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DIE MODERNE SIEDLUNG
Ein vortrag
(1926)

Ich weiß nicht, ob das, worüber ich sprechen werde, sich ganz mit dem deckt, was sie unter einer siedlung verstehen. Ich bin in Stuttgart durch eine siedlung geführt worden, die dem, was ich heute als siedlung erörtern werde, in nichts ähnelt. Was ich dort zu sehen bekommen habe, waren außerordentlich schöne bürgerhäuser. Was ich aber zu sagen habe, gilt der wohnung des arbeiters, der an die fabrik gebunden ist.

In den sechziger jahren des vorigen jahrhunderts gab es einen menschenfreundlichen arzt in Leipzig: Daniel Schreber. Er fand, daß es den kindern der arbeitenden klassen sehr schlecht ging, und meinte, die eltern müßten sich zusammentun, etwa zehn his zwanzig familien, und müßten einen kleinen rasenplatz außerhalb der stadt mieten. Daraus sollte ein kinderspielplatz werden, und die eltern sollten um den platz herum hütten bauen, wo sie am abend nach getaner arbeit zusammensitzen könnten, wodurch vermieden würde, daß sie ihre abende in den entsetzlichen quartieren des elends zubringen müßten oder der mann von der familie weggetrieben werde und seine abende im wirtshaus verbringe. Der vorschlag wurde ausgeführt. Was geschah aber? Der vater nahm den spaten in die hand, stach in den rasenplatz hinein, zerstörte die spielgelegenheit seiner kinder und baute irgend etwas an, gemüse, oder pflanzte einen baum aus einer, wenn sie wollen, rein teuflischen freude an der zerstörung. Er war gemein genug, seinen kindern den spielplatz wegzunehmen. Da muß man sich nun fragen,

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Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 402. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/404&oldid=- (Version vom 1.8.2018)