« 5. Stunde Hermann von Bezzel
Einsegnungs-Unterricht 1909
7. Stunde »
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6. Stunde.
Lied 150. Psalm 103.


Gebet: O Herr Jesu Christe, der Du jetzt auf dem Lobe aller vollendeten Heiligen und Verklärten täglich wohnest, und auch von uns das Lobopfer allezeit verlangst und annimmst, verleihe, daß um unseres kurzen und enteilenden Lebens willen seine Kraft der Dank und sein Friede des Dankes gnädige Annahme werde. Schenke uns Armen, daß wir, die wir jetzt im Staube Dich anbeten, dermaleinst der Sorge und der Sünde entnommen, hier vergessen, dort unvergessen bleiben mögen, um Deiner Liebe willen. Amen.











 Die mittelbare Seelsorge, die von Diakonissen ausgeübt werden soll, wird das Thema der letzten Stunden sein müssen. Von diesem Thema wollen wir alle die Berufe noch bestimmt begrenzt und erfüllt sein lassen, die einer Diakonisse Jesu Christi wahrhaft zugänglich sind. Da gelte zuerst: alle mittelbare Seelsorge gehe nicht von einzelnen Regungen, einzelnen Stimmungen und Erwägungen aus, sondern wie du selbst das Objekt der Seelsorge gewesen bist und bleibst dein Lebenlang, so sei du auch in deinem ganzen Wesen und Werden das Subjekt der Seelsorge. Wie du gegenständlich die Seelsorge empfindest, so übe persönlich die Seelsorge aus. Eine rechte Dienerin Jesu ist in ihrem ganzen Wesen und Sein, in dem was sie denkt, redet und tut, eine lebensvolle Seelsorge; indem sie ihre eigene Seele in den Händen trägt, erweckt sie auch in Anderen das Verlangen, für ihre Seele zu sorgen. Es war mir gestern so bedeutsam, daß ich heute nicht umhin kann, es einzuflechten. – Ich wollte für mich sein und ging auf den südlichen Gottesacker in München, der ja eigentlich der ruhigst gelegene ist. Ich wollte auch noch Gräber besuchen, deren eines ich ja selbst gesegnet habe, das Grab unserer Schwester Amelie v. Brück. Da war das erste Grab, vielleicht 8–10 Schritte vom Eingang, der erste Präsident des bayerischen Oberkonsistoriums Freiherr von Seckendorf, gest. 1828. Das Grab war vergrast, verwittert,| verfallen; außer den wenigen, die den Namen in der Kirchengeschichte Bayerns kennen, werden wohl kaum noch etliche um ihn sich bekümmern. Und dann ging ich weiter ins Mittelfeld: von Edelmann, einst Mitglied der obersten Kirchenbehörde; wieder einige Schritte weiter: Stiller, erster Dekan und Stadtpfarrer und Mitglied der obersten Kirchenbehörde. Dann bog ich herum: Das Grab von Niethammer und ganz am Ende, eingesunken: Friedr. von Schmidt, Kabinetsprediger der Königin Karoline; und in der Mitte ein großes Feld, in dem alle barmherzigen Schwestern liegen mit der ersten General-Oberin, welche bekanntermaßen die Schwestern nach Bayern brachte unter dem Bischof Wittmann. Ein Grab wie das andere, ein Kreuz wie das andere, und auf einem Kreuz stund: „Laßt alles Andere, nur das Eine ist not: Denk an deine Seele, denk an Zeit und Tod!“

 Das war auch eine Seelsorge, die hier geübt wurde, eine Seelsorge an einem Menschen, der da auch weiß, daß sein Leben ein Ziel hat und er davon muß. Das soll die Seelsorge sein, – darum schaltete ich dies ein – die von jeder Diakonisse ausgeht auf ihre Umgebung: „eine Sterbende und siehe, wir leben!“ Es ist mir ja manchmal ein Geheimnis, was eigentlich das Anziehende von der und jener Persönlichkeit war, das mir erst bei ihrem Tode entgegen trat. Ob nicht überhaupt die ganze Einfriedung des Lebens, eine gewisse, wenn auch nicht innere, so doch äußere Weltferne, eine gewisse Abgeschlossenheit diesen anziehenden Eindruck hervorruft? Denken auch unsere Schwestern daran, welch ein Kapital von Seelsorge-Gaben und Kräften der Herr in ihr Leben hineingesenkt hat? Wenn eine Diakonisse, in ihrem äußeren Wesen rein und wahr, auf diese zerrissene, zerklüftete, suchende Zeit Einfluß hat, soll ihr das nicht eine Mahnung sein, daß indem sie jenes Wort der armen Nonne, das auf dem Kreuz stand, auffaßt und ins Herz nimmt, sie eine große Kraft der Seelsorge für viele besitzt? Alle Seelsorge muß von der Persönlichkeit ausgehen.

 Wie wird man eine Persönlichkeit, damit man seelsorgerlich wirken kann im Sinne des Erzhirten Jesu, der da gesagt hat: „Laßt euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen und den Vater im Himmel preisen“, von dem und zu dem jedes gute Werk hingeht? Wie wird man eine Persönlichkeit? Dieses Geheimnis kennen, heißt eine Welt von Eroberungskräften in sich schließen, heißt der Welt aufs Wirksamste dienen. Denn es ist nicht an dem, daß die Welt sich Persönlichkeiten verschlösse, aber von Personen hebt sie sich ab. Es wird nie dahin kommen, daß die Gott entfremdete| Welt sich Persönlichkeiten entzieht; sie dürstet nach ihnen und sehnt sich immerdar nach solchen, in denen der Geist Gottes Gestalt gewonnen hat. Darum: Wie wird man eine Persönlichkeit? Personen sind wir geworden ohne unser Zutun; Persönlichkeiten aber müssen wir werden durch den Ernst der Heiligung. Der allein kann eine Persönlichkeit werden im Sinne Jesu, der sich selber in strenge Zucht nimmt und je länger je weniger etwas für sich begehrt. Der Mensch, der fleißig den Todesgedanken in sich trägt und die ganze Ironie dessen, was man Leben heißt, auf sich wirken läßt, der Mensch, der auf all den Tand und all den Flitter, welcher vergeblich dieses Leben vor der Todesgewalt beschützen will, lächelnd schaut und es bei Seite legt, der Mensch kann mit Gottes Kraft eine Persönlichkeit werden. Der Mensch, der nie ängstlich berechnet: was mache ich für einen Eindruck, was spiele ich für eine Rolle und was mache ich für eine Figur? sondern der im Seufzen nach der Gnade, die da behütet, und im Ringen nach der Güte, die da geleitet, ohnmächtig vor Gott und stark vor den Menschen ist, der wird mit Gottes Hilfe eine Persönlichkeit. Und nur Persönlichkeiten können – noch einmal sei es gesagt – seelsorgerlich wirken, denn sie wirken Nachfolger. Das ist es, wenn wir unser Leben ansehen, was wir am allermeisten haben als Einziges, das da bleibt: Gott hat uns unter den elementaren Einfluß von Persönlichkeiten gestellt. Es überkam uns zunächst der kraftvolle Widerspruch gegen diese unbewußte Einwirkung. Wir wollten uns ihrer erwehren und entschlagen; es war als ob ein Angriff auf unsere Selbständigkeit gemacht würde, auf diese sogenannte Selbständigkeit; aber wenn wir den Persönlichkeiten uns ergaben, wurden wir es selbst. Diese Persönlichkeiten brauchen nicht einmal mehr zu leben. Es gibt Persönlichkeiten, die man nie gekannt hat – ich erinnere nur an Paulus und an Luther – die aber in dem Moment leben, als man sich der Gewalt ihres Wesens erschließt. Ich könnte mir nie eine wirklich evangelische Christin denken, die nicht in elementarer Weise von diesem armen Bergmannssohn und Mönch hingenommen wäre. Es ist dies eine Kraft, der man sich ungestraft nicht entzieht. Das ist die Gewalt, die da unter dem Kreuze zusammengebrochen, das Kreuz des Lebens trägt, das ist der Mut, der da vor seinem Herrn sich wand wie ein armer Wurm, um dann mit starkem Antlitz hinauszutreten an und gegen eine ganze Welt. So innerlich von Persönlichkeiten ergriffen, von diesem Gedenken an die Männer, die uns das Wort Gottes gesagt, ob wir sie gleich nie hörten – so wird man zur Persönlichkeit. Kann man sich dazu erziehen? Nein, was man macht wird nichts, was man erkünstelt erweist| sich als falsch. Kann man es erbeten? Man kann es, man will es, und dann merkt man, wie der Charakter sich nicht im Strom der Welt bildet, – ich habe je und je gegen dies Wort geeifert – sondern wie der Charakter im Zwiegespräch mit dem Meister, der die Züge eines Menschen wetterhart und fest macht, sich bildet, wie der Charakter in der Selbstschau, in der Schweigsamkeit der Selbstreue, in dem Todesgrauen der Selbstvernichtung die freundlichen Worte hört: „Sei getrost, deine Sünden sind dir vergeben! Gürte das Schwert um, und sei ein Mann!“ Bei einem Charakter, bei einer Persönlichkeit, weiß man in Nebenfragen selten wie sie gelöst werden; aber in Hauptfragen weiß man alles, aber nichts gegen die Wahrheit. Man weiß, daß eine Persönlichkeit alles darangeben kann, nur den nicht, der sie zur Persönlichkeit erhoben und gemacht hat, sei es den unmittelbaren Präger aller Geister, sei es die Mittelperson, durch die Er geprägt hat.

 Wie wird eine Diakonisse eine Persönlichkeit? Nur dadurch, daß sie stille wird, daß sie, weit entfernt von der erbärmlichsten Sucht etwas sein zu wollen, was sich nicht mit ihr verträgt, und losgelöst von dem Verlangen, etwas zu bedeuten, ihrem Herrn die Treue und Stille hält. In solcher verzichtenden, selbstverleugnenden, anspruchslosen Zurückgezogenheit hat der Herr Seine Werkstätte: „Ich will den Schwachen zu einem Starken und den, der nicht ist, zu etwas machen und zu denen, die nicht Mein Volk waren, sagen: „Du bist Mein Volk!“ Das ist des Herrn Jesu Wunderkraft, daß Er Menschen, die Ihm sich erschließen voll, ernst, treu, die von Ihm alles und von sich nichts erwarten, mit der rechten Hand segnet: „Fürchte dich nicht, Ich will mit dir sein!“ Und diese Persönlichkeit in Christo, die mit der unpersönlichsten Tätigkeit der Selbstverleugnung anhebt, diese Persönlichkeit in Christo wirkt allein seelsorgerlich.

 Unsere Seelsorge, so wiederhole ich noch einmal, sei unsere ganze in Gott gefestigte Persönlichkeit. Solange man jung ist, seelsorgt man peripherisch, wenn man älter wird, seelsorgt man zentral. Solange man jung ist, probiert man mancherlei Schlüssel ans Menschenherz, und einer um den andern versagt oder zerbricht. Wenn man älter wird, bittet man um das Eine: „Laß an mir Deine Gnade erscheinen!“

 Es mögen diese 35 sehen, welche ein Leben mit Kraft und Gabe ausstattende Aufgabe der Herr ihnen gestellt hat: Werdet Persönlichkeiten! Ich wills nie hören, daß zu dem Werden von Persönlichkeiten hohe Gaben gehören, und glaube nie, daß zum Werden der Persönlichkeit allerlei an sich schätzenswerte Eigenschaften hinreichen, sondern der Mensch, der Ihn| für seine Stärke hält und von Herzen Ihm nachfolgt, derselbe Mensch wird frühe die Hilfe erfahren und wird eine Persönlichkeit für Andere sein. Aber freilich, wenn die Persönlichkeit nicht Licht ausstrahlt, wenn nicht Licht von ihr ausgeht, so wird sie nie etwas erreichen. „Unseres Herrgotts Wunderleute“ sagt Luther einmal, „sind fröhliche Leute!“ Sie haben es ja dem Tode abgewonnen, daß er ihnen eine Brücke zur Heimat sein muß und haben in der Lebensvernichtung den Lebensanfang erblicken gelernt. Es ist ihnen die Größe zu Teil geworden, daß sie beim Aufhören des Lebens sagen können: „Jetzt kommt erst die Wahrheit des Lebens!“ Sie haben, indem sie einem toten Menschensohn ins Grab nachgesehen, die wahrhafte Auferstehung desselben erblickt und in Ihm das Leben der Welt.
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 Ich glaube überhaupt, daß der Schmerz und das Leid es nie zur Persönlichkeitsbildung kommen läßt. Ich habe vielmehr gesehen, daß alle die Menschen, die aus dem Seufzen nie herauskamen, verworrene und verwirrende Charaktere wurden. Auch die Reue kann eine Persönlichkeit zersetzen, auch die Tränen der Buße können das Heilandswerk zerstören. Das ist kein Widerspruch zu dem, was ich vorher sagte. Das ist gewiß, wenn ein Mensch seufzt, so hat er kein Teil an dem Friedenswerk, das Gott mit ihm vor hat. Freudige Persönlichkeiten, denen das Glück vom Angesicht und von ihrem ganzen Wesen scheint, haben gegen die am allermeisten zersetzende Macht einen Kreuzzug beschlossen. Und die alle Persönlichkeitsbildung am meisten aufhaltende und störende Kraft ist die Laune. Die Laune ist immer das Kind der unerfüllten Träume; nur ein Träumer hat Launen. Der Mensch des Wachens und des Lebens hält sich von diesen Ausgeburten, in denen das Sein und das Seinmögen in schlechtem Verhältnis stehen, frei. Ein launenhafter Christ hat die Nachfolge dessen verlassen, der da sprechen konnte: „Ich bin sanftmütig und von Herzen demütig!“ Und wenn es bei uns manchmal zu gar keinem Ziel kommen will und wir so müde und verdrossen an unsere Arbeit gehen, so wollen wir wohl fragen und werden erfahren: Die Laune, die vom Augenblick das begehrte, was die Ewigkeit allein zu geben verheißen hat, die Stimmung, die von Menschen das erwartet, was allein des Menschen Sohn zu geben Sich vorbehielt, die Reizung, welche durch eine rasch enteilende Stunde ein Glück sich erhoffte, das allein die fortgesetzte Gnadenwirkung gibt, diese alle zerstören das Glück der Persönlichkeit. Man kann es nicht oft genug sich und Anderen sagen: Kämpfe gegen deine Launen, denn Launenhaftigkeit zerstört alle deine Arbeit. So geht eine Dienerin Jesu, an der Er Sein Werk begonnen und fortgeführt hat, ihre Straße, und auf ihrem| Antlitz ruht der stille Friede, der bei einem Menschen einkehrt, welcher mit seinem Herrn geredet hat und weiß, daß die Augen seines Hirten ihn begleiten. Dadurch geht, wo eine Dienerin Jesu eintritt, der Friede vor ihr her. Und wenn bloß das erreicht wäre, daß im Beisein von Diakonissen rohes, unschambares, unwürdiges und unkräftiges Gerede verstummt, wenn nur das erreicht würde, daß man sich geniert, leere und nichtssagende Dinge vor ihr und mit ihr zu besprechen, so wäre schon etwas Großes erreicht; denn ein Stück Seelsorge liegt doch auch in der Verhütung. Wenn eine Schwester in ihrem ganzen Wesen, auf ihren Berufswegen, in der Stille ihrer Arbeit recht ernstlich, pünktlich, treulich des Ihrigen wartet, so wird aus dieser gehaltenen Kraft Seelsorge; denn je weniger ein Mensch es darauf anträgt, einem Andern etwas zu sein, desto mehr ist er es ihm. Sammeln Sie nicht so viel Erinnerungen! Das sind Herbarien mit getrockneten Blättern; mit getrockneten Blättern hat noch nie jemand etwas erreicht. Pflegen Sie nicht soviel Beziehungen; wenn man abbricht, dann ist abgebrochen. Es ist nicht gut, wenn im Laufe der Jahre so eine Menge von Erinnerungen sich ansammeln, denn das habe ich in meinem Leben oft genug gesehen: die Leute, die nicht genug Erinnerungstage in sich und für sich feiern und pflegen können, haben das schlechteste Gemerk für andere Leute. Solche Leute haben gar keinen Sinn dafür, daß bei andern Leuten auch dann und wann ein Tag mit einem göttlichen Wunderzeichen bedacht war. Wie überhaupt immer eine merkwürdige Verengung eintritt, wenn ein Mensch erwartet, daß Andere an ihm Interesse nehmen sollen: er erwartet einen Reichtum von Beziehungen und wird für sich immer ärmer; er erhofft einen Reichtum von Teilnahme, und alle Teilnahme, die man erpreßt, bewirkt das Gegenteil. Das möchte ich auch nur einschaltend sagen: Es ist eine merkwürdige Gottesfügung, daß jedes Extrem durch das Gegenteil sich rächt, und daß jedes Zuviel auf der einen Seite durch ein Zuviel auf der andern Seite bedacht wird. Wenn wir, ohne Beziehungen zu pflegen, weiter unsere Straße ziehen, so haben wir auf dieser Straße durch das stille Glück unseres Lebens alles erreicht. Alle Jahre wird – das hat mir einen großen Eindruck gemacht – am Todestag einer unserer besten Schwestern, deren Sterbebett mir eine große Glaubensstärkung war, ein Kranz von unbekannter Hand geschickt, ihn auf ihr Grab zu legen. Es muß also doch ihr ganzes Wesen in seiner Weihe und Würde auf diesen Unbekannten eine Kraft geübt haben; und das ist es, wenn man im spätem Leben nachdenkt: nicht diejenige, die uns entgegen kam, sondern die sich uns entgegen stellte, auch nicht diejenige, die uns nachgab, sondern die| uns widersprach, hat den größten Einfluß. Ich gehe zurück und sage: werde jedes unter uns eine rechte Seelsorge durch seine Persönlichkeit und durch deren Glück. So viel Armut tritt an uns heran, wir finden keinen Trost für sie, zeige dich selber getröstet. Erwecke im Nächsten die Frage nach dem Grunde deiner Getröstetheit. Laß ihn erkennen, daß du einen Frieden hast, der höher ist als Menschenvernunft; gib ihm in deiner ganzen stillen, ruhigen, klaren Art ein Rätsel auf, das zu erleben dir Freude und ihm Gewinn sein wird. Woher bist du so glücklich? Ich habe alles gewonnen und nichts zu verlieren. Und indem ich so in die Allgemeinheit hinein das Wort und den Wert einer seelsorgerlichen Persönlichkeit einzuzeichnen versuchte, will ich nun auf die einzelnen Berufe eingehen, zuvor aber ganz kurz folgendes Gesetz sagen: Alle Seelsorge sei keusch, habe Respekt vor der Persönlichkeit des Nächsten, rüttle nicht an ihm herum, schnitze nicht so viel an ihm herum, maßregle nicht so viel an ihm und wenn du vor seiner Art Respekt hast, wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln. Er wird es anerkennen und fragen: warum warst du so gütig gegen mich, der ichs weder verdiente noch wollte? Alle Seelsorge sei wortlos; Christus, der Herr, will überall bekannt, aber nicht überall genannt sein. Indem du stille als Dienerin Jesu nicht alsbald das Feuer vom Himmel fallen lässest, sondern Dein Feuer stille in dir hegst, wirkst du am meisten. Es ist manch Einer durch die Unverdrossenheit, mit der eine Dienerin Jesu stundenlang an seinem Lager saß, für Jesum gewonnen worden, während das eindringliche Beten als Aufdringlichkeit die Kraft verlor. Gott der Herr hat dem Menschen eine Seele gegeben und nur ein Wort für die Seele; alle Ueberbietung im Geistlichen rächt sich durch Abscheu, und wir haben gar kein Recht, mit Gottes Wort herumzuwerfen. Wir haben uns im Laufe der Jahre solch eine Phraseologie zurechtgelegt; wir können nicht mehr sagen: „Lebwohl!“ wir müssen gleich sagen: „Der Herr sei mit dir!“ „Gott behüte dich!“ und was dergleichen mehr ist. Und dadurch bringen wir das edle Gold außer Kurs und schädigen seine Kraft. Die Seelsorge, die unbeirrt und keusch und stille ist, bleibt je länger je mehr im Verborgenen. Man muß viel Geheimnisse mit einem Menschen haben, bis man seiner Seele nahe getreten ist.
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 Worin bestehen aber die einzelnen Aufgaben des Berufes, der Seelsorge? Das ist das Erste, was ich immer wieder nennen möchte und muß: Die gesamte Arbeit der Lehrdiakonie, nicht nur, weil zu meiner großen Freude unter diesen 35 nicht wenig Lehrerinnen sind, sondern weil ich glaube, wenn das Diakonissentum sich die Lehrdiakonie sichert, kann es ruhig ansehen, wenn| andere Aufgaben ihm wieder geraubt werden, und das wird nach dem Gesetz der Ebbe und Flut, welches durch das Reich Gottes zieht, auch wieder kommen. Es flutet alles einmal ab, auch der Wahn, als ob alles durch Diakonissen geschehen müsse, wenn es geschehen will. In 30 Jahren wird man vor all den Kräften und Gaben und Möglichkeiten, vor all den Gewandtheiten und Fähigkeiten, die ringsum erweckt werden, die Diakonisse nicht mehr viel brauchen. Es muß deswegen eine Arbeit recht bewahrt werden, welcher eine Zukunft schon um deswillen gesichert ist, weil die Gegenwart gerade nach dieser Richtung ungemein trübe erscheint. Ich gedenke jetzt nicht lang und breit von den Zwickauer Thesen zu reden oder von den Ausfällen der Bremenser Lehrerschaft oder von den Wunderlichkeiten – um es recht mild zu sagen – des Schulmanns Tews, der fragt, ob man wohl empfehlen könnte, den Buddhismus zur Religion zu erklären? Ich rede von dem allen nicht, ich weise vielmehr darauf hin, daß diese souveräne Verachtung der heiligen Schrift, diese furchtbare Auflehnung gegen die Offenbarung, die Schnödigkeit, mit der Jünglinge, denen der Staub des Seminars noch sehr im Rock sitzt, über alle Probleme in felsenhafter Sicherheit absprechen, zu den allerschwersten Errungenschaften der Neuzeit gehören. Der alte Rationalismus hat gearbeitet, er hat in seiner ledernen, poesielosen, kraftlosen Art das heilige Gotteswort wenigstens zersägt, die Kraft herausgenommen und dann allgemeine Tugendlehren herausgekocht. Aber es war doch noch eine Arbeit. Was jetzt geschieht ist keine Arbeit mehr, man fragt sich nicht einmal mehr, ob noch ein Stein zum Zukunftsbau brauchbar und diensam ist, sondern man verwirft den ganzen Bau und jeder möchte auch dabei sein, daß er den Eckstein aus dem Grund und den Schlußstein vom First herabhole. Es ist ein fanatischer Wetteifer, der gewiß durch die Kirche verschuldet worden ist; man hat in eine Zeit, die gar nicht im Stande war, nachzuprüfen und nachzudenken, halbfertige Resultate hineingeworfen, und nichts bläht den Menschen mehr auf, als die Halbwisserei; so stehen wir jetzt vor dem Anfang des Endes. Wir können für unsere Kirche gar nichts anderes tun, als daß wir uns, so bald wir können, auf Kirchenschulen einrichten. Diese Kirchenschulen werden meines Erachtens auf das alte Niveau mehr zurückgehen müssen, wo man auch etwas gelernt hat und solidere Kenntnisse sich aneignete als unsere jetzige vielwisserische Zeit. Man wird auch wieder Männer finden, die aus dem Schreck ihrer Sünde in den Trost des Evangeliums gelangt sind und zum Dank dafür ihr einfaches Wissen und Vermögen in den Ernst der Wahrheit stellen: „Warum hast Du Dein Antlitz verborgen und| läßest mich einsam gehen, wenn der Feind mich drängt?“ so muß man ja in diesen Tagen besonders ernst beten und fragen. Er hat ja wohl ganz andere Absicht, Er will die Schule in ganz anderer Art erbauen, will ihr den alten Schöpfersegen doch nur vom Kreuz her geben und die Weltbemächtigung doch nur in der Gebundenheit an Seinen Sohn. Er will ihr dabei alle erforschenden, erfassenden Kenntnisse gönnen. Ich denke oft an ein Wort meines sel. Lehrers Franck: Gott kann vieles auch auf dem Weg der Verneinung geben. Aber wenn der Herr Seinen Weg wieder über Ruinen nimmt, die so schwer daliegen, wie noch niemals in der Kirche, dann wollen etliche Ihm nachgehen und bereit sein, aus diesen Ruinen etwas zu erbauen.

 Die Lehrdiakonie – das zu sagen werde ich erst aufhören, wenn ich überhaupt nicht mehr rede – die Lehrdiakonie, die Diakonie der Zukunft in ihrer weitesten Umschreibung mit Hereinbeziehung aller Verlassenen, Verwahrlosten und Verlornen, macht ihre Tore weit auf für alle Lernbegierigen. Es wird ja bald dahin kommen, wenn die Kirche von einer trunkenen Art widerhallt – die jetzige Gegnerschaft in Bayern ist die ärgste noch lange nicht – es wird dahinkommen, daß man mit der größten Innerlichkeit kleine, arme Häuser neben die stolzen Dome baut: in den stolzen Domen Welttrunkenheit, in den kleinen armen Häusern Weltüberwindung.

 Wie aber kann Lehrdiakonie anders geübt werden als in seelsorgerlicher Weise? Es ist wahrlich nicht das Höchste, daß dem Menschen eine Summe von Kenntnissen vermittelt wird, die doch mehr den Gedanken schärfen, als retten, und wahrlich nicht das Höchste, daß dem Menschen einige Dinge mitgegeben werden, mit denen er diese Zeitlichkeit dürftig durchfristet, sondern das Höchste ist und bleibt es, daß ein Mensch eine Instanz und Größe ins Herz bekommt, auf die er sich flüchtet, zu der er sich zurückzieht, in der er leibt und lebt. Das bleibt das Höchste und darauf wollen wir uns gründen, daß wir den nachkommenden Geschlechtern das Vertrauen zum Gotteswort wieder stärken. Bei einer jüngst in Württemberg gehaltenen Disputation über die letzten Dinge, wo bei einem sogenannten Durchgang immer wieder ein Thema aufgestellt wird, wurde darauf hingewiesen, daß man über die letzten Dinge aus eigenem wenig genug sagen könne und auf die Offenbarung des Herrn sich gründen müsse; worauf – mit Ausnahme von Dreien – alle Geistlichen in Uebereinstimmung sagten, mit einer derartig schalen Erklärung komme man heutzutage nicht mehr durch, der Rekurs auf die heilige Schrift habe jede wissenschaftliche Bedeutung verloren. Nein! eben weil in den Augen| derer, die Schriftgelehrte sein sollten, der Rekurs auf das göttliche Wort seinen Wert immer mehr verliert und dadurch der unaufhaltsame Zersetzungsprozeß immermehr beschleunigt wird, hat die Lehrdiakonie die einfache Pflicht, das Wort, das in die Menschheit gerichtet ist, der nachwachsenden Menschheit auch des 20. Jahrhunderts teuer zu machen. Es ist das die Aufgabe, mit der der Herr uns betrauen will, und dieser Aufgabe wollen wir uns nicht entziehen – so lieb uns das Leben und so groß uns die Pflicht des Dankes ist. Wir werden uns doch nicht genieren das Wort nachzusagen:

„Mir ist nicht um tausend Welten,
Aber um dein Wort zu tun!“

 Gewiß, man kann viel Geduld und Nachsicht haben, aber Geduld und Nachsicht sind eben Ausnahmszustände. Man kann viel, viel noch hinsehen und warten und sich in Geduld fassen; aber die Zweifelnden sind doch nicht die Normalen; und darum haben wir nicht das Recht wie zu einer verlornen Sache, die nur noch in unsrer guten Meinung zu Recht besteht, zu Gottes Wort uns zu halten. Wir haben wahrlich nicht not, einen besonderen Opfergang anzutreten wie Leute, die eben jetzt einer verlornen Sache ihr Leben opfern, sondern wir wollen lehren, was uns gelehrt hat. Ich habe gestern auf demselben Gottesacker an dem Grab derer von Schlagintweit ein Wort gelesen, das hat sich mir tief eingeprägt:

 „Unter der Führung Gottes mit Eisen und mit der Feder.“ Unter der Führung Gottes mit dem Eisen der Beständigkeit und mit dem Wort der Wahrheit die alte Wahrheit zu verkünden ist Seelsorge. Dann wird auch der Gedanke hinfallen, als ob die Lehrdiakonie, wie wir’s ja immer hören und aus naheliegenden Gründen auch beseufzen, etwas Sonderliches sei und in den Diakonissenhäusern eine Sonderart aufzurichten geeignet wäre. Es wird ja den Lehrschwestern aus dem rein äußerlichen Grunde, daß ihre Zeit ganz konzentriert ist, und sie in ihr, vorgehalten, sie könnten sich dem Genossenschaftsleben nicht ganz widmen. Es wird ganz gewiß hier ein Moment liegen, das man ernst ins Auge fassen muß. Wenn ein Tadel, eine Ausstellung sich mit einer gewissen mathematischen Genauigkeit und Treffsicherheit Jahr um Jahr wiederholt, will ganz bestimmt der Herr mit ihm etwas Rechtes sagen, aber das liegt nicht in der Sache, das liegt in Personen; in der Sache liegt überhaupt nie etwas. In einer Reichsgottessache liegt nie ein Hemmnis für eine andere.

„In Seinem ganzen Königreich
Ist alles recht und alles gleich.“

|  Es ist nicht wahr, daß eine einzige Berufstätigkeit in der Nachfolge Jesu eine andere störe, einer wichtigeren Abbruch tue; das ist bloß eine Kollision aus Persönlichem, die zu Unrecht einer Sache zugeschoben wird.
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 Ich wüßte auch in der Tat nicht, wie die Lehrtätigkeit, wenn sie in richtiger Weise geübt wird, irgendwie dem Zusammenhang mit den gesamten Interessen Abbruch tun oder etwas nehmen könnte; ich verstehe den ganzen Zusammenhang nicht recht. Um so ernster freilich betone ich die Notwendigkeit, Lehrschwestern nicht immer beim Lehren zu lassen; es ist einmal die weibliche Natur nicht ohne weiteres lehrhaftig. Es liegt ihr überhaupt das Abstrakte weit ferner als dem Mann; der Mann sammelt eine Menge abstrakter Begriffe und sucht die Persönlichkeiten, auf die sie passen; die Frauen haben die Persönlichkeiten alsbald im Auge und nehmen von ihnen die nötigen Abstrakta, die nötigen Begriffe zu leihen. Der Mann geht immer vom Allgemeinen aufs Spezielle, die Frau geht immer vom Speziellen und zutage Liegendem aufs Allgemeine, darum ist die weibliche Natur, außer in dem Mutterberuf, nicht lehrhaftig und im Mutterberuf ist sie es in einer ganz bestimmten Weise, die eben auf der Basis des rein Natürlichen ruht. Ich bin also der ganz entschiedenen Meinung, daß im Lehrberuf der Schwestern eine Gefahr der Unnatürlichkeit ruht; die hängt aber nicht mit den Schwestern sondern mit dem weiblichen Individuum zusammen. Wenn aber gerade der Naturbasis der Mütterlichkeit, der Hingabe, zu der das weibliche Naturell so sehr neigt, Rechnung getragen wird, dann kann eine gute und ernste Erziehung eintreten, welche dem Gesamtkomplex der Begriffe der Gemeinschaftsarbeit nichts nimmt. Lassen wir es doch dabei, daß unsere Schwestern recht und, so gut es geht, in praktische Arbeiten gestellt werden. Helfen wir dazu, daß immer wieder eine Ergänzung – ein Stoffwechsel, wenn ich so sagen darf – statt habe, damit jede Unnatur vermieden und das, was ganz unevangelisch ist, überhaupt nicht von ferne gesehen werde, als ob eine Arbeit in der Nachfolge Jesu an sich schon bedeutsamer wäre, wie eine andere. Die Wertung der Wichtigkeit hat Sich der Herr vorbehalten und so bald Er das tut, sagt Er persönlich: „Sie hat getan, was sie konnte.“ Dem Lehrsatz nach ist das sehr, sehr bekannt, daß die Diakonisse im Waschhaus dieselbe sittliche Arbeit tue und vollbringe, wie die Lehrerin in der Schule. Lehrsatzmäßig ist das sehr bekannt, ob es empirisch, ob es in der Erfahrung immer so ist, das gebe ich zu bedenken – und daß es nicht immer so ist, das ist eine große Sorge[.] Ich schließe für heute. Wir werden morgen über die Lehrdiakonie, über ihre Bedeutung und über ihre Gefahr| noch ein wenig reden und dann die Einzelbeziehungen, die sich aus ihr ergeben kurz betrachten. Das letzte, was wir dann miteinander ansehen wollen ist ein Rückblick auf das Wort „Berufung“; mit einem Wort: ein Rückblick wird zum Ausblick auf die Zukunft der nächsten Jahrzehnte.

 Lehrberuf sei Seelsorge, daß alle Kenntnisse von Einem her orientiert werden, von der Furcht Gottes, die der Weisheit Anfang und Vollendung ist. Ich streue pädagogische und didaktische Winke ein, soweit sie überhaupt in diesen Rahmen gehören, um alle mit der Erkenntnis bekannt zu machen, daß unbeschadet der Ausbildung im einzelnen jede Diakonisse, die ihren Heiland lieb hat, die Kraft besitze, von Ihm in gebührender Beschränkung, über im Ernst der Liebe etwas auszusagen, und dieses Etwas muß immer ein Großes sein.


Lied: 284, Vers 4.
Gebet: O Herr Jesu Christe, der Du in Deiner Kirche so oft hast Abend werden lassen, damit man nach Dir, dem wahren Morgenstern, fleißig ausschaue und der Du auch in diesen Tagen betrübte und böse Zeit verordnet hast, damit man ängstlich nach Dir ausschaue und rufe, verleihe, daß der Abend uns nicht unbereitet treffe und die Nacht nicht auf uns eindringe, da niemand wirken kann, sondern schenke denen, die auf Deine Hände sehen und jeder Seele, die nach Dir begehrt, Lobgesänge inmitten der Nacht und in Finsternis und Dunkel Dein Licht und gib Deiner armen Kirche die Freude, daß wer auf Dich traut nimmer zu Schanden wird um Deiner Liebe und Erbarmung willen. Amen!



















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