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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

leibliches Uebel oder Gebrechen andeute, das von einem Satansengel stamme, und deßen Weh und Pein satanischen Faustschlägen verglichen würden. Sollte man sich für eine von den beiden Auslegungen erklären, so würde man am Ende doch lieber zu Luthers Meinung treten, weil doch eher der Satan als Pfahl im Fleisch, als der Pfahl im Fleisch für einen Satan und sein Leiden für dämonische Faustschläge genommen werden könnten. Mit völliger Sicherheit wird man jedoch weder die eine noch die andre Auslegung ergreifen können. Die Stelle gehört zu den vielen, die weder völlig klar, noch völlig unklar und deshalb der Deutung fähig sind, die man mit Bescheidenheit behandeln und sich daraus nehmen muß, was in ihnen unleugbar gesagt ist. Das unleugbare aber in diesem Fall ist nichts anders, als das oben hervorgehobene, daß St. Paulus dämonische Leiden zu ertragen hatte, und zwar an seinem Fleische, durchs Fleisch erst an der Seele. Damit ist aber genug gelehrt und an St. Pauli Beispiel genug gezeigt, denn man sieht einen Apostel als einen zweiten Hiob vom Teufel angefochten, man sieht ihn als einen Zielpunkt des Teufels und seiner Engel.

 Das ist der eine Punkt, der zu erledigen war. Der andere aber ist der vom Hochmuth Pauli. Zwar ist ihm die satanische Anfechtung gegeben, daß er sich nicht überhübe; dennoch aber mühen sich viele beim Lesen dieser und anderer Vertheidigungsreden Pauli gegen seine Feinde recht jämmerlich ab, um ihn gegen den Vorwurf des Hochmuths zu vertheidigen. Auch mir selbst war es früherhin beim Lesen und Erklären der heutigen Epistel, als könne man so vieles und großes von sich selber nicht leicht ohne Ueberhebung sagen. Diesmal jedoch gieng es mir beim stillen Lesen meines Textes im Zusammenhange anders. Es trat mir ganz klar vor die Augen, daß die Absicht, welche Gott mit den dämonischen Plagen Pauli hatte, bei diesem Dulder ohne Gleichen erreicht war. Er wurde geplagt, damit er sich nicht überhübe, und wahrlich, er überhob sich nicht. Alles, was er von sich selbst sagt, ist nicht nur an und für sich völlig wahr und in der demüthigsten bescheidensten Form gegeben, sondern man sieht auch an den Eingängen des Ganzen und an den Uebergängen der Theile, wie widerwärtig es dem Apostel war, sich selbst zu vertheidigen, und seine eignen Werke vorzustellen. Er sagt es den Corinthern im 11. Verse des 12. Kap. geradezu: „Ich bin ein Narr worden über dem Rühmen, dazu habt ihr mich gezwungen. Denn ich sollte von euch gelobt werden, sintemal ich nichts weniger bin, wie die hohen Apostel sind, wiewohl ich nichts bin.“ Von Anfang bis zum Ende des ganzen Abschnittes, von welchem unser Text ein Theil ist, habe ich es bei diesmaligem Lesen und Betrachten recht tief und überzeugend gespürt, daß des Apostels Lohn dadurch nicht dahin sein kann, daß er den Mund von sich selber aufthat. Es wäre wohl werth eine eigne Betrachtung und Predigt über die große Demuth Pauli bei der Darstellung seiner Werke und Vorzüge und Leiden zu halten. Mir ist aber diesmal so etwas nicht vergönnt; ich mußte in der Aehnlichkeit des heutigen Evangeliums die Epistel behandeln. Ich bin damit auch nun zu Ende, aber ich kann nicht schweigen, bevor ich noch gesagt habe, wie weh’ mir ums Herz wird, wenn ich versuche dem Apostel nachzufühlen, der sich am liebsten seiner Schwachheit rühmt, und nun so jämmerlich genöthigt ist, sein eigner Vertheidiger bei denen zu werden, deren größter Wolthäter er ist, und die bei Verkennung seiner großen Leistung und Wohlthat Gefahr laufen, in die Gewalt der Wölfe und falschen Lehrer zu gerathen. Traurige Nothwendigkeit, in welcher St. Paulus war, von sich selbst eine Rede zu halten, welche durch Jahrhunderte und Jahrtausende hin den Klang des höchsten Lobes bekommen hat! Aber auch ein hoher Apostel und eine eben so erhabene als gedemüthigte und gepeinigte Seele, die am Ende auch das kann ohne Sünde, was andern meist zur Sünde geräth, nemlich von sich zu reden und das eigne Lob zu verkündigen! Wie schwach mag er sich dazu gefühlt haben und wie süß mag ihm die Kraft Gottes geworden sein, die ihn auch zu dieser schweren Arbeit stärkte. – Hier endlich schweige ich, und mein Blick ruht traurig und fragend auf mir selbst und euch; denn wir, wie unähnlich sind wir in allen Stücken St. Paulo! Gott sei uns armen Sündern gnädig! Amen.




Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/166&oldid=- (Version vom 1.8.2018)