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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Gemeinden zu stellen. Ja der Apostel scheint gegenüber den falschen Lehrern fast mehr auf seine Schwachheiten und Leiden, als auf seine Offenbarungen hinzuweisen, da er am Schluße eines jeden von den drei Theilen, auch am Schluße des zweiten, immer wieder auf seine Schwachheit zu reden kommt und am Ende des dritten sogar sagt, er wolle sich am liebsten seiner Schwachheiten rühmen, damit ihn die Kraft Christi überschatte. Auf diese Weise mußte es ihm ja wohl gelingen, den Corinthern die Augen zu öffnen und in ihren Herzen die rechte Ansicht und Schätzung ihres großen Lehrers wieder herzustellen. Was werden denn die Eindringlinge, die corinthischen Wölfe, für menschliche Leiden, göttliche Freuden und dämonische Plagen erfahren haben? Solche Knechte der Selbstsucht sind zu klug, um sich um Christi willen ein menschliches Leiden zuzuziehen, zu träg, schwer und unrein für den Flug himmlischer Entzückungen, und eine zu sichere Beute der Dämonen, als daß dieselben sie vor der Zeit und schon in diesem Leben viel zu plagen Lust und Absicht haben sollten. – Nun laßt uns aber, meine lieben Brüder, absehen von der zweitheiligen Zusammenfaßung unseres Textesinhalts und den Inhalt der drei zuerst angezeigten Theile etwas genauer ansehen.

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 Der Apostel Paulus leitet den ersten Theil damit ein, daß er sich rücksichtlich seines Amtes in Vergleich mit seinen Feinden, den falschen Lehrern in Corinth setzt. „Sie sind Diener Christi“, sagt er, und setzt dazu „ich rede thörlich“, weil er ihnen den Namen der Diener Christi schon nach ihrem Gebahren zu Corinth nicht zugestehen kann. Im Gegensatz zu ihnen fährt er dann fort: „Ich bin’s wohl mehr“. Und um die letztere Behauptung zu begründen, beruft er sich dann nicht auf seine apostolischen Gaben und andre Vorzüge, sondern auf die Amtsleiden, die ihm bei Ausrichtung des göttlichen Auftrags allenthalben begegnet sind. Blickt man über die lange Reihe von Leiden, die er nun nacheinander aufzählt, mit aufmerksamen Augen hin, so fällt einem zu allererst nicht bloß die Menge, die Mannigfaltigkeit, die Größe derselben auf, sondern man wird verwundert, aus des Apostels eigener Feder Dinge zu lesen, von welchen man in der Apostelgeschichte nichts entdecken, nichts warnehmen, in manchem Betracht kaum etwas ahnen kann. Dazu kommt noch, daß dieser Brief im Jahr 57 oder nach der Meinung andrer im Jahr 59 n. Chr. geschrieben ist, daß er also den Lebenslauf und den Leidensgang des heiligen Apostels nicht abschließt, sondern bis zum Todesjahre des großen Dulders fast noch ein Jahrzehent vergeht, also ohne Zweifel noch eine große Anzahl schwerer Leiden hinzuzunehmen sind, bis endlich sein Haupt vom Rumpfe getrennt wird und er sagen kann: Ich habe den Kampf gekämpft, den Lauf vollendet. Hat nun der Apostel von seiner Bekehrung an bis in’s Jahr 57 oder 59 so viele Leiden von solcher Größe durchzumachen gehabt, ohne des Berufes müde zu werden, der ihn in solche Nöthen brachte, so erscheint er damit als ein Mann von großer Treue, die ihm vor Gott und Menschen den Ehrentitel eines Dieners Christi erwerben muß. Da sollen nun einmal die falschen Lehrer von Corinth kommen, und sollen ihr Amt und ihren Dienst Christi, ihren Ernst und ihre Treue auch mit solchen Zeugnissen belegen, wie der Apostel Paulus. Oder vielmehr, da sollen nun einmal die Corinther die Vergleichung anstellen, und sich Angesichts einer solchen leidensvollen Beständigkeit schämen, auch nur einen Augenblick einem selbstsüchtigen Schwätzer zugehört zu haben, der sie an ihrem Erzeuger in Christo JEsu irre machen wollte. Ein wie vielfacher Bekenner, ja ein wie vielfacher Märtyrer ist der heilige Apostel nach dem ersten Theil des Leidensregisters, welches er in unserm Texte aufstellt! Wie oft schien er in den zwei Jahrzehenten seit seiner Bekehrung, und insonderheit in den zwölf Jahren, während welcher er Reisen unter die Heiden gemacht hat, den Lauf vollendet und am Ziele angekommen zu sein, Kleinod und Siegeskranz schon in der Hand zu haben! Wie oft war da zwischen ihm und dem Tode nur ein kleiner Schritt! Wie oft hat sein Glaube und Beruf die Feuerprobe der Todesnähe, und zwar einer blutigen, gewaltsamen Todesnähe ausgehalten! Vergleichet nur einmal, meine lieben Brüder, eure Liebesglut und euren Leidensmuth mit der Glut und dem Muthe des Apostels, meßt ihn nur einmal mit eurem Maße; nehmet den Abstand war, der zwischen ihm und euch ist, und seht dann, wie fast übermenschlich groß euch gegenüber, vor euren eigenen Augen der heilige Paulus erscheint. – Wir dürfen dabei auch nicht vergeßen, daß der Apostel seine Leiden gewissermaßen classificirt, daß er zuerst anführt, was er an Ungemach

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/161&oldid=- (Version vom 1.8.2018)