret. 7. Und daß ich mich nicht der hohen Offenbarung überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nemlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlage, auf daß ich mich nicht überhebe. 8. Dafür ich dreimal dem Herrn geflehet habe, daß er von mir wiche. 9. Und Er hat zu mir gesagt: Laß dir an Meiner Gnade genügen, denn Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf daß die Kraft Christi bei mir wohne.

 Das Evangelium von dem vierfachen Ackerwerk, welches man am heutigen Sonntag liest, ist, meine lieben Brüder, meines Erachtens ein Text von gewaltigem Ernste. Der HErr der Erde, des gesammten Saatfeldes Gottes, steht da mit Seinem göttlich klaren Auge, richtet und scheidet die Menschen und vertheilt ihre unabsehbare Zahl in vier verschiedene große, weite Länder oder Beete, je nachdem sich ihr Herz zum heiligen Samen des Evangeliums verhält. Er kennt die Seinen, er kennt die Fremden, und wie müßten wir zusammenschaudern beim Andenken an Seinen untrüglichen Blick, wenn uns Sein Wort, Sein Sakrament, Sein Geist nicht Zeugnis gäbe, daß wir Sein sind. O ein Evangelium, das uns zum tiefsten Ernste und zur schärfsten Prüfung einlädt. – Und dazu eine Epistel, auserlesen und würdig, als apostolisches Wort neben einem solchen Worte aus JEsu eigenem Munde zu stehen. Zwar geht die Rede des heiligen Apostels nur an eine einzige Gemeinde, an die Corinther; aber wer will, der kann schon bei näherer Kenntnisnahme dieser Gemeinde bemerken, wie das vierfache Ackerwerk Gottes nicht etwa nach großen Länderstrecken abgetheilt ist, sondern sich vierfach in jede einzelne Gemeinde hinein verzweigt. Man kann aber auch in diesem Texte gar nicht einmal bei der Corinthischen Gemeinde stehen bleiben; zumal wenn man den Text im Zusammenhange mit den vorausgehenden Kapiteln liest, findet man, daß St. Paulus von einem Canon oder einer Regel redet, nach welcher ihm Gott das weite Territorium seiner apostolischen Arbeit zugemeßen habe 2 Cor. 10, 13. Fast kommt einem dabei die alte Sage in den Sinn, deren man am Tage „Apostel-Theilung“ gedenkt: apostolische große Arbeitsgebiete zeigen sich, und als das größte von allen das des Apostels Paulus. Und wenn nun auch gleich der ganze Text nicht zunächst von dem vierfachen Ackerwerke in dem apostolischen Arbeitskreise Pauli handelt, so sollte es doch gar nicht schwer werden, auch in ihm die Spuren aller vier Bodenarten aufzuzeigen. Doch muß ja eine Epistel nicht eben völlig gleiches Thema mit ihrem Evangelium behandeln, um zu ihm zu paßen; es kann der Zusammenhang beiden auch ohne so enge Gemeinschaft des Inhalts dennoch sehr klar und leuchtend hervortreten. So ist’s auch heute. Da zeigt uns die Epistel den heiligen Paulus, den gewaltigen Säemann Christi, wie er auf seinem großen Arbeitsgebiete dahingeht und seine Saat ausstreut. Wahrlich er geht dahin mit Weinen und säet seinen Samen. Angefochten von dem Undank der Corinther und von den frechen Lügen, mit welchen sich falsche Apostel seines dortigen Arbeitsfeldes zu bemächtigen suchten, innerlich genöthigt und getrieben durch die Warnehmung, daß es diesen falschen Lehrern in Corinth keineswegs an allem Glücke fehlte, thut er seinen Mund mit Widerstreben von sich selbst auf und gibt uns einen Abriß seines apostolischen Lebenslaufes, welchen uns niemand so summarisch und doch dabei so vollständig hätte geben können wie eben er. Da erfahren wir auf einmal Dinge, welche uns weder die Apostelgeschichte noch irgend ein apostolischer Brief von St.| Paulo erzählt. Es erscheint uns im Saatfeld, von welchem das Evangelium redet, der mühevolle, thränenreiche Säemann, der im Herbste der Zeit dahin geht und seinen Samenwurf um so mehr in Hoffnung der Ewigkeit thun muß, weil ihm die Menschen, unter denen er lebt und aussäet, eine so geringe Hoffnung auf Erfolg zu faßen gestatten. Wenn wir nun diesen Säemann mit einander betrachten, so wird uns der Eindruck des Evangeliums, hoffe ich, nur verstärkt werden, und wenn uns das Evangelium den Wunsch erweckt, zum guten Lande zu gehören, so wird uns die Darlegung des apostolischen Lebenslaufes den Wunsch erregen, gegen einen Lehrer wie St. Paulus, denn er ist ja auch unser Lehrer, nicht undankbar zu sein, sondern die Früchte des Dankes, welche ihm viele Corinther nicht brachten bei seinen Lebenszeiten, über seinem Grabe zu bringen. Diese beiden Wünsche aber sind innerlich eins. Dankbare Schüler ihrer geistlichen Väter und Lehrer sind das gute Land, von welchem der HErr spricht; so wie Undank und Herzenshärtigkeit, schlechtes Weg- und Fels- und Dornenland auf das unzertrennlichste vereinigt ist.

 Indem ich mich nun anschicke euch aus der Epistel St. Paulum den thränenreichen Säemann vorzustellen, glaube ich diese meine Aufgabe lösen zu können, ohne eure Misbilligung fürchten zu müßen. Allerdings predige ich damit von einer Persönlichkeit, aber es ist die des heiligen Paulus, eine der größten, die je die Welt gesehen hat, deren Andenken der heilige Geist selbst in dem geschriebenen Worte Gottes so manchmal feiert, so daß auch wir uns keinen Augenblick schämen dürfen, dem Geiste der Wahrheit nachzugehen und Ihm nach zu feiern und zu erwägen, was unser Text von St. Paulus sagt. Da können wir uns, wir armen kleinen Leute, spiegeln, da kann uns die Demuth leicht werden, da kann sich unser Herz der geistlichen Freude, der Hochachtung und Ehrerbietung vor einem Lehrer ungehindert hingeben. Ihr dürft dabei auch nicht fürchten, daß ich euch die Sache durch einen Vortrag erschweren werde, welcher in dem Maaß länger ist als andre, in welchem der Text an Umfang andre Texte übertrifft. Hie muß man sich bescheiden und von vorn herein die Mühe aufgeben, mit kleinem Maße ein Meer zu meßen. Wir wollen den Inhalt des Ganzen so zusammenfaßen und wieder geben, daß ihr genug habet für einmal und euch selbst noch Raum und Anlaß genug überbleibt, Betrachtungen die Fülle anzustellen.

 Wenn ich oben gesagt habe, meine lieben Brüder, daß wir in diesem Texte den Säemann Paulus und seinen Lebenslauf vor Augen gestellt bekommen, so ist das allerdings richtig; aber es hat seine Beschränkung in dem, was wir hinzugesetzt haben: er trägt seinen Samenwurf mit Weinen. Damit ist schon angegeben, von welcher Seite uns St. Paulus im Texte dargestellt wird. Zwar finden wir, daß er gegenüber den falschen Aposteln, die sein Ansehen und seinen Einfluß in Corinth schmälern wollten, auch die Vorzüge seiner Abstammung erwähnt, rücksichtlich welcher er hinter ihnen keineswegs zurücksteht: „Sie sind Ebräer, ich auch; sie sind Israeliter, ich auch; sie sind Abrahams Samen, ich auch.“ Damit hat er seine Gliedschaft am großen Leibe der alttestamentlichen Kirche genugsam nachgewiesen, und es kann daraus kein Mensch einen Zweifel erheben an der leiblichen und geistlichen Zugehörigkeit St. Pauli zum Volke Gottes. Aber im Grunde ist es doch nur eine kurze Erwähnung, die er hievon macht, und wir richten unser Auge deshalb in diesem Texte nicht vorzugsweise auf diese Vorzüge. Andre Vorzüge, die St. Paulus in unsrer Stelle nicht erwähnt, weil sie seitabwärts von seinem Ziele und Wege liegen, erwähnen auch wir nicht, so gewis sie erwähnt werden müßten, wenn ein vollständiges Bild des heiligen Apostels gegeben werden sollte. Wir schweigen also von seiner Erziehung und Ausbildung, so wie von den leuchtenden natürlichen Gaben, die er hatte und die durch die vortreffliche Schule nur desto strahlender und überwindender hervortreten mußten. Auch reden wir nichts von seinem Temperamente, seinem Charakter, seiner Willenskraft und Beständigkeit, nichts von dem hohen Wunder seiner Bekehrung und von dem Einströmen seines ganzen reichen Wesens in die Gnadenfülle des Neuen Testamentes, nachdem er einmal von Christo Jesu ergriffen war. Nicht einmal die hohen Gnadengaben erwähnen wir, durch welche ihn der HErr nicht nur zu einem Propheten und Lehrer, sondern auch zu einem Apostel machte, der in keiner außerordentlichen Gabe den zwölf sogenannten hohen Aposteln nachsteht. Wenn er die Hände auflegte, so empfiengen die Täuflinge die außerordentlichen Gaben des heiligen Geistes ebensowohl, als wenn es Petrus, Johannes oder Jakobus that,| wie man das im 19. Kapitel der Apostelgeschichte ganz offenbar sieht. Es waren eines Apostels Zeichen bei ihm ebenso zu finden, wie bei den Zwölfen, wie denn das auch von den übrigen Aposteln anerkannt wurde, indem keiner von ihnen in die Grenzen seines apostolischen Territoriums übergriff, sondern sich, wie er, mit dem zugewiesenen Maße und Gebiete begnügten. Aber das alles tritt wie gesagt ganz und gar zurück und würde auch in dieser Kürze nicht von mir erwähnt worden sein, wenn ich nicht gedacht hätte, es könnte die Erwähnung davon die Wirkung desjenigen verstärken, was unser Text aus dem Leben Pauli ausdrücklich erzählt. Ich finde nemlich, daß die Kirche, die unsern Text für heute ausgewählt hat, ihn gerade da anfieng und da abschloß, wo es sein mußte, wenn die apostolischen Leiden Pauli recht glänzend in’s Licht gestellt werden sollten. Ist aber das der Fall und sollen wir eine Belehrung über Leid und Mühsal des Apostels empfangen, so wird dieselbe um so mächtiger unser Herz bewegen, je größer uns der Apostel rücksichtlich seiner natürlichen und geistigen Gaben und Vorzüge vor Augen steht. Bei ausgezeichneten und großen Männern und der Darlegung ihres Bildes und Lebenslaufes pflegt man gar nichts zu vermissen, wenn sie auch an Leiden und Mühseligkeiten nicht so hervorragend sind, als an Gaben und Thaten. Man ist überrascht, wenn man sieht, daß diejenigen, welche so ganz zur Arbeit und zu Thaten geschaffen scheinen, auch einen Beruf des Leidens hatten. Je größer der Beruf des Leidens neben dem der Arbeit hervortritt, desto höher an Werth steigt aber dann auch der Mensch; ja es scheint die höchste Stufe menschlicher Vollendung, wenn einer den Beruf großer Arbeit unter großen Leiden erfüllt. Das eben hatte ich im Sinn, da ich auch mit einigen Worten auf die Größe der Arbeit Pauli hinwies, bevor ich aus unserm Texte die Größe seines Leidenberufes darzuthun mich anschickte.

 Der Leidensberuf St. Pauli wird uns übrigens von einer doppelten Seite gezeigt. Im 11. Kapitel erscheint uns nemlich der Apostel in lauter solchen Leiden, welche mit der Ausübung seines apostolischen Berufes verbunden waren, und lediglich von den Menschen herrührten, unter denen er arbeitete. Dagegen sehen wir im 12. Kapitel vom 7.–10. Vers ganz andere Leiden angeführt, nemlich dämonische, von denen man am allerersten einen großen Propheten und Apostel frei und unberührt glauben sollte. Der große Säemann Paulus geht also über seine Saatfelder mit treuem reichlichem Samenwurf hin, und wird dabei von Menschen und Teufeln, von innen und außen auf eine unerhörte Weise gequält. Zwischen den beiden Stücken aber mitten inne, welche von den menschlichen und dämonischen Leiden Pauli reden, steht vom ersten bis sechsten Vers des 12. Kapitels eine Erzählung von der wunderbaren Entzückung St. Pauli bis in den dritten Himmel, also von einer außerordentlichen göttlichen Gnadenerweisung, kraft welcher man den heiligen Apostel von allen menschlichen und dämonischen Anfechtungen freigesprochen halten konnte. Es ist merkwürdig genug, daß der Apostel gerade diesen Gang nimmt, erst von seinen menschlichen Leiden, dann von seinen göttlichen Freuden, und endlich von seinen dämonischen Qualen redet. Doch wird es erklärlich, wenn man die Absicht Pauli bei dieser Reihenfolge in’s Auge faßt.

 St. Paulus verschmäht es, den falschen Lehrern gegenüber, die in seinen Heerden als verkappte Wölfe wühlten, auf anderes hinzuweisen, worinnen sie ohnehin und anerkannter Maßen keinen Vergleich mit ihm aushalten konnten. Dagegen aber wählt er sich die genannten besonderen, nicht beachteten oder verborgenen Punkte aus, in welchen solche Menschen wie die corinthischen falschen Lehrer, die allewege das Ihre suchten, gar keine Erfahrung zu haben pflegen. Weder werden sie sich solchen menschlichen Leiden unterzogen haben, noch wird sie Gott solcher himmlischen Freuden und dämonischen Leiden gewürdigt haben, wie St. Paulum. Der heilige Apostel faßt dabei die drei verschiedenen Abtheilungen unseres Textes in zwei zusammen. Er sagt nemlich Kap. 11, 30 und Kap. 12, 9, er wolle sich seiner Schwachheiten rühmen, Kap. 12, 5 aber, er wolle sich der hohen Offenbarungen Gottes rühmen. Unter den Schwachheiten aber faßt er die menschlichen und dämonischen Leiden zusammen und benennt sie mit dem Namen „Schwachheiten“ um deswillen, weil beiderlei Leiden alle seine Kraft aufzehrten, ihn müde, schwach und untüchtig machten, so daß nur Gott der HErr das Wunder thun konnte, ihn bei solcher Schwachheit dennoch immer in der Pracht neuer Früchte und apostolischer Werke vor die Augen der| Gemeinden zu stellen. Ja der Apostel scheint gegenüber den falschen Lehrern fast mehr auf seine Schwachheiten und Leiden, als auf seine Offenbarungen hinzuweisen, da er am Schluße eines jeden von den drei Theilen, auch am Schluße des zweiten, immer wieder auf seine Schwachheit zu reden kommt und am Ende des dritten sogar sagt, er wolle sich am liebsten seiner Schwachheiten rühmen, damit ihn die Kraft Christi überschatte. Auf diese Weise mußte es ihm ja wohl gelingen, den Corinthern die Augen zu öffnen und in ihren Herzen die rechte Ansicht und Schätzung ihres großen Lehrers wieder herzustellen. Was werden denn die Eindringlinge, die corinthischen Wölfe, für menschliche Leiden, göttliche Freuden und dämonische Plagen erfahren haben? Solche Knechte der Selbstsucht sind zu klug, um sich um Christi willen ein menschliches Leiden zuzuziehen, zu träg, schwer und unrein für den Flug himmlischer Entzückungen, und eine zu sichere Beute der Dämonen, als daß dieselben sie vor der Zeit und schon in diesem Leben viel zu plagen Lust und Absicht haben sollten. – Nun laßt uns aber, meine lieben Brüder, absehen von der zweitheiligen Zusammenfaßung unseres Textesinhalts und den Inhalt der drei zuerst angezeigten Theile etwas genauer ansehen.
.
 Der Apostel Paulus leitet den ersten Theil damit ein, daß er sich rücksichtlich seines Amtes in Vergleich mit seinen Feinden, den falschen Lehrern in Corinth setzt. „Sie sind Diener Christi“, sagt er, und setzt dazu „ich rede thörlich“, weil er ihnen den Namen der Diener Christi schon nach ihrem Gebahren zu Corinth nicht zugestehen kann. Im Gegensatz zu ihnen fährt er dann fort: „Ich bin’s wohl mehr“. Und um die letztere Behauptung zu begründen, beruft er sich dann nicht auf seine apostolischen Gaben und andre Vorzüge, sondern auf die Amtsleiden, die ihm bei Ausrichtung des göttlichen Auftrags allenthalben begegnet sind. Blickt man über die lange Reihe von Leiden, die er nun nacheinander aufzählt, mit aufmerksamen Augen hin, so fällt einem zu allererst nicht bloß die Menge, die Mannigfaltigkeit, die Größe derselben auf, sondern man wird verwundert, aus des Apostels eigener Feder Dinge zu lesen, von welchen man in der Apostelgeschichte nichts entdecken, nichts warnehmen, in manchem Betracht kaum etwas ahnen kann. Dazu kommt noch, daß dieser Brief im Jahr 57 oder nach der Meinung andrer im Jahr 59 n. Chr. geschrieben ist, daß er also den Lebenslauf und den Leidensgang des heiligen Apostels nicht abschließt, sondern bis zum Todesjahre des großen Dulders fast noch ein Jahrzehent vergeht, also ohne Zweifel noch eine große Anzahl schwerer Leiden hinzuzunehmen sind, bis endlich sein Haupt vom Rumpfe getrennt wird und er sagen kann: Ich habe den Kampf gekämpft, den Lauf vollendet. Hat nun der Apostel von seiner Bekehrung an bis in’s Jahr 57 oder 59 so viele Leiden von solcher Größe durchzumachen gehabt, ohne des Berufes müde zu werden, der ihn in solche Nöthen brachte, so erscheint er damit als ein Mann von großer Treue, die ihm vor Gott und Menschen den Ehrentitel eines Dieners Christi erwerben muß. Da sollen nun einmal die falschen Lehrer von Corinth kommen, und sollen ihr Amt und ihren Dienst Christi, ihren Ernst und ihre Treue auch mit solchen Zeugnissen belegen, wie der Apostel Paulus. Oder vielmehr, da sollen nun einmal die Corinther die Vergleichung anstellen, und sich Angesichts einer solchen leidensvollen Beständigkeit schämen, auch nur einen Augenblick einem selbstsüchtigen Schwätzer zugehört zu haben, der sie an ihrem Erzeuger in Christo JEsu irre machen wollte. Ein wie vielfacher Bekenner, ja ein wie vielfacher Märtyrer ist der heilige Apostel nach dem ersten Theil des Leidensregisters, welches er in unserm Texte aufstellt! Wie oft schien er in den zwei Jahrzehenten seit seiner Bekehrung, und insonderheit in den zwölf Jahren, während welcher er Reisen unter die Heiden gemacht hat, den Lauf vollendet und am Ziele angekommen zu sein, Kleinod und Siegeskranz schon in der Hand zu haben! Wie oft war da zwischen ihm und dem Tode nur ein kleiner Schritt! Wie oft hat sein Glaube und Beruf die Feuerprobe der Todesnähe, und zwar einer blutigen, gewaltsamen Todesnähe ausgehalten! Vergleichet nur einmal, meine lieben Brüder, eure Liebesglut und euren Leidensmuth mit der Glut und dem Muthe des Apostels, meßt ihn nur einmal mit eurem Maße; nehmet den Abstand war, der zwischen ihm und euch ist, und seht dann, wie fast übermenschlich groß euch gegenüber, vor euren eigenen Augen der heilige Paulus erscheint. – Wir dürfen dabei auch nicht vergeßen, daß der Apostel seine Leiden gewissermaßen classificirt, daß er zuerst anführt, was er an Ungemach| und Verfolgung seiner Feinde, an Ungunst der Elemente, an Noth und Mangel zu erdulden hatte, daß er aber darnach auf die von einer erfolgreichen Thätigkeit im Amte unzertrennliche Anstrengung und Arbeit übergeht. Eine Todesnoth, eine Steinigung, ein Schiffbruch, eine Fährlichkeit unter Mördern, eine Nacht und ein Tag in der Tiefe des Meeres gehen doch vorüber und gestatten auch wieder eine Erquickung und Erholung. Dagegen aber hat der tägliche Zusammenlauf der Leute, die Rath und Hilfe wollen, der Zudrang, von welchem im 28. Vers die Rede ist, und die unabläßige Sorge für die vielen, in einem apostolischen Sprengel zerstreuten Gemeinden etwas so angreifendes und aufreibendes, daß man es schier über Martyrium stellen oder doch ein beständiges Martyrium nennen könnte. Den Neuling im Amte, der im Anfang seiner Thätigkeit Erfolg, Zudrang und Zusammenströmen hilfesuchender Menschen erfährt, überrascht, hebt und erfreut es; wer aber einmal anderthalb oder zwei Jahrzehente hindurch in immer steigendem Maße das erfahren und nun gar nach dem Maße eines Apostels erfahren hat, der empfindet darin nicht mehr die Lust, sondern die Last des Amtes, der ruft wie St. Paulus Vers 29: „Wer ist schwach, und ich werde nicht schwach, wer wird geärgert, und ich brenne nicht“? Wenn der heilige Apostel am Ende des Galaterbriefes sich auf die Maalzeichen des HErrn JEsus an seinem Leibe, auf diese Stempel und Siegel treuer Leiden beruft und den Gemeinden zuruft: „Hinfort mache mir niemand weiter Mühe“; so begreift sich das wohl, er ist von Leiden müde. Und wenn er in unsrem Texte nach Aufzählung so vieler großer Leiden auf die Anstrengungen und Mühen seines amtlichen Berufes zu reden kommt, sich müde und schwach fühlt und in der Schwachheit selber das Zeugnis seiner amtlichen Treue findet; wenn er seinen Feinden und den Corinthern gegenüber ausruft: „So ich mich je rühmen will, will ich mich meiner Schwachheit rühmen“; so begreift sich das nicht minder. Wer bei solcher Schwachheit ruhen wollte, deßen Ruhe würde Ehre sein. Was soll man nun aber sagen, wenn von Ruhe gar keine Sprache ist, sondern schon hier aus dem nächsten Kapitel herüber in den ersten Theil der Epistel das Wort tönt: „Ich will mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf daß die Kraft Christi bei mir wohne; wenn ich schwach bin, dann bin ich stark!“ Da ist also von keinem Aufhören, von keinem Hinsinken die Rede. Da verbindet sich der doppelte Beruf des Leidens und der Arbeit; da zeigt sich also auch eine unabläßige Treue, und man sieht, daß hier ein Diener Christi vor Augen steht, vor dem die Selbstsucht corinthischer Eindringlinge erbleichen, die corinthische Gemeinde selbst aber erröthen mußte. Das, meine Brüder, sagte ich zum ersten Theile der Erzählung Pauli von sich selbst. Ich zeigte euch wie der heilige Apostel die Größe seiner Treue in der Größe seiner Leiden und in der Mühsal seiner Arbeit nachweist. Nun richtet den Blick auf den zweiten Theil der Predigt St. Pauli von sich selber.
.
 Vergeßen wir nicht, welche Absicht der Apostel hat, indem er von sich predigt und schreibt. Es gilt falsche Lehrer zu überwinden, welche bei den Corinthern dadurch Eingang suchten, daß sie den Apostel, der sie Christo gewonnen hatte, durch Verleumdungen in den Staub herabzogen. Ihnen gegenüber kann er nichts beßeres thun, als aus seinem Lebensgang dasjenige hervorheben, was theils bei den falschen Lehrern sich gewis nicht fand, theils am geeignetsten war, sein Ansehen bei den Corinthern wieder herzustellen. In dieser Absicht schrieb er ihnen von seiner Mühsal und seinen Leiden; in derselben schreibt er ihnen nun auch von seinen himmlischen Freuden. Konnten seine Feinde keine Leiden aufzeigen, wie er sie hatte, so konnten sie gewis eben so wenig oder noch weniger solche Freuden und Zeichen der Gemeinschaft mit Gott rühmen wie St. Paulus. Der Apostel scheint von der Sache, die er hauptsächlich hervorzuheben hatte, selbst nicht oft geredet, sie vielleicht gar bis zu der Zeit, in welcher er an die Corinther schrieb, verschwiegen zu haben. Wenigstens trägt die Art und Weise, in welcher er erzählt, ganz das Gepräge der Offenbarung eines Geheimnisses. Er redet von sich selber als von einer dritten Person; denn nachdem er überhaupt gesagt hatte, er wolle zum Vergleich mit seinen Feinden nunmehr seine Gesichte und Offenbarungen des HErrn darlegen, beginnt er die Erzählung der Begebenheit, die er anstatt aller andern Gesichte und Offenbarungen, die er gehabt hat, vorträgt, mit den Worten: „Ich weiß einen Menschen in Christo vor vierzehn Jahren“ etc. Im dritten Verse des 12. Kap. wiederholt er: „Und ich kenne denselben Menschen“.| Es kann unter dem Menschen, von dem er erzählt, kein andrer gemeint sein, als er selbst: niemand kann sich mit einer andern Auffaßung täuschen. So ist also die Form der Rede, wie wenn ein Geheimnis festgehalten werden sollte, der Inhalt aber ist Enthüllung des Geheimnisses, das er bisher verschwiegen zu haben scheint. Worin besteht nun aber dies Geheimnis? Offenbar in einer Entzückung bis in den dritten Himmel und bis in’s Paradies, und in einem Unterrichte und Mittheilungen, welche ihm dort auf wunderbare Weise gegeben und gemacht worden waren. „Ich kenne einen Menschen in Christo Jesu, derselbe ward hingerissen bis in den dritten Himmel, in’s Paradies und hörte unaussprechliche Worte, die kein Mensch sagen kann“; so sagt St. Paulus selbst. Während manche in früheren Zeiten gezweifelt haben, ob unter dem biblischen Ausdruck „Himmel“ ein Ort und nicht vielmehr ein bloßer Zustand angedeutet werde, ist St. Paulus aus eigner Ansicht in voller Klarheit. Der Himmel ist ein Ort, in welchen er entrückt wird. Ja der Ort ist selbst wieder dreifach, denn er sagt ja, er sei in den dritten Himmel entrückt worden. Es gibt also einen dritten Himmel, und eben deshalb auch einen ersten und zweiten. Wenn wir auch nicht mit Sicherheit sagen können, ob die Alten Recht hatten, die behauptet haben, der erste Himmel sei der Lufthimmel, der zweite aber der Sternenhimmel, so erleidet es doch gar keinen Zweifel, daß der dritte Himmel das Paradies ist, denn St. Paulus braucht ja im vierten Verse von dem dritten Himmel den Namen „Paradies“. Also in das Paradies, d. i. in die Wohnung Gottes, die seit der Sintfluth nicht mehr auf Erden, sondern über die für uns sichtbare Welt, hinausgerückt und in einen Ort gebracht ist, wohin sich die Folgen unsrer Sünde am wenigsten erheben konnten, dahin wurde der Apostel entrückt. Es war also nicht wie bei den früheren und späteren Entzückungen und Gesichten Pauli, von denen die Schrift erzählt, in welchen sich Christus Seinem Apostel nahte; sondern da nahte sich der Apostel Ihm, er ward entrückt zu Gott.
.
 Daß er dies wurde, ist ihm selbst kein Zweifel; er erzählt, er wiederholt es. Ob er aber blos der Seele nach entrückt wurde, ob seine Seele für die Zeitdauer der Entzückung den Leib verließ, und außer dem Leibe wallte, wie im Tode, oder ob auch der Leib an der Entzückung Theil hatte und mit hingerißen wurde bis in den dritten Himmel, das weiß er nicht. Für möglich hält er das letztere wohl, sonst würde er es nicht in die Wahl oder in Zweifel stellen, ob es geschehen ist, oder nicht; aber gewis weiß er es nicht. Hingenommen in die Betrachtung und Erfahrung deßen, was ihm geschah, gedachte er seiner nicht. Daß er entrückt wurde von der Erde bis ins Paradies, das wußte und merkte er wohl; ob aber sein ganzer Mensch oder blos ein Theil von ihm, die Seele, die Himmelfahrt machte, das wußte er nicht. Dagegen aber blieb ihm die Zeit, zu der es geschah, unvergeßen, er kann die Jahre darnach zählen, er weiß, daß es vierzehn Jahre vor dem Jahr gewesen ist, in welchem er schrieb. Hat St. Paulus den zweiten Brief an die Corinther im Jahre 57 geschrieben, so fällt diese Entzückung etwa in’s Jahr 43, in die Zeit seines Aufenthalts zu Antiochien, wo er vereint mit Barnabas die außerordentliche große Wirksamkeit gefunden hatte. Ist aber der zweite Brief an die Corinther im Jahre 59 geschrieben, so fiel die Entzückung etwa in’s Jahr 45, in die Zeit, in welcher Paulus seinen Beruf als Heidenapostel antrat und hinausgieng unter die Völker, um ihnen das Kreuz JEsu Christi zu verkündigen. Beiderlei Zeitpunkt ist bedeutungsvoll und wichtig genug für das Leben des Apostels und die Fortbewegung der Kirche. Ob es zur ersten oder zweiten Zeit geschehen ist, immer wird offenbar, wie sich der HErr mit dem Jünger vereinte, ihn zu seinem Dienste und zu seiner Laufbahn stärkte. Zwar ist es bis zur Stunde ein Geheimnis, was der HErr dem Apostel zeigte, was er ihm offenbarte, denn St. Paulus sagt ja selbst, er habe unaussprechliche Worte vernommen, die kein Mensch sagen könne; aber immerhin müßen diese Worte in einer Beziehung zum Amte des Apostels gestanden haben; immerhin wird der HErr ihn durch Seine heilige Offenbarung zum Lehrer der Heiden haben tüchtig machen, und ihm die Schule ersetzen wollen, welche die Zwölfe bei Ihm auf Erden durchgemacht hatten; immerhin wird er dadurch nicht weniger als durch die Leiden seiner darauffolgenden Amtswirksamkeit als Diener und Apostel JEsu Christi hingestellt, mit welchem sich kein corinthischer Eindringling vergleichen kann, und die Erwähnung der Sache muß zum Zwecke des heiligen Paulus sehr dienlich gewesen sein. So stand| es ja doch nicht zu Corinth, daß dem heiligen Paulus das Wort nicht geglaubt worden wäre, das er sagte; als ein wahrhaftiger und treuer Zeuge war er anerkannt, und konnte er von einer Entzückung bis in den dritten Himmel erzählen, so fand er Glauben bei der Gemeinde. Eben damit aber mußten die Feinde Pauli überwunden, die Gemeinde mit ihrem geistlichen Vater aufs neue vereinigt, und die große Seelengefahr beseitigt werden, in welcher sie schwebte.

 Das ist der zweite Theil der Rede Pauli von sich selbst, meine lieben Brüder, welcher für uns durch die mancherlei Beziehungen auf die Ewigkeit und eine überirdische Welt auch dann von großer Bedeutung sein würde, wenn uns an dem Siege St. Pauli über seine Gegner und der glänzenden Rechtfertigung seiner amtlichen Stellung und Treue nichts läge. Zu hören, daß es einen dritten Himmel gibt, daß es möglich ist in denselben mit der Seele, ja auch mit Leib und Seele hingerückt zu werden, und dort Unaussprechliches zu vernehmen, was hernach im wieder eintretenden natürlichen Zustand nur wie ein verborgener Schatz in der Seele ruhen, aber nicht gesagt werden kann: das hat allein schon hebende und beseligende Kraft genug. Der Himmel scheint näher, wenn man so deutlich sieht, daß man ihm näher kommen kann, und das ewige Leben ist gewis, wenn man seine Freuden und seine Herrlichkeit sogar in diesem Leben inne werden kann. –

 Von den himmlischen Freuden des heiligen Apostels haben wir zuletzt gehört; gewis sind sie ein laut redendes Zeugnis wie seine menschlichen Leiden, gegenüber seinen Feinden. Ein nicht geringeres Zeugnis legen aber auch St. Pauli dämonische Leiden ab. Das könnte man so begründen, daß man spräche: Freilich, wo Gott so erhöht, und zu sich zieht, wie es bei Paulo in der geschilderten Entzückung der Fall war, da muß der Teufel zu erniedrigen suchen; so lang wir hinieden wallen, noch nicht heimgekehrt sind zu der unangefochtenen Ruhe der triumphirenden Kirche, müßen wir immer neben unsrem Maße himmlischer Freude ein ähnliches Maß dämonischer Leiden haben. Aber so richtig diese Begründung an sich ist, so scheint sie doch auf dem Gedanken zu beruhen, als könnte der Teufel seine Feindschaft gegen Gottes Lieblinge nach eigener Macht und ohne Schranken ausüben. Aber gerade das ist ja nicht der Fall. Es mag dem Satan und seinen Engeln Höllenfreude sein, wenn ihnen Raum gegeben wird, ein Kind Gottes anzugreifen, so wie allenfalls ein grausamer Scherge mit Lust daran geht, wenn ihm ein Mensch zur Bestrafung übergeben wird. Allein so wie kein Scherge strafen kann, wen und wie er will, sondern die Macht und Befugnis dazu von andern empfangen muß; so waltet auch über allen dämonischen Anfechtungen und Plagen eine höhere Hand, und wenn kein Haar von unserm Haupt ohne den Willen des himmlischen Vaters fallen kann, so können uns viel weniger die feurigen Pfeile des Bösewichts ohne den Willen des frommen Gottes treffen. Daher müßen wir eine andre Begründung für unsern Satz suchen. Wir suchen nicht lange, denn wir finden leicht. So groß ist die Ehre ein Diener Christi zu sein, und so unaussprechlich das Glück schon in diesem Leben zeitweilig in den Ort der ewigen Freuden entrückt zu werden, daß der HErr selbst, der Freund der Seelen, Seinen Lieblingen ein entsprechendes Gegengewicht auflegt, damit sie vor dem Schaden, den ihre Seele durch Hochmuth leiden könnte, bewahrt bleiben. Die menschlichen Leiden, so groß sie auch seien, reichen doch nicht hin, eine auserwählte Seele vor dem großen Uebel und der Anfechtung des Hochmuths sicher zu stellen; daher braucht Gott die Dämonen und ihre feurige Qual, und mißt einem jeden der Seinen dasjenige Maß von teuflischer Anfechtung zu, das ihm nöthig und nützlich ist. So sagt auch St. Paulus selber; denn wir lesen im 7. Verse des 12. Kap.: „Auf daß ich mich nicht der hohen Offenbarung überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nemlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlage, auf daß ich mich nicht überhebe.“ Sollte aber einer zweifeln, daß dämonische Anfechtungen in den Plan Gottes eingerechnet und eingefügt sind, welchen er für unsre Seelenführung gemacht hat; sollten die eben angeführten Worte des Apostels nicht überzeugend genug sein; so darf man ja nur weiter im Texte lesen. St. Paulus hatte selbst ein solches Grauen vor der dämonischen Anfechtung, unter deren beständiger Qual er die Werke seines Amtes und Berufes auszurichten und die oben besprochenen menschlichen Leiden zu tragen hatte, daß er dreimal inbrünstig den HErrn anflehte, daß der Satan von ihm weichen möchte. In diesem dreifachen Gebete spricht sich ja dreifach seine apostolische Ueberzeugung| aus, daß der HErr sein bittres Schicksal wenden, es anders fügen könne, also auch bisher seine Plage gefügt und zugelaßen habe. Er widerstreitet nicht allein innerlich dem Teufel, als könnte er damit deßen Qual abwenden und seinen Leib von der erschrecklichen Pein befreien; sondern er wendet sich flehend zu Gott dem HErrn, ohne deßen Willen der Satan nicht von ihm weicht, er den Satan nicht überwinden kann. Was bekommt er aber für eine Antwort? Eine klare, deutliche Antwort: „Laß dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Was heißt das anders als „Nein“? Nein, der Satan soll nicht von dir weichen. Wenn du auch vom Satan gepeinigt wirst, bist du bei mir doch in Gnaden, und meine Gnade muß dir genügen, auch bei teufelischen Leiden. Wirst du auch schwach und hinfällig unter der satanischen Qual, so ist es nicht die Folge, daß du deshalb zu deinem Amte nicht mehr taugen sollst, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Was ist das für eine Antwort, meine lieben Brüder, was für Geheimnisse werden uns da enthüllt? Wer hätte das ohne Offenbarung wißen können, daß man bei Gott in Gnaden, ja in apostolischem Maße der Gnade stehen und dabei vom Teufel geplagt sein könne? Und wem wäre das von selbst gekommen, die Schwachheit, die Hinfälligkeit, die Ermattung als einen Magnet der göttlichen Kraft zu erkennen, und Gott den allmächtigen im Bündnis mit einem welken hinsinkenden Grase der menschlichen Schwachheit zu schauen? Aber wohlan, so ist es, und damit ist alle die falsche Gewißensangst dämonisch Angefochtener wie ein Nebel vernichtet, und Trost genug gibt es für alle, welche die feurigen Pfeile und ermattenden Angriffe des Teufels erleiden. Nicht in Ungnaden müßen sie sein, sie können im Gegentheil in hohen Gnaden stehen; nicht untüchtig werden sie durch die dämonische Plage für ihre Lebensarbeit, sondern Gott kann sie durch Beilegung seines Vermögens nur um so tüchtiger machen. Auch ist es gar nicht nöthig, daß das Gebet um Befreiung überhaupt oder so schnell erhört werde, denn Gott weiß keine beßere Cur für die Krankheit muthwilliger Selbsterhebung, als dämonisches Feuer. Das sind Lehren, meine Freunde, die kann man fürs eigne Herz und in der Seelsorge brauchen. Daß man ja nicht zweifle, werden sie an dem Beispiel eines großen Herzogs aller Angefochtenen, am Beispiel St. Pauli gezeigt. Da geht er hin der Lehrer der Heiden, vom Morgen nach Abend durch sein weites Arbeitsfeld, Thränen im Auge, in der Hand den Samenwurf, umgeben von menschlichen Leiden und Nöthen und Toden, und dabei einen Pfahl im Fleisch, einen Satansengel, der ihn mit Fäusten schlägt. Todmüde ist er von aller solcher Qual und doch sinkt er nicht hin, Gottes Kraft ist in dem Schwachen mächtig, und er vermag alles durch Den, der ihn mächtig macht, Christus. Wenn die Erwähnung der himmlischen Freuden St. Pauli ihn den Corinthern empfehlen und sie in ihrer Wankelmütigkeit beschämen konnte; so wird durch die Erwähnung der dämonischen Leiden Pauli und seiner gewaltigen Beständigkeit unter solchen Leiden, sein hehres Vorbild in einer solchen Vollendung hingestellt, daß man ihm gegenüber eine weitere Berücksichtigung der erbärmlichen corinthischen Eindringlinge kaum für möglich halten sollte.
.
 Damit hätte ich euch nun in einer von den Umständen gebotenen Kürze die drei Theile der Rede St. Pauli von sich selbst, und eben damit den großen Arbeiter in dem vierfachen Ackerwerk des Evangeliums gezeigt. So lang ich aber bereits geredet habe, würden dennoch die aufmerksameren, und lebendigeren Hörer unter euch nicht mit mir zufrieden sein, wenn ich nicht noch zwei Punkte am Schluße meiner Rede erledigen würde. Man kann nemlich erstens sagen, daß ich wohl von dämonischen Anfechtungen Pauli geredet, mich aber damit nicht eingelaßen hätte, darzulegen, worin sie bestanden hätten. Darauf hin könnte ich zwar erwiedern, daß der Apostel selbst den Fragern diene, indem er sage: „Mir ist gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nemlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlage“; allein der eine und der andre unter euch kann vielleicht irgend gehört haben oder wißen, daß M. Luther das Wörtchen „nemlich“, welches nicht im Grundtext steht, hinzugesetzt habe, um in der Uebersetzung den Text gleich zu erklären; denn der Text heißt ja einfach: „Mir ist gegeben ein Pfahl ins Fleisch, des Satans Engel, auf daß er mich mit Fäusten schlage, damit ich mich nicht überhebe.“ M. Luther war nemlich der Meinung, daß der Satansengel selber der Pfahl im Fleisch sei, darum setzt er das „nemlich“ hinzu. Andere kehren es um und nehmen an, daß der Pfahl im Fleische irgend ein| leibliches Uebel oder Gebrechen andeute, das von einem Satansengel stamme, und deßen Weh und Pein satanischen Faustschlägen verglichen würden. Sollte man sich für eine von den beiden Auslegungen erklären, so würde man am Ende doch lieber zu Luthers Meinung treten, weil doch eher der Satan als Pfahl im Fleisch, als der Pfahl im Fleisch für einen Satan und sein Leiden für dämonische Faustschläge genommen werden könnten. Mit völliger Sicherheit wird man jedoch weder die eine noch die andre Auslegung ergreifen können. Die Stelle gehört zu den vielen, die weder völlig klar, noch völlig unklar und deshalb der Deutung fähig sind, die man mit Bescheidenheit behandeln und sich daraus nehmen muß, was in ihnen unleugbar gesagt ist. Das unleugbare aber in diesem Fall ist nichts anders, als das oben hervorgehobene, daß St. Paulus dämonische Leiden zu ertragen hatte, und zwar an seinem Fleische, durchs Fleisch erst an der Seele. Damit ist aber genug gelehrt und an St. Pauli Beispiel genug gezeigt, denn man sieht einen Apostel als einen zweiten Hiob vom Teufel angefochten, man sieht ihn als einen Zielpunkt des Teufels und seiner Engel.

 Das ist der eine Punkt, der zu erledigen war. Der andere aber ist der vom Hochmuth Pauli. Zwar ist ihm die satanische Anfechtung gegeben, daß er sich nicht überhübe; dennoch aber mühen sich viele beim Lesen dieser und anderer Vertheidigungsreden Pauli gegen seine Feinde recht jämmerlich ab, um ihn gegen den Vorwurf des Hochmuths zu vertheidigen. Auch mir selbst war es früherhin beim Lesen und Erklären der heutigen Epistel, als könne man so vieles und großes von sich selber nicht leicht ohne Ueberhebung sagen. Diesmal jedoch gieng es mir beim stillen Lesen meines Textes im Zusammenhange anders. Es trat mir ganz klar vor die Augen, daß die Absicht, welche Gott mit den dämonischen Plagen Pauli hatte, bei diesem Dulder ohne Gleichen erreicht war. Er wurde geplagt, damit er sich nicht überhübe, und wahrlich, er überhob sich nicht. Alles, was er von sich selbst sagt, ist nicht nur an und für sich völlig wahr und in der demüthigsten bescheidensten Form gegeben, sondern man sieht auch an den Eingängen des Ganzen und an den Uebergängen der Theile, wie widerwärtig es dem Apostel war, sich selbst zu vertheidigen, und seine eignen Werke vorzustellen. Er sagt es den Corinthern im 11. Verse des 12. Kap. geradezu: „Ich bin ein Narr worden über dem Rühmen, dazu habt ihr mich gezwungen. Denn ich sollte von euch gelobt werden, sintemal ich nichts weniger bin, wie die hohen Apostel sind, wiewohl ich nichts bin.“ Von Anfang bis zum Ende des ganzen Abschnittes, von welchem unser Text ein Theil ist, habe ich es bei diesmaligem Lesen und Betrachten recht tief und überzeugend gespürt, daß des Apostels Lohn dadurch nicht dahin sein kann, daß er den Mund von sich selber aufthat. Es wäre wohl werth eine eigne Betrachtung und Predigt über die große Demuth Pauli bei der Darstellung seiner Werke und Vorzüge und Leiden zu halten. Mir ist aber diesmal so etwas nicht vergönnt; ich mußte in der Aehnlichkeit des heutigen Evangeliums die Epistel behandeln. Ich bin damit auch nun zu Ende, aber ich kann nicht schweigen, bevor ich noch gesagt habe, wie weh’ mir ums Herz wird, wenn ich versuche dem Apostel nachzufühlen, der sich am liebsten seiner Schwachheit rühmt, und nun so jämmerlich genöthigt ist, sein eigner Vertheidiger bei denen zu werden, deren größter Wolthäter er ist, und die bei Verkennung seiner großen Leistung und Wohlthat Gefahr laufen, in die Gewalt der Wölfe und falschen Lehrer zu gerathen. Traurige Nothwendigkeit, in welcher St. Paulus war, von sich selbst eine Rede zu halten, welche durch Jahrhunderte und Jahrtausende hin den Klang des höchsten Lobes bekommen hat! Aber auch ein hoher Apostel und eine eben so erhabene als gedemüthigte und gepeinigte Seele, die am Ende auch das kann ohne Sünde, was andern meist zur Sünde geräth, nemlich von sich zu reden und das eigne Lob zu verkündigen! Wie schwach mag er sich dazu gefühlt haben und wie süß mag ihm die Kraft Gottes geworden sein, die ihn auch zu dieser schweren Arbeit stärkte. – Hier endlich schweige ich, und mein Blick ruht traurig und fragend auf mir selbst und euch; denn wir, wie unähnlich sind wir in allen Stücken St. Paulo! Gott sei uns armen Sündern gnädig! Amen.




« Septuagesimae Wilhelm Löhe
Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)
Estomihi »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).