« 6. Stunde Hermann von Bezzel
Einsegnungs-Unterricht 1909
8. Stunde »
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7. Stunde.
Lied 149.


Gebet: Nun bitten wir den heilgen Geist um den rechten Glauben allermeist, daß er uns behüte an unserm Ende, wann wir heimfahrn aus diesem Elende. Kyrieleis! Du wertes Licht gib uns deinen Schein; lehr uns Jesum Christ kennen allein, daß wir an ihm bleiben, dem treuen Heiland, der uns bracht hat zum rechten Vaterland. Kyrieleis! Du höchster Tröster in aller Not, hilf, daß wir nicht fürchten Schand noch Tod, daß in uns die Sinne nicht verzagen, wenn der Feind wird das Leben verklagen. Kyrieleis!











 So groß und unleugbar die Gefahren sind, welche der Lehrdiakonie drohen und von der Lehrdiakonie her drohen, so sind sie doch nicht dazu da, um von der großen Aufgabe, die in ihr liegt abzuschrecken, sondern vielmehr dazu, um im Glauben und Gehorsam überwunden zu werden. Es sind große Gefahren, die der Lehrdiakonie drohen, daran darf ich noch einmal erinnern, die Gefahren, daß eine Vielwisserei erzeugt wird, daß die weibliche Einfalt leidet, daß die Lehrdiakonie Unterrichtswesen wird und aufhört, auf ihren Ursprung sich zu besinnen und zurückzubeziehen.

 Es sind eben die Gefahren, die dem weiblichen Naturell drohen, wenn es, auch auf göttliches Geheiß hin, aus der Reserve hervortreten soll, die ihm durch Gottes Barmherzigkeit auferlegt ist, und man darf nie, was Gottes Barmherzigkeit auflegt und was Er als Grenze gönnt und gibt, durch eine gewisse Selbstwilligkeit in eine göttliche Zulassung verwandeln, in keinem Fall und in keinem Betracht. Wer die Schranken der Weiblichkeit in irgend einer Form überschreitet und den seelsorgerlichen Rat Jakobi übersieht: Unterfange sich nicht jedermann Lehrer zu sein, wer als eine Hauptgabe des weiblichen Naturells die Lehrhaftigkeit bezeichnet, die wisse, daß es eine Gefahr ist, die beschwört eben Sorgen und Nöte herauf,| die das weibliche Geschlecht in seiner Eigenart zu verschlingen und dem männlichen Geschlecht eine gedrückte Stellung zu geben geignet sind. Aber das sind nicht Gefahren der Lehrdiakonie als solche, sondern Gefahren des gesamten Feminismus im Schulbetrieb, der gewiß keine ersehnte und wünschenswerte Erscheinung an sich ist. Aber ich rede doch auch noch einmal von den Gefahren, die von der Lehrdiakonie drohen, und hier spielt für mich die allerneuste Phase und Frage mächtig herein. Wenn die Lehrdiakonie einen Sonderstand bildet, und jene vom Vater aller Zwietracht beliebte Scheidung zwischen gebildeten und ungebildeten Schwestern herein in die Genossenschaft gerade durch die geworfen wird, welche ihre Hauptbildung darin zeigen sollen, daß sie sich zu beschränken wissen, dann wäre freilich die Lehrdiakonie eine hohe, kaum zu überschätzende Gefahr, und wenn die Lehrdiakonie in sich eine abgeschlossene Zunft bilden würde, die sich mit dem Satz tröstet, alles, was im Bereich und in der Konsequenz der Pflicht liegt, schadet nicht, und dann einen Pflichtbegriff sich konstruierte, der sie zur Lektüre auch der unmöglichsten Bücher nicht nur befähigte, sondern gewissermaßen auch veranlaßte und berechtigte, dann wäre die Lehrdiakonie ein offenes Grab. Und wenn in dieser Zünftigkeit nur noch ein äußerer Zusammenhang mit den Sorgen und Aengsten der gesamten Diakonie gepflegt und bewahrt und mit ruhigem Blut all das Leid angesehen würde, wenn nur die eigene Schule und das eigene kleine Reich wohl bestellt ist, so würden diejenigen, die an der Zukunft des Hauses zu arbeiten berufen sind, seine Mörder werden. Wir haben derartige Erscheinungen mit Angst gesehen. Wenn ich es jetzt so überlege, erscheint es mir wie ein Wagnis, wenn ich mit Luther sprechen darf, wie ein Torkel der Gefahr gegenüber, daß man, nicht gewitzigt durch schwere bittere Erfahrungen, es versucht hat, die Lehrdiakonie wieder und wieder und so sehr zum Wort kommen zu lassen, daß vielleicht Nachfolger sagen, es war zu viel. Aber man vergesse nicht, die Lehrdiakonie bringt ja dann bloß zur Erscheinung, was in der Diakonie überhaupt als große Gefahr, was, ich darf sagen, im Frauencharakter als große Gefahr vorhanden ist, das Selbstische, die kleinen Grenzen, die kleinen Bezirke, die kleinen Reiche und Gedanken. Der Mann wird durch seine ganze Arbeit genötigt, zu teilen. Die Frau ist ja von Gott mit einer weit größeren Unabhängigkeitsgabe ausgerüstet als der Mann. Es ist eben eine Merkwürdigkeit, daß die Hilflosigkeit des Mannes in kleinen Dingen, eine gewisse Befangenheit in kleinen Fragen, die Größe des weiblichen Naturells darstellt. Also man soll ja nicht der Lehrdiakonie auf die Rechnung setzen, was der Diakonie, was dem weiblichen| Wesen überhaupt so eignet, die Selbständigkeit auf Kosten der andern, die Bebauung des Eigenen, während das andere darunter leidet, die Isolierung von dem Gemeinwohl und Gemeingut, wobei ich freilich nicht in Abrede stelle, daß die Lehrdiakonie diese Gefahr des weiblichen Naturells am allermeisten heraufzurufen, heraufzubeschwören geeignet ist, weil sie es dann unter der Devise der Pflicht tut. Wehe aber dem Menschen, der einen Pflichtbegriff herausholt, um hinter ihm den Mangel an Liebe zu decken, wehe dem Menschen, der irgend ein Gottesgebot herausnimmt, um das königliche Gesetz der Liebe zu zertreten.

 Es sind Gefahren von der Lehrdiakonie. Ich möchte nie ein Diakonissenhaus, das bloß Lehrdiakonie treibt, sehen, auch keines, das bloß Missionslehrerinnen ausbildet, das sind Phantome. Das, was der Lehrdiakonie das heilsame Korrektiv gibt, ist, daß man offene Augen hat für die großen ernsten Pflichten der anderen Berufe seiner Mitschwestern und in diese andern Berufe sich nicht nur hineindenkt, sondern auch hineinstellen läßt. Es ist doch schon wiederholt geschehen, daß wir Lehrerinnen in einen rein praktischen Beruf stellten und wir sind nicht übel damit gefahren. Wenn ein Mensch erst einmal dahin kommt, daß er sich in andere Berufe hineindenken muß (Paul Goehre, 3 Monate Fabrikarbeiter), daß man sich künstlich hineinempfinden muß, dann ist bereits ein schwerer Schaden in Wirksamkeit. Nein, es muß die Generalidee des Dienens und der Gemeinsamkeit des Dienens so vorschlagen und so triebkräftig sein, daß diese Gefahr am allerersten beseitigt wird. Es sind dann ohnehin Aufgaben genug, welche der Lehrdiakonie als Kreuz auferlegt sind.

 Wem aber die Lehrdiakonie Selbstzweck wäre, der soll sich nicht wundern, wenn sie ihm das Dach über dem Hause abträgt. Aber es soll ja die Lehrdiakonie kein Selbstzweck sein, sondern soll hineinführen in den großen Reichszweck der mittelbaren Seelsorge an anderen. Und da darf ich noch einzelne arme, geringe, aber nicht ganz unerfahrene Winke geben.

 Der Gesamtunterricht gehe von der biblischen Wirklichkeit aus. Das Kind lebe in der Schrift. Man läßt sich nicht, am allerwenigsten hier, von der öden Frage der Ueberbürdung quälen. Unsere Kinder werden jetzt allmählich zu geistigen Wasserköpfen herangebildet, müssen in ihr armes Hirn eine Masse unverdauten, unwerten, unklaren Gerümpels hereinnehmen. Wir sind in der besten Fahrt, unsere Kinder zu verelenden und sie zu der Blasiertheit heranzuziehen, die sich nur darüber wundert, wie man sich über etwas wundern kann, während die alte Lehre darauf hinging: „Den Kindern das| Schönste, Edelste, das Reinste.“ Während unsere Väter versuchten, unseren heranwachsenden Kindern die Herrlichkeit in allem darzustellen, hat man jetzt die abscheulichen Zeichenhefte erfunden, in die die Kinder ihre ärmlichen Karrikaturen niederlegen, die von den Lehrern angestaunt werden, und nun sucht man nicht die kindliche Phantasie zu wecken, sondern zu vernötigen und damit zu überbürden und zu zerstören.

 Wie es in diesen rein äußerlichen Sachen ist, daß den Kindern eine Aufgabe gegeben wird: Wie stellst du dir dies und das vor?, so hat man sich jetzt die Aufgabe gestellt, die Kinder ihre Gedanken niederlegen, sie ganz reden zu lassen ohne Zucht und Scham. Ich erinnere nur an jene Themata, die nicht aus der Phantasie gegriffen sind, wenn dem 8 oder 9jährigen Kinde das Aufsatzthema gegeben wird: „Wie ich meinen Herrn Pfarrer ärgere“; oder wenn das Thema gestellt wird: „Unser Lehrer ist krank“ (das Kind möge seine Empfindungen bei dieser Nachricht mitteilen), und so die Roheit und Impietät unter der Firma des natürlichen Empfindens herausgequält wird. Wenn vergessen wird, daß es nicht darauf ankommt, was aus dem bösen Schatz des Herzens herausschäumt, sondern daß es darauf ankommt, was an Heilsgütern und Heilsgnaden geweckt werden kann, dann hat die Lehrdiakonie die hohe Aufgabe, das Wahre und Klare, die Reinheit heiligen Schrifttums und die einfachen Erzählungen recht einzuprägen.

 Es ist Seelsorge, über die Maßen große Seelsorge, wenn man ohne viel Zutat, ohne alle möglichen Erklärungen, ohne Empfindungen zu erregen und zu erwecken, die biblische Geschichte lesen und in ihrer Ursprünglichkeit wirken läßt. Tauchen Sie, die Lehrschwestern selber, in das Geheimnis ein, daß Ihr Gott ein ewiges Geheimnis erfunden und gegeben hat, sind Sie von der Ehrerbietung durchglüht, daß hier Ihr Herr und Gott selbst mit Ihnen redet, treten Sie vor die Kinder in der Freude des Besitzes der biblischen Wahrheit, so braucht es keine langen Erläuterungen und keinen gelehrten Ballast, das kann man in wenigen Sätzen abmachen. Die Hauptsache ist, daß des Kindes Wille dem sich zuwendet, der da im Verborgenen wandelt und im Offenbaren einst vergelten wird. Von dieser Realität heiligen Schrifttums, von dieser Wiedererlebung, wie Haman sagt, alles dessen, was einmal geschehen ist, weil es für alle Zeiten geschah, und von dieser Hereinstellung der armen Gegenwart in eine ewige Gegenwart dessen, der da der lebendige Gott ist, geht der Gesamtunterricht aus. Wie kann eine Dienerin Jesu Weltgeschichte anders den Kindern vorführen als im Schauer vor dem, der Sein Antlitz leuchten läßt, daß wir auf Erden Seine Wege erkennen, nicht bloß Sein gnadenreiches| Antlitz, mit dem er die Völker an sich zieht und verneut, sondern auch Sein heilig ernstes Angesicht, vor dem die Völker in den Staub sinken und die Weltreiche weggehen, als wären sie nie gewesen. Das, was man gemeiniglich Geschichtsunterricht nennt, eine Sammlung und Zusammentragung von Tausenden von Anekdoten aus allerlei Büchern und dann eine öde Einprägerei von Geschichtszahlen ist nichts gegenüber dem Nachgehen dem lebendigen Gott zu Ehren und das Rauschen Seiner Füße wie das Rauschen von großen Wassern hören und zu Ihm sagen: Der Du bist der Gott ewiger Geschichte, heilige auch meines Herzens und Lebens Geschichte, daß sie Dir gehört. Der Geschichtsunterricht, so höre ich wohl, sei interessant! Er ist aber nur interessant, wenn man das Beiwerk zurücktreten läßt, und den Finger Gottes zeigt, der da deutlich an die Wand der Welt schreibt: Gewogen und zu leicht befunden. Er ist dann interessant, wenn das Kind etwas ahnt von Grund und Folge, von den letzten Anlässen und letzten Gottesworten, von dem großen, ewigen Gesetz: Gerechtigkeit erhöht ein Volk, aber die Sünde ist der Leute Verderben. Man achte darauf, – es sind nur kurze Winke – daß dann der Geschichtsunterricht ein seelsorgerlicher wird, indem man das Kind für Persönlichkeiten begeistert: Ich habe es oft gesagt, das sei die Probe eines guten Geschichtsunterrichts in Jesu Nachfolge, daß, wie Ebräer 11 des Näheren zu lesen ist, die einzelnen Persönlichkeiten sich Helden erwählten. Wie oft habe ich im Konfirmandenunterricht gesagt: „Wer ist dein Liebling in der Geschichte?“, und habe die allerdürftigsten Antworten erhalten, während es doch darauf ankommt, daß man sich Freunde in der Geschichte erwählt, mit denen man einst in den reichen Wohnungen des Vaters seine Erfahrungen austauschen will. Das gilt auch der heranwachsenden Generation: dann wird der Geschichtsunterricht seelsorgerlich, dann hält man sich nicht so lange bei den Mythen der Griechen und Römer auf, sondern man geht herein in das Leben.
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 So werde auch der deutsche Unterricht, daß ein Kind etwas ahnt von der Barmherzigkeit Gottes, mit der Er die Sprache schuf, in der die Kirche verneut wird. Das Kind, und da stehe ich auf einem ganz anderen Standpunkt, lerne schon um der Sprache willen die biblische Geschichte möglichst dem Wortlaut nach, damit es frei werde von dem Phrasengeklingel unserer Tage und damit es einen Kern habe, einen prägnanten Stil bekomme, der mit Wenigem viel sagt. Was liegt, wenn die heiligen Evangelisten schreiben, in ihrer Kürze Großes! In dem einen Wort, das der Herr dem Judas zuruft: „Was du tust, das tue bald“ – wie es dann weiter heißt, „er ging| sobald hinaus und es war Nacht,“ was liegt in dem einen Wort, wie es Luther noch gestellt hat, für eine Fülle von Lebensgedanken!

 Man muß die Leute im Stil etwas ahnen lassen. Es ist nicht die Höhe des Stils, wenn er klar und flach daher kommt; es ist nicht die Höhe des Stils, wenn recht breit, recht mit Behagen alles ausgedrückt wird, sondern – das ist auch Seelsorge – der Nächste soll sich bei der Lektüre auch quälen, in Zucht nehmen, forschen, arbeiten. Ein leichtes Buch ist schlimmer wie gar keines. Und der leicht hinfließende Stil in unseren Tagen ist zwar sehr behaglich, aber nicht recht. Denken wir auch daran, wie der Unterricht in der deutschen Sprache seelsorgerlich gehalten werden soll und kann.

 Es muß dem Kinde zum Bewußtsein gebracht werden, daß im Mangel an Orthographie ein sittlicher Defekt liegt. Das Kind muß vor einem orthographischen Fehler wie vor einer Sünde sich fürchten lernen. Es ist nicht recht, wenn unter uns darauf nicht ordentlich gesehen wird und würde. Es ist eine Sünde gegen den Herrn der Kirche, wenn Dienerinnen der Barmherzigkeit nicht einmal so viel Kraft der Liebe zu ihrem Heiland haben, daß sie orthographisch korrekt schreiben mögen. Wenn ich in den kleinen Dingen Ihm die Ehre nicht geben kann, wie soll ich es in großen tun? Ich rede nicht von dem Mangel der neuen Orthographie, aber wenn ganz bestimmte Worte, die nie anders geschrieben wurden, mit einer Leichtigkeit verletzt werden, das ist mir durch die ganzen Jahre wie ein Mangel an sittlicher Ehrenhaftigkeit erschienen. Und darum muß das Kind frühzeitig darauf hingewiesen werden; wer seine Muttersprache nicht recht schreiben kann, ist ihrer nicht wert. Gerade in dem Fleiß, den man auf die Orthographie verwendet, liegt eine weit größere Arbeit als in allen möglichen kleinen Aufsätzen, hinter denen doch nicht viel steckt, wie überhaupt die besten Aufsätze von denen gemacht werden, die in schlichter, tiefer Art, das, was sie denken und haben, darstellen.

 Jede Lehrerin bitte jeden Tag um die Gabe absoluter Selbstlosigkeit und wenn man die Türklinke in der Hand hat und tritt herein, so sei es ein Seufzen zu dem, der sein Leben nicht geliebt hat bis in den Tod: Laß mich selbstlos werden, laß mich nicht um die Liebe meiner Schülerinnen buhlen, nicht die Liebe meiner Schülerinnen durch Augenaufschlag und Lächeln und allerlei kleine Künste ergattern, sondern mache mich echt, und die Echten werden mir zufallen und im übrigen gehe es, wie es will. Dem weiblichen Geschlecht eignet die Angst, daß es nicht lange ungeliebt sein kann. Ich möchte sagen, dem menschlichen Geschlecht eignet überhaupt die Angst. „Es steht“,| sagt Luther, „in jedermann tief geschrieben das Verlangen, daß uns jedermann günstig sei.“ Aber dem weiblichen Geschlecht ist es schwer, wenn es nicht alsobald Eindruck macht: lieber gehaßt als ignoriert werden. Aber dadurch hat manche Lehrschwester ihrem Heiland die Arbeit an den Kindern unerträglich erschwert, daß sie ihre eigene Person und deren Geltung den Kindern so sehr empfahl; statt daß sie schlecht und recht ihr Werk tat und einfach im Gehorsam der Pflicht vor die Kinder trat, hat sie da und dort an den Kindern sich innerlich versündigt.

 Ich deute da nur eines ganz kurz an. Es ist, meine Schwestern, eine Seelsorge an den Kindern, wenn man all die Liebes- und Zärtlichkeitserweisungen recht karg macht. Ich verlasse diesen Punkt aus sehr naheliegenden Gründen und deute nur an, den Kindern muß eine Hand das Höchste sein und genügen und alles andere erscheint mir nicht ziemlich und nicht gut. Dieser aus dem alten Rationalismus und falschen Pietismus hervorgegangene Zug, von dem Lehrer als dem „besten Freund der Kinder“ zu reden, sei einem lutherischen Christen fern.

 Das allererste ist der Gehorsam. Wird er nicht frei geleistet, so erzwingt man ihn. Zuerst heißt es, wir sollen Gott fürchten und dann erst lieben. Das Allererste, was den Kindern durch unser ganzes Wesen nahe gebracht werden muß, ist das Wesen der Autorität. Es ist nicht recht, wenn man gleich den ganzen Fonds, der in seinem Beruf liegt, aufzehrt um der lächerlichen Erfolge willen, eine gute Lehrerin geheißen zu werden und eine freundliche Art zu besitzen. Man trete vor die Kinder als vor den, der da spricht: Weiset meine Kinder und das Werk meiner Hände zu mir. Das soll das Geheimnis der Lehrdiakonisse sein, daß sie, eingesenkt in die Nachfolge des Erzhirten Jesus Christus, mit großem Ernst den Kindern sich ergibt.

 Zum zweiten: Man muß den Kindern auch etwas zumuten. Dieses leere Gerede, das der Vater aller Faulheit und Trägheit erfunden hat, der dabei doch dem Menschen die allermeiste Arbeit, fruchtlose, kraftlose Arbeit zumutet, das törichte Gerede von der Ueberbürdung, das sei fern. Wo nicht die Arbeit da ist, da ist nicht die Kraft. Wer nicht die ihm Untergebenen anstrengt, der ist selber nicht wert, Untergebene zu haben. Lasse man sich auch in der nächsten Zeit und bis in die fernsten Tage von diesen Worten nicht weiter übertäuben. Man wird mäßigen müssen, vor allen Dingen das rein Gedächtnismäßige, im übrigen aber wissen, daß es ein köstliches Ding ist, wenn das Joch in der Jugend getragen wird. Man| befehle wenig, aber das Wenige voll und ganz und sehe besonders in Kleinigkeiten auf den Gehorsam. Eine Lehrerin muß ein gutes Gedächtnis haben. Wenn ich einmal gesagt habe: Die Fensterriegel stehen so, so stehen sie bis in die Ewigkeit so, und wenn ich sage: So setzt man sich hin, so wird von der kleinen Forderung auch nicht ein Jota abgedingt. Wer nicht den Mut hat, seinen Befehlen Nachdruck zu verleihen, der befehle überhaupt nicht, der gehe aber auch aus dem Lehramt, denn jemand, der nicht herrschen kann, kann auch nicht lehren.

 Man gehe vor die Kinder nicht mit dem Schmuck der eigenen Leistung – das ist auch etwas, das gegenüber der Vielwisserei absticht –, man gehe vor die Kinder, daß sie merken, wie man innerlich zittert, zittert vor dem heiligen Gott, der da ungesehen zuhört, der da auf jedes Wort merkt, zittert auch vor dem Weh, das der Heiland über das Aergernis ausspricht, daß eines dieser Geringsten, die an Ihn glauben, geärgert werde. Wenn die Kinder merken, unsere Lehrerin hat eine Gewalt, vor der sie täglich in den Staub sich beugt und eine Macht, die den ganzen Willen beherrscht, und diese Macht heißt Wahrheit, dann werden sie sich auch in den Staub vor dieser Macht beugen. Es ist mir ein hoher heiliger Ernst, daß unter unseren Lehrdiakonissen die rechte Einigkeit bestehe. Lehrer sind geborene Aemulatoren, geborene Eifersuchtsleute. Es gibt nichts Jämmerlicheres als uneinige Lehrer an ein und derselben Schule, und es gehört eine große Heiligungskraft dazu zu sagen: Freue dich auf den nächsten, da bekommst du alles weit besser, reiner, reicher. Das ist unter Diakonissen dasselbe, die mala aemulatio, das schlechte Wetteifern und die armselige Streiterei. Wer nicht in der Kraft Jesu sagen kann: Wenn nur das Beste geschieht, auch wenn es mir nicht zu vollbringen beschieden ist, wer nicht in der Nachfolge Jesu sagen kann, wenn nur den Kindern ihr Recht wird, auch wenn ich es ihnen nicht ganz geben kann, soll vom Lehramt wegbleiben.

 Man sieht, es ist ein weites großes Feld, das der Lehrdiakonie in der Seelsorge sich erschließt. So gehe sie ihren großen Weg, lehre, lerne, sammle, vertiefe sich, erfahre, aber alles in Liebe mit dem Band der Vollkommenheit umwunden, die da ist der Gehorsam gegen den Meister. Lehrdiakonie sei rettende Diakonie, sei Zukunftsarbeit im höchsten Sinn. Lehrdiakonie sei werbende Kraft für die Seelen derer, die ihr vertraut sind, ob sie nicht noch einmal Jesu trauen wollen. Lehrdiakonie ruft durch Stadt und Land: Er ist es wert, daß man Ihm dieses erzeigt, Er hat uns in die Schule genommen und solches an uns getan. Lehrdiakonie ist die tägliche heilige Aufweisung der einer Perle, der zulieb man alles andere läßt,| ist der demütige Hinzeig auf den, in welchem alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis beschlossen sind. Und von dem aus lösen sich mir manche Fragen. Wenn du alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis dir aneignest und dein Wissen vertiefst, und deinen Wissensschatz bereicherst und ausweitest, dann schaue wohl zu, daß all der Glanz des Gesteins und all die schauernde Tiefe der Erkenntnis dich nicht von dem scheide, in dem so viel Reichtum und so viel Liebe ist. Dann denke wohl, daß du bei dem einen bewahrt bleibst, daß du seinen Namen fürchtest.
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 Aber nachdem ich von dem Ernst der Lehr-Diakonie gesprochen, darf ich doch auch einmal noch von dem Segen reden. Der Segen ist: Man kommt um das Alter. Unterrichtende Leute haben das Geheimnis, daß sie nie alt werden. Genötigt zu geben, veranlaßt, hinzuzeigen auf den Herrn aller Zukunft und aller Zeiten, merken sie gar nicht wie ihre Haare bleichen, wie ihre ganze Zeit enteilen muß, denn sie spüren den, der zu ihnen sagt: Meine Kraft soll in der Schwachheit sich vollenden. Lehrdiakonie strahlt auf das Haus, dem sie entnommen und erwachsen ist, die frohe Gewißheit zurück: „Ich bin wohl durch die Zeiten und durch die Ewigkeiten in meinem Geist gereist, wohin ich auch gekommen, nichts hat das Herz genommen als Golgatha, Gott sei gepreist.“ Gerade, weil jetzt dieser üble Wahn entsteht, daß Wissen und Glauben Gegensätze seien, sollen die Lehrdiakonissen ihren Mitschwestern zurufen: Alles, was mir Gewinn war, habe ich um Christi willen für Schaden erachtet und die frohe Gewißheit, in die Herzen der Mitschwestern hineinsenken: Je mehr ein Mensch lernt, desto mehr liebt er, und je mehr er liebt, desto liebenswerter wird ihm sein Herr. Ich meine, das sei die seelsorgerliche Bedeutung der Lehrdiakonie, daß sie dem ganzen Hause, aus dem sie erwachsen ist, zuruft, wie man am Saume Seines Gewandes schon die höchsten Probleme sehen kann und welche Geheimnisse erst bei dem vorhanden sind, dessen Gewand schon mit Anbetung erfüllt. Wenn ein Haus durch die Lehrdiakonie nicht reicher und reiner, reicher an allerlei Schätzen der Weisheit und der Erkenntnis, reiner von der Kleinmünzelei und dem armseligen Kärrnerbetrieb, des Tages wird, dann ist das Haus entweder nicht mehr fähig, die Diakonie zu tragen, oder die Lehrdiakonie hat ihr Salz eingebüßt. Was der selige Pfarrer Löhe dem Hause Gutes gegönnt hat, da, er aus der Not der Zeit und zum Trost der Zeit die Schule gründete, das wird erst an dem Tag, der alle verborgenen Fäden und ihren Einschlag, ihren Zusammenhang und ihre Zusammengehörigkeit aufzeigt, recht offenbar werden. Neuendettelsau, ich stehe nicht an, es zu behaupten,| wäre längst in Kümmerlichkeit draußen auf dem Lande versickert, wenn nicht die Lehrdiakonie das Auge hell, den Mut groß, die Hoffnung freudig gemacht hätte. Beschaulichkeit ist eine große Gabe, aber durch Arbeit und Unternehmung wird sie nicht gehemmt, sondern gefördert. Beschaulichkeit ist eine große Gnade, aber die Gefahr ist, daß man sich an sie verliert. Die Lehrdiakonie in dem unmittelbaren Zusammenhang mit dem nachdrängenden und nachquellenden Leben, in der einen Hand den Schatz der Erkenntnis, in der anderen den Schatz künftiger Möglichkeiten, ist am allerhöchsten dazu befähigt, in einem Hause die Kraft für die kommenden Stürme zu bereiten und es für die Aengste, die über den ganzen Erdkreis eindringen, zu befähigen. Aber freilich, manch eine könnte denken, ich beschränke die Lehrdiakonie auf die paar Schulen oder 500 Schülerinnen, die wir haben, nein, die Lehrdiakonie geht für mich herein auf die Kinderwelt, und hinaus auf die Gefährdeten und Gefallenen. Ich kann mir eine Rettungsdiakonie ohne Lehrdiakonie schlechtweg nicht denken. Und darum spreche ich auch ein Wort von der Lehr- und Erziehungsdiakonie gegenüber den Gefährdeten und Gefallenen.
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 Ich habe das Gesetz wohl oft in seiner Paradoxie aufgestellt und scheue mich nicht, es noch einmal zu sagen, die größte Weisheit in der Unterweisung der Gefallenen ist, daß man sie als nicht gefallen ansieht. Das hat der Heiland gesagt: Darum bricht mir das Herz über dir, daß ich mich dein erbarmen muß. In dieser göttlichen Vernotwendigung des Erbarmens, in dieser von Jesu veranlaßten, überwundenen Treue, der das Elend den Mut nicht nimmt, sondern erhöht, der die schauernde Tiefe der satanischen Verführung den Schreck zwar erweckt, aber nicht die Mutlosigkeit, liegt das Geheimnis der Arbeit an den Gefallenen. Unser Volk fängt an, ein untergehendes Volk zu werden. Wir sind in den letzten Jahrzehnten so von dem Dithyrambus über alles Mögliche angelogen worden, es kam mir immer vor, wie wenn Sänger an einem Grabe singen: Freuet euch des Lebens. Unser ganzes Volk wird langsam von den ewigen Gütern der Lebensreinheit und der Lebenskeuschheit gelockert. Es ist freilich wahr, daß jetzt durch die unheimliche Zauberin, Statistik geheißen, eine Menge Dinge ans Licht geholt werden, die früher auch da, aber nicht bekannt waren, aber andrerseits muß man sagen, die Scham der Verborgenheit ist allmählig geschwunden, unser Volk verliert die Scham vor sich selbst. Wie lang wird es dauern und die früheste Jugend lebt in und von den Gedanken, die mit dem Trug der Sünde umgeben sind! Wie lange wird es währen, und unser ganzes Volk hat seinen Sabbathfrieden eines reinen| Leibes und einer unbefleckten Seele eingebüßt und verloren. Wenn Gott ein Volk demütigen will, dann läßt er es närrisch werden und unser Volk ist jetzt wie in einem Narrentaumel. Es sieht nicht, daß es wie zu einem Schlachttag geschmückt und gerüstet ist. Hier in die Diakonissenhäuser kommen etliche furchtbare Sturzwellen der langsam heran sich wälzenden Flut, die unser armes Land mit Geröll, Schutt und Schmutz überdeckt und aus dem Herzen das Bild des Heilands wegschwemmen wird. Unser Volk kann nicht mehr beten, es kann nicht mehr arbeiten, darum kann es auch nicht mehr genießen und das, was es Genuß heißt, ist mehr an der Grenze der Bestie. Man sehe die Sonntagabende in Stadt und Land an, man höre die Reden, man sehe die Gesichter, man merke die Glut des Tieres, das aus dem Abgrund nach seinen Tieren wiehert und man hat die Zeichen unserer Zeit. Es ist Bestialität, denn alle Humanität, die von Gott abgeht, wird zur Bestialität. Und wir haben in unseren Anstalten von Jesu die Frage erhalten: Was wollt ihr für euer betrogenes, verführtes, verstörtes Volk noch tun? Wir haben keine andere Antwort als die: Hier bin ich, sende mich. Und das ist in meinen Augen die Krone der Lehrdiakonie, wenn sie zur Pflegediakonie, zur bewahrenden Arbeit wird. Hier liegt auch eine nie bestrittene, unbestreitbare Arbeit.
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 Es ist mir ein trauriger und schmerzvoller Lieblingsgedanke, zu wissen, daß die Krankenhäuser den Diakonissen rechter Art langsam genommen werden. Ich rechne auch mit dem Gedanken, daß die Schulen der Lehrdiakonie langsam aus den Händen gleiten, aber zweierlei, weiß ich, wird bleiben: Die Pflege der Gefallenen und die Pflege der Blöden. Es ist eine hohe Freude, daß alles, was die Welt nicht mehr mag, dem Heiland zu Füßen fallen kann. Es ist wie eine göttliche Ironie auf alles Welttreiben: alle Hungernden, Verschmachtenden, Enttäuschten wirft die Welt zur Seite: Da siehe du zu, was geht es mich an! aber Er und seine Getreuen machen sich auf und zählen nicht die Namen und wägen nicht die Gefahr und rechnen nicht mit allen Möglichkeiten, sondern sie trösten Sein Volk und reden mit den Armen freundlich und sagen ihnen, hier können sie trauen, während ihre einstigen Vertrauten sie verließen. Diakonissenhäuser der Zukunft werden wohl tun, wenn sie die Arbeit an den Gefallenen mit der allergrößten Liebe umfassen. Damit treten sie wieder in den Knechtsorden ihres Meisters ein. War es vordem wie ein goldgesticktes Gewand anzusehen, daß sie die wohlgeratenen und wohlgelittenen und wohlgeordneten Kinder der Durchschnittsleute erzogen, so legen sie jetzt das arme, zerrissene, unscheinbare, viel abgebrauchte und| unansehnliche Arbeitsgewand an und beugen sich mit dem Meister in den Staub: „Ihr nennt mich Meister und Herr und saget recht daran, denn ich bins auch. So nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt ihr auch euch untereinander die Füße waschen.“ Die Lehrdiakonie steigt herab von dem Katheder, auf dem niemand lange ungestraft thront, und beugt sich vor denen, von denen das weibliche Naturell zurückscheut. Mit wem sind sie in Berührung gekommen! Welche Schmach haben sie sich und unserem Geschlecht erregt und angetan! Aber hinter solcher Beugung steht der Herr Jesus und spricht: Ich sah dich in deinem Blut liegen und sprach zu dir, weil ich dich so liegen sah, du sollst leben. Und nun helfe, wer da kann, daß unser armes Volk in seiner tiefsten Erniedrigung noch Freunde finde, Freunde, die mit ihm und an ihm und für seine Not arbeiten. Helfe jeder dazu, der eines guten Willens ist, daß die Unterweisung diesen Armen und Gefährdeten zu teil werde! Die Seelsorge des Magdaleniumberufes ist in allererster Betrachtung eine vorahnende Freude, als die Türe dem verlorenen Sohn sich auftut und vor dem erstgeborenen sich verschloß; vorahnende Freude, daß den Engeln im Himmel eine Lust bereitet werden kann, weil hier ein Sünder sich zur Buße schickt. Gerade weil bei der Gefährdung des Weibes all die Nerven der Innerlichkeit bloß gelegt werden und auch die Silberfäden, welche die verkommenste Seele mit dem Zentrum des Lebens verbinden, so deutlich in Erscheinung kommen, gehört eine von Jesu geheiligte und geadelte Zartheit dazu, um dieser Mädchen sich recht zu erbarmen. Diese Zartheit spricht nicht über das Vergangene, das überläßt sie der einsamen Nacht und dem Richter, der einsam um den Abend kommt, das überläßt sie der Reue, die Er sendet, und dem Gewissensruf, der von Ihm erschallt, aber sie hilft dazu, daß eine Seele wieder Tränen habe. Wäre Petrus nach der Untat der Verleugnung, und das arme Weib, die eine Sünderin war, nach ihrer schwer belasteten Vergangenheit ohne Tränen geblieben, so hätte die weltliche Traurigkeit sie ertötet und sie hätten im Hader gegen den Gott ihres Lebens dumpfen Frieden gefunden. Wenn aber ein armer Mensch wiederum weinen kann, weil die Leutseligkeit des Heilands ohne Frage und ohne lange Prüfung in ihrer unmittelbaren Erbarmung der unmittelbaren Dürftigkeit entgegentritt, dann ist das Leben gewonnen und dann beginnt wieder das Heimweh. Man sehe doch Jesu Seelsorge an. Keine eingehenden Fragen! Rufe deinen Mann – nichts mehr und nichts weniger. Kein unter dem Schein der Treue mit einem gewissen fatalen Behagen verweilendes Verhör, keine tiefgehende, von hohen Gesichtspunkten| aus geleitete Predigt, sondern die nackte Tatsache und das unverhüllte Erbarmen. Beides gibt der Herr, das eine als den Ernst der Lage, das andere als ihren Trost. Das eine zeigt er auf, damit die Seele erbebe, das andere gibt er ein, damit sie sich erquicke. Wir wollen Ihn angehen, daß in der gesamten Seelenpflege der Magdalenen die hohe Gabe, den Nächsten auch im Fall als Christus wert zu halten, erstehe. Die Seele ist Christus wert, das genügt, das Leben hat einen Heiland ans Kreuz gebracht, das soll es adeln, auch für diesen Menschen hat Gott den Himmel zerrissen, auch in ihm hat er Friedensgedanken dargestellt. Kommt und laßt uns die Münze, die im Kot so lange lag, wieder reinigen und dem verlorenen Schaf werde doppelte Speise. Es wird das allergrößte sein, wenn die Diakonie, die Lehr- und Pflegediakonie an den Gefallenen nach der schweren schwülen Sündennacht einen taufrischen Morgen aufkommen läßt, da man wieder arbeiten lernt, arbeiten als Schutz wider die Sünde. Denn wir sind nicht gemeint, die Seelenpflege an den Gefallenen durch ein beschauliches, behagliches oder irgendwie die eine Sünde mit der anderen vertauschendes Leben zu trösten, vielmehr gewillt, die Nerven anzustrengen und den Menschen wieder an das Gebot der Erdenpflicht zu mahnen: Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen. Lag bisher auf dem täglichen Brot die Furchtbarkeit der Sünde und auf all dem überreichen Erwerb der Fluch schnödesten Verdienstes, so soll die Seele jetzt in die Arbeit hereingestellt werden, in eine vielgestaltige Arbeit. Es gehört mit zu den Gesetzen im Reiche Gottes, dessen Weisheit der Apostel eine vielfarbige nennt, die Arbeit durch Abwechslung in der Arbeit zu erhöhen. Es ist nicht gut, wenn immer in eins hin gearbeitet wird, sondern es ist heilsam und recht, wenn diese armen Mädchen in eine mannigfache Pflichtbetätigung hineingestellt werden.

 Und dann wirke man zum zweiten auf ihre Ehre. Ich brauche nicht erst zu sagen, daß jedes Scheltwort, geschweige denn ordinäre Worte der Tod der Seelsorge sind. Die Mädchen müssen sich als Christinnen behandelt sehen. Schwerster Vorhalt geschehe unter 4 Augen, und erst wenn das Mädchen nicht mehr gerettet werden will, dann geschehe, was der Heiland Matthäus 18 vorschreibt. Bis die Oeffentlichkeit Kenntnis hat, ist es immer etwas besonders Gefährliches und Verantwortliches.

 Zum dritten. Man lasse die Mädchen an die reinen Freuden herankommen, an die Freuden draußen, an die Freuden drinnen. Man lasse sie durch Berg und Tal gehen und sorge sich nicht groß darum, wie viele dabei entweichen werden. Das Vertrauen hat immer eine Verheißung und lieber einen großen| Reichtum von Hoffnung, als die Knappheit und Kargheit, wie viel man Gott zutrauen dürfe. Lieber gibt man den Mädchen den weiteren Spielraum, – es ist ja keine Gefangenenanstalt, – als daß man sie einengt und einzwängt. Dann aber führe man sie fleißig und treulich hinein in das Geheimnis des Gottesworts, in den Ernst der heiligen Gottesgebote, in die leuchtende Freude, daß der Mensch Gottes immer wieder zur Welt geboren wird. Man zeige den armen Mädchen mit Vorsicht, aber auch mit aller Rücksichtslosigkeit, wie Gott der Herr selbst die eigene Seele, die Seele der Erziehenden und Lehrenden aus Tiefen gerettet hat und wie er mit all seinen Armen redet und wie er all seine Wüsten tröstet. Es sollen die Magdalenen wissen – dabei verliert nur der Tor an Achtung – daß ihre Kämpfe und ihr Ringen das eigene ist und daß es nur Gottes wundersame Behütung war, die uns von dem Abgrund fern hielt, in dem sie leiden. Es muß in einem Magdalenium ein Wetteifer entstehen, wer am besten Jesum vorleben kann. Es gereicht zu den höchsten und dankenswertesten Freuden meiner Arbeitszeit, daß in unserem Magdalenium dieser einmütige Werbegeist in einer Liebe zum Erbarmen Jesu immer wieder am Wort und Werk stand. Es ist ja einem Scheidenden eher ein freimütiges Wort gestattet und nachzusehen, aber zu den Werken, die die hiesige Arbeit verklärten und erleuchteten, gehört an allererster Stelle der Teil an der Arbeit im Magdalenium. Man hat immer gewußt, daß diesen Kindern, diesen Mädchen die Gleichheitlichkeit des Erbarmens Jesu Christi entgegenscheint. Launen und Magdalenium, Stimmungen und Rettungsarbeit sind unverträgliche Gegensätze. Gott erhalte die Lindigkeit und Leutseligkeit, die allen Menschen kund werden soll und denen am meisten, die in der Leutseligkeit bisher Berechnung und in der Lindigkeit schnödes Verlangen sehen mußten.

 Das also ist das Wesen der rechten Diakonie Jesu Christi, Seiner Seelsorge Gegenstand und Seiner Seelsorge Nachfolger zu sein. Einbezogen in das suchende Erbarmen Jesu Christi, unmittelbar hereingestellt in die große Lebensarbeit Seiner Erbarmung, weiß sich die weibliche Diakonie Ihm zu einer dankbaren Nachfolge verpflichtet und verbunden, und kennt keine größere Freude, als vergängliches Leben an Weckung des unvergänglichen und enteilende Stunden an Erhebung ewiger Gaben zu wagen und zu wenden. Es ist der weiblichen Diakonie Ehrenpreis, daß sie, was dem gesamten Christenstand eigentümlich und gemeinsam sein müßte, an ihrem Teil langsam und treulich tut, Jesum für all seine Gaben und Güte bis zum Tode zu danken.


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Lied 372.
Gebet: O Herr Jesu Christe, der Du in lauter Erbarmen uns zu Dir zogst und bis auf diesen Tag uns bei denen erhalten hast, die in Dir ihr ganzes Leben erfahren, verleihe, daß um den Abend die Deinen eilen, einzubringen in Deine Scheunen, was Dir gefällt und zu werben und zu laden die Gäste, denen Du Raum und Gnade gegönnt hast, und schenke uns, daß wir dort und hier Seelen Dir zum Preis gewinnen um Deiner Liebe Willen. Amen.














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Einsegnungs-Unterricht 1909
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