Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres | |
|
und Verfolgung seiner Feinde, an Ungunst der Elemente, an Noth und Mangel zu erdulden hatte, daß er aber darnach auf die von einer erfolgreichen Thätigkeit im Amte unzertrennliche Anstrengung und Arbeit übergeht. Eine Todesnoth, eine Steinigung, ein Schiffbruch, eine Fährlichkeit unter Mördern, eine Nacht und ein Tag in der Tiefe des Meeres gehen doch vorüber und gestatten auch wieder eine Erquickung und Erholung. Dagegen aber hat der tägliche Zusammenlauf der Leute, die Rath und Hilfe wollen, der Zudrang, von welchem im 28. Vers die Rede ist, und die unabläßige Sorge für die vielen, in einem apostolischen Sprengel zerstreuten Gemeinden etwas so angreifendes und aufreibendes, daß man es schier über Martyrium stellen oder doch ein beständiges Martyrium nennen könnte. Den Neuling im Amte, der im Anfang seiner Thätigkeit Erfolg, Zudrang und Zusammenströmen hilfesuchender Menschen erfährt, überrascht, hebt und erfreut es; wer aber einmal anderthalb oder zwei Jahrzehente hindurch in immer steigendem Maße das erfahren und nun gar nach dem Maße eines Apostels erfahren hat, der empfindet darin nicht mehr die Lust, sondern die Last des Amtes, der ruft wie St. Paulus Vers 29: „Wer ist schwach, und ich werde nicht schwach, wer wird geärgert, und ich brenne nicht“? Wenn der heilige Apostel am Ende des Galaterbriefes sich auf die Maalzeichen des HErrn JEsus an seinem Leibe, auf diese Stempel und Siegel treuer Leiden beruft und den Gemeinden zuruft: „Hinfort mache mir niemand weiter Mühe“; so begreift sich das wohl, er ist von Leiden müde. Und wenn er in unsrem Texte nach Aufzählung so vieler großer Leiden auf die Anstrengungen und Mühen seines amtlichen Berufes zu reden kommt, sich müde und schwach fühlt und in der Schwachheit selber das Zeugnis seiner amtlichen Treue findet; wenn er seinen Feinden und den Corinthern gegenüber ausruft: „So ich mich je rühmen will, will ich mich meiner Schwachheit rühmen“; so begreift sich das nicht minder. Wer bei solcher Schwachheit ruhen wollte, deßen Ruhe würde Ehre sein. Was soll man nun aber sagen, wenn von Ruhe gar keine Sprache ist, sondern schon hier aus dem nächsten Kapitel herüber in den ersten Theil der Epistel das Wort tönt: „Ich will mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf daß die Kraft Christi bei mir wohne; wenn ich schwach bin, dann bin ich stark!“ Da ist also von keinem Aufhören, von keinem Hinsinken die Rede. Da verbindet sich der doppelte Beruf des Leidens und der Arbeit; da zeigt sich also auch eine unabläßige Treue, und man sieht, daß hier ein Diener Christi vor Augen steht, vor dem die Selbstsucht corinthischer Eindringlinge erbleichen, die corinthische Gemeinde selbst aber erröthen mußte. Das, meine Brüder, sagte ich zum ersten Theile der Erzählung Pauli von sich selbst. Ich zeigte euch wie der heilige Apostel die Größe seiner Treue in der Größe seiner Leiden und in der Mühsal seiner Arbeit nachweist. Nun richtet den Blick auf den zweiten Theil der Predigt St. Pauli von sich selber.
Vergeßen wir nicht, welche Absicht der Apostel hat, indem er von sich predigt und schreibt. Es gilt falsche Lehrer zu überwinden, welche bei den Corinthern dadurch Eingang suchten, daß sie den Apostel, der sie Christo gewonnen hatte, durch Verleumdungen in den Staub herabzogen. Ihnen gegenüber kann er nichts beßeres thun, als aus seinem Lebensgang dasjenige hervorheben, was theils bei den falschen Lehrern sich gewis nicht fand, theils am geeignetsten war, sein Ansehen bei den Corinthern wieder herzustellen. In dieser Absicht schrieb er ihnen von seiner Mühsal und seinen Leiden; in derselben schreibt er ihnen nun auch von seinen himmlischen Freuden. Konnten seine Feinde keine Leiden aufzeigen, wie er sie hatte, so konnten sie gewis eben so wenig oder noch weniger solche Freuden und Zeichen der Gemeinschaft mit Gott rühmen wie St. Paulus. Der Apostel scheint von der Sache, die er hauptsächlich hervorzuheben hatte, selbst nicht oft geredet, sie vielleicht gar bis zu der Zeit, in welcher er an die Corinther schrieb, verschwiegen zu haben. Wenigstens trägt die Art und Weise, in welcher er erzählt, ganz das Gepräge der Offenbarung eines Geheimnisses. Er redet von sich selber als von einer dritten Person; denn nachdem er überhaupt gesagt hatte, er wolle zum Vergleich mit seinen Feinden nunmehr seine Gesichte und Offenbarungen des HErrn darlegen, beginnt er die Erzählung der Begebenheit, die er anstatt aller andern Gesichte und Offenbarungen, die er gehabt hat, vorträgt, mit den Worten: „Ich weiß einen Menschen in Christo vor vierzehn Jahren“ etc. Im dritten Verse des 12. Kap. wiederholt er: „Und ich kenne denselben Menschen“.
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/162&oldid=- (Version vom 1.8.2018)