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Autor: Adolf Loos
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Titel: Die moderne Siedlung
Untertitel:
aus: Adolf Loos: Sämtliche Schriften in zwei Bänden – Erster Band, herausgegeben von Franz Glück, Wien, München: Herold 1962, S. 402–428
Herausgeber: Franz Glück
Auflage:
Entstehungsdatum: 1926
Erscheinungsdatum: 1962
Verlag: Herold
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Erscheinungsort: Wien
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft: erstdruck in „für bauplatz und werkstatt“, mitteilungen der württembergischen beratungsstelle für das baugewerbe, herausgegeben vom württembergischen landesgewerbeamt, verlag: staatliche beratungsstelle für das baugewerbe, Stuttgart, januar 1927, 22. jahrgang, nr. 1; fast gleichzeitig erschienen in „der sturm“, 17. jahrgang, Berlin, februar 1927, II. heft.
Quelle: PDF bei Commons
Kurzbeschreibung:
Loos pflegte eine Kleinschreibung (außer bei Satzanfängen und Namen) auch bei seinen Titeln, wie den Inhaltsverzeichnissen zu entnehmen ist (im Buch selbst sind die Titel in Versalien gesetzt). Um Irritationen zu vermeiden, werden die Titel in der gewohnten Groß-Kleinschreibung gegeben
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[402]
DIE MODERNE SIEDLUNG
Ein vortrag
(1926)

Ich weiß nicht, ob das, worüber ich sprechen werde, sich ganz mit dem deckt, was sie unter einer siedlung verstehen. Ich bin in Stuttgart durch eine siedlung geführt worden, die dem, was ich heute als siedlung erörtern werde, in nichts ähnelt. Was ich dort zu sehen bekommen habe, waren außerordentlich schöne bürgerhäuser. Was ich aber zu sagen habe, gilt der wohnung des arbeiters, der an die fabrik gebunden ist.

In den sechziger jahren des vorigen jahrhunderts gab es einen menschenfreundlichen arzt in Leipzig: Daniel Schreber. Er fand, daß es den kindern der arbeitenden klassen sehr schlecht ging, und meinte, die eltern müßten sich zusammentun, etwa zehn his zwanzig familien, und müßten einen kleinen rasenplatz außerhalb der stadt mieten. Daraus sollte ein kinderspielplatz werden, und die eltern sollten um den platz herum hütten bauen, wo sie am abend nach getaner arbeit zusammensitzen könnten, wodurch vermieden würde, daß sie ihre abende in den entsetzlichen quartieren des elends zubringen müßten oder der mann von der familie weggetrieben werde und seine abende im wirtshaus verbringe. Der vorschlag wurde ausgeführt. Was geschah aber? Der vater nahm den spaten in die hand, stach in den rasenplatz hinein, zerstörte die spielgelegenheit seiner kinder und baute irgend etwas an, gemüse, oder pflanzte einen baum aus einer, wenn sie wollen, rein teuflischen freude an der zerstörung. Er war gemein genug, seinen kindern den spielplatz wegzunehmen. Da muß man sich nun fragen, [403] von welchen merkwürdigen dämonen dieser mann getrieben wurde ...

Jede menschliche arbeit besteht aus zwei teilen. Nicht jede – ich habe falsch begonnen –, aber die meiste menschliche arbeit besteht aus zwei teilen: aus der zerstörung und aus dem aufbau. Und je größer der anteil der zerstörung ist, ja, wenn die menschliche arbeit nur aus der zerstörung besteht, dann ist es wirklich menschliche, natürliche, edle arbeit. Der begriff des gentleman ist nicht anders zu erklären. Ein gentleman ist ein mensch, der nur mit hilfe der zerstörung arbeit leistet. Der gentleman rekrutiert sich aus dem bauernstand. Der bauer leistet nur zerstörende arbeit. Wenn die arbeit noch so niedrig ist, wenn die arbeit die gewöhnlichste, die gemeinste arbeit ist: eine gloriole strahlt um den menschen, der diese gewöhnliche und gemeine arbeit leistet. Der mann im bergwerk, der, von der sonne abgeschlossen, die niedrigste arbeit verrichtet, er nimmt den spaten und gewinnt der mutter natur stück auf stück ab, ob es nun erz, salz oder kohle ist. Besonders in der deutschen dichtkunst erscheint der stand des bergmanns unter allen übrigen ständen als der adligste. Die franzosen haben diesen poetischen nimbus für den bergmannsstand nicht in ihrer dichtkunst. Als aber Jean Jaurès sein ehrengrab im pantheon in Paris bekam – zufälliger weise bin ich dabei gewesen –, da holten die leute – Jaurès stammte aus einem bergarbeiterdistrikt – die bergarbeiter aus seiner heimat. Hunderte von ihnen trugen den riesenkatafalk von der deputiertenkammer über den ganzen boulevard St. Germain hinüber zum pantheon. Es war ein katafalk von vielleicht zehn meter höhe, in einer größe etwa wie dieser saal, in dem ich spreche. Die bergarbeiter [404] trugen den katafalk, kein pferd war zu sehen. Die leute gerieten in raserei über diese merkwürdige prozession. Es war wohl einer der größten und schönsten volksausbrüche, die es je gegeben hat: die luft war erfüllt von dem geschrei der millionen pariser, die riefen: „Nieder mit dem krieg!“ Aber bergarbeiter trugen den katafalk und nicht schneider oder schuhmacher.

Der bauernstand, aus dem sich der adel rekrutiert, fügt der erde wunden zu, mit seinem spaten oder mit seinem pflug; er sät, indem er verschleudert, und er erntet die früchte der ewigen natur, ohne etwas aufbauendes dabei zu tun, mit sichel und sense. Wer von ihnen hätte noch nicht zugesehen, wie einer mäht, und wen hätte nicht dabei die lust ergriffen, auch eine sense in die hand zu nehmen und ohne entgelt mähen zu helfen. Wer hätte nicht die lust empfunden, einen spaten in die hand zu nehmen und in den boden zu stechen, oder einem straßenkehrer den besen aus der hand zu nehmen und selbst zu kehren? Wen hätte nicht einmal die lust ergriffen, irgend etwas zu demolieren? Der maurer – dessen beruf auch ich ordnungsgemäß durch freibrief angehöre – hat nur dann schöne tage, wenn er die spitzhacke einhauen und mit voller kraft darauf treten darf, um zu zerstören. Wenn es zwölf uhr pfeift oder läutet, dann legt der maurer den ziegel, den er in der hand hat, wieder zurück, aber der mann, der die spitzhacke eingehauen hat, kann durch keinen zuruf seiner kameraden abgehalten werden. Die anderen sind schon beim essen in der kantine, aber er muß noch bleiben, bis das stück mauer seiner kraft gewichen ist. Der schneider nimmt die schere und schneidet zu. Das ist der edle, der menschliche teil seiner arbeit. Nach dem zuschneiden des stoffes kommt das nähen [405] an die reihe, die unangenehme, mühevolle, antimenschliche arbeit: das aufbauen. Wir wissen, daß es heute zuschneider und näher gibt. Der zuschneider hat dank seiner zerstörenden arbeit eine gesellschaftliche position, der mann, der mit gekreuzten beinen auf dem schneidertisch sitzt und nur näht, hat sie nicht. Was habe ich hier beschrieben? Den Anfang der arbeitsteilung. Durch diese werden ganze klassen von menschen dazu verurteilt, nur aufbauende arbeit zu leisten. Diese menschen werden geistig und seelisch zugrunde gehen müssen.

Der vater, der den kindern ihren spielplatz zerstörte, war von dem drang erfüllt, den menschen in sich zu retten.

Nun ist es wohl natürlich, daß man dem schrebergärtner die möglichkeit gibt, in nächster nähe seines gartens zu wohnen, das heißt, dort sein wohnhaus zu bauen. Ich komme dadurch zu einer merkwürdigen forderung. Nicht jeder arbeiter hat das recht, haus und garten zu besitzen, sondern nur der, der den drang dazu hat, einen garten zu bebauen. Sie werden vielleicht einwenden, daß kein grund dazu da sei, so streng zu sein und zu verbieten, daß ein arbeiter auch einen kleinen luxusgarten besitze, in dem rasenflächen sind und rosen stehen. Ich würde mich gegen den modernen geist versündigen, wenn ich nicht so streng wäre. Rousseau, der modernste mensch des achtzehnten jahrhunderts, beschreibt in seinem erziehungsroman „Emile“, wie die jugend von damals – also vor hundertfünfzig jahren – erzogen werden sollte. Der knabe Emile bekommt einen lehrer, der ihn auf die modernste art und weise erzieht. Uns mutet eine solche erziehungsweise lächerlich an, weil es nach modernen begriffen unmöglich ist, jedem knaben [406] einen hofmeister zu geben. Kinder müssen in einer schule unterrichtet werden, und wer seine kinder außerhalb der schule unterrichten läßt durch eine einzelperson oder vielleicht gar zwei, drei oder vier personen zu gleicher zeit, versündigt sich gegen den modernen geist. Der moderne geist ist ein sozialer geist, und ein antisozialer geist ist ein unmoderner geist. Ganz genau so kann die freude an der natur nicht vom einzelnen durch den besitz eines gartens befriedigt werden. Wir sind nicht imstande, jedem einzelnen menschen einen garten oder auch nur einen baum zuzuweisen. Genau so, wie die kinder in die schule zu gehen haben, hat sich der mensch an der freien natur zu erfreuen. Er hat in einen gemeinschaftlichen park, in eine gemeinschaftliche baumschule zu gehen. Daher ist der besitz eines einzelgartens antisozial. Das sind ansichten, die eine zuhörerschaft von heute nicht ganz begreifen wird, die aber in fünfzig oder sechzig jahren so allgemein sein werden, daß man gar nicht mehr darüber sprechen wird. Wer revolutionen vermeiden will, wie ich, wer evolutionist ist, soll ständig daran denken: der besitz eines gartens beim einzelnen muß aufreizend wirken, und wer da nicht schritt hält, ist für jede kommende revolution oder jeden krieg verantwortlich.

Nun sagte ich, daß nur diejenigen menschen einen garten besitzen sollen, die ihn bebauen wollen, also die schrebergärtner. Der schrebergärtner ist glücklich, er hat etwas, was seine entsetzlich aufreibende tagesarbeit kompensiert. Er wird geistig und seelisch wieder zum menschen gemacht. Nicht alle menschen können einen schrebergarten besitzen oder bebauen. Es gibt viele berufe, die den menschen von der gartenstadt ausschließen. Ein feinmechaniker darf einen spaten nicht in die hand nehmen, [407] er schädigt dadurch seine hand; ein violinspieler darf einen spaten nicht in die hand nehmen, er schädigt dadurch seine hand. Viele geistige berufe machen zum schrebergärtner ungeeignet. Ich habe daher als chefarchitekt des siedlungsamtes der stadt Wien die forderung aufgestellt, daß nur derjenige ein haus besitzen darf, der jahre hindurch gezeigt hat, daß er imstande ist, einen garten zu bebauen. Denn dazu bereit sind alle, aber nur wenige bleiben bei der stange. Wer sich aber freiwillig über den achtstundentag hinaus verpflichtet, nahrung zu schaffen, dem soll die möglichkeit geboten werden, sich ein haus zu errichten. Er soll es nicht aus öffentlichen mitteln erhalten, weil es keine schmarotzer geben darf in der menschlichen gesellschaft. Ich bin der meinung, daß der gärtner wohl, wenn man die finanzfrage bereinigen helfen will, baugrund und boden mit hilfe öffentlichen geldes zu bekommen hat, aber das haus selbst erwerben muß. Dadurch werde ich freilich in kollision mit der sozialdemokratischen partei kommen, die keine hausherren züchten will, was mir aber vollkommen gleichgültig ist, denn ich bin kein parteimensch.

Überdies bin ich der meinung: Wenn es also zweierlei menschen der arbeitenden klasse gibt, solche, die einen teil ihres wochengeldes auf den markt zu tragen haben, um gemüse einzukaufen, und solche, die mit hilfe einer arbeit, die lust und freude ist, sich dieses geld ersparen, dann liegt ein ausgleich darin, daß die menschen der zweiten gruppe sich ihr haus selbst bauen und bezahlen und sich verpflichten, ihre ersparnisse auf die ausgestaltung des gartens zu verwenden.

Wie soll nun das siedlungshaus aussehen?

Wir wollen vom garten ausgehen. Der garten ist das [408] primäre, das haus ist das sekundäre. Der garten wird natürlich der modernste garten sein. Er muß möglichst klein sein, 200 quadratmeter sind wohl das äußerste, was ein siedler bebauen kann. Wenn der garten nur 150 quadratmeter groß ist, um so besser, denn je größer der garten ist, desto unrationeller und unmoderner werden die methoden sein, mit denen der mann ihn bearbeitet; je kleiner der garten, desto wirtschaftlicher und moderner wird er bearbeitet werden. Der große garten ist der feind jedes fortschrittes im gartenbau. Einwendungen der siedler, wie: „ja, ich brauche gras für meine ziege“, „ich brauche kartoffeln“, darf es nicht geben. Gras hat jeder einzukaufen. Auch kartoffeln hat man zu kaufen, denn kartoffeln erfordern für die ernte ein ganzes jahr, und dann gibt es nicht die notwendigen mehrmaligen ernten im siedlergarten innerhalb eines jahres. Je rationeller bebaut wird, desto häufiger wird geerntet. Wir müssen es in unserem klima auf zehn bis vierzehn ernten im jahre bringen, und sie können sich wohl vorstellen, welche gewaltige arbeit das erfordert.

Vom klima und von der erde, vom terrain selbst ist der siedler nicht abhängig. Ein großes wort des gärtnerischen reformators Leberecht Migge in Bremen lautet: „Boden und klima bereitet sich der gärtner selbst.“ Das ist ein merkwürdig paradoxes wort. Aber was den boden betrifft, wird es ihnen wohl selbstverständlich erscheinen, daß der boden, der jeweils vorliegt, für gartenzwecke nicht ohne weiters verwendet werden kann und daß erst im laufe der jahre durch ununterbrochene düngung und das hereinbringen von neuer erde und humus der boden nutzbar gemacht wird. Die pariser gärtner müssen wegen der vergrößerung der stadt ihre gärten ununterbrochen [409] nach außen verlegen; allen reichtum, den sie besitzen, ihren boden, nehmen sie dabei auf wagen geladen mit. Fürst Kropotkin hat den humus in die mühle führen, dort mahlen lassen und wieder zurück in den garten gebracht.

Aber das klima! Wir wissen, daß die sonne der größte feind des gartens ist. Die sonne hat schon viel unheil angestiftet. Die herrlichsten, paradiesisch schönsten gegenden der welt, zwischen Euphrat und Tigris hinüber bis nach Syrien, Ägypten, der ganze norden von Afrika, sind der sonne zum opfer gefallen. Sie sind unfruchtbares land geworden. Aber die araber wußten mittel dagegen. Überall dort, wo es gartenkultur, jahrtausende alte gartenkultur im orient gibt, sind mauern um die gärten gestellt, damit der wind und die sonnenstrahlen abgehalten werden.

Wie macht das unser siedler? Er wird um sein grundstück, um seinen garten eine solche mauer bauen:

Jede hausfrau weiß, daß die wäsche rasch trocknet, wenn es wind gibt. Aber gerade das rasche trocknen kann der gärtner nicht brauchen. Wir wollen feuchte wärme im garten haben. Wenn der boden rasch austrocknet, vervielfacht sich die arbeit. Der boden soll immer feucht sein, damit die mikroben des bodens immer [410] lebensfähig sind, denn die mikroben sind es, die unablässig arbeiten, den boden zu zerkleinern. Sie sind die mühle des fürsten Kropotkin. Und nun verlangt Migge, daß um zwölf uhr mittags die sonnenstrahlen den garten voll beleuchten, daß es während dieser zeit, wenn die sonne am höchsten steht, in keinem garten schatten gibt. Dadurch erreichen wir ein gleiches sonnenlicht für alles. Es folgt daraus, daß die gärten alle von norden nach süden gerichtet sein müssen:

Um zwölf uhr mittags gibt es dann nur sonnige gärten. Rechts und links stehen die mauern. Für den fall, daß zwei siedler die mauerumfriedung ihrer gärten zusammenlegen, so hat der eine siedler morgens volle westsonne, der andere siedler volle ostsonne auf seiner mauer, am abend ist es umgekehrt. Diese mauern werden mit spalierobst bepflanzt. Bäume hat es im garten überhaupt nicht zu geben. Der baum ist ein unsoziales wesen. Er gibt seinen schatten nicht dem, der ihn haben will, sondern gewöhnlich dessen nachbar. Ein baum im garten ist ein unglück, eine ursache von zank und streit. Außerdem weigert sich der deutsche, einen baum zu fällen; der deutsche ist nicht wie der amerikaner, der jeden baum fällt, wenn sein erträgnis nachläßt. Wenn sie an Leipzig [411] vorüberfahren, so werden Sie zahlreiche schrebergärten sehen: ein wildes buschwerk von obstbäumen, fast ohne ertrag. Das sind keine gärten mehr, die leute haben garnichts davon. Sie besuchen den garten höchstens zur pflaumen- oder äpfelernte, und damit ist der schrebergarten erledigt. Es fällt keinem menschen ein, einen solchen garten im laufe des jahres zu betreten. Er ist dickicht. Daher darf kein baum gepflanzt werden, nur spalierobst.

Auch dann, wenn der bebauungsplan es nicht erlaubt, daß alle straßen scharf von osten nach westen gehen, sollen alle gärten von norden nach süden gerichtet sein. Die häuser stehen dann an der straßenseite wie die zähne einer säge:

Das siedlerhaus hat vom garten aus entworfen zu werden, denn, vergessen wir es nicht: der garten ist das primäre, das haus das sekundäre.

Fragen wir uns zuerst, welche räume solch ein haus haben muß.

Vor allem andern einen abort mit dungverwertung. Ein wasserklosett darf es im siedlungshaus nicht geben, denn die abfallstoffe des ganzen hauses samt den menschlichen [412] fäkalien sind notwendig für die bodenbereitung. Da ist es wichtig, daß man eine art tonnensystem oder kübelsystem hat, auf keinen fall eine große düngergrube. Das darf es nicht geben, das wäre sehr antisozial. Wenn eine solche grube nur jedes halbe jahr einmal ausgeleert wird, dann können sie sich vorstellen, welch gewaltiger gestank da entsteht, den nicht nur der grubenbesitzer selbst, sondern die ganze siedlung zu ertragen hat. Wenn heute der eine, morgen der andere siedler solch eine grube entleert, dann kommt die arme siedlung aus dem gestank nicht heraus. Nein, der kübel ist täglich auf den jüngsten komposthaufen zu entleeren und dieser dann umzuschaufeln. Das macht die ganze siedlung geruchlos. Es sind drei komposthaufen anzulegen. Der komposthaufen soll ein jahr daliegen, um ganz durchgären zu können. Der kübel darf nie direkt auf das arme gemüse gebracht werden. Das riecht man besonders beim blumenkohl sehr stark.

Der abort darf daher auf keinen fall innerhalb des hauses angeordnet werden. Es gibt leider noch kein deutsches, wohl aber ein englisches gesetz, das verbietet, daß der abort vom hausinnern betreten werden kann. Er darf im grundriß des hauses liegen, aber die tür muß ins freie führen. Wenn man den weg zum abort mit hilfe eines regendaches oder vorbaues im 1. stock regensicher macht, um so besser für die hausbewohner. Die angst, daß man sich erkältet, oder andere schöne städtische dinge, sind hier lächerlich. Achtzig prozent der einwohner Amerikas gehen auf diese art und weise auf den abort. Und das in gegenden, die sehr kalt sind; aber dort haben die menschen noch eine natürlich geordnete lebensweise. Die möglichkeit, mit hilfe einer kanalisation [413] die wertvollsten düngemittel, die der siedler produziert, wegzuschaffen, muß verboten werden. Wir müssen soweit kommen wie die japaner, die sich für die einladung zu einem essen dadurch revanchieren, daß sie den abort des gastgebers benützen.

Nun ordne ich gegen den hof noch einen offenen schuppen für werkzeuge und geräte an. Ich brauche einen stall für einige tiere, kaninchen, die ein jeder siedler halten soll, weil sie ökonomisch sind und sehr viele abfälle der gemüse verzehren, die sonst verloren gingen, und hühner. Die hühner müssen einen eigenen drahtumfriedeten auslauf haben, so groß als möglich.

Man darf und kann daher nicht direkt aus dem haus in den garten treten, sondern kommt in einen wirtschaftshof, in dem schuppen und stall rechts und links angeordnet sind. Der garten selbst beginnt mit einem arbeitsplatz, wo – an die mauer angelehnt – die komposthaufen liegen. Ein arbeitstisch und die für verschiedene gemüse verschiedenen gartenerdebehälter vervollständigen den arbeitsplatz. Nach dem hause zu wird der wirtschaftshof durch einen zwei stufen erhöhten, zum teil gedeckten arbeitsplatz für die hausfrau abgeschlossen. Diese veranda muß von der spülküche aus betreten werden können. Die spülküche, die ich spüle nenne, ist eine merkwürdige moderne sache. Die bezeichnung besagt schon, daß in ihr nicht gekocht, sondern nur alle vorbereitenden und nacharbeitenden beschäftigungen, die das kochen und die wirtschaft erfordern, vorgenommen werden. Nun schneide ich die große frage an: küche oder wohnküche. Ich will gleich von vornherein sagen, daß ich für die wohnküche bin, aus rein evolutionistischen, modernen gesichtspunkten heraus.

[414] Der erste einwand gegen die wohnküche ist immer: wir wollen ein zimmer haben, in dem es nicht stinkt. Auf die frage, woher der gestank komme, sagt man mir: vom kochen. Aber für die ernährung des menschen wäre es sehr gut, wenn so gekocht würde, daß es nicht stinkt. Tatsächlich kann in allen räumen, in denen gekocht und gegessen wird, in einer art und weise gekocht werden, daß jeder gestank unterbleibt. Ich sehe gar nicht ein, warum die speisen stinken, einen unangenehmen geruch haben müssen. In vornehmen haushaltungen wird mehr bei tische gekocht als in gewöhnlichen. Das ganze frühstück wird bei tisch zubereitet. Mit hilfe eines spirituskochers oder eines elektrischen kochers werden eine eierspeise, schinken und eier, ein beefsteak zubereitet – lauter dinge, die einen angenehmen geruch haben. Blumenkohl oder kraut, auf die noch tags zuvor ein nachttopf entleert wurde, hat es eben nicht zu geben. Immer mehr und mehr wird in den restaurants das kochen in die großen speisesäle verlegt, neue große restaurants wurden gebaut, in denen ein mächtiger rotisseur vorhanden ist, an dem die köche vor dem publikum hantieren, und wo jeder zusehen kann, wie gekocht wird. Je mehr solche speisehäuser gebaut werden, desto stärkeren zulauf haben sie. Die leute freut es, zuzusehen, und eines schönen tages wird in jedem bürgerhause die küche auch das speisezimmer sein. In Frankreich gibt es schon eine menge leute, die ein speisezimmer mit kochgelegenheit haben. Poiret, der moderne damenschneider, hat sich auch eines bauen lassen. Ich selbst baue in Paris mehreren häusern rotisseure ein, große kamine, worauf alle speisen gebraten werden. Nur diejenigen speisen, die lange vorbereitungen brauchen, werden aus der küche [415] auf den tisch gebracht. In vornehmen speisehäusern wird ein tisch herangezogen, das spiritusfeuer brennt, und es wird gekocht und gebraten. Soviel als möglich wird bei tisch gemacht; es ist eine freude, zuzusehen. Wie gesagt, je vornehmer gespeist wird, desto mehr wird bei tisch gekocht. Ich frage mich, warum der proletarier von dieser schönen sache ausgeschlossen sein soll? Vor tausend jahren hat jeder deutsche in der küche gegessen. Das ganze weihnachtsfest spielte sich in der küche ab, sie war der schönste und geeignetste raum. So geschieht es noch heute auf englischen herrensitzen. Man denke nur an die klassische beschreibung des weihnachtsfestes in den „Pickwickiern“. Man weiß sehr gut, warum die kinder sich am allerliebsten in der küche aufhalten. Das feuer ist etwas schönes. Die wärme des feuers durchdringt den raum und das haus, es geht nichts an wärme verloren. Die küche durchwärmt das ganze haus, und das feuer ist, was es sein soll, der mittelpunkt des hauses. Der engländer sitzt gerne beim feuer; es ist wieder die freude an der zerstörung, die den engländer dazu lockt, sich zum kamin zu setzen und zuzusehen, wie ein stück holz nach dem anderen verbrennt. Aus all diesen gründen baue ich die wohnküche, die die hausfrau entlastet und ihr einen stärkeren anteil an der wohnung gibt, als wenn sie die zeit des kochens in der küche verbringen muß. Die spüle dient dem geschirrabwaschen, gemüseputzen und ähnlichem. Man wird nicht immer, wenn man das haus vom garten her betritt, die türe nach der spüle hinter sich zumachen. In der warmen jahreszeit werden die küchenarbeiten im freien geschehen, draußen wird ein tisch stehen, auf dem bohnen geputzt, salat zubereitet und rüben geschnitten werden, und die türe wird weit [416] offen stehen, vielleicht tag und nacht. Daher ist es unbedingt notwendig, daß die spülküche nach dem garten zu liegt. Die spülküche nun muß nicht nach dem süden zu liegen, dagegen die wohnküche des lichtes wegen unbedingt. Daher wird ein haus am besten an der nordseite der straße zu bauen sein, wo die wohnküche nach süden gerichtet ist, die spüle dagegen nach dem garten, also nach norden.

Aber auch die andere seite der straße ist zu bebauen. Da zeigt es sich, daß der mann, der den bebauungsplan zu machen hat, diese seite breiter halten muß. Denn hier liegt die straße im norden, der garten im süden. Es muß licht und sonne in den wohnraum kommen, und die spüle muß nach dem garten gerichtet sein. Daher müssen hier beide an der südseite liegen und es ist für den, der einen bebauungsplan zu machen hat, folgendes von wichtigkeit: die parzelle nördlich der straße braucht nur 5 m breit zu sein, während die parzellen südlich der straße so breit sein müssen, daß sowohl die spüle, als das wohnzimmer nebeneinander angebracht werden können:

[417] Für den architekten ist damit schon gesagt, daß im einen fall (nördlich der straße) die balkenlage von brandmauer zu brandmauer reicht. Die balkenlänge ist in Deutschland, wie ich glaube, 5 m, so daß man keinen holzverschnitt hat. Im anderen fall legt man die balken entweder von außenmauer zu außenmauer oder man benützt ebenfalls die brandmauern und macht je einen unterzug in der mitte zwischen den brandmauern als auflager. Man kann sich viel arbeit und nachdenken mit dieser einen einfachen überlegung ersparen.

Also: wir haben zuerst den abort, dann den schuppen und den stall. Wir haben die spüle und wir haben einen wohnraum, und, nicht zu vergessen, eine möglichst große speisekammer zur aufbewahrung aller früchte und des gemüses. Außerdem haben wir einen eingang von der straße. Damit ist das erdgeschoß erledigt. Einen keller hat es nicht zu geben, er ist völlig überflüssig und verteuert das haus bedeutend. Das hat die erfahrung gezeigt. Aber der keller ist eine mittelalterliche einrichtung. Die leute glauben immer, kohlen und kartoffeln seien am besten aufgehoben, wenn sie im keller liegen, aber die fühlen sich im oberen stock ebenso wohl. Eine waschküche liegt im oberen stock viel besser als im keller, der ungeheizt, feucht und ungesund ist.

Wenn ich an die räume denke, in denen man schläft, so muß ich vor allem sagen, daß das schlafen und das wohnen voneinander getrennt werden muß. Es darf keine mischung zwischen wohnen und schlafen geben. Das schlafen soll so untergeordnet als möglich behandelt werden, in den kleinsten und niedrigsten räumen. Das schlafzimmer darf niemals leute dazu verführen, darin zu wohnen. Im schlafzimmer ziehe ich mich aus, lege mich ins [418] bett, schlafe, stehe wieder auf und ziehe mich an. Damit ist das schlafzimmer erledigt und im laufe des tages nicht mehr zu betreten. Die vermischung von wohnen und schlafen ist in Deutschland und Österreich üblich. Es kommt bei uns sogar vor, daß das speisezimmer doppeltüren hat, die weit geöffnet sind und uns den blick ins schlafzimmer mit den beiden betten gestatten. In Amerika lebt kein mensch so niedrig, so elend, so gemein, daß aus seinem schlafraum eine türe in ein wohnzimmer ginge.

In England kommt es vereinzelt noch in ganz alten häusern vor, aber so alte häuser gibt es in Amerika nicht. An und für sich soll ein schlafzimmer niemals einen kontakt haben mit einem anderen. Jedes schlafzimmer soll sein wie ein hotelzimmer. In England haben die kinder ein eigenes schlafzimmer, während bei uns die eltern behaupten, sie müßten in das schlafzimmer der kinder hineinsehen können. Das ist falsch. Der deutsche charakter würde gestärkt, die kinder würden selbständiger werden, wenn sie von frühester kindheit an allein schlafen dürften. Es ist durchaus nicht notwendig, daß sie nachts beobachtet werden.

Man muß also im obersten stock drei räume errichten können, die den eltern, den knaben und den mädchen als getrennte schlafzimmer dienen. Wenn nun die familie so zusammengesetzt sein sollte, daß das noch nicht notwendig ist, dann werden eben die schlafzimmer größer sein. Aber man kann nie sagen: ja, wir haben nur buben, oder: wir haben nur mädchen; es kann doch ein familienzuwachs stattfinden. Da muß sich das siedlungshaus für alle späteren möglichkeiten eignen. Zwischenwände brauchen nicht gleich errichtet zu werden. Das zimmer wird einfach anfangs größer sein, aber wenn die Kinder [419] ein gewisses alter erreichen, dann werden die eltern daran denken, eine abteilungswand zu machen. Daher müssen die räume in diesem oberen stock so eingeteilt sein, daß die mauern mit denen im unteren stock gar nichts zu tun haben. Die abteilung kann auch mit hilfe von schränken gemacht werden. Es ist auch nicht notwendig, daß gleich türen eingehängt werden, es genügt vielleicht im anfang ein vorhang, wie denn überhaupt ein haus nach und nach entstehen soll. Es ist ganz falsch, einen siedler in ein fix und fertig eingerichtetes haus hineinzusetzen, und die möbel von einem architekten zeichnen zu lassen, man hat es im gegenteil dem siedler zu überlassen, sich die möbel nach und nach anzuschaffen. Das haus sei niemals fertig, es soll immer die möglichkeit da sein, etwas weiteres hinzuzufügen. In meinem buche, das nach dem kriege in Paris in deutscher sprache erschienen ist, steht die geschichte vom „armen reichen manne“, die ich im jahre 1900 geschrieben habe. Darin beschreibe ich ein haus, das vom architekten eingerichtet wurde und wofür nichts mehr zu kaufen war, weil schon alles fix und fertig dastand. So sei es in diesen häusern nicht. Ich bin nicht dafür, daß einem jungen ehepaar, das noch keine kinder oder kinder in jugendlichstem alter hat, diese obersten räume vollständig eingerichtet zur verfügung gestellt werden. Der architekt hat mit punktierten linien verschiedene möglichkeiten der einteilung vorzuzeichnen. Man bringt vorerst an den fensternischen, türen usw. vorhänge an, um später das hineinzubauen, was notwendig ist. Zu diesem zwecke sind die decken so stark zu konstruieren, daß sie die last nachfolgender trennungsmauern aushalten.

Wie gelange ich nun zu diesen räumen? Da gibt es [420] wieder eine frage: soll dieses obere stockwerk von der straße aus zugänglich sein oder soll man zuerst den wohnraum betreten, die wohnküche, und von der wohnküche in das obere stockwerk gelangen. Ich habe mich für den eingang im innern entschieden. Ich halte es für falsch, daß man von der straße durch einen gesonderten vorraum in die schlafräume gelangen kann, wie es in Deutschland üblich ist. Die gefahr der verführung, die oberen räume zu vermieten, ist zu groß. Wenn aber ein mieter durch den gemeinschaftlichen wohnraum gehen müßte, ist die entscheidung über eine vermietung für den besitzer nicht zweifelhaft. Er will keinen fremden in seinem zimmer haben. Noch etwas anderes kommt hinzu. Wenn ich die stiege im wohnraum anordne, also in der art der stiege in einer halle, so gewinne ich einen großen luftraum. Die heizung der oberen räume wird so bewerkstelligt, daß knapp vor dem schlafengehen die türen ins obere stockwerk geöffnet werden und die wärme jetzt in diese räume hineinzieht, was ja in jeder mietwohnung vor dem schlafengehen gemacht wird. Nun kann ich mich eine halbe stunde später vom familientisch trennen und kann in den warmen raum hinaufgehen, ohne daß eine eigene heizung notwendig ist. Dadurch wird das familienleben gehoben. Sie kennen ja alle die frage – auch der reichste mittelstand hat das während des krieges mitgemacht –: soll man noch kohlen nachlegen oder nicht? Wenn es neun oder zehn uhr abends geworden war, hat man sich im hinblick auf die kohlenrechnung gesagt: es verlohnt sich nicht mehr, und man hat gefroren. Wenn man dagegen weiß, daß die wärme des wohnraumes, die ganz nacht hindurch wirkend, in die übrigen wohnräume sich verteilt, nichts verloren geht, wird man heizen [421] solange es notwendig ist, weil man sich ein gemütliches familienleben schaffen und bis zur letzten minute in der familie beisammen bleiben kann.

Vor allem anderen seien die decken des wohnraumes nicht zu dick. Es ist nicht notwendig, daß die balkendecke mit einer schuttschicht belegt wird; die wärme, die entweichen könnte, kommt dem schlafzimmer der familie zugute. Man könnte vielleicht behaupten, man leiste durch das fehlen einer schutt- oder lehmschichte einer feuersgefahr vorschub. Wenn ein haus anfängt zu brennen, dann brennt es einfach durch. Brennt es und ist die flamme so stark, daß die deckenbalken ergriffen werden, dann ist nichts mehr zu machen. Wenn nun eine decke aus balken mit darübergenagelten brettern, die vielleicht drei zentimeter dick sind, besteht, und man dadurch unten hört, daß jemand im oberen stockwerk geht, so wird das niemandem ärgerlich sein; man freut sich und sagt: das ist der vater, der zu bette geht oder aufsteht.

Die kleinen beobachtungen, die ich ihnen heute mitgeteilt habe, werden vielleicht manchem architekten, der nicht gerade offensiv anderer meinung ist, die arbeit erleichtern können. Mehr habe ich nicht beabsichtigt.


Anhang: beantwortung einzelner fragen
1. Hat das haus auch ein badezimmer?

Ich bin auf solche details nicht eingegangen. Ich bin der meinung, daß ein baderaum eine etwas zu teure sache ist. Das baden soll in der spüle bewerkstelligt werden. In der spülküche soll ein waschtrog mit deckel sein, in dem die familienmitglieder baden können. Der deckel soll als [422] küchentisch benutzt werden können. Auf diese art kann in jedem haus eine billige badegelegenheit geschaffen werden. Wohl wäre es aber möglich, im flur des oberen stockwerks ein wasserbecken einzurichten, so daß man sich dort mit kaltem und warmem wasser waschen kann.


2. Flaches oder geneigtes dach?

Man muß sich da zuerst die frage vorlegen: warum haben wir das geneigte dach? Manche leute glauben, das wäre eine angelegenheit der romantik und der ästhetik. Aber das ist nicht so. Jedes bedachungsmaterial verlangt einen ganz bestimmten winkel. Jeder baukundige weiß, daß der dachwinkel nach dem material der bedachung ermittelt wird.

Wir hatten kein anderes mittel, uns gegen regen, schnee und sturm zu schützen, als kleine platten, die entweder aus schiefer oder ton oder holz angefertigt waren. Als das schönste erschien natürlich immer ein bedachungsmaterial, das aus einem stück besteht. Ein solches bedachungsmaterial brauchte nur den neigungswinkel, der notwendig ist, um das wasser auf natürliche art und weise ablaufen zu lassen. Nach dem großen brand von Hamburg wurde vom hamburger senat ein preisausschreiben für feuersicheres bedachungsmaterial erlassen, das von der ganzen welt beschickt wurde. Da meldete sich auch ein handelsmann namens Häusler aus Hirschberg in Schlesien, der als nichtbausachverständiger ein projekt einschickte: eine riesenplatte, so groß wie die ganze bedachung, aus einem stück gefertigt, das holzzementdach. Und dieses holzzementdach ist wohl die größte erfindung im bauwesen seit jahrtausenden. Aber der mann aus Hirschberg in Schlesien fand ein undankbares [423] geschlecht. Es war ein geschlecht von romantikern, die der meinung waren, in der steilheit des daches offenbare sich die ganze schönheit des hauses. Je steiler ein dach, desto schöner. Das dach wurde auf einmal zu einer sache der ästhetik, zu einer sache der ästhetik der mitte des neunzehnten jahrhunderts. Denn hätten die bautechniker, die baumeister und architekten in den jahren, in denen die renaissance begann, das horizontale dach machen können, dann wäre es ein triumph für den einfachen handelsmann in Schlesien geworden. Was wurde nicht für unsinn getrieben! Es wurde ein kampf zwischen winkel und horizontaler linie geführt.

Ich weiß nicht, wie es anderswo war. In Österreich baute man überall renaissancefassaden, die flache dächer vortäuschten; es waren nur attrappen, denn es befanden sich steile giebeldächer dahinter. Die fenster im oberen stook waren falsch; hie und da gab es ein giebelfenster:

Hätte man damals das holzzementdach gehabt!

Holzzementdächer, die in den vierziger jahren gemacht wurden, funktionieren ohne reparatur noch heute wie damals. Beim holzzementdach gibt es überhaupt [424] keine reparatur. Wenn in bauhandbüchern das holzzementdach verworfen wird, so denken die verfasser an falsch verlegte dächer. Das wichtigste ist, zu wissen, daß man eine plache über die ganze dachschale spannen muß, die keine verbindung mit der holzschalung hat; denn das holz arbeitet bei dürre oder bei feuchtigkeit, es zieht sich zusammen oder treibt auseinander. Davon muß natürlich die neu angefertigte plache völlig unabhängig gemacht werden. Unter dieser dachhaut muß das holz arbeiten können. Wenn aber das dach fest am holz klebt, was durch fehlerhafte manipulation möglich ist, dann wird es selbstverständlich reißen und nicht mehr reparaturfähig sein. Man sieht irgendwo feuchtigkeit eindringen, aber dort, wo das sichtbar wird, ist das loch nicht. Es ist ganz wo anders. Denn inzwischen hat der regen dem holz entlang seinen weg genommen und tritt irgendwo heraus. Da läßt sich nichts mehr reparieren. Man kann doch nicht mit dem mikroskop arbeiten, um die öffnung zu finden. Deshalb ist es besser, ein fehlerhaftes holzzementdach vollständig abzureißen und durch ein neues zu ersetzen, denn das holzzementdach ist in der herstellung billig. Es ermöglicht eine horizontale fläche des daches, es ermöglicht etwas, was seit jahrtausenden gesucht wurde: einen raum im obersten stockwerk, der aus vertikal-horizontalen flächen besteht. Die siedler sagen: „wir brauchen das dach, denn wir haben heu und müssen es unterbringen.“[WS 1] Beruhigt euch! Dem heu ist es ganz gleich, ob es in einem dachraum oder in einem anderen raum liegt. Es ist zwar hirnverbrannt, aber die leute sagen auch: „ja, im dach können wir auf billige weise noch ein stockwerk unterbringen.“ Aber ist denn das wirklich billig? Wer würde beim bau eines einstöckigen hauses [425] mit dem dach beginnen? Es kommt doch so billig! Das habe ich aber noch nie gesehen, daß ein haus so ausgesehen hat:


3. Wo soll der bauer seinen apfelwein unterbringen?

Das ist eine sehr wichtige sache. Der französische bauer hat einen eigenen raum dafür, aber es ist kein keller. Der einfachste mann hat ein faß mit wein, wofür ein eigener kleiner raum im erdgeschoß da ist. Dieses faß wird im laufe von ein, zwei jahren verbraucht. Der einfachste franzose bezieht keinen flaschenwein. In Frankreich wird der wein nicht an einem kühlen orte aufbewahrt. Allerdings ist er gegoren.

Wie man nun das gärenlassen des weines vornimmt, das ist eine sache des sozialen zusammenarbeitens der siedler. Es können wohl alle zusammen einen keller haben, eine siedlung sollte wirklich diese soziale zusammenarbeit ermöglichen. Migge geht weiter, er verlangt für die kompostbereitung gemeinschaftliche einrichtungen. Ich bin der meinung, daß dies heute noch nicht durchzuführen ist, weil die belieferung zu verschieden ist. Aber ich mache sie darauf aufmerksam, daß der bauer mit der [426] zeit auch sozial denken wird, mehr als er es heute tut. Es werden französische, es werden schweizerische verhältnisse eintreten. Am besten kann man das soziale gefühl des bauern daran erkennen, ob er käse erzeugt. Käse kann man nicht allein machen, käse muß in gemeinschaft hergestellt werden. In Bayern gibt es sehr große käsereien, in denen gemeinschaftlich käse erzeugt wird. Wo kein käse erzeugt wird, bekommt die überschüssige milch das schwein, und das ist verschwendung, die nicht sein soll. Es kann also auch die herstellung des apfelweins in einer solchen gemeinschaftlichen art bewerkstelligt und nachher das faß im erdgeschoß untergebracht werden.

Ich habe vergessen zu sagen, daß die speisekammer ganz besonders groß sein muß, viel größer als eine in der stadt. Wenn die siedler ihren plan brachten, und ich fand eine zu kleine speisekammer, so haben sie den plan zurückbekommen. Die speisekammer kann übertrieben groß sein.


4. Wie werden die vorgetragenen anforderungen in mehrfamilienhäusern erfüllt?

Ich habe bis jetzt nur ein mehrfamilienhaus gezeichnet, das aber von der gemeinde Wien nicht angenommen wurde. Ich habe darin nur wohnungen, die sich in zwei stockwerken befinden. Das ist keine erfindung von mir. Die engländer und die amerikaner haben mietswohnungen, die sich aus zwei stockwerken innerhalb eines zehn oder zwanzig stock hohen gebäudes zusammensetzen. Die leute legen großen wert darauf, ihre wohnräume nicht neben den schlafzimmern zu haben, sie wollen die zimmer durch treppen getrennt haben. Sie bilden sich dann [427] ein, sie hätten ein eigenes haus. Das wertgefühl des menschen wird dadurch gehoben. So erst verstehen wir, warum sich der engländer und der amerikaner vor dem abendessen umziehen. Sie können sich einfach nicht umziehen, wenn sie nicht die verschiedenen stockwerke besitzen. Wenn ich im hotel eines kurortes einquartiert bin, dann ziehe ich mich ganz leicht zum abendessen um, weil ich im zweiten, dritten oder vierten stock wohne. Ich warte, bis der gong ertönt, oder ich halte mich in der halle auf, bis zum essen gerufen wird. Das ist eine große erleichterung für das umkleiden. Aber in einer wohnung, in der das speisezimmer mit flügeltüren in das schlafzimmer geht, kann man nicht das gefühl haben, sich umkleiden zu müssen. Es ist ganz gut zu verstehen, wenn ein engländer, der in Zentralafrika reist, sich um sechs uhr abends den smoking anzieht und darin zu tische setzt. Ich habe einmal von einem baumeister, der in Australien zu tun hatte, gehört, daß er in der wildnis von familien eingeladen wurde und sehr erschrocken war, als die herren des abends im smoking und die damen in balltoilette erschienen. Man sagte ihm: das müssen wir machen, das ist das einzige, was uns hier noch mit der kultur verbindet. Es war einfach das bedürfnis dieser leute, dadurch zum ausdruck zu bringen, daß sie zu den gebildeten menschen gehören. Ich halte es für sehr wichtig, daß auch der arbeiter sich für das abendessen umzieht, besonders der manuell arbeitende braucht die physische wirkung des umziehens, weit mehr, als der mann, der im büro sitzt. Der wird sich die hände waschen und das wird genügen. Der siedler, der den ganzen tag über in holzschuhen im garten umhergeht, wird die schuhe wechseln, wenn er das haus verläßt, und in dem augenblick, [428] wo er ins haus tritt, gleichfalls die schuhe ausziehen, besonders am abend. Das macht ein jeder engländer, selbst, wenn er sich nicht umzieht. Er zieht die schuhe, in denen er den ganzen tag über herumgelaufen ist, aus und zieht hausschuhe an, auch zum frack.

So denke ich mir diese wohnungen aus zwei stockwerken bestehend, mit einem eingang von der straße. Die ergänzung meines planes muß dann etwas sein, das wie ein terrassenhaus aussieht, mit einer stiege, die im freien liegt und von der aus man auf die verschiedenen terrassen kommen kann. Man kann diese terrassen auch eine hochstraße nennen; jede mit einem eigenen eingang, mit einer eigenen laube, wo man sich des abends, in freier luft auf der hochstraße sitzend, aufhalten kann. Die kinder spielen auf der terrasse, ohne gefahr, von einem automobil usw. überfahren zu werden. Das war meine idee, denn ich bin davon ausgegangen, daß man so häufig in der zeitung liest, wie unbewachte kinder, die von ihren bei der arbeit befindlichen eltern verlassen werden mußten – das sind die allerärmsten unter den armen – vom lufthunger getrieben, auf das fensterbrett hinaufgestiegen und auf die straße oder in den hof gefallen sind. Das ist ein schreckliches los für die kleinsten der kleinen. Ihnen wird durch diese gesicherte und ruhige terrassenstraße die möglichkeit gegeben sein, den ganzen tag über im freien zuzubringen, in der nähe des hauses und unter dem schutz der nachbarn. Auf diese art und weise dachte ich, für die kinder zu sorgen.

Anmerkungen des Herausgebers

[463] Die auf s. 419 erwähnte geschichte „vom armen reichen manne“ siehe in diesem bande s. 201.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: unterzubringen