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unansehnliche Arbeitsgewand an und beugen sich mit dem Meister in den Staub: „Ihr nennt mich Meister und Herr und saget recht daran, denn ich bins auch. So nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt ihr auch euch untereinander die Füße waschen.“ Die Lehrdiakonie steigt herab von dem Katheder, auf dem niemand lange ungestraft thront, und beugt sich vor denen, von denen das weibliche Naturell zurückscheut. Mit wem sind sie in Berührung gekommen! Welche Schmach haben sie sich und unserem Geschlecht erregt und angetan! Aber hinter solcher Beugung steht der Herr Jesus und spricht: Ich sah dich in deinem Blut liegen und sprach zu dir, weil ich dich so liegen sah, du sollst leben. Und nun helfe, wer da kann, daß unser armes Volk in seiner tiefsten Erniedrigung noch Freunde finde, Freunde, die mit ihm und an ihm und für seine Not arbeiten. Helfe jeder dazu, der eines guten Willens ist, daß die Unterweisung diesen Armen und Gefährdeten zu teil werde! Die Seelsorge des Magdaleniumberufes ist in allererster Betrachtung eine vorahnende Freude, als die Türe dem verlorenen Sohn sich auftut und vor dem erstgeborenen sich verschloß; vorahnende Freude, daß den Engeln im Himmel eine Lust bereitet werden kann, weil hier ein Sünder sich zur Buße schickt. Gerade weil bei der Gefährdung des Weibes all die Nerven der Innerlichkeit bloß gelegt werden und auch die Silberfäden, welche die verkommenste Seele mit dem Zentrum des Lebens verbinden, so deutlich in Erscheinung kommen, gehört eine von Jesu geheiligte und geadelte Zartheit dazu, um dieser Mädchen sich recht zu erbarmen. Diese Zartheit spricht nicht über das Vergangene, das überläßt sie der einsamen Nacht und dem Richter, der einsam um den Abend kommt, das überläßt sie der Reue, die Er sendet, und dem Gewissensruf, der von Ihm erschallt, aber sie hilft dazu, daß eine Seele wieder Tränen habe. Wäre Petrus nach der Untat der Verleugnung, und das arme Weib, die eine Sünderin war, nach ihrer schwer belasteten Vergangenheit ohne Tränen geblieben, so hätte die weltliche Traurigkeit sie ertötet und sie hätten im Hader gegen den Gott ihres Lebens dumpfen Frieden gefunden. Wenn aber ein armer Mensch wiederum weinen kann, weil die Leutseligkeit des Heilands ohne Frage und ohne lange Prüfung in ihrer unmittelbaren Erbarmung der unmittelbaren Dürftigkeit entgegentritt, dann ist das Leben gewonnen und dann beginnt wieder das Heimweh. Man sehe doch Jesu Seelsorge an. Keine eingehenden Fragen! Rufe deinen Mann – nichts mehr und nichts weniger. Kein unter dem Schein der Treue mit einem gewissen fatalen Behagen verweilendes Verhör, keine tiefgehende, von hohen Gesichtspunkten